Klimacheck Folge 5: Diese Betonköpfe!
ZEIT RedaktionDie Rinns aus Heuchelheim haben 2023 erstmals Verluste gemacht, die Lage ist schwierig. In den Umweltschutz wollen die Baustoff-Pioniere dennoch weiter investieren
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 3/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.
Was war der Auslöser für mehr Klimaschutz?
2011 besuchte Christian Rinn eine 15-tägige Fortbildung zum Social Impact Entrepreneur. Dort musste er eine Nachhaltigkeitsstrategie für seine Firma entwerfen. „Das hat mich aufgerüttelt“, sagt der Betriebswirt. Er beschäftigte sich mit Umwelt- und Sozialstandards und kündigte an, den Betrieb auf Nachhaltigkeit zu trimmen. Anfangs habe es viele Zweifler gegeben: „Die dachten, das Thema zieht wieder vorbei.“ Von wegen! 2013 brachte Rinn einen „ziemlich laienhaften“ Nachhaltigkeitsbericht heraus, wie er sagt. 2014 folgte eine Treibhausgasbilanz. Damit ist Rinn bis heute ein Vorreiter. „Fast keine andere Firma in der Branche veröffentlicht ihren CO2-Fußabdruck“, sagt Luisa Rinn. Schuld daran sei auch die verbreitete „Old-School-Denke“, findet ihr Vater und sagt: „Die gesamte Baubranche ist behäbig und langsam.“
Das Unternehmen:
Rinn Beton- und Naturstein, Heuchelheim (Hessen)
Direkter CO2-Ausstoß, der sogenannte Scope 1: 1.416,7 Tonnen (22,8 Prozent)
Indirekter CO2-Ausstoß aus eingekaufter Energie, Scope 2: 0,9 Tonnen (0,01 Prozent)
Indirekter CO2-Ausstoß von Zulieferern, Dienstleistern und Kunden, Scope 3: 4.789,8 Tonnen (77,2 Prozent)
CO2-Ausstoß insgesamt: 6.207,4 Tonnen
Quellen: Zukunftswerk eG, Angaben in CO2-Äquivalenten, Treibhausgasbilanz und Nachhaltigkeitsbericht 2023
Klimaziele:
Bis 2030 will Rinn in der Produktion nur noch erneuerbare Energien verwenden und in Scope 1 und 2 klimaneutral sein – ohne Zukauf von Zertifikaten.
Eigentümer und Produkte:
Rinn produziert Betonsteine – etwa Pflastersteine, Terrassenplatten oder Stufen für Gärten, Plätze und Fußgängerzonen. Der Mittelständler hat einen „Klimastein“ entwickelt. Er enthält 90 Prozent weniger Zement und trägt das Umweltsiegel „Blauer Engel“. Rinn stellt auch Betonstein her, der bis zu 40 Prozent recyceltes Granulat enthält und mit dem Rinn etwa die Deutsche Bahn beliefert.
Gegründet wurde der Betrieb im Jahr 1900. Heute leitet ihn Christian Rinn, 61, in vierter Generation als Mehrheitseigner. Vor sechs Jahren ist Tochter Luisa, 30, eingestiegen. Sie sitzt heute mit in der Geschäftsleitung.
Jahresumsatz:
Der Umsatz ist 2023 um 11,7 Prozent auf 85,7 Millionen Euro zurückgegangen. „In der Coronazeit wollte jeder seinen Garten schön machen“, sagt Geschäftsführer Rinn. Etwa zwei Drittel der Erlöse stammten aus dem Geschäft mit Hausgärten. Davon sei nach der Pandemie viel weggebrochen. Zugleich hätten sich die Preise für Zement und für Rohstoffe wie Sand und Splitt erhöht, das lasse sich nicht auf die Preise draufschlagen. Der Chef sagt: „Wir sind in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit.“
Verlust:
Im Jahr 2023 hat Rinn nach eigenen Angaben zum ersten Mal in der Historie Verluste gemacht. Das Minus betrug etwa 1,2 Millionen Euro. An ihren Plänen für mehr Umweltschutz will die Familie trotzdem festhalten.
Mitarbeitende:
Etwa 530 an drei Standorten in Hessen und Thüringen.
Was schadet dem Klima am meisten?
Die Zementindustrie verursacht laut der britischen Denkfabrik Chatham House acht Prozent der globalen CO2-Emissionen. Das treibt auch die Rinns um, die ihre Steine klassischerweise aus Zement herstellen. „Fast 90 Prozent der Emissionen in unserer Branche entstehen aus der Zementherstellung“, sagt Luisa Rinn.
Weil der Betrieb den Zement aber einkauft, fehlt er in der Treibhausgasbilanz. Rinn weist ihn deshalb im Nachhaltigkeitsbericht aus. Der Wert zeigt die CO2-Emissionen, wenn alle Quellen addiert werden: die Produktion bei Rinn, der Zement, die Rohstoffe, die Transporte durch Spediteure. 2013 waren das 154 Kilogramm CO2 pro Tonne Beton, zehn Jahre später noch 131.
Um die Emissionen weiter zu senken, hat Rinn den „Klimastein“ entwickelt. Er enthält weniger Zement und dafür mehr alternative Bindemittel. Der Stein spare im Produktlebenszyklus über 65 Prozent CO2 ein, sei aber in der Herstellung zehn Prozent teurer, erklären die Rinns. Die Mehrkosten könnten sie nicht weitergeben: Kunden seien nicht bereit, für Nachhaltigkeit mehr zu zahlen.
Was sind die wichtigsten Maßnahmen?
2014 hat Rinn auf Ökostrom umgestellt, das hat die direkten Emissionen gesenkt. Nach und nach seien Hallen gedämmt und Fotovoltaikanlagen installiert worden, erzählt Luisa Rinn. In Scope 2 fallen kaum noch Treibhausgase an, denn bereits 2008 erschloss der Betrieb das erste Geothermiefeld und nutzt nun Erdwärme. Außerdem bezieht er Fernwärme aus Biomasse.
Die letzten Emissionen in Scope 1 verursachen das Erdgas zum Heizen und der Fuhrpark. Das Gas will Rinn durch Energie aus weiteren Geothermiefeldern ersetzen, die 50 Autos im Fuhrpark „in den nächsten zwei, drei Jahren“ vollständig durch Elektrofahrzeuge austauschen.
Schwieriger wird es bei den Emissionen aus Scope 3, etwa aus externen Transporten. „Da sind uns die Hände gebunden“, sagt Christian Rinn. Für Spediteure sei es oft noch zu teuer, Diesel-Lkw durch E-Lkw zu ersetzen.
Reduzieren oder kompensieren?
Seit 2014 kompensiert Rinn die Emissionen aus der Produktion durch Zertifikate. Seit 2016 umfasst das auch die Emissionen der externen Transporteure. So ist Rinn offiziell klimaneutral. Die Zertifikate hätten 2023 etwa 13.200 Euro gekostet und seien „ein Zwischenschritt auf dem Weg zur vollständigen Reduktion“, sagt Luisa Rinn.
Was kostet es?
Geld: Rinn investiert jährlich bis zu fünf Millionen Euro, vieles fließt in den Umweltschutz, 2023 etwa drei Millionen Euro in die Umstellung des Fuhrparks.
Engagement: Vater und Tochter schätzen, dass sie sich in bis zu 15 Prozent ihrer Zeit mit Nachhaltigkeit befassen. „Man muss viel Zeit und Willen in das Thema stecken, um dauerhaft up to date zu bleiben“, sagt Luisa Rinn.
Was bringt es?
Image und Fachkräfte: 2018 erhielt Rinn den Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Die Beratung Ecovadis stuft den Betrieb als Vorreiter in der Baustoffindustrie ein. „Das wird bei Bewerbern positiv wahrgenommen und hat uns als Arbeitgeber attraktiver gemacht“, sagt Christian Rinn.
Mitarbeiterbindung: Auf Projekte wie den „Klimastein“ seien Mitarbeiter „megastolz“, erzählt der Unternehmer. Egal ob Mischmeister, Laborleiter oder Ingenieur.