ZEIT für X
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lehrstuhls für Elektronische Bauelemente der RWTH Aachen arbeiten im Lithographierraum unter Gelblicht zum Schutz der Siliziumwafer.

Profilbereich MatSE: Energieeffiziente Hardware für den Einsatz von KI

17. Oktober 2024
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Der Zukunftscluster „NeuroSys – Neuromorphe Hardware für autonome Systeme der künstlichen Intelligenz“ der RWTH Aachen bündelt die Kräfte von Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlichen Akteuren in Aachen.

Energieeffiziente neuromorphe Computerchips sind ein Schlüssel für den breiten Einsatz von KI, etwa in autonomen Fahrzeugen, der Medizin­technik oder in der Sprach­erkennung. Neuromorphe Systeme sind inspiriert von zwei Grund­bau­steinen des menschlichen Gehirns, den Neuronen und den Synapsen. Diese können durch neue Materialien mit bestimmten Eigenschaften realisiert und als „memristiv“ beschrieben werden. Memristiv ist ein Kofferwort – aus dem Englischen „memory“ für Speicher und „resistor“ für elektrischer Widerstand. Neben der elektronischen bietet auch die optische Signal­verarbeitung eine mögliche Lösung. Optische Über­tragungs­systeme ermöglichen extrem hohe Daten­raten und eine substanzielle Verkürzung von Latenz­zeiten während der Signal­über­tragung. Diese neuartigen Systeme können somit eine energie­effiziente Vor-Ort-Verarbeitung von Daten leisten. Neuromorphic Computing (NC) lässt sich also von den Eigenschaften des Gehirns zur Entwicklung von Computer­hardware und -software inspirieren. Leistungs­starkes Rechnen bei geringem Energie­verbrauch ermöglicht unter anderem die Verarbeitung sensibler und/oder zeitkritischer Daten direkt am Ort des Geschehens (Edge Computing).

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hatte 2021 in der ersten Wettbewerbsrunde das Thema Neuromorphic Computing als eines von sieben Zukunfts­clustern (Clusters4Future) zu einem der zentralen Zukunfts­themen für Deutschland erklärt. Der Zukunfts­cluster „NeuroSys – Neuromorphe Hardware für autonome Systeme der künstlichen Intelligenz“ der RWTH Aachen wird von Professor Max Lemme vom Lehrstuhl für Elektronische Bau­elemente und Geschäfts­führer des Johannes Rau Forschungs­instituts AMO GmbH koordiniert. NeuroSys bündelt die Kräfte der Forschungs­einrichtungen mit der regionalen wie über­regionalen Industrie. Die Forschungs­arbeiten umfassen die gesamte Wert­schöpfungs­kette von der Material­forschung, über die Bauelemente­entwicklung, deren Integration in Schaltungs­entwürfe, über die Algorithmen­entwicklung bis hin zu anwendungs­getriebenen Fallstudien und der Entwicklung von sozio­ökonomischen Wirkungs­szenarien neuromorpher Hardware.

Seit dem Start im Jahr 2022 geht der Blick aus ganz Deutschland Richtung Aachen, mit Zeiss und NXP sind inzwischen zwei weitere Global Player Mitglied im Beirat des Zukunfts­clusters geworden. „Wissenschaftlich haben wir große Fortschritte erzielt, die Sichtbarkeit des Standortes Aachen für die Entwicklung neuromorpher Computer zu erhöhen. NeuroSys hat eine an einem Standort gebündelte Expertise, die in dieser Dichte weltweit einmalig ist. Die Herausforderung wird es nun sein, den Transfer in die (bevorzugt regionale) Industrie zu erhöhen“, erklärt Lemme.

Wie die Forschung am Ende auf den Markt kommt, zeigen unter anderem die Start-ups AixScale Photonics, Clinomic, roofline.ai und Black Semiconductor, Ausgründungen der RWTH. Das Aachener Unternehmen AIXTRON tätigt ein hohes Millionen­invest in einen Forschungs­rein­raum in Aachen. „Unsere Vision ist, gemeinsam mit allen Partnern die Region Aachen weltweit führend auf dem Gebiet des Neuromorphic Computing für Forschung, Entwicklung und Anwendung auszubauen“, erklärt Lemme.

„NeuroSys“ ist u.a. Teil des Profilbereichs Material Science and Engineering (MatSE). Material­wissenschaft und Werk­stoff­technik sind durch innovative Produkte ein wesentlicher Bestandteil zur Lösung zahlreicher gesellschaftlicher Heraus­forderungen, wie die Energie- und Mobilitäts­wende, die Digitalisierung in den meisten Lebens­bereichen, der demografische Wandel und der wirtschaftliche Struktur­wandel. Der Profil­bereich hat sich zum Ziel gesetzt, die inter­nationale Konkurrenz­fähigkeit der RWTH Aachen in diesen Themenfeldern zu stärken, die vorhandenen Kompetenzen zu bündeln und die Entwicklung bedeutender Zukunfts­themen zu unterstützen.

Die rund 70 beteiligten Lehrstühle und Forschungsbereiche erstrecken sich über die fünf größten Fakultäten der RWTH Aachen. Die material­wissenschaftliche und werk­stoff­technische Forschung reicht in ihrer Tiefe von der Grund­lagen­forschung in Physik und Chemie bis hin zu den ingenieur­wissenschaftlichen Anwendungen. Innerhalb der deutschen Material­wissenschaftlichen Community besitzt der Profilbereich bereits eine herausragende Stellung. Neben Struktur­werk­stoffen im industriellen Einsatz wie beispiels­weise für den Automobil­bau und das Bauwesen liegt der Fokus außerdem auf gesellschaftlich relevanten Funktions­werkstoffen für zukünftige Anwendungen wie unter anderem in der Informations­technologie oder im biomedizinischen Bereich. Die Forschungs­gebiete decken alle Werk­stoff­klassen ab, von metallischen Werkstoffen über Keramik und Glas bis hin zu Polymeren und Biomaterialien.

Interview mit Prof. Max Lemme

Was sind die Vorteile neuromorpher Hardware gegenüber klassischer Hardware­strukturen?
Neuromorphic Hardware kann bestimmte Rechenaufgaben energieeffizienter und schneller erledigen als klassische Hardware in der etablierten „von-Neumann-Architektur“. Dies ist insbesondere für das maschinelle Lernen wichtig, und für das, was darüber hinaus als „künstliche Intelligenz“ eingeordnet wird. Derzeit werden solche Anwendungen von Graphik­prozessoren „mit der Brech­stange“ erledigt, was zu einem enormen Energie­verbrauch führt. Hier können spezifische „neuromorphe“ Chips helfen.

Prof. Max Lemme
© Martin Braun Prof. Max Lemme

Wie sieht eine solche neuromorphe Hardware am Ende aus – was sind die zentralen Unterschiede zu unserer herkömmlichen Technologie?
Die etablierte „von-Neumann-Architektur“ trennt auf den Chips noch überwiegend Logik und Speicher, wodurch große Daten­mengen häufig auf dem Chip „bewegt“ werden müssen und so den Energie­verbrauch in die Höhe treiben. Neuromorphe Hardware lässt sich dagegen sowohl in der Rechner­architektur als auch bei Rechen­vorgängen von der Struktur und Funktions­weise des Gehirns inspirieren. Das menschliche Gehirn kann sehr effizient komplexe Muster und Situationen erkennen, obwohl die biologischen Prozesse im Vergleich zu den Taktraten in Computern extrem langsam sind. Neuromorphe Computer könnten also künstliche Neuronen zur Durch­führung von Berechnungen verwenden und dabei eine Kombination aus analogen und digitalen Systemen verwenden. So werden Modelle neuronaler Systeme implementiert. Die Neuronen und Synapsen könnten dabei aus neuen Materialien bestehen und als „Memristoren“ realisiert werden, also eine Verknüpfung von Speicher und Logik­transistor („Memory“ und „Transistor“) bereitstellen.

Wo steht die Forschung aktuell? Was sind anstehende Heraus­forderungen?
Wir sehen bereits erste neuromorphe Chips wie die Intel Loihi Reihe, die neue Architekturen zur Verfügung stellen. Allerdings können diese noch nicht voll genutzt werden, weil der gesamte „Software Stack“ nicht durchgängig existiert. Die etablierte Technologie ist vom einzelnen Transistor auf dem Chip bis hin zur Applikations­software an allen Schnitt­stellen definiert und optimiert. Das fehlt für neue Bau­elemente und Architekturen, übrigens nicht nur beim neuromorphen Rechnen, sondern auch bei den Ansätzen für Quanten­computer. Trotzdem werden erste Erfolge mit Spezialchips erreicht, die auch als „Hardware Accelerator“ bezeichnet werden. Diese werden derzeit noch ohne die neuen Materialien und Memristoren gefertigt und bringen erste Energie­einsparungen. Aber echte Durch­brüche erwarten wir vor allem, wenn das gesamte Ökosystem aus neuen Materialien, Bauelementen, Schaltungen, Architekturen und Algorithmen funktioniert.

Wie wird neuromorphe Hardware am Ende unsere Welt verändern?
Neuromorphe Hardware ist letztlich ein Sammelbegriff für energie­effiziente, schnelle Computerchips – vor allem für KI-Anwendungen. Daher sehe ich darin eine Schlüsseltechnologie für die KI, die auf Grund der geopolitischen Situation auch eine strategische Bedeutung hat. Denn KI wird alle Bereiche unseres Lebens berühren, was wir im Grunde ja heute schon sehen und das noch stark zunehmen wird. Diese Chips werden in Zukunft auch den Wert eines Produktes beeinflussen, angefangen vom selbstfahrenden Auto, humanoiden Robotern über das Mobiltelefon bis zur Kaffee­maschine. Auch im Gesundheits­sektor werden diese Chips wichtig, indem es einerseits immer mehr in Richtung individueller Medizin geht, wo aber auch sehr persönliche Daten geschützt bleiben müssen.

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