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Zentraler Ansatz für nachhaltige Energie­versorgung

21. Januar 2025
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Ein Artikel der Fakultät für Chemie der Georg-August-Universität Göttingen

Protonengekoppelten Elektronen­transfer ist ein zentraler Ansatz für auf dem Weg zu nach­haltigerer Energie­versorgung. In Göttingen wird zu diesem Thema ein Sonder­forschungs­bereich koordiniert.

Wie kann man die Nutzung von Energie und Ressourcen nachhaltiger gestalten? Diese Frage treibt weltweit Forschende unter­schiedlichster Disziplinen an.

Die Katalyse ist eine der Schlüssel­disziplinen zur Entwicklung energie­effizienter und ressourcen­schonender chemischer Prozesse in Industrie und Technik. Unter Katalyse versteht man Ansätze, chemische Reaktionen zu beschleunigen. Die gegen­wärtige Renaissance elektro- und photo­chemischer Ansätze verspricht neue Strategien für die Einspeisung regenerativer Energie­formen aber auch für die chemische Energie­speicherung im Rahmen nicht-fossiler Energie­zyklen. Beispiele sind die strom­getriebene Generierung von Wasserstoff durch Wasser­elektrolyse, bzw. in Umkehrung die elektro­chemische Strom­erzeugung mittels Brenn­stoff­zellen. Dies sind Prozesse, die für chemische Produktion und Energie­wende von zentraler Bedeutung und auf effiziente Katalysatoren angewiesen sind. Häufig sind Elektronen­transfer­prozesse wie in der Elektrochemie – oder ganz allgemein Redoxreaktionen – gekoppelt mit der Übertragung von Protonen. Ein Schlüssel zur Optimierung dieser Transformationen ist daher, die Mechanismen für die Koppelung von Elektronen- und Protonen­über­tragung zu verstehen, um sie modellieren und schließlich vorhersagen zu können.

Prof. Dr. Sven Schneider leitet den Sonderforschungs­bereich 1633 an der Universität Göttingen, der sich mit dem Thema beschäftigt. Er erläutert:

Welche Rolle spielt PCET für Nach­haltigkeit in der Chemie?

PCET ist in unserem Alltag, in der Biologie aber auch bei technischen Vorgängen ubiquitär. In der Biologie beinhaltet z.B. die photo­synthetische Umwandlung von Licht in chemische Energie viele PCET-Schritte, aber auch die Atmungs­kette in den Zellen unseres Körpers. In der Technik ist PCET von großer Relevanz für viele elektro­chemische Prozesse wie z.B. die effiziente Herstellung von grünem Wasserstoff oder die Fixierung von CO2 zu wertvollen Basis­chemikalien wie Methanol. Weitere Beispiele wären die Fixierung von Stick­stoff zu Ammoniak – ein Prozess der gegen­wärtig bei sehr hohen Temperaturen und Drücken durch­geführt wird und fast 2% des welt­weiten Energie­bedarfs verschlingt – oder die Umwandlung von Biomasse in wichtige Grundstoffe der chemischen Industrie.

All diese Reaktionen könnte man als Grand Challenges der Nach­haltigen Chemie bezeichnen und sie sind auch welt­weit Gegen­stand intensiver Forschungs­tätigkeit. Sie alle verbindet aber auch, dass PCET ein zentrales physikalisch-chemisches Phänomen ist, um diese Schlüssel­reaktionen durch erneuer­bare Energie an­zu­treiben. Der Begriff PCET wurde Anfang der 80er Jahre des 20. Jahr­hunderts geprägt im Zusammen­hang mit der Unter­suchung von Redox­reaktionen in biologischen Systemen, z.B. in den hoch­komplexen Enzymen der Photo­synthese. Seitdem wurde die zentrale Rolle von PCET für den Ablauf von Redox­reaktionen zunehmend wahr­genommen. Seit die nach­haltige Chemie in der Forschung richtig Fahrt aufgenommen hat, ist PCET weiter in den Fokus geraten.

Was ist der aktuelle Stand der Forschung? Was hat man verstanden?

Die Modellbildung für PCET-Reaktion in Lösung ist am weitesten fort­geschritten, also wie Elektronen- und Protonen­über­tragungen zwischen einzelnen Molekülen und Ionen gekoppelt sind. Die Geschwindigkeit solcher PCET Reaktionen kann durch eine Erweiterung der zentralen Theorie für Elektronen­transfer beschrieben werden die sogenannte Marcus-Theorie, für die Rudolph Marcus 1992 der Nobelpreis für Chemie verliehen wurde. Marcus gelang es, die Einfluss­faktoren auf wenige Parameter zu reduzieren, nämlich die chemische Trieb­kraft der Elektronen­über­tragung, die strukturelle Reorganisation während der Reaktion (räumliche Anordnung der Atome, also z.B. Bindungslängen und -winkel) und die Stärke der Kopplung der Moleküle bei der Über­tragung von Elektronen. Für PCET in der Biologie ist das entsprechend schon schwieriger aufgrund der großen und komplexen Strukturen von Enzymen. Ähnliches gilt bei elektro­chemischen Prozessen an den Elektroden­ober­flächen.

