
Fendt da mal ’n Ausweg
ZEIT RedaktionSeit den Bauernprotesten ist klar: Traktoren brauchen eine bezahlbare Alternative zum Diesel. Besuch bei einem Unternehmen, das daran arbeitet – aber manchmal an der Politik verzweifelt
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 3/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.
Die Maschine, die einen der größten deutschen Traktor-Hersteller in die Zukunft führen soll, wirkt bis auf die noch fehlenden Reifen wenig futuristisch: eine Fahrerkabine mit Lenkrad und Schalthebel im grauen Gehäuse. Fehlt nur noch die klassische grüne Haube mit rot-weißem Fendt-Logo. Aber entscheidend ist ohnehin das, was sie sonst verbirgt. Dort, wo bei fast allen Traktoren der Dieselmotor sitzt, befindet sich ein dunkelgrauer Quader, groß wie eine Kommode, schwer wie ein Flügel. Es ist eine Batterie, das Herzstück des neuesten Traktors, mit dem der Hersteller Fendt im Oktober auf den Markt geht. Und eine erste Antwort auf die große Frage, vor der Fendt und viele andere Betriebe stehen: Wie wird die Landwirtschaft klimaneutral?
Wie komplex die Antwort auf diese Frage ist, hat die Bundesregierung rund um den letzten Jahreswechsel zu spüren bekommen. Tausende Landwirte protestierten, als die Ampel plante, die Subventionen für den klimaschädlichen Diesel abzuschaffen. „Nicht mit uns“ schrieben die Bauern auf Plakate, die sie an ihre Trecker hefteten, und wetterten gegen den „Ampel-Irrsinn“. Aus Sicht vieler Landwirte gibt es zum Agrardiesel keine Alternative. Gleichzeitig muss es aber eine geben, um die Klimaziele zu erreichen.
Der Weg ist weit: Knapp zwei Milliarden Liter Diesel verbraucht die deutsche Land- und Forstwirtschaft pro Jahr, schätzt das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft. 5,4 Millionen Tonnen CO2 stoßen die Mähdrescher, Maishäcksler und Traktoren dabei jährlich aus. Wie sollen die bitte klimaneutral fahren?
Darüber grübeln sie bei Fendt schon länger. Das fast hundert Jahre alte Unternehmen zählt in Deutschland zu den Marktführern für Landwirtschaftsmaschinen und produzierte 2023 rund jeden fünften Traktor. Fast 22.000 Maschinen waren es insgesamt, alle gefertigt in Marktoberdorf, einem verschlafenen 19.000-Einwohner-Städtchen im Allgäu.
Kein Wunder, dass die Marke das Stadtbild dominiert. Schon bei der Einfahrt mit dem Regionalzug kann man durch die Fenster in die Hallen blicken, in denen Fendt Getriebe produziert. Ein großer steinerner Schornstein mit dem Fendt-Schriftzug ragt über die Stadt. Neben den Schienen wehen grüne Fahnen in einer Masten-Allee mit dem Firmenslogan: Wer Fendt fährt, führt.
Der Mann, der wiederum Fendt führt, heißt Christoph Gröblinghoff; tiefe Stimme, fester Händedruck. An einem bewölkten Sommertag empfängt er in einem holzgetäfelten Konferenzraum, den schon die Familie Fendt nutzte. Zu einem Gespräch über die Zukunft – und die vielen Hürden auf dem Weg dorthin.
An der Wand tickt eine Holzuhr, sie stammt aus dem Jahr 1950. Es ist eben wichtig, wo man herkommt, auch wenn die Familie ihre Firma 1997 an den amerikanischen Konzern AGCO verkauft hat. Damals sorgte das für Wirbel: Ein „Ausverkauf nach dem Fest“ sei das, schrieb die Süddeutsche und warnte davor, dass Spitzentechnik ins Ausland abwandere, die Vertreter der damals 3.000 Beschäftigten fürchteten einen Personalabbau.
Es kam anders: AGCO ist einer der größten Landmaschinenhersteller der Welt mit einem Umsatz von 14,4 Milliarden Dollar in 2023. Fendt beschäftigt im Hauptwerk in Marktoberdorf 5.200 seiner 8.300 Mitarbeiter und nimmt innerhalb des Konzerns die Rolle des „Technologieführers“ ein, so erzählt es Gröblinghoff. Klar also, dass sein Unternehmen den klimaneutralen Antrieb vorantreiben soll.
Der 58-Jährige ist selbst gelernter Landwirt und auf einem Hof im Sauerland aufgewachsen. Und ja, auch er war bei den Demos gegen den Plan der Ampel, die Subventionen für Agrardiesel zu kürzen. Doch der Firmenchef betont: „Die Demos haben sich nur daran entzündet. Getragen worden sind die Demonstrationen durch was anderes: eine anhaltende Überbürokratisierung und Perspektivlosigkeit.“
Und auch darüber lernt man bei diesem Besuch im Allgäu etwas, obwohl hier erst mal alles sehr nach reichlich Perspektive und Anpackertum aussieht. Am Band schrauben die Arbeiter auf Hunderten Meter Länge die Chassis zusammen, wühlen in kleinen Boxen nach Muttern und überwachen die Lackierung. Für die E-Traktoren hat Fendt dem Werk eine neue Halle gebaut. Die Chassis sollen hierhin umgeleitet werden, um sich ihre Batterie abzuholen. 15 Millionen Euro habe das Projekt gekostet. Ab Oktober wird Fendt als erstes Unternehmen in Deutschland einen E-Traktor in Serie anbieten. 80 Stück sollen noch in diesem Jahr durch die Hochvolthalle rollen, in den nächsten Jahren bis zu 500, wenn es nach Gröblinghoff geht: „Wir sehen uns im Bereich Elektrizität als Pioniere.“
Nur, so pionierhaft der E-Traktor sein mag: Er unterscheidet sich deutlich von seinen dieselbetriebenen Kollegen. Mit 55 Kilowatt, umgerechnet knapp 75 PS, zählt er zu den kleinsten und schwächeren Fendt-Modellen. Rund fünf Stunden soll der Akku im Einsatz durchhalten. Zum Vergleich: Der größte Fendt-Traktor läuft mit mehr als 600 PS.
Warum das mit einer Batterie nicht so einfach geht, kann Thomas Herlitzius erklären. Er ist Professor für Agrarsystemtechnik an der TU Dresden und kennt sich mit den Vor- und Nachteilen verschiedener Antriebe aus. Man erreicht ihn telefonisch, am Steuer eines Dieselautos. Das Problem, erklärt er, sei die Batterie. Die ist nämlich einmal deutlich teurer als ein Dieselmotor. Beispiel Fendt: Auch der neue E-Traktor wird bis zu 40 Prozent mehr kosten als die vergleichbare Dieselvariante. Allerdings wirbt der Anbieter damit, dass sich die Investition wegen niedriger Gesamtbetriebskosten trotzdem lohne. Etwa, wenn der Traktor mit Strom aus der eigenen Fotovoltaikanlage betrieben wird. Und so eine Anlage betreibt laut dem Statistischen Bundesamt inzwischen schon jeder vierte Landwirt im Land.
Aber selbst wenn ein Kunde bereit wäre, eine 200-Kilowatt-Batterie zu bezahlen, gäbe es eine praktische Hürde, erklärt der Experte Herlitzius. „Die Leistungsdichte einer Batterie ist etwa zehnmal geringer als die von Diesel.“ Sprich: Eine Batterie braucht deutlich mehr Platz als ein Tank. „Für einen großen Mähdrescher müsste die Batterie für zehn Stunden Arbeit so groß sein wie die Maschine selbst.“
Es dürfte daher schwierig werden, E-Traktoren mit mehr als 150 PS zu bauen; aktuell haben vier von fünf verkauften Fendt-Traktoren mehr Kraft. Zwar könnten die neuen Öko-Trecker im Wein- und Obstbau, in Gewächshäusern oder in Ställen zum Einsatz kommen, wo Abgase besonders stören. Nur große Äcker umpflügen werden sie wohl nicht. Für viele Bauern rechnet es sich zudem, lieber wenige, aber dafür starke Trecker zu fahren. Da hat der E-Trecker schlechte Karten.
Christoph Gröblinghoff weiß das. Und setzt bei Fendt ohnehin nicht alles auf die Batterie-Karte. Ein anderes Projekt rollt 600 Kilometer nordwestlich über einen Acker im Emsland. Dort zieht ein Schlepper einen Pflug hinter sich her, wahlweise auch mehrere Anhänger oder einen Wagen voller Rüben. Auf dem Gefährt sitzt eine weiße Haube, die an eine Dachbox für den Urlaub erinnert. Doch die Box enthält keine Wasserski, sondern: Wasserstoff. 21 Kilogramm davon kann der Fendt-Prototyp tanken. Damit treibt er eine Brennstoffzelle mit rund 140 PS an. Das sind zwar auch weniger als die 150 PS, ab denen es für Landwirte erst so richtig interessant wird. Aber immerhin soll der Tank für vier bis sieben Stunden im Einsatz reichen.
Noch in diesem Jahr sollen zwei Betriebe im Emsland den Wasserstoffschlepper testen. Für das vom Land Niedersachsen geförderte Projekt wurde eigens eine Wasserstofftankstelle gebaut, die den grünen Wasserstoff aus einem Windpark bezieht. Bislang sollen die Wasserstoffsysteme stabil laufen. Wäre Wasserstoff also eine realistische Alternative zum Diesel?
Christoph Gröblinghoff zögert kurz, als er die Frage hört. Dann sagt er in bestem Managerdeutsch: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Einsatz von Wasserstoff nicht praxistauglich.“ Er könnte auch sagen: Der Spaß ist zu teuer. 7,6 Millionen Euro hat allein das Land Niedersachsen in das Gesamtprojekt gesteckt, auch Fendt hat eine hohe Summe investiert, möchte diese aber nicht nennen. Für derzeit zwei Traktoren ist es jedenfalls eine Menge Geld, selbst wenn sich mehrere Betriebe die Infrastruktur teilen würden.
Eine Brennstoffzelle braucht zudem Sauerstoff, mit dem der Wasserstoff reagieren kann – und diese Luft muss sehr rein sein. Auf Äckern geht es aber oft sehr staubig zu. Auch Thomas Herlitzius sieht Wasserstoff in naher Zukunft nicht als den Klimaretter der Agrartechnik. Gemessen am Platzbedarf leiste eine Brennstoffzelle deutlich weniger als ein Dieselmotor.
Und so steht Christoph Gröblinghoff vor zwei Alternativen, von denen die eine zu schwach und die andere noch nicht praxistauglich ist. Sein Fazit: „Im Bereich über 200 PS gibt es perspektivisch in den nächsten zehn Jahren keine Alternative zum Verbrennungsmotor.“ Heißt: Das war’s wohl mit dem groß angelegten Klimaschutz auf dem Acker. Oder nicht?
Es gibt da noch einen anderen Ausweg: klimaneutrale Kraftstoffe, die den Diesel im Motor ersetzen. So etwa hydrierte Pflanzenöle, kurz: HVO. Sie lassen sich zu einem großen Teil aus Rest- und Abfallstoffen von Bioprodukten gewinnen, etwa alten Speiseölen. Wenn Landwirte sie anstelle von Diesel in den Tank füllen, können sie 87 Prozent der CO2-Emissionen einsparen. Ganz ohne neue Technik.
Nur ist diese Lösung so gut, dass sie mit einem anderen Problem einhergeht: Den Dieselersatz wollen viele Branchen nutzen, Betreiber von Schiffen und Flugzeugen zum Beispiel. Erst im April hat die Bundesregierung HVO100 sogar für Autos freigegeben. Was Gröblinghoff nicht so eine gute Idee fand: „Wir haben sehr stark dafür geworben, dass das HVO der Landwirtschaft zur Verfügung gestellt wird, weil es kaum Alternativen dazu gibt“, sagt der Unternehmer. Dann wird er für seine Verhältnisse sehr deutlich: Es sei ein „Fehler der Bundesregierung“, das HVO allen zur Verfügung zu stellen. Und: „Das ist nicht zu Ende gedacht.“
Laut dem Bundesumweltministerium wird der nachhaltige HVO-Diesel schon heute vollständig fossilem Kraftstoff beigemischt. Und mehr sei eben nicht drin. Für größere Mengen an Biokraftstoffen müssten zusätzliche Pflanzen wie Mais oder Raps angebaut werden. Wertvolle Ackerfläche würde dann genutzt, um Tanks zu füllen. Der Forscher Thomas Herlitzius sieht in HVOs deswegen auch „keine dauerhafte Lösung“. Effektiver sei es, auf den Äckern Solar- oder Windkraftanlagen aufzustellen, mit deren Strom grünen Wasserstoff herzustellen und ihn zu E-Fuels zu verarbeiten. Dabei handelt es sich um Kraftstoffe, die vor allem aus grünem Wasserstoff und CO2 bestehen und daher als nahezu klimaneutral gelten.
Aber auch E-Fuels sind knapp. Das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung rechnet damit, dass alle weltweit geplanten Projekte zu E-Fuels bis 2035 etwa zehn Prozent des deutschen Bedarfs decken könnten. Unter anderem, so die Studie, fehle es an Investitionssicherheit.
Und so steckt die Landwirtschaft in der Zwickmühle. Ersatz-Kraftstoffe, die den Diesel ersetzen können, sind knapp. Und jede neue Technologie ist teuer und hat Schwächen. Thomas Herlitzius sieht darin ein „fundamentales Problem“ und sagt: „Maschinenentwickler machen alle möglichen Vorstudien und Prototypen, aber keiner kann heute ein Produkt entwickeln, weil er gar nicht weiß, wie die Kostensituation in zehn Jahren aussieht.“ Er klingt frustriert: „Wir wissen nicht, was wir machen sollen.“
Gut möglich also, dass es nicht die letzten Bauernproteste waren, die Deutschland vor fast einem Jahr erlebt hat. Ob Christoph Gröblinghoff dann wieder dabei wäre? Seinen Frust über die Bundesregierung verbirgt er jedenfalls nicht. „Die jetzige Regierung nimmt die Dieselsubvention zurück, aber schafft keinen steuerlichen Anreiz, auf Alternativen umzusteigen“, sagt er. Die Bürokratie erschwere es, in Deutschland zu investieren.
Fendt macht das trotzdem: Allein 2024 sollen über 60 Millionen Euro in den Standort Marktoberdorf fließen. Der Hersteller forscht nicht nur zu klimafreundlichen Motoren, sondern auch an Traktoren, die keinen Fahrer mehr bauchen. Das könnte auch mit kleineren Maschinen klappen, in wenigen Jahren will Fendt ein Modell auf den Markt bringen. Aber erst mal in Süd- und Nordamerika. Aus Gründen der Regularien, versteht sich.