ZEIT für X
Eine Illustration zeigt eine integrierte multitrophische Aquakultur

Blaue Ressourcen für eine grüne Zukunft

09. Oktober 2025

Übernutzte Böden, Landnutzungs­konflikte und Treib­haus­­gas­emissionen stellen die Menschheit vor Heraus­forderungen in nie da gewesenem Ausmaß. Doch nicht alle Lösungen müssen an Land gesucht werden. Mehr als zwei Drittel der Erde sind von Ozeanen bedeckt und ihre Potenziale für Klima- und Ressourcen­schutz sowie die menschliche Ernährungs­sicherheit sind längst nicht ausgeschöpft. Immer mehr Forschung richtet sich deshalb auf die nachhaltige Nutzung mariner Ressourcen.

von Elias Kappler

Wie wir heute mit den Meeren umgehen, wirkt alles andere als zukunfts­fähig: Überfischung, Abfälle aus Aqua­kulturen und die Folgen der Erd­erwärmung setzen ihnen zu. Dabei könnten gerade die Ozeane selbst eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klima­wandel spielen. Ideen gibt es viele, etwa wenn mehr CO2 durch Düngung, den künstlichen Auftrieb nähr­stoff­reichen Tiefen­wassers oder den groß­flächigen Anbau von Makroalgen der Atmosphäre entzogen würde. Doch: „Was gut für das Klima ist, ist nicht automatisch gut für den ­Ozean“, sagt Prof. Dr. Andreas Oschlies vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozean­forschung in Kiel. Er und sein Team zeigten, dass viele Verfahren zur CO2-Entnahme den Sauer­stoff­gehalt der Ozeane belasten würden – mit gravierenden ökologischen Folgen. Sicherer scheint der Anbau von Algen, sofern sie nach der Ernte aus dem Meer entfernt werden.

Synergien für eine nach­haltige Meeres­nutzung

Von kleinsten Mikroalgen bis zum meterlangen Riesen­tang sind die pflanzen­ähnlichen Lebe­wesen schon heute viel­seitig im Einsatz: als Lebens­mittel, für Dünger, Viehfutter, Kosmetika oder sogar als Biokraft­stoffe und Rohstoff für die Industrie. Im inter­nationalen Projekt „Ngā Punga o te Moana – Anchoring Our Open Ocean Future“ arbeiten daher Forschende unter neuseeländischer Leitung daran, umwelt­verträgliche Algen- und Muschel­aqua­kulturen für die hohe See zu entwickeln. Der Offshore-Standort hat viele Vorteile. „Das offene Meer bietet oftmals eine bessere Nähr­stoff­verfügbarkeit, weniger Belastung durch Parasiten und eine bessere Wasser­qualität – zudem entgeht man dem hohen Nutzungs­druck in Küsten­gewässern“, sagt Dr.-Ing. Nils Goseberg, ­Professor für Küsten­ingenieur­wesen und Seebau an der TU Braunschweig und Leiter des beteiligten Forschungs­zentrums Küste. Gleich­zeitig stellt das offene Meer die Ingenieurinnen und Ingenieure vor besondere Heraus­forderungen: Konstruktionen müssen so robust sein, dass sie Wellen und Strömungen standhalten. In Wellen­kanälen und Versuchs­anlagen testen sie, wie sich Seetang-Leinen verankern lassen, ohne bei jedem Sturm zu reißen.

Ein Offshore-Windpark in der Nordsee.
© ULTFARMS/FuE-Zentrum FH Kiel Windkraft trifft Aquakultur: Die Pilotanlage FINO3 integriert den Anbau von Algen und Muscheln in einen bestehenden Offshore-Windpark in der Nordsee.

Auch die Wartung von Offshore-Anlagen ist aufwendig. Kluge Konzepte wollen daher Synergie­effekte nutzen. Besonders viel­versprechend ist die Kombination der marinen Farmen mit bestehenden Offshore-Windparks. Die Vorteile liegen auf der Hand: „Lager, zertifiziertes erfahrenes Offshore-Personal, Schiffe, Über­wachungs­möglichkeiten, Organisations­aufwand für Seereisen und Lizenzen, Energie­versorgung und Monitoring­daten durch teure Sensoren können in solchen Multi-Use-Anlagen geteilt werden“, sagt Eva Strothotte. Im EU-geförderten Projekt ULTFARMS betreut die Fischerei­biologin der FH Kiel zwei Pilot­anlagen in Nord- und Ostsee, in denen verschiedene Algen- und Muschel­arten für den menschlichen Verzehr gezüchtet werden.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf der ökologischen Verträglichkeit der Anlagen: Von der Verwendung recycel­barer Materialien bis zu einem intensiven Monitoring der Umwelt­auswirkungen – etwa durch Unter­wasser­kameras und Hydrophone, die Schweins­wale und Fische registrieren. Sogenanntes Nature-inclusive-Design, das natürliche Elemente und Prinzipien in menschliche Bauten integriert, könnte nicht nur Umwelt­auswirkungen der Windparks minimieren, sondern sogar positive Effekte auf umliegende Gebiete haben: Künstliche Riffe an den Fundamenten und Stahl­pfählen der Strukturen werden zum Rückzugs­ort für Fische und zur Kinder­stube von Krebsen und vielen anderen Organismen.

Das 3-D-Wellenbecken des Leichtweiß-Instituts der TU Braunschweig
© Kristina Rottig/TU Braunschweig Tests für den Einsatz auf hoher See: Im 3-D-Wellenbecken des Leichtweiß-Instituts der TU Braunschweig wurde im Maßstab 1:20 eine neuartige Seetangfarm erprobt.

Aquakultur neugedacht

Während Algen als Nahrungsmittel in vielen Ländern eher ein Nischen­dasein fristen, steigt der Konsum von Fisch unaufhörlich. Ein Großteil stammt schon heute aus Aqua­kulturen. Auf den ersten Blick klingt das nach­haltig, doch der Schein trügt. Denn die gezüchteten Fische wie Lachs oder Thunfisch fressen große Mengen an Fisch­mehl und -öl, das meist aus Wild­fängen stammt. „Die Aquakultur von Raubfischen ist eigentlich sehr ineffizient“, erklärt Dr. Holger Kühnhold, Meeres­biologe am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT).

Deshalb suchen Forschende wie Kühnhold nach experimentellen Ideen für nachhaltigere Aqua­kulturen. Auch hier könnten Multi-Use-Ansätze die Lösung sein: Die integrierte multi­trophische Aquakultur nimmt sich natürliche Nahrungs­ketten zum Vorbild und soll eine Art Ökosystem nachbilden, das etwa Muscheln und Seegurken einbindet, um die gefütterten Nähr­stoffe effizienter zu nutzen und die Meeres­verschmutzung durch Futter und Ausscheidungen zu minimieren. Die Fische selbst könnten in Zukunft auch zunehmend mit pflanzlichen Proteinen ernährt werden. Diese Konzepte sind nicht neu – doch hapert es oftmals an der groß­flächigen Umsetzung in die Praxis. „Es gibt nachhaltige Ansätze in der Aquakultur, aber die negativen ökologischen Folgen bisheriger Praktiken müssten einberechnet und geahndet werden, damit sich die Konzepte auch wirtschaftlich lohnen“, stellt Kühnhold fest.

Auch Nils Goseberg von der TU Braunschweig sieht Handlungs­bedarf: „In Deutschland wurde noch nicht ausreichend verstanden, welche wirtschaftlichen Potenziale hier liegen.“ Sein Appell: mehr Raum zum Experimentieren, eine bessere Vermittlung nachhaltiger Konzepte an die Öffentlichkeit und Förderlinien, die den Aufbruch in die blaue Zukunft unterstützen.