Roboter auf dem Gehweg – sind wir bereit dafür?
AnzeigeReinigungsroboter in Bahnhöfen? Alltag. Lieferroboter auf Gehwegen? Noch selten – aber in Pilotprojekten bereits Realität. Roboter zur Unterstützung in der Pflege werden erforscht, um ältere Menschen im täglichen Leben zu entlasten. Die Robotik macht den Sprung aus dem Labor – doch wie willkommen ist sie im wirklichen Leben? Der Alltag wird zum Prüfstand: für Technik, für Akzeptanz – und für uns.
Robotik ist nicht nur ein technisches Thema, sie betrifft unser Selbstverständnis. Es geht nicht nur um Sensorik, Softwareentwicklung oder Wirtschaftlichkeit. Sondern um die Erforschung des Zwischenmenschlichen – oder genauer: des Zwischenmensch-Maschinellen. Die zentrale Frage lautet: Wie ermöglicht die Maschine ein Zusammenleben, das funktioniert, akzeptiert – und sogar geschätzt wird?
Alltag als Experimentierfeld
Genau dieser Fragestellung widmen sich deutschlandweit zahlreiche Forschungsprojekte – eines davon: das bundesweit aufgestellte „Transferzentrum Roboter im Alltag“, kurz RimA. Gemeinsam mit den ebenfalls vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) geförderten RA3-Kompetenzzentren – Forschungsverbünden zur Mensch- Roboter-Interaktion im Alltag – analysiert RimA, unter welchen Bedingungen Roboter sinnvoll und sicher in alltäglichen Situationen eingesetzt werden können.
Dabei wird der öffentliche Raum zum Labor: In Ulm etwa führen Forschende des Projektes ZEN-MRI Feldstudien mit Passantinnen und Passanten sowie mit Reinigungsrobotern durch. Was passiert, wenn ein Roboter plötzlich die Richtung ändert? Was empfinden Menschen, wenn sie von einem piependen LED-Wesen „aus dem Weg gebeten“ werden?
Ein Roboter, der im Alltag zum Einsatz kommt, sollte sich nicht nur rücksichtsvoll und sicher verhalten, sondern aktiv zum reibungslosen Miteinander beitragen. Indem er sich vorausschauend und kooperativ ins Geschehen einfügt, wird er zu einem echten Mehrwert für seine Umgebung.
Prof. Dr.-Ing. Arne Rönnau, Direktor am FZI Forschungszentrum Informatik
Anhand von Interviews, Beobachtungen und Fragebögen werden die Kommunikationsmuster getestet, mit denen Roboter ihre Absichten sichtbar machen können: mit Licht, Ton, Icons oder gar Bodenprojektionen. Ziel ist eine verständliche Körpersprache für Maschinen. Die Forschenden aus dem Projekt RimA schauen dann aus der Außenperspektive, wie sich diese verständliche Körpersprache zu anderen relevanten Aspekten verhält, ob der Roboter also beispielsweise seine Aufgabe gleichzeitig effizient ausfüllt. „Ein Roboter, der im Alltag zum Einsatz kommt, sollte sich nicht nur rücksichtsvoll und sicher verhalten, sondern aktiv zum reibungslosen Miteinander beitragen“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Arne Rönnau, Direktor am FZI Forschungszentrum Informatik. „Indem er sich vorausschauend und kooperativ ins Geschehen einfügt, wird er zu einem echten Mehrwert für seine Umgebung.“
Zwischen Funktion und Verständnis
Gute Technik muss heute mehr können als nur funktionieren. Sie muss verständlich sein – und dabei berücksichtigen, wer ihr begegnet. Kinder, ältere Menschen oder Personen mit Einschränkungen reagieren anders auf technische Systeme. Roboter, die sich künftig im öffentlichen Raum bewegen, müssen deshalb nicht nur zuverlässig und sicher agieren, sondern auch sozialverträglich und wirtschaftlich einsetzbar sein. RimA greift diese vier zentralen Herausforderungen – Aufgabenerfüllung, Sicherheit, Interaktionsqualität und ökonomische Tragfähigkeit – systematisch auf. Damit daraus technische Anforderungen entstehen können, müssen abstrakte Begriffe greifbar gemacht werden: Aus „robust“ wird zum Beispiel eine messbare Reinigungsleistung. „Sicherheit“ lässt sich über zulässige Kräfte und Abstände definieren. Und „soziale Kompatibilität“ zeigt sich etwa in der Reaktion von Menschen, die dem Roboter begegnen.
Dafür ist ein menschzentrierter Gestaltungsprozess notwendig. Die Entwicklung erfolgt in Zusammenarbeit mit Forschenden unterschiedlichster Fachbereiche: Ingenieurwissenschaftliche Lösungen werden systematisch um Erkenntnisse aus Ethik, Psychologie und Sozialforschung ergänzt. Verschiedene Stakeholder – vom Tech-Start-up bis zur Reinigungsfirma – werden einbezogen, um Anforderungen zu erfassen, Konflikte zu erkennen und tragfähige Lösungen zu entwerfen. Projekte wie RimA bilden die Schnittstelle für diese Kollaboration: Hier werden Forschende mit Firmen und Endnutzenden zusammengebracht, Wissen zusammengeführt und Bedarfe greifbar gemacht. Dabei geht es also nicht nur um Design – sondern auch um den gesellschaftlichen Rahmen: Welche rechtlichen Standards braucht es für Roboter im öffentlichen Raum? Welche Sicherheitsanforderungen müssen sie erfüllen, wenn sie mit Menschen interagieren? Und wie sieht eigentlich ein tragfähiges Geschäftsmodell für einen Roboter aus, der beispielsweise Müll aufsammelt?
Zwischen Machbarkeit und Markt
Ein Blick auf den Stand der Technik zeigt: Viele Roboter bewegen sich im sogenannten Technological Readiness Level 2-5-Bereich, der die Entwicklungsstufen von der Idee bis zum realen Einsatz beschreibt. Das heißt, sie sind konzipiert, im Labor getestet, manchmal sogar in realitätsnahen Umgebungen demonstriert – aber noch lange nicht marktreif. Die Kluft zwischen akademischer Forschung und massentauglichem Produkt ist oft tief. Und teuer. „Robotik braucht mehr als Technik“, sagt Tristan Schnell. „Sie muss tragfähig, akzeptiert und anwendbar sein. Anlaufstellen wie RimA helfen, den Weg vom Prototyp zur Praxis zu ebnen.“
Tatsächlich arbeitet das Zentrum nicht nur an Benchmark-Kriterien und einer Wissensplattform, sondern auch an methodischen Hilfsmitteln, um Geschäftsmodelle zu entwickeln – etwa mit einer eigens entwickelten RimA Toolbox, die auf die Besonderheiten von Service- und Assistenzrobotik zugeschnitten ist. Die Forschenden hoffen, so Brücken zu bauen: zwischen Forschung und Anwendung, zwischen Idee und Alltag. Auch deshalb testet das Zentrum den erfolgreichen Einsatz von Robotern in häuslicher Umgebung.
Vision mit Bodenhaftung
Robotik im Alltag ist keine Zukunftsoption, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Der demografische Wandel, der zunehmende Fachkräftemangel und steigende Anforderungen in Pflege, Versorgung und öffentlichem Raum verlangen nach neuen Lösungen. Service- und Assistenzroboter können dazu beitragen, Menschen gezielt zu entlasten und bestehende Strukturen zu stärken – wenn sie verlässlich, sicher und sozialverträglich gestaltet sind. RimA zeigt Wege auf, wie dies gelingen kann. Entscheidend wird sein, ob wir als Gesellschaft bereit sind, diese Entwicklung aktiv mitzugestalten – damit Robotik unsere Lebensqualität unterstützt und für alle nutzbar wird.
Drei Fragen an Tristan Schnell vom FZI Forschungszentrum Informatik (Baden-Württemberg)
Herr Schnell, wie begegnen Sie einem Roboter im Park – mit Neugier oder analytischem Blick?
Mit beidem – denn beide Aspekte sind wichtig. Neugier öffnet den Blick, der analytische Verstand prüft, ob Roboter im Alltag wirklich funktionieren. Alltagstauglichkeit lässt sich nicht im Labor feststellen. Deshalb ist für uns das Projekt RimA von Bedeutung. Erst dadurch erfahren wir, wie Menschen auf Roboter im öffentlichen Raum reagieren – was schon funktioniert oder was irritiert. Der Park wird für uns so zum Testfeld für Technik und Akzeptanz.
Was benötigt ein Roboter, um im Alltag wirklich akzeptiert zu werden?
Vor allem Verständnis – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Ein Roboter muss klar kommunizieren, damit Menschen sich sicher fühlen, aber gleichzeitig auch seine Aufgabe gut machen, damit sie den Mehrwert akzeptieren.
Mensch und Maschine – das gilt für viele als Gegensatzpaar. Wie bewerten Sie die Rolle von Robotern für die Gesellschaft der Zukunft?
Die Robotik steht oft zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Viele Ideen sind technisch beeindruckend, aber weit vom alltäglichen Nutzen entfernt. RimA will hier Perspektiven zusammenbringen – zwischen Forschung und Gesellschaft. Unser Ziel: Gute Ideen bleiben nicht im Prototyp stecken, sondern kommen bei den Menschen an – und zwar als Unterstützung, nicht als Ersatz. Robust, verständlich, tragfähig.
Humanoide Roboter – zwischen Erkenntnis und Erwartung
Sie gehen, sie greifen, sie balancieren – zumindest auf Messen, in Videos oder in perfekt vorbereiteten Testhallen. Humanoide Roboter gelten als besonders anspruchsvolle Disziplin der modernen Robotik. Doch der Weg vom technisch beeindruckenden Prototyp zur nützlichen Haushaltshilfe ist weiter, als viele glauben. Und der Alltag? Der läuft selten so glatt wie ein Testlauf im Labor.
Die Robotik ist ein komplexer Forschungsbereich. Sie vereint Forschungsdisziplinen genauso wie Hardware, Software und Künstliche Intelligenz. Humanoide Roboter treiben die Komplexität auf die Spitze. Sie sind nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern sollen sich in einer Welt zurechtfinden, die für Menschen gemacht ist – mit schmalen Durchgangsmöglichkeiten, manchmal auch rutschigen Treppen, unvorhersehbaren Begegnungen. Was in der Simulation noch elegant wirkte, endet im Praxistest oft abrupt. Ein Sonnenstrahl auf dem Sensor oder ein Hund auf dem gleichfarbigen Teppich – schon ist das System aus dem Takt. Damit Roboter Objekte oder Lebewesen sicher erkennen können, brauchen sie einerseits viele gut ausgewertete Daten – und andererseits funktionierende Sensoren, die nicht durch Schatten, Schmutz oder Störungen aus dem Takt gebracht werden. Die Überprüfung, ob diese Kriterien erfüllt wurden, macht die Forschung so anspruchsvoll: Wer Roboter für den Alltag entwickeln will, muss sie auch im Alltag testen. Doch wie bei allen Forschungsexperimenten gilt: Sobald man die reale Umgebung zu sehr absichert, ist sie keine reale Umgebung mehr.
Auch im Vergleich mit anderen Forschungsergebnissen sind diese Punkte herausfordernd: Reale Bedingungen lassen sich nur schwer standardisieren – und damit auch kaum vergleichen. Unterschiedliche Labore arbeiten mit jeweils eigenen Vergleichskriterien. Was als Durchbruch gilt, ist oft nur unter idealen Bedingungen oder im eigenen Labor reproduzierbar. Erkenntnisgewinn? Ja – aber weniger marktreif, als es ohne Einordnung für Unbeteiligte manchmal wirkt.
Damit ein Roboter erkennt, was oder wer vor ihm steht, braucht er Erfahrung – in Form von Daten – und Sinne, die auch in Räumen funktionieren, die er noch nie zuvor betreten hat.
Tristan Schnell, Koordinator von RimA und Abteilungsleiter am FZI Forschungszentrum Informatik
Forschung, Wirtschaft und Politik arbeiten in verschiedenen Projekten daran, Transparenz und Vergleichbarkeit zu schaffen. Transferzentren und Robotikwettbewerbe sind dabei ein Ansatz. Statt schneller Produktversprechen geht es um methodische Sorgfalt: um belastbare Studien, um reproduzierbare Tests – und um offene Fragen. Bevor humanoide Roboter zuverlässig im Alltag eingesetzt werden können, braucht es ein tiefes Verständnis für ihr Verhalten unter realen Bedingungen. Und dafür ist mehr als Fortschritt nötig: Geduld, Standards – und die Bereitschaft, Robotik auch als Forschungsgegenstand und -prozess zu begreifen.
RimA – Roboter im Alltag
Roboter unterstützen zunehmend unseren Alltag – in Pflege, Reinigung oder Service. Ihre Akzeptanz hängt davon ab, wie verständlich und intuitiv die Interaktion mit ihnen gelingt. Doch der Alltag ist unvorhersehbar, menschlich – und komplex.
Projektziel:
Das vom FZI koordinierte „Transferzentrum Roboter im Alltag (RimA)“ vernetzt Forschende, Entwickelnde und Anwendende in der Service- und Assistenzrobotik. Ziel ist eine Community, die den alltagstauglichen Einsatz neuer Robotiklösungen fördert – durch Austausch, Evaluation und den Transfer nutzerfreundlicher Technik. Hier werden vier zentrale Herausforderungen gemeinsam aufgegriffen: Aufgabenerfüllung, Sicherheit, Interaktionsqualität und ökonomische Tragfähigkeit.
Projektpartner:
Freie Universität Berlin, FZI Forschungszentrum Informatik, Karlsruher Institut für Technologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, TÜV Süd
Gefördert durch:
Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR)
roboter-im-alltag.org
Kontakt
FZI Forschungszentrum Informatik
Haid-und-Neu-Str. 10–14
76131 Karlsruhe
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E-Mail: presse@fzi.de
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