ZEIT für X
Marlene Engelhorn

Meinen Sie das ernst, Frau Engelhorn?

08. Oktober 2024
ZEIT Redaktion

Marlene Engelhorn hat viele Millionen Euro geerbt. Die 32-Jährige könnte damit Firmen gründen, kaufen oder in sie investieren. Aber sie verteilt ihr Erbe lieber mithilfe eines Bürger­rats. Woher kommt ihre Skepsis gegenüber Unternehmertum – und wohin fließt ihr Geld?

von Carolin Jackermeier

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 3/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.

So stellt man sich keine Millionärin aus einer Unternehmerdynastie vor: Marlene Engelhorn, 32, steht zwischen Kartons und Plastiktaschen in einer Kaffeeküche in Wien und zapft sich ein Glas Leitungs­wasser. Die Deutsch-Österreicherin trägt trotz der Sommer­hitze eine Jeans und eine dunkel­grüne Bluse, die die Tattoos auf ihrem linken Arm überdeckt. Engelhorn hat einen mittleren zwei­stelligen Millionen­betrag geerbt, nachdem ihre Großmutter Traudl Engelhorn-Vechiatto 2022 mit 95 Jahren gestorben ist. Schon vorher hat sie verkündet, dass sie diesen gar nicht haben will. Im Sommer ließ sie den größten Teil ihres Erbes von einem Bürgerrat „rück­verteilen“, wie sie sagt. Deswegen setzt sich nun Alexandra Wang, die den „Guten Rat für Rückverteilung“ leitet, neben sie an den Konferenz­tisch. Engelhorn überlässt ihr den Platz in der Mitte und setzt sich an den Rand. Die beiden duzen sich, und wenn Engelhorn spricht, gendert sie konsequent mit Glottis­schlag, darauf legt sie auch in der Schriftform wert.

ZEIT für Unternehmer: Frau Engelhorn, eigentlich wollten Sie mit Ihrem Projekt eine Debatte zur Vermögensungleichheit lostreten. Aber die Medien haben lieber darüber berichtet, wie Ihr Erbe verteilt wird, sie titelten „Wer sich jetzt über den Geldsegen freuen darf“ und „Wer kassiert die Engelhorn-Millionen?“ Haben Sie Ihr Ziel verfehlt?

Marlene Engelhorn: Ich finde es schade, dass sich so viele Leute nur auf die 25 Millionen gestürzt haben, statt auch zu hinterfragen, worum es wirklich geht. Nämlich, dass 50 ganz unterschiedliche Menschen die Frage gewälzt haben, wie Vermögen verteilt ist und wie man als Gesellschaft damit umgehen kann. Die Millionen waren zweitrangig.

Alexandra Wang: Im Rat selbst haben wir es sehr gut geschafft, diese Debatte zu führen. Und es ist traurig, wie sehr die Öffentlichkeit in erster Linie auf die Ergebnisliste abgefahren ist.

Der Bürgerrat hat im Juni entschieden, die 25 Millionen an 77 gemeinnützige Organisationen zu spenden, etwa an Mieter­schutz­verbände, Obdach­losen­hilfen oder Bildungs­initiativen.

Frau Wang, Sie haben die Verteilung des Geldes mit Ihrem Organisations­team begleitet. Wie groß war der Druck, keine Fehler zu machen?

Wang: Natürlich macht das was mit einem, wenn die Öffentlichkeit einem auf die Finger schaut. Der Rat hatte ja auch nur sechs Wochenenden Zeit, um sich einig zu werden.

Es gab viel Lob dafür, wohin das Geld fließt. Manche haben aber auch kritisiert, dass es nach dem Gieß­kannen­prinzip verteilt wurde und Organisationen wie der Naturschutz­bund viel Geld erhielten.

Engelhorn: Die Transparenz in der Öffentlichkeit war nicht dafür da, um mich oder das Team zu bewerten, sondern um sich kritisch aus­einander­zu­setzen. Blinde Bewunderung oder blinde Ablehnung allein interessieren mich nicht.

Sie versuchen, die Öffentlichkeit zu meiden, brauchen sie aber auch. Wie sehr belastet Sie das?

Engelhorn: Gefühlstechnisch halte ich das für nicht wichtig. Viel spannender ist, wieso die Medienlandschaft so an mir interessiert ist. Ich bin eine total langweilige Person. Aber ich habe nun mal Macht. Und zwar nur dank des Geldes, das ich nicht selbst verdient, sondern geerbt habe.

Und dem Sie Ihre heutige prominente Rolle verdanken. Sind Sie nicht insgeheim ganz froh, geerbt zu haben?

Engelhorn: Ich kann mich ja auch aktivistisch einsetzen, wenn ich kein Vermögen habe. Aber natürlich hört man mir viel mehr zu, nur weil ich reich bin. Mein Vermögen hat mir die Möglichkeit gegeben, mich in einem unglaublichen Ausmaß einzusetzen. Ich möchte meine Position nutzen, um zu helfen, die dahinter­liegende Verteilungs­struktur zu ändern.

Haben Sie keine Angst, dass Sie nun für immer die BASF-Erbin sind, die ihre 25 Millionen verschenkt hat?

Engelhorn: Das macht mich wütend! Ich renne den Medien seit Jahren hinterher, weil das nicht stimmt: Ich bin nicht die BASF-Erbin! Ich habe das Geld von einer Person geerbt, die es von einer Person geerbt hat, die es geerbt hat. Da haben wir wieder das Problem: Eigentum ist keine Leistung, es ist eine Rechtsform. Weder ich noch die anderen Erb:innen haben das Vermögen erarbeitet – anders als die meisten Menschen hatten wir einfach Glück, in eine reiche Familie geboren zu werden.

Marlene Engelhorns Ur-Ur-Ur-Großvater hat 1865 die Badische Anilin- & Sodafabrik gegründet. Heute ist die BASF der größte Chemie­konzern der Welt. Friedrich Engelhorn war insgesamt an 39 Firmen beteiligt, unter anderem am Pharma­konzern Boehringer-Mannheim. Sein Urenkel verkaufte die Boehringer-Anteile 1997 für elf Milliarden Euro an Hoffmann-La-Roche und machte die Familie damit zu einer der vermögendsten der Welt. Marlene Engelhorns Großmutter Traudl Engelhorn-Vechiatto heiratete seinen Cousin Peter Engelhorn, ihr Vermögen wurde von Forbes zuletzt auf mehr als vier Milliarden Dollar geschätzt.

Hat die BASF in Ihrem Leben irgendeine Rolle gespielt?

Engelhorn: Null. Aber in fast allen vermögenden Familien gibt es einen Gründermythos. Diese Mythen sind ein sehr guter Spiegel dessen, was man für erzählenswert hält, um die eigene Macht zu rechtfertigen.

Die BASF war als Teil der IG Farben an NS-Verbrechen beteiligt. Beschäftigt Sie dieses Vermächtnis trotzdem?

Engelhorn: Natürlich! Ich kann nicht einfach ein Vermögen erben und ignorieren, wo es herkommt. Aber es ist egal, wie ich dazu fühle, das bringt uns nicht weiter.

Verpflichtet Sie Ihr Erbe nicht, sich mit dieser Verantwortung zu befassen?

Jede Familie sollte sich mit ihrer Geschichte auseinander­setzen. Es geht aber nicht um eine einzige Unternehmens­familie, wenn es um NS-Verbrechen geht, sondern um die gesamte deutsche Unternehmens­welt, die ihre Vermögen mitunter dieser Gewalt verdankt. Ich bin da bei der Philosophie- und Politik­wissenschafterin Ingrid Robeyns: Jedes große Vermögen ist bis zu einem gewissen Grad in Geschichten von Gewalt, Vernichtung oder Ausbeutung verstrickt.

Meinen Sie das ernst? Viele Unternehmer würden entgegnen, dass sie ihr Vermögen hart erarbeitet haben und mit Investitionen große Risiken eingegangen sind.

Engelhorn: Wie gesagt, man will sich das gern selbst erzählen. Wahr ist es bei großen Vermögen dennoch nicht. Wir wirtschaften arbeits­teilig: Viele Arbeit­nehmer:innen schaffen Mehrwert – nur fließt der Profit immer in die Taschen der Eigentümer:innen. Mich interessieren keine kleinen Familien­firmen, mir geht es um Eigentums­strukturen, Akkumulations­dynamiken und Macht.

Aber wenn es bei kleinen Familien­unternehmen gut läuft, dann werden daraus eben große Vermögen. Denken Sie zum Beispiel an Dirk Roßmann, der mit einer Drogerie­kette zum Milliardär wurde …

Engelhorn: Ich sehe ja ein, dass man stolz darauf ist, etwas angefangen zu haben, das dann gut läuft. Aber wahr ist auch: Sobald Sie jemanden einstellen, weil Sie die Arbeits­last nun mal einfach nicht alleine stemmen können, sind Sie nicht mehr selfmade. Ihr Vermögen hat dann nichts mehr mit persönlichem Fleiß zu tun, sondern entsteht auch aus der Arbeit anderer.

Das Problem ist doch, dass nur Leute gründen können, die viel Kapital haben oder kredit­würdig sind.

Marlene Engelhorn

Sie haben 2021 die Initiative taxmenow gegründet, die sich für die Wiedereinführung einer Vermögen­steuer einsetzt. Gegner dieser Idee sagen, dass solch eine Steuer am Ende Betriebe belastet und Investitionen verhindert.

Engelhorn: Wir sprechen hier von riesigen Unternehmen und Überreichen. Eine Vermögen­steuer belastet nicht die Betriebe, sondern schmälert lediglich den Profit der Eigentümer:innen.

Knapp 70 wohlhabende Personen haben Ihre Petition für eine Vermögen­steuer seit 2021 unter­zeichnet. In Deutschland leben aktuell rund 1,5 Millionen Millionäre und 226 Milliardäre. Warum finden Sie unter denen so schwer Verbündete?

Engelhorn: Ich glaube nicht daran, dass vermögende Personen in der Lage sind, selbst ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Wer nur darauf vertraut, legitimiert ihre Herrschafts­position. Die Verantwortung liegt bei der Politik.

Warum ist es für Sie auch keine Lösung, dass wohl­habende Menschen ihr Geld in Start-ups investieren? Damit könnten die doch viel bewirken!

Engelhorn: Das Problem ist doch, dass nur Leute gründen können, die viel Kapital haben oder kredit­würdig sind. Und eine kleine, exklusive Gruppe, die sich einbildet, über der Gesellschaft zu stehen, darf entscheiden, welche Start-ups cool genug sind.

Woher soll dann das Geld für Innovationen kommen?

Engelhorn: Innovationen dürfen nicht von den Investitionsentscheidungen Einzelner abhängig sein, zumal die Voraussetzungen immer aus der öffentlichen Hand bezahlt werden – nehmen Sie nur mal die Grund­lagen­forschung. Investor:innen sind nicht böse oder desinteressiert an der Gesellschaft. Aber sie investieren eben nicht, weil etwas gut für die Menschheit ist, sondern weil es Geld bringen könnte.

Der Staat hat doch nicht das Geld und ist viel zu träge und vorsichtig, um alle guten Ideen zu finanzieren.

Engelhorn: Wenn Vermögen nicht besteuert werden, darf man sich nicht wundern, dass für öffentliche Investitionen nicht mehr genug vorhanden ist. Eine Vermögen­steuer verändert nicht die gesamten Strukturen, aber sie ist ein Anfang und schafft neue Möglichkeiten, die obendrein demokratisch legitimiert sind.

Heute gibt es Firmen in sogenanntem Verantwortungs­eigentum: Sie gehören sich quasi selbst und wollen Gewinne zum Allgemeinwohl einsetzen. War es für Sie je eine Option, ein solches Unternehmen zu gