ZEIT für X
nachhaltiges Plastik

Gut für den Kreislauf

02. Mai 2023
ZEIT Redaktion
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2023. Geschäftspartner des ZEIT-Verlages haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“

Eine Ingenieurin will die Plastikflut eindämmen: Das Start-up traceless materials arbeitet an einer Kunst­stoff-Alternative, die vollständig biologisch abbaubar ist

von Carolyn Braun

Die Irritation

Anne Lamp könnte aus den Ergebnissen ihrer Forschung wohl viele Geschäfts­ideen entwickeln. Die 31-Jährige hat Verfahrens­technik in Hamburg studiert und wurde mit summa cum laude promoviert. Dafür hatte sie heraus­gefunden, was man aus den Resten herstellen kann, die übrig bleiben, wenn Getreide zu Alkohol oder Lebensmitteln verarbeitet wird: Fleisch­ersatz­produkte etwa oder Nahrungs­ergänzungs­mittel. Und noch etwas anderes.

Die Marktlücke

Und zwar einen Kunststoffersatz in Form eines Granulats, das sich zu Folien, Beschichtungen, Formteilen oder Klebstoffen verarbeiten lässt. Anders als Plastik oder gängige Bio­kunst­stoffe sind die Produkte kompostierbar – sogar auf dem heimischen Kompost­haufen. Die Wissenschaftlerin erkannte, dass in der Erfindung eine Geschäfts­idee liegt, mit der sich ein enormes Umwelt­problem lösen lässt. Jährlich werden etwa 400 Millionen Tonnen Plastik produziert, gut 80 Prozent aller jemals hergestellten Kunst­stoffe sind unrecycelt auf Müllhalden und in den Ozeanen gelandet.

Die Idee

Anne Lamp sagt: „Wir brauchen nicht noch mehr Produkte, die weniger schlecht sind, sondern solche, die von Grund auf gut gedacht sind.“ Nach ihrem Studium tat sie deswegen etwas, das sie selbst „ingenieurs­untypisch“ nennt: Sie nahm ihren Mut zusammen und beschloss, aus ihrer Idee ein verkäufliches Produkt zu entwickeln. 2020 gründete sie dafür die Firma traceless materials, ihren Öko-Kunststoff nennt sie traceless – zu Deutsch: spurlos.

Die Förderer

Lamp bekam viel Hilfe, sie war gut vernetzt. Während des Studiums hatte sie den Hamburger Ableger von Cradle-to-Cradle gegründet und geleitet. Das ist eine NGO, die sich für eine abfallfreie Kreis­lauf­wirtschaft stark­macht. Freunde von ihr bauten gerade Planet A auf, einen Investor, der besonders auf Nachhaltigkeit achtet – und Lamp unter­stützte das Projekt mit ihrem Fachwissen. Die Freunde wiederum ermutigten sie, an ihre Idee zu glauben, und nahmen sie mit zu Veranstaltungen. So lernte sie Johanna Baare kennen, eine Psychologin und Unternehmens­beraterin, die zu ihrer Mitgründerin wurde. Zusammen hätten sie Mitstreiter gefunden, die im ersten Jahr unentgeltlich gearbeitet hätten, erzählt Lamp. Bis sich erste Investoren beteiligten. Zu den Geldgebern gehörten Planet A, der halb­staatliche High-Tech Gründer­fonds und die b.value AG.

Johanna Baare (l) und Anne Lamp von Traceless Materials zeigen eine Folie aus abbaubaren Materialen. Ein Start-up in Buchholz entwickelt kompostierbare Alternativen zu Kunststoffen und arbeitet an Lösungen für das globale Plastikproblem.
© Philipp Schulze/picture alliance Johanna Baare (l) und Anne Lamp von Traceless Materials zeigen eine Folie aus abbaubaren Materialen. Ein Start-up in Buchholz entwickelt kompostierbare Alternativen zu Kunststoffen und arbeitet an Lösungen für das globale Plastikproblem.

Der Erfolg

Auch der European Innovation Council hat zuletzt knapp 2,5 Millionen Euro in das Start-up gesteckt, 2022 gewann es den Deutschen Gründer­preis. Inzwischen gibt es auch eine Pilotanlage, mit der traceless gerade eine Charge Kleider­haken für C&A hergestellt hat – laut Lamp ist das der „erste Schritt aus dem Labor in die Produktion und in den Markt“. Auch andere Unternehmen wagen Verpackungs­experimente mit der Firma, wie der Versandhändler Otto oder ein Tier­futter­hersteller. Der nächste Schritt: eine größere Industrie­anlage. Mit ihr will traceless bis 2030 gut eine Million Tonnen Granulat herstellen. Doch die Ingenieurin Lamp will mehr als ihr Geschäft in Fahrt bringen. Künftig möchte sie auch an Hochschulen Studierende davon überzeugen, ihr Leben „nicht nur als Angestellte“ zu verbringen, sondern Firmen zu gründen.