Aber auch wenn ein physikalisch-chemisches Modell für die Beschreibung von PCET existiert, bedeutet dies noch nicht, dass man die Reaktions­geschwindig­keiten mit den modernen Methoden der Computer­chemie einfach vorher­sagen kann, um daraus Anwendungen in der chemischen Synthese gezielt zu entwickeln. Ein großes Problem für die quantitative Simulation ist, dass sich quanten­chemische Ansätze zumeist der sogenannten Born-Oppenheimer-Näherung bedienen. Diese besagt, dass Elektronen und Atom­kerne getrennt beschrieben werden können, wenn die Zeit­skalen ihrer Bewegung sehr unter­schiedlich sind. Bei der konzertierten Über­tragung von Elektronen und Protonen ist das aber eben nicht mehr der Fall, und daraus erwachsen große Heraus­forderungen für die Entwicklung geeigneter Näherungs­verfahren. Kurz gesagt: Man hat also durch­aus schon einiges verstanden, aber die quantitative Beschreibung und Voraussage von PCET Reaktionen – insbesondere solcher mit Relevanz für die Nach­haltige Chemie – bedarf neuer Ansätze.

In der Labors der Göttinger Fakultät für Chemie entstehen neue Ansätze für Protonengekoppelten Energietransfer (PCET).
© Mischke / Universität Göttingen In der Labors der Göttinger Fakultät für Chemie entstehen neue Ansätze für Protonengekoppelten Energietransfer (PCET).

Was sind die zentralen Herausforderungen und Ziele des SFB1633?

Zunächst genau das: Modellbildung bzw. Anpassung von Modellen, insbesondere für komplexe Prozesse an Grenzflächen, in biologischen Matrices oder von licht­getriebenenem PCET. Dazu arbeiten Wissen­schaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen – Molekül-, Ober­flächen- und Biochemie, Katalyse, Elektro­chemie, Photochemie, Spektro­skopie und Theorie – eng zusammen. Zentrales Ziel ist dabei, die chemische Struktur mit der Geschwindigkeit von PCET zu verknüpfen. Das Verständnis dieser Steuerungs­parameter ermöglicht es dann, PCET Reaktionen energetisch und chemisch effizient ablaufen zu lassen, also energie­sparend und ressourcen­schonend. Wir konzentrieren uns zunächst auf die fundamentalen Mechanismen, welche diese PCET-Reaktionen kontrollieren. Das grund­legende Verstehen dieser Prozesse ist dann ein Schlüssel für nachhaltige chemische Produktion und Energie­versorgung.

Ein Beispiel ist das Potential (Spannung), das man anlegen muss, um elektrochemische Reaktionen anzutreiben. Ein Teil dieser Energie wird nicht wie gewünscht in chemische Energie umgesetzt, wenn während der Reaktion ungünstige Zwischen­produkte durch­laufen werden. Dieses Phänomen nennt man chemische Überspannung. Ein wichtiges Lang­zeit­ziel des SFB ist es, die chemischen Über­spannungen zentraler Reaktionen der Nach­haltigen Chemie auf der Basis der PCET-Prinzipien zu reduzieren, um letztendlich deren Energie­bedarf zu senken. Ein weiteres Beispiel sind Enzyme, mit denen in der Natur chemische Reaktionen gesteuert werden. Wir unter­suchen die Prinzipien von PCET in solchen biologischen Umgebungen, um damit neue Ansätze für synthetische, technisch relevante Katalysatoren zu entwickeln.

Wie und gegebenen­falls wann können wir von den Ergebnissen der Forschung profitieren?

Man muss klar sagen, dass es sich hier um Grund­lagen­forschung handelt. Das heißt, es geht um fundamentale Fragen und nicht um Technologie, die über­morgen in der Industrie zum Einsatz kommen wird. Über die bereits beschriebenen Ziele der Vorhersage und Steuerung bedeutender Reaktionen hinaus bilden wir durch diese Forschung aber auch wissenschaftlichen Nachwuchs aus, der lernt komplexe Fragestellungen und Heraus­forderungen strukturiert und analytisch anzugehen. Damit generieren wir nicht nur Wissen, sondern auch hervor­ragend ausgebildete Wissenschaftler*innen, die später in Industrie und Universität zur Lösung der Probleme unserer Zeit beitragen.

Was fasziniert Sie an PCET und diesem Sonder­forschungs­bereich am meisten?

Eine solche Initiative lebt von der Inter­disziplinarität. Es ist faszinierend, weit über den eigenen Tellerrand hinaus­zu­blicken und intensiv mit Kolleg*innen aus anderen Disziplinen zusammen­zu­arbeiten. Besonders wichtig ist mir dabei, den Studierenden und Promovierenden weiter­geben zu können, was die Wissenschaft zur nach­haltigen Entwicklung unserer Gesellschaft beitragen kann, und selbst ein Teil davon zu sein.

Prof. Dr. Sven Schneider, Professor an der Georg-August-Universität Göttingen und Sprecher des Sonder­forschungs­bereichs 1633, welcher die Erforschung von protonen­gekoppeltem Elektronen­transfer (kurz PCET) zum Ziel hat. In den folgenden Fragen an ihn, ermöglicht er einen Blick darauf, wie innovative Ansätze in der PCET-Forschung zu einem nach­haltigeren Umgang mit Energie und Ressourcen beitragen können.

Prof. Dr. Sven Schneider
© Lanfermann / Universität Göttingen