
Zentraler Ansatz für nachhaltige Energieversorgung
AnzeigeProtonengekoppelten Elektronentransfer ist ein zentraler Ansatz für auf dem Weg zu nachhaltigerer Energieversorgung. In Göttingen wird zu diesem Thema ein Sonderforschungsbereich koordiniert.
Wie kann man die Nutzung von Energie und Ressourcen nachhaltiger gestalten? Diese Frage treibt weltweit Forschende unterschiedlichster Disziplinen an.
Die Katalyse ist eine der Schlüsseldisziplinen zur Entwicklung energieeffizienter und ressourcenschonender chemischer Prozesse in Industrie und Technik. Unter Katalyse versteht man Ansätze, chemische Reaktionen zu beschleunigen. Die gegenwärtige Renaissance elektro- und photochemischer Ansätze verspricht neue Strategien für die Einspeisung regenerativer Energieformen aber auch für die chemische Energiespeicherung im Rahmen nicht-fossiler Energiezyklen. Beispiele sind die stromgetriebene Generierung von Wasserstoff durch Wasserelektrolyse, bzw. in Umkehrung die elektrochemische Stromerzeugung mittels Brennstoffzellen. Dies sind Prozesse, die für chemische Produktion und Energiewende von zentraler Bedeutung und auf effiziente Katalysatoren angewiesen sind. Häufig sind Elektronentransferprozesse wie in der Elektrochemie – oder ganz allgemein Redoxreaktionen – gekoppelt mit der Übertragung von Protonen. Ein Schlüssel zur Optimierung dieser Transformationen ist daher, die Mechanismen für die Koppelung von Elektronen- und Protonenübertragung zu verstehen, um sie modellieren und schließlich vorhersagen zu können.
Prof. Dr. Sven Schneider leitet den Sonderforschungsbereich 1633 an der Universität Göttingen, der sich mit dem Thema beschäftigt. Er erläutert:
Welche Rolle spielt PCET für Nachhaltigkeit in der Chemie?
PCET ist in unserem Alltag, in der Biologie aber auch bei technischen Vorgängen ubiquitär. In der Biologie beinhaltet z.B. die photosynthetische Umwandlung von Licht in chemische Energie viele PCET-Schritte, aber auch die Atmungskette in den Zellen unseres Körpers. In der Technik ist PCET von großer Relevanz für viele elektrochemische Prozesse wie z.B. die effiziente Herstellung von grünem Wasserstoff oder die Fixierung von CO2 zu wertvollen Basischemikalien wie Methanol. Weitere Beispiele wären die Fixierung von Stickstoff zu Ammoniak – ein Prozess der gegenwärtig bei sehr hohen Temperaturen und Drücken durchgeführt wird und fast 2% des weltweiten Energiebedarfs verschlingt – oder die Umwandlung von Biomasse in wichtige Grundstoffe der chemischen Industrie.
All diese Reaktionen könnte man als Grand Challenges der Nachhaltigen Chemie bezeichnen und sie sind auch weltweit Gegenstand intensiver Forschungstätigkeit. Sie alle verbindet aber auch, dass PCET ein zentrales physikalisch-chemisches Phänomen ist, um diese Schlüsselreaktionen durch erneuerbare Energie anzutreiben. Der Begriff PCET wurde Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts geprägt im Zusammenhang mit der Untersuchung von Redoxreaktionen in biologischen Systemen, z.B. in den hochkomplexen Enzymen der Photosynthese. Seitdem wurde die zentrale Rolle von PCET für den Ablauf von Redoxreaktionen zunehmend wahrgenommen. Seit die nachhaltige Chemie in der Forschung richtig Fahrt aufgenommen hat, ist PCET weiter in den Fokus geraten.
Was ist der aktuelle Stand der Forschung? Was hat man verstanden?
Die Modellbildung für PCET-Reaktion in Lösung ist am weitesten fortgeschritten, also wie Elektronen- und Protonenübertragungen zwischen einzelnen Molekülen und Ionen gekoppelt sind. Die Geschwindigkeit solcher PCET Reaktionen kann durch eine Erweiterung der zentralen Theorie für Elektronentransfer beschrieben werden die sogenannte Marcus-Theorie, für die Rudolph Marcus 1992 der Nobelpreis für Chemie verliehen wurde. Marcus gelang es, die Einflussfaktoren auf wenige Parameter zu reduzieren, nämlich die chemische Triebkraft der Elektronenübertragung, die strukturelle Reorganisation während der Reaktion (räumliche Anordnung der Atome, also z.B. Bindungslängen und -winkel) und die Stärke der Kopplung der Moleküle bei der Übertragung von Elektronen. Für PCET in der Biologie ist das entsprechend schon schwieriger aufgrund der großen und komplexen Strukturen von Enzymen. Ähnliches gilt bei elektrochemischen Prozessen an den Elektrodenoberflächen.
