ZEIT für X
In der Stadt gepflanzte Bäume sollen gegen den Klimawandel helfen.

Von der Theorie zur Praxis: Reallabore für den nachhaltigen Wandel

09. Oktober 2025

Der nachhaltige Wandel verlangt von der Wissenschaft Lösungen, die nicht erst in Jahr­zehnten greifen, sondern schon heute praktisch einsetzbar sind. Damit das gelingt, müssen Wissenschaft und Praxis enger zusammen­arbeiten – etwa in Real­laboren. Hier werden neue Ideen gemeinsam erprobt und weiter­entwickelt.

von Lea Brandes

Gärten und Grünflächen leiden unter Trockenstress, Keller und Straßen werden von Stark­regen geflutet – der Klima­wandel ist kein fernes Szenario, sondern längst im Alltag spürbar. Deshalb sind die Ansprüche an Nach­haltig­keits­forschung besonders hoch: Sie muss vor allem praxis­taugliche Lösungen für das Hier und Jetzt liefern. „Wer nach­haltig­keits­orientiert forscht, denkt meist auch an den Transfer in die Praxis und will sein Wissen weiter­geben“, erklärt Guido Bünstorf, Professor an der Universität Kassel. Er untersucht, wie nach­haltig­keits­orientierte Forschung in den Natur-, Ingenieur- und Sozial­wissenschaften in die Praxis gelangt. Dabei geht es nicht nur um klassischen Technologie­transfer, sondern darum, das Wissen direkt in die Gesellschaft zu tragen.

Reallabor als Innovationsmethode

Das ist die Kernidee von Reallaboren. Hier entstehen neue Technologien, Produkte oder Dienstleistungen in einem offenen Prozess gemeinsam mit den späteren Nutzerinnen und Nutzern – zum Vorteil von Forschung und Anwendung. „Real­labore bieten eine Möglichkeit, die Innovation und ihre Wechsel­wirkungen mit Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in einem klar definierten Umfeld zu untersuchen“, sagt Dr. Bernd Bienzeisler vom Fraunhofer-Institut für Arbeits­wirtschaft und Organisation IAO. Im besten Fall entstehen pass­genaue Lösungen, die sich direkt einsetzen lassen.

Wer nachhaltigkeits­orientiert forscht, denkt meist auch an den Transfer in die Praxis und will sein Wissen weiter­geben.

Professor Guido Bünstorf, Universität Kassel

Ein Paradebeispiel dafür ist das Münchener Projekt „Grüne Stadt der Zukunft“, das bis 2024 vom Bundes­forschungs­­ministerium gefördert wurde. Das Projektteam – beteiligt waren die Technische Universität, die Ludwig-Maximilians-Universität und die Landes­hauptstadt – hat aus dem Real­labor heraus konkrete Handlungs­empfehlungen entwickelt, etwa den Steckbrief „Bäume als Hitze­schutz“. Dieser gibt kommunalen Verwaltungen und Eigen­tümern Hinweise zu geeigneten Baumarten sowie optimalen Standorten. „Am richtigen Standort können Stadt­bäume unersetzliche Leistungen etwa für die Hitze­prävention erbringen“, sagt Sandra Feder von der TU München. „Oft schwächen jedoch Wasser- und Nähr­stoff­mangel, Boden­verdichtung und Schad­stoff­eintrag ihre positive Wirkung ab.“

Außerdem ist nicht jede Baumart gleichermaßen geeignet. So reagieren Scheinakazien oder Platanen auf Wassermangel, indem sie die Spalt­öffnungen ihrer Blätter schließen, was sie zwar hitze­beständig macht, aber auch die Kühl­leistung verringert. Bei der Bepflanzung kommt es also auf Boden- und Mikro­klima­daten und strategische Planung an. So gibt es zwar handfeste Empfehlungen, aber ob die Standorte für Bäume bei großer Wohnungs­not ausreichen oder ob auf neue Tief­garagen verzichtet wird, wenn dafür alte Bäume gefällt werden müssten, bleibt in der Münchner Realität abzuwarten.

Auf einer Grünfläche werden Bodenproben entnommen.
© H-BRS/Eric Lichtenscheid Bodenproben fürs Projekt EcoTwin: Ein digitaler Zwilling soll Städte bei klimaresilienter Planung von Grünflächen unterstützen.

Hinzu kommt: Sind die Bäume einmal gepflanzt, benötigen sie gute Pflege, um ihr volles Potenzial entfalten zu können. An einer praxis­tauglichen Lösung arbeitet die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg im Projekt EcoTwin. In engem Austausch mit kommunalen Klima­schutz­managern und Grün­flächen­ämtern geht es um ein System zur effizienten Bewässerung von Stadtgrün. Mit einem digitalen Zwilling bilden die Forschenden die Realität nach. Das virtuelle Abbild basiert auf Daten, die Sensoren an realen Objekten laufend sammeln, etwa über Temperatur, Bewegung oder Verschleiß. Diese Daten werden in Echtzeit in ein digitales Modell über­tragen, in dem das Verhalten des realen Objekts nachgebildet, analysiert und mithilfe von KI voraus­berechnet wird. „Wir wollen Städten ein Werkzeug an die Hand geben, mit dem sie auf Basis valider Daten vom Schreibtisch aus entscheiden können, wann welcher Baum gewässert werden muss“, sagt Projekt­leiter Professor Martin Hamer.

Beispiele wie diese zeigen: Partizipative Forschungs­projekte verschmelzen Wissenschaft und Praxis. Sie liefern Argumente, dass entwickelte Technologie nicht in der Schublade verschwindet, sondern eingesetzt wird, um den vom Klima­wandel geprägten Alltag zu verbessern.

Fit für das neue Klima

Der Klimawandel verändert die Bedingungen für die Landwirtschaft grundlegend. Forschende suchen nach Wegen, Nutz­pflanzen wider­stands­fähiger gegen unvorhersehbare Wetterlagen und Umwelt­belastungen zu machen. Ihr Ziel ist es, Ernten stabil zu halten.

  • Zukunftsrüben trotzen Hitze und Schädlingen
    Zuckerrüben sind wichtige Nutz­pflanzen. „BeetAdapt“ nutzt unter anderem Laser­technologie, um Zucker­rüben schneller an trockenes Klima anzupassen und die Wider­stands­fähigkeit gegen Schädlinge zu erhöhen – ein Schritt zur Ernährungs­sicherheit.
  • Schattenspender für Reben
    Werden Bäume in Weinbergen gepflanzt, verbessern sie die Wasser- und Nähr­stoff­versorgung der Reben. So werden sie robuster gegenüber Extrem­wetter­ereignissen, zeigt das Projekt „Arbustum“.
  • Ein Gen für viele Pflanzen
    Bisher erfordert die Züchtung neuer Eigenschaften in Nutzpflanzen eine aufwendige Anpassung der Genome für jede Pflanzen­art. Das ist kost­spielig und zeit­intensiv. SyncSol möchte daher ein universelles Stück Erbgut entwickeln, das auf verschiedene Pflanzen der Familie der Nacht­schatten­gewächse über­tragbar ist. So könnten künftig Tomaten, Kartoffeln oder Paprika von verbesserter Foto­synthese profitieren.