ZEIT für X
Ein angeschlossenes Fahrrad

Die Erfindung meines Lebens: Eine schlüssige Idee

14. Oktober 2024
ZEIT Redaktion

Alexandra Baum will Räder mit ihrem innovativen Schloss vor Dieben schützen. Kurz nach der Gründung musste sie sich aber erst mal selbst gegen Betrugs­vorwürfe verteidigen

von Carolyn Braun

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 3/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.

Ein acht Sekunden langer Videoclip hätte Alexandra Baums Traum beinahe zerstört. Und das, obwohl bis zu jenem Tag im März 2018 alles so gut läuft, dass sie es selbst kaum glauben kann. Die Fahrrad­welt scheint auf ihre Erfindung gewartet zu haben: ein textilbasiertes Fahrrad­schloss. Leicht, sicher und gleich­zeitig schick soll es sein.

Als Alexandra Baum unter die Produzenten geht, ist sie bereits über 40 Jahre alt. Zuvor hat sie als selbst­ständige Designerin Produkte für Industrie­unternehmen entworfen. „Aber sobald eine Entwicklung fertig war, musste ich sie abgeben. Oft wusste ich nicht mal, ob überhaupt etwas daraus geworden ist“, erzählt Baum. Sie träumte davon, eine Erfindung „von vorne bis hinten selbst in den Händen“ zu haben.

Als Radfahrerin ärgert sie sich damals über ihr teures Falt­schloss: Es schützt das Rad zwar vor Diebstahl, zerkratzt aber den Rahmen, klappert und nimmt zu viel Platz weg. „Da scheint sich keiner jemals Gedanken darüber gemacht zu haben, ob das nicht auch anders geht“, sagt die Unternehmerin.

Ihre Idee: ein Hybrid-Schloss aus Stoff und Metall. Eine Patent-Recherche zeigt: Ein solches Produkt gibt es bisher noch nicht. Baum tut sich mit ihrer Kollegin Suse Brand zusammen. Die beiden tüfteln und gründen 2016 die Texlock GmbH.

Zunächst läuft es großartig. Die Unternehmerinnen sammeln auf einer Crowd­funding-Plattform fast 280.000 Euro ein. „Diese Begeisterung“, sagt Baum, „die kam dann als Bumerang zurück.“ Statt der erhofften 500 Schlösser werden 6.000 geordert. Es sei der Eindruck entstanden, „das Texlock sei so eine Art Messias-Schloss, total leicht, es kann alles und ist vor allem unzerstörbar“. Produktions­kapazitäten gibt es aber „genau null“, Freunde und Familie packen mit an. Kurz vor Weihnachten 2017 liefern die Gründerinnen die ersten Schlösser aus. Durchatmen können sie nur kurz. Im März 2018 wird ein anonymes Video auf YouTube veröffentlicht: Zu sehen ist jemand, der das Texlock-Schloss innerhalb von acht Sekunden mit einer einfachen Handsäge durchsägt. Es folgt ein Shitstorm, Kunden fordern ihr Geld zurück, Händler nehmen das gerade erst eingeführte Schloss umgehend wieder aus ihrem Sortiment. „Auf einmal stehst du als Betrügerin und Lügnerin da“, sagt Baum.

Die wasserdichten, feuer- und reißfesten Textilien halten zwar Bolzen­schneidern stand, die sich in den Fasern verkanten, doch die Säge durchtrennt diese problem­los und zerteilt sogar die Metall­kette im Inneren des Schlosses. „Unser Fehler: Wir hatten die Säge als Diebs­werkzeug nicht ernst genug genommen und die Härtung der Kette im Innern des Stoffes vernachlässigt“, erklärt Baum. Es gilt, schnellstmöglich das Produkt anzupassen und die Kommunikation mit den wütenden Kritikern in den Griff zu bekommen. Das Härten der Kette sei „gar nicht so ein Riesending“ gewesen. Kurz danach kommt das Texlock 2.0 auf den Markt.

Bei den Kunden versucht Baum es mit Ehrlichkeit: „Wir haben komplett transparent kommuniziert, was vorgefallen ist und was wir ändern werden“, erzählt sie. „Aber wir haben auch gesagt: Wenn wir allen ihr Geld zurückgeben, dann sind wir tot.“ Die meisten haben tatsächlich Erbarmen – bei stolzen Preisen von aktuell 120 bis 200 Euro pro Schloss nicht selbst­verständlich. Die Firma überlebt.

Heute produziert Baum jährlich rund 50.000 Schlösser mit ihrem patentierten Seilaufbau, 22 Menschen arbeiten für sie. „Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass ich Luft holen kann“, sagt die 49-Jährige. Auch wenn es vielleicht zwischen­durch anders war: Heute würde sie sich wieder entscheiden, ihre Idee selbst in die Hand zu nehmen.