Von der Theorie zur Praxis: Reallabore für den nachhaltigen Wandel
Der nachhaltige Wandel verlangt von der Wissenschaft Lösungen, die nicht erst in Jahrzehnten greifen, sondern schon heute praktisch einsetzbar sind. Damit das gelingt, müssen Wissenschaft und Praxis enger zusammenarbeiten – etwa in Reallaboren. Hier werden neue Ideen gemeinsam erprobt und weiterentwickelt.
Gärten und Grünflächen leiden unter Trockenstress, Keller und Straßen werden von Starkregen geflutet – der Klimawandel ist kein fernes Szenario, sondern längst im Alltag spürbar. Deshalb sind die Ansprüche an Nachhaltigkeitsforschung besonders hoch: Sie muss vor allem praxistaugliche Lösungen für das Hier und Jetzt liefern. „Wer nachhaltigkeitsorientiert forscht, denkt meist auch an den Transfer in die Praxis und will sein Wissen weitergeben“, erklärt Guido Bünstorf, Professor an der Universität Kassel. Er untersucht, wie nachhaltigkeitsorientierte Forschung in den Natur-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften in die Praxis gelangt. Dabei geht es nicht nur um klassischen Technologietransfer, sondern darum, das Wissen direkt in die Gesellschaft zu tragen.
Reallabor als Innovationsmethode
Das ist die Kernidee von Reallaboren. Hier entstehen neue Technologien, Produkte oder Dienstleistungen in einem offenen Prozess gemeinsam mit den späteren Nutzerinnen und Nutzern – zum Vorteil von Forschung und Anwendung. „Reallabore bieten eine Möglichkeit, die Innovation und ihre Wechselwirkungen mit Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in einem klar definierten Umfeld zu untersuchen“, sagt Dr. Bernd Bienzeisler vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Im besten Fall entstehen passgenaue Lösungen, die sich direkt einsetzen lassen.
Wer nachhaltigkeitsorientiert forscht, denkt meist auch an den Transfer in die Praxis und will sein Wissen weitergeben.
Professor Guido Bünstorf, Universität Kassel
Ein Paradebeispiel dafür ist das Münchener Projekt „Grüne Stadt der Zukunft“, das bis 2024 vom Bundesforschungsministerium gefördert wurde. Das Projektteam – beteiligt waren die Technische Universität, die Ludwig-Maximilians-Universität und die Landeshauptstadt – hat aus dem Reallabor heraus konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt, etwa den Steckbrief „Bäume als Hitzeschutz“. Dieser gibt kommunalen Verwaltungen und Eigentümern Hinweise zu geeigneten Baumarten sowie optimalen Standorten. „Am richtigen Standort können Stadtbäume unersetzliche Leistungen etwa für die Hitzeprävention erbringen“, sagt Sandra Feder von der TU München. „Oft schwächen jedoch Wasser- und Nährstoffmangel, Bodenverdichtung und Schadstoffeintrag ihre positive Wirkung ab.“
Außerdem ist nicht jede Baumart gleichermaßen geeignet. So reagieren Scheinakazien oder Platanen auf Wassermangel, indem sie die Spaltöffnungen ihrer Blätter schließen, was sie zwar hitzebeständig macht, aber auch die Kühlleistung verringert. Bei der Bepflanzung kommt es also auf Boden- und Mikroklimadaten und strategische Planung an. So gibt es zwar handfeste Empfehlungen, aber ob die Standorte für Bäume bei großer Wohnungsnot ausreichen oder ob auf neue Tiefgaragen verzichtet wird, wenn dafür alte Bäume gefällt werden müssten, bleibt in der Münchner Realität abzuwarten.
Hinzu kommt: Sind die Bäume einmal gepflanzt, benötigen sie gute Pflege, um ihr volles Potenzial entfalten zu können. An einer praxistauglichen Lösung arbeitet die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg im Projekt EcoTwin. In engem Austausch mit kommunalen Klimaschutzmanagern und Grünflächenämtern geht es um ein System zur effizienten Bewässerung von Stadtgrün. Mit einem digitalen Zwilling bilden die Forschenden die Realität nach. Das virtuelle Abbild basiert auf Daten, die Sensoren an realen Objekten laufend sammeln, etwa über Temperatur, Bewegung oder Verschleiß. Diese Daten werden in Echtzeit in ein digitales Modell übertragen, in dem das Verhalten des realen Objekts nachgebildet, analysiert und mithilfe von KI vorausberechnet wird. „Wir wollen Städten ein Werkzeug an die Hand geben, mit dem sie auf Basis valider Daten vom Schreibtisch aus entscheiden können, wann welcher Baum gewässert werden muss“, sagt Projektleiter Professor Martin Hamer.
Beispiele wie diese zeigen: Partizipative Forschungsprojekte verschmelzen Wissenschaft und Praxis. Sie liefern Argumente, dass entwickelte Technologie nicht in der Schublade verschwindet, sondern eingesetzt wird, um den vom Klimawandel geprägten Alltag zu verbessern.
Fit für das neue Klima
Der Klimawandel verändert die Bedingungen für die Landwirtschaft grundlegend. Forschende suchen nach Wegen, Nutzpflanzen widerstandsfähiger gegen unvorhersehbare Wetterlagen und Umweltbelastungen zu machen. Ihr Ziel ist es, Ernten stabil zu halten.
- Zukunftsrüben trotzen Hitze und Schädlingen
Zuckerrüben sind wichtige Nutzpflanzen. „BeetAdapt“ nutzt unter anderem Lasertechnologie, um Zuckerrüben schneller an trockenes Klima anzupassen und die Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge zu erhöhen – ein Schritt zur Ernährungssicherheit. - Schattenspender für Reben
Werden Bäume in Weinbergen gepflanzt, verbessern sie die Wasser- und Nährstoffversorgung der Reben. So werden sie robuster gegenüber Extremwetterereignissen, zeigt das Projekt „Arbustum“. - Ein Gen für viele Pflanzen
Bisher erfordert die Züchtung neuer Eigenschaften in Nutzpflanzen eine aufwendige Anpassung der Genome für jede Pflanzenart. Das ist kostspielig und zeitintensiv. SyncSol möchte daher ein universelles Stück Erbgut entwickeln, das auf verschiedene Pflanzen der Familie der Nachtschattengewächse übertragbar ist. So könnten künftig Tomaten, Kartoffeln oder Paprika von verbesserter Fotosynthese profitieren.