Kauen statt cremen
ZEIT RedaktionAxel Kaiser will der Zahnpasta den Garaus machen. Er meint, eine bessere Lösung zu haben – und kämpft für sie
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“
Einen Mangel an Visionen kann man Axel Kaiser wirklich nicht vorwerfen. Der 61-Jährige plant nicht weniger als eine globale Revolution. Bis 2030! Möglichst in jedem Badezimmer der Welt will Kaiser bis dahin die Zahnpflege-Routinen umkrempeln: „Zahnpasta“, sagt er, „wird Ende des Jahrzehnts Vergangenheit sein.“
Man könnte Kaiser für naiv halten. Aber erst mal sollte man sich seine Idee anhören: Er will die Paste durch kleine weiße Tabletten ersetzen, die man erst zerkaut, um dann damit die Zähne zu putzen. Damit werde Mundhygiene nicht nur nachhaltiger, sondern auch gesünder – davon ist Kaiser überzeugt.
In dieses Großprojekt ist Kaiser hineingestolpert. Einer seiner Brüder, ein Zahntechniker, betreibt in den 1990ern ein Dentallabor in Singapur. Damals bittet er Axel Kaiser und den dritten Bruder, Aufträge in Deutschland einzusammeln und den in Singapur gefertigten Zahnersatz an deutsche Praxen auszuliefern.
Vor fast 25 Jahren bittet ihn dann ein Dentallabor-Kunde um Unterstützung bei seiner Doktorarbeit. Ein wasserfreies Zahnputzmittel wollte er entwickeln. Kaiser hilft. Zusammen mit dem Doktorvater, einem Professor der Uni Witten/Herdecke, erarbeiten sie ein Pulver, das sich zu Tabletten pressen lässt.
Im Jahr 2009 gründet Kaiser mit seinen Brüdern Denttabs: Die gleichnamigen Tabletten produzieren Lohnhersteller, verkauft werden sie zunächst nur online. Doch so richtig gut läuft es nicht. Kaiser muss einsehen: Niemand hat auf die Pillen gewartet. Große Hersteller winken ab, die Kunden übersehen das Produkt.
Dabei ist sich Kaiser sicher, dass seine Tabletten der Zahncreme überlegen sind. Nicht nur, weil sie besser für die Zähne seien – mit dieser Meinung zählt der Mittelständler zu einer Minderheit. Sondern auch, weil die Tabs ganz offensichtlich besser für die Umwelt sind: Die Denttabs verursachen keinen Plastikmüll und verbrauchen in der Herstellung kein Wasser.
Deswegen hat Kaiser sich auch über die Stiftung Warentest geärgert, die ihnen zwar ein ordentliches Zeugnis ausstellte, aber sie als relativ teuer einstufte und ihnen einen zu geringen Fluoridanteil attestierte. Mit seinen eigenen Studien, die laut Kaiser zu anderen Ergebnissen kommen, konnte er die Warentester nicht umstimmen.
Lob für die Idee kommt von Michael Braungart, dem Erfinder des „Cradle to Cradle“-Konzepts der Kreislaufwirtschaft. Der sagt, es seien zwar „nur kleine Tabletten, doch sie haben das Potenzial, eine ganze Branche auf den Kopf zu stellen“.
Den ersten Schub erhalten Kaisers Tabs erst, als „Unverpackt“-Läden sie entdecken. Der zweite folgt, als die Drogeriekette dm sie in ihr Sortiment aufnimmt. Der Jahresumsatz schießt von etwa 200.000 Euro auf 3,5 Millionen in den Jahren 2018 und 2019.
Dieses Jahr werden es voraussichtlich 1,3 bis 1,5 Millionen sein, auch die Zahl der Mitarbeiter hat sich wieder auf rund zehn halbiert. Kaiser sagt, die Pandemie habe alte Gewohnheiten zurückgebracht.
Aber Kaiser kämpft weiter. Inzwischen gibt es weltweit ähnliche Anbieter, er sieht sie als Mitstreiter. Denttabs produziert nun auch für die dm-Eigenmarke und darf dies sogar öffentlich kundtun. Er sei zudem mit einem Konzern im Gespräch, der seiner geplanten Zahnputz-Revolution einen großen Schub geben könne.
Das Dentallabor wurde im letzten Winter verkauft, Kaiser hat den Erlös in die Zahntabletten gesteckt. „Ich bin noch nicht fertig“, sagt der Unternehmer. „Dazu ist die Idee zu groß.“