Die Kohlenstoffwende: Dekarbonisierung in der Industrie
Die deutschen Klimaziele sind ehrgeizig: Bis 2045 sollen Industriebranchen wie Stahl, Zement oder Chemie praktisch keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Für Sektoren, die traditionell zu den größten Emittenten zählen, ist das eine gewaltige Aufgabe. Doch mitten im Ruhrgebiet beginnt der Wandel.
Ein Beispiel steht in Duisburg: das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Forschungs- und Reallabor für die klimafreundliche Produktion von Stahl. H2Stahl heißt das Großprojekt, bei dem Industrie und Forschungspartner den Umbau der Eisen- und Stahlproduktion erproben. Herzstück ist ein Verfahren, das die klassische Hochofentechnik ersetzen soll. Während Hochöfen mit Kohle betrieben werden und das Eisenerz einschmelzen, funktionieren die neuen Direktreduktionsanlagen mit Gas und perspektivisch mit grünem Wasserstoff. In der Anlage wird dem Eisenerz bei rund 1.000 Grad Celsius der Sauerstoff entzogen (Reduktion), sodass „direkt reduziertes Eisen“ entsteht, der sogenannte Eisenschwamm (DRI). In einem zweiten Schritt schmilzt ein neu entwickelter DRI-Ofen den porösen Schwamm zu Roheisen ein. Der Vorteil: Wenn Wasserstoff eingesetzt wird, entsteht dabei Wasserdampf statt CO2. Damit wird ein Prozess dekarbonisiert, der bislang fast 30 Prozent der Treibhausgasemissionen der deutschen Industrie verursacht.
Während viele deutsche Stahlhersteller bereits an Direktreduktionsanlagen bauen, liefert das Duisburger Reallabor parallel die notwendigen Daten für deren Anwendung. „Die Pilotanlagen stecken voller Messtechnik, um die ablaufenden Reaktionen zu erforschen und damit der Industrie das notwendige Wissen zum Betrieb der eigenen Großanlagen an die Hand zu geben“, sagt BFI-Geschäftsführer Michael Hensmann. Da noch nicht genügend grün erzeugter Wasserstoff für die Direktreduktion zur Verfügung steht, testen die Forschenden zum Beispiel gerade, wie sich Mischungen aus Erdgas und Wasserstoff einsetzen lassen. Um die Transformation voranzutreiben, bereitet die Versuchsanlage die Industrie auch auf Zwischenlösungen vor.
Weiterverwendung von CO2
Doch Dekarbonisierung bedeutet nicht nur weniger CO2 auszustoßen. Es geht auch darum, den Kohlenstoff sinnvoll zu nutzen. Roh Pin Lee, Professorin für Dekarbonisierung und Transformation der Industrie an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, formuliert es so: „Die angestrebte Transformation ist im Prinzip eine Kohlenstoffwende, also der Weg zu einem intelligenten und nachhaltigen Umgang mit Kohlenstoff.“ Gemeint ist damit eine Kreislaufwirtschaft, die Kohlenstoff nicht einfach entweichen lässt, sondern zurückführt und nutzbar macht.
Die angestrebte Transformation ist im Prinzip eine Kohlenstoffwende, also der Weg zu einem intelligenten und nachhaltigen Umgang mit Kohlenstoff.
Prof. Dr. Roh Pin Lee, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg
Um abgeschiedenes CO2 aus der Industrie in die Wertschöpfungskette zurückführen, laufen deutschlandweit mehrere Forschungsprojekte. Eines davon ist das vom Bund seit rund zehn Jahren geförderte Großforschungsprojekt Carbon2Chem, in dem Industrieunternehmen der Stahl-, Chemie- und Energiebranche mit zahlreichen Universitäten und Forschungsinstituten zusammenarbeiten. Im Fokus steht die Umwandlung von Hüttengasen der Stahlproduktion in wertvolle chemische Vorprodukte, unter anderem für Kraftstoffe, Kunststoffe oder Düngemittel.
Stahlschrott klimaneutral recyceln
Auch Recycling gehört zu den Schlüsselstrategien, um den Ausstoß von Treibhausgasen in der Industrie zu senken. In der Stahlbranche entscheidet die Qualität des eingesetzten Schrotts über Erfolg oder Misserfolg. Das VDEh-Betriebsforschungsinstitut erprobt daher gemeinsam mit Partnern aus Recyclingwirtschaft und Stahlindustrie neue Verfahren – gefördert vom Land Nordrhein-Westfalen. Eine neuartige Kameratechnik soll winzige Kupferrückstände und andere Störstoffe im geschredderten Material aufspüren. Kupfer gilt als eines der größten Hindernisse bei der Wiederverwertung von Stahlschrott, da es zu Rissen und Falten bei der Weiterverarbeitung führen kann. Sind die Störstoffe dagegen weitgehend entfernt, lässt sich der Stahlschrott als Beimischung zu Eisenschwamm auch im neuen DRI-Ofen einschmelzen – mit grünem Strom sogar weitgehend CO2-frei. Ziel der Forschungsarbeit ist es, diesen Weg zur klimaneutralen Produktion weiter zu optimieren.
Wenn der Bedarf an Schrott für eine grüne Stahlproduktion steigt, könnten alte Schiffe interessant werden. Nachhaltiges Schiffsrecycling ist ein aktuelles Thema für Forschung und Experten. „In der Regel denken die Menschen beim Thema Dekarbonisierung in der Schifffahrt vor allem an betriebsbedingte Emissionen, nicht jedoch an die Energie und Ressourcen, die in den Schiffbau fließen“, so Henning Gramann, der Inhaber von Green Ship Recycling Services. Im Durchschnitt sind die rund 60.000 Schiffe der Welthandelsflotte über 22 Jahre alt, bei einer üblichen Lebensdauer von 25 bis 30 Jahren. Grob geschätzt sind in diesen Schiffen zwei bis drei Milliarden Tonnen Stahl verbaut. „Hinzu kommen mehrere Tausend, die kleiner sind, außerdem Forschungs- und Marineschiffe.“
Für Gramann ist klar: Schiffe sind „Ressourcenbanken“, die helfen können, CO2 zu reduzieren. Er verfolgt daher das Ziel, „die Ressourcen im Loop zu behalten“. Ein Ansatz ist das Forschungsprojekt RECAB, das bis 2027 läuft. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung nachhaltiger Passagierkabinen, die sich wiederverwenden lassen. Mit an Bord sind die Meyer Werft, mehrere Forschungsinstitute und auch Hennig Gramann selbst: Sein Unternehmen arbeitet an der vollständigen Erfassung aller Materialien, die beim Rückbau gewonnen und in den Kreislauf zurückgeführt werden können.
Die angestrebte Kohlenstoffwende entscheidet sich in den nächsten Jahren in der Umsetzung. Maßgeblich tragen dazu der zügige Umbau der Stahlindustrie, geschlossene Kohlenstoffkreisläufe und sauberer Schrott für hochwertigen Stahl bei.