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30. Januar 2023
ZEIT Redaktion

Sich kaum erreichbare Ziele zu setzen ist anstrengend, aber lohnt sich, sagt Richard Socher.

Ein Gastbeitrag von Richard Socher

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 4/2022.“ Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.

Es mag ein wenig masochistisch klingen, aber ich setze mir gerne Ziele, die kaum zu erreichen sind. Selbst wenn das manchmal mit Frust und Stress verbunden ist, würde ich auch anderen dazu raten – es hilft, die Hürden im Kopf zu überwinden, die am Anfang des Weges stehen.

Gerade baue ich mit dieser Einstellung You.com auf – eine intelligente und daten­sparende Such­maschine im Internet. Eine Such­maschine, trotz Google? Genau! Ich will es schaffen, Hunderte Millionen Menschen dazu zu bringen, zu yougeln statt zu googeln. Und selbst wenn das ein großes Ziel ist, das mich sehr fordert, erlebe ich auch, wie spannend der Weg dorthin ist.

Im Moment ist es so, dass quasi jede Firma Geld an Google zahlt, um im unübersichtlichen Internet gefunden zu werden. Zugleich bezahlen alle User für die Suchergebnisse mit ihren Daten, was es Google erlaubt, personalisierte Werbung zu schalten. Die Google-Mutterfirma Alphabet kann von den Firmen Geld und von den Nutzern Daten verlangen, weil sie so mächtig ist und diese Macht hart­näckig verteidigt, manchmal mit unfairen Mitteln.

You.com wird das ändern: Wir helfen mit Suchergebnissen und intelligenten Zusammenfassungen, die eine bessere Orientierung bieten als Google, weil diese Such­ergebnisse nicht wirtschaftlichen Interessen folgen. Zugleich wollen wir mit den Daten der Nutzer kein Geld verdienen, weswegen wir verhindern, dass Websites unsere Nutzer tracken. Wir werden auch die Privatsphäre unserer Nutzer nicht verletzen, um mehr Profite zu machen, daher werden wir nie personalisierte Werbung schalten. Dahinter steckt der Wunsch, die Welt zu verbessern, aber ich sehe auch eine große geschäftliche Chance.

Ein Grund dafür ist KI, also künstliche Intelligenz: die Fähigkeit von Maschinen, dank intelligenter Algorithmen zu lernen. Damit beschäftige ich mich seit meinem Studium der linguistischen Informatik in Leipzig und Saarbrücken. Ich habe mich in die theoretischen Grundlagen und die Logik der Informatik verliebt und mich mit maschinellem Lernen beschäftigt. Damit sind viele philosophische Fragen verbunden: Was ist Intelligenz? Was ist intelligentes Leben? Was macht uns als Menschen aus? Solche Fragen faszinieren mich wie die konkreten Anwendungen künstlicher Intelligenz.

Immer mehr maschinelle Prozesse werden intelligent. KI kann immer besser Sprache erkennen und selbst intelligente Sätze formulieren – das machen wir mit You.com. Wir stehen vor einem Umbruch, welcher mit der industriellen Revolution vergleichbar ist.

Viele Menschen haben das leider noch nicht verstanden. Ich versuche zum Beispiel immer wieder, Mittelständler zu motivieren, diese Chance zu erkennen und KI einzusetzen, um ihre Prozesse zu automatisieren – und zwar nicht nur mechanische, sondern auch intellektuelle. Vor einiger Zeit habe ich vor Mitgliedern des Industrie­clubs Sachsen in meiner Heimatstadt Dresden darüber gesprochen. Es gibt einige super­spannende neue Start-ups, aber viele etablierte Firmen sind noch sehr zögerlich, auf künstliche Intelligenz zu setzen. Und so riskiert der Mittelstand, den Anschluss zu verlieren.

Wenn Ihr das nicht wollt, liebe Unternehmerinnen und Unternehmer, dann habe ich einen Rat. Geht an die Unis, besucht Konferenzen und findet Forscher, die nah an eurer Industrie dran sind. Fragt sie, ob sie mit euch den Einsatz von KI ausprobieren. In den USA haben sich solche Kooperationen sehr bewährt, und auch in Deutschland gibt es viele erstklassige Unis, bei denen viel mehr Mittel­ständler anklopfen könnten.

Ganz neue Ideen zu entwickeln kann anstrengend sein. Beim Start von You.com gab es für mich Monate, in denen ich eigentlich nur noch gearbeitet habe. Um das auszubalancieren, fahre ich mit meinem Wohnwagen in die kalifornische Wüste und gehe mit meinem Motorschirm fliegen. Das hilft mir, mich wieder darauf zu fokussieren, fast unerreichbaren Zielen näher zu kommen.

Richard Socher
© Sebastian Gabriel/Picture Alliance for DLD/Hubert Burda Media

Richard Socher, 39, baut in Palo Alto mit seiner Firma SuSea www.You.com auf, eine neuartige Suchmaschine.