Blaue Ressourcen für eine grüne Zukunft
Übernutzte Böden, Landnutzungskonflikte und Treibhausgasemissionen stellen die Menschheit vor Herausforderungen in nie da gewesenem Ausmaß. Doch nicht alle Lösungen müssen an Land gesucht werden. Mehr als zwei Drittel der Erde sind von Ozeanen bedeckt und ihre Potenziale für Klima- und Ressourcenschutz sowie die menschliche Ernährungssicherheit sind längst nicht ausgeschöpft. Immer mehr Forschung richtet sich deshalb auf die nachhaltige Nutzung mariner Ressourcen.
Wie wir heute mit den Meeren umgehen, wirkt alles andere als zukunftsfähig: Überfischung, Abfälle aus Aquakulturen und die Folgen der Erderwärmung setzen ihnen zu. Dabei könnten gerade die Ozeane selbst eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen. Ideen gibt es viele, etwa wenn mehr CO2 durch Düngung, den künstlichen Auftrieb nährstoffreichen Tiefenwassers oder den großflächigen Anbau von Makroalgen der Atmosphäre entzogen würde. Doch: „Was gut für das Klima ist, ist nicht automatisch gut für den Ozean“, sagt Prof. Dr. Andreas Oschlies vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Er und sein Team zeigten, dass viele Verfahren zur CO2-Entnahme den Sauerstoffgehalt der Ozeane belasten würden – mit gravierenden ökologischen Folgen. Sicherer scheint der Anbau von Algen, sofern sie nach der Ernte aus dem Meer entfernt werden.
Synergien für eine nachhaltige Meeresnutzung
Von kleinsten Mikroalgen bis zum meterlangen Riesentang sind die pflanzenähnlichen Lebewesen schon heute vielseitig im Einsatz: als Lebensmittel, für Dünger, Viehfutter, Kosmetika oder sogar als Biokraftstoffe und Rohstoff für die Industrie. Im internationalen Projekt „Ngā Punga o te Moana – Anchoring Our Open Ocean Future“ arbeiten daher Forschende unter neuseeländischer Leitung daran, umweltverträgliche Algen- und Muschelaquakulturen für die hohe See zu entwickeln. Der Offshore-Standort hat viele Vorteile. „Das offene Meer bietet oftmals eine bessere Nährstoffverfügbarkeit, weniger Belastung durch Parasiten und eine bessere Wasserqualität – zudem entgeht man dem hohen Nutzungsdruck in Küstengewässern“, sagt Dr.-Ing. Nils Goseberg, Professor für Küsteningenieurwesen und Seebau an der TU Braunschweig und Leiter des beteiligten Forschungszentrums Küste. Gleichzeitig stellt das offene Meer die Ingenieurinnen und Ingenieure vor besondere Herausforderungen: Konstruktionen müssen so robust sein, dass sie Wellen und Strömungen standhalten. In Wellenkanälen und Versuchsanlagen testen sie, wie sich Seetang-Leinen verankern lassen, ohne bei jedem Sturm zu reißen.
Auch die Wartung von Offshore-Anlagen ist aufwendig. Kluge Konzepte wollen daher Synergieeffekte nutzen. Besonders vielversprechend ist die Kombination der marinen Farmen mit bestehenden Offshore-Windparks. Die Vorteile liegen auf der Hand: „Lager, zertifiziertes erfahrenes Offshore-Personal, Schiffe, Überwachungsmöglichkeiten, Organisationsaufwand für Seereisen und Lizenzen, Energieversorgung und Monitoringdaten durch teure Sensoren können in solchen Multi-Use-Anlagen geteilt werden“, sagt Eva Strothotte. Im EU-geförderten Projekt ULTFARMS betreut die Fischereibiologin der FH Kiel zwei Pilotanlagen in Nord- und Ostsee, in denen verschiedene Algen- und Muschelarten für den menschlichen Verzehr gezüchtet werden.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der ökologischen Verträglichkeit der Anlagen: Von der Verwendung recycelbarer Materialien bis zu einem intensiven Monitoring der Umweltauswirkungen – etwa durch Unterwasserkameras und Hydrophone, die Schweinswale und Fische registrieren. Sogenanntes Nature-inclusive-Design, das natürliche Elemente und Prinzipien in menschliche Bauten integriert, könnte nicht nur Umweltauswirkungen der Windparks minimieren, sondern sogar positive Effekte auf umliegende Gebiete haben: Künstliche Riffe an den Fundamenten und Stahlpfählen der Strukturen werden zum Rückzugsort für Fische und zur Kinderstube von Krebsen und vielen anderen Organismen.
Aquakultur neugedacht
Während Algen als Nahrungsmittel in vielen Ländern eher ein Nischendasein fristen, steigt der Konsum von Fisch unaufhörlich. Ein Großteil stammt schon heute aus Aquakulturen. Auf den ersten Blick klingt das nachhaltig, doch der Schein trügt. Denn die gezüchteten Fische wie Lachs oder Thunfisch fressen große Mengen an Fischmehl und -öl, das meist aus Wildfängen stammt. „Die Aquakultur von Raubfischen ist eigentlich sehr ineffizient“, erklärt Dr. Holger Kühnhold, Meeresbiologe am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT).
Deshalb suchen Forschende wie Kühnhold nach experimentellen Ideen für nachhaltigere Aquakulturen. Auch hier könnten Multi-Use-Ansätze die Lösung sein: Die integrierte multitrophische Aquakultur nimmt sich natürliche Nahrungsketten zum Vorbild und soll eine Art Ökosystem nachbilden, das etwa Muscheln und Seegurken einbindet, um die gefütterten Nährstoffe effizienter zu nutzen und die Meeresverschmutzung durch Futter und Ausscheidungen zu minimieren. Die Fische selbst könnten in Zukunft auch zunehmend mit pflanzlichen Proteinen ernährt werden. Diese Konzepte sind nicht neu – doch hapert es oftmals an der großflächigen Umsetzung in die Praxis. „Es gibt nachhaltige Ansätze in der Aquakultur, aber die negativen ökologischen Folgen bisheriger Praktiken müssten einberechnet und geahndet werden, damit sich die Konzepte auch wirtschaftlich lohnen“, stellt Kühnhold fest.
Auch Nils Goseberg von der TU Braunschweig sieht Handlungsbedarf: „In Deutschland wurde noch nicht ausreichend verstanden, welche wirtschaftlichen Potenziale hier liegen.“ Sein Appell: mehr Raum zum Experimentieren, eine bessere Vermittlung nachhaltiger Konzepte an die Öffentlichkeit und Förderlinien, die den Aufbruch in die blaue Zukunft unterstützen.