Aber auch wenn ein physikalisch-chemisches Modell für die Beschreibung von PCET existiert, bedeutet dies noch nicht, dass man die Reaktionsgeschwindigkeiten mit den modernen Methoden der Computerchemie einfach vorhersagen kann, um daraus Anwendungen in der chemischen Synthese gezielt zu entwickeln. Ein großes Problem für die quantitative Simulation ist, dass sich quantenchemische Ansätze zumeist der sogenannten Born-Oppenheimer-Näherung bedienen. Diese besagt, dass Elektronen und Atomkerne getrennt beschrieben werden können, wenn die Zeitskalen ihrer Bewegung sehr unterschiedlich sind. Bei der konzertierten Übertragung von Elektronen und Protonen ist das aber eben nicht mehr der Fall, und daraus erwachsen große Herausforderungen für die Entwicklung geeigneter Näherungsverfahren. Kurz gesagt: Man hat also durchaus schon einiges verstanden, aber die quantitative Beschreibung und Voraussage von PCET Reaktionen – insbesondere solcher mit Relevanz für die Nachhaltige Chemie – bedarf neuer Ansätze.

Was sind die zentralen Herausforderungen und Ziele des SFB1633?
Zunächst genau das: Modellbildung bzw. Anpassung von Modellen, insbesondere für komplexe Prozesse an Grenzflächen, in biologischen Matrices oder von lichtgetriebenenem PCET. Dazu arbeiten Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen – Molekül-, Oberflächen- und Biochemie, Katalyse, Elektrochemie, Photochemie, Spektroskopie und Theorie – eng zusammen. Zentrales Ziel ist dabei, die chemische Struktur mit der Geschwindigkeit von PCET zu verknüpfen. Das Verständnis dieser Steuerungsparameter ermöglicht es dann, PCET Reaktionen energetisch und chemisch effizient ablaufen zu lassen, also energiesparend und ressourcenschonend. Wir konzentrieren uns zunächst auf die fundamentalen Mechanismen, welche diese PCET-Reaktionen kontrollieren. Das grundlegende Verstehen dieser Prozesse ist dann ein Schlüssel für nachhaltige chemische Produktion und Energieversorgung.
Ein Beispiel ist das Potential (Spannung), das man anlegen muss, um elektrochemische Reaktionen anzutreiben. Ein Teil dieser Energie wird nicht wie gewünscht in chemische Energie umgesetzt, wenn während der Reaktion ungünstige Zwischenprodukte durchlaufen werden. Dieses Phänomen nennt man chemische Überspannung. Ein wichtiges Langzeitziel des SFB ist es, die chemischen Überspannungen zentraler Reaktionen der Nachhaltigen Chemie auf der Basis der PCET-Prinzipien zu reduzieren, um letztendlich deren Energiebedarf zu senken. Ein weiteres Beispiel sind Enzyme, mit denen in der Natur chemische Reaktionen gesteuert werden. Wir untersuchen die Prinzipien von PCET in solchen biologischen Umgebungen, um damit neue Ansätze für synthetische, technisch relevante Katalysatoren zu entwickeln.
Wie und gegebenenfalls wann können wir von den Ergebnissen der Forschung profitieren?
Man muss klar sagen, dass es sich hier um Grundlagenforschung handelt. Das heißt, es geht um fundamentale Fragen und nicht um Technologie, die übermorgen in der Industrie zum Einsatz kommen wird. Über die bereits beschriebenen Ziele der Vorhersage und Steuerung bedeutender Reaktionen hinaus bilden wir durch diese Forschung aber auch wissenschaftlichen Nachwuchs aus, der lernt komplexe Fragestellungen und Herausforderungen strukturiert und analytisch anzugehen. Damit generieren wir nicht nur Wissen, sondern auch hervorragend ausgebildete Wissenschaftler*innen, die später in Industrie und Universität zur Lösung der Probleme unserer Zeit beitragen.
Was fasziniert Sie an PCET und diesem Sonderforschungsbereich am meisten?
Eine solche Initiative lebt von der Interdisziplinarität. Es ist faszinierend, weit über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und intensiv mit Kolleg*innen aus anderen Disziplinen zusammenzuarbeiten. Besonders wichtig ist mir dabei, den Studierenden und Promovierenden weitergeben zu können, was die Wissenschaft zur nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft beitragen kann, und selbst ein Teil davon zu sein.
Prof. Dr. Sven Schneider, Professor an der Georg-August-Universität Göttingen und Sprecher des Sonderforschungsbereichs 1633, welcher die Erforschung von protonengekoppeltem Elektronentransfer (kurz PCET) zum Ziel hat. In den folgenden Fragen an ihn, ermöglicht er einen Blick darauf, wie innovative Ansätze in der PCET-Forschung zu einem nachhaltigeren Umgang mit Energie und Ressourcen beitragen können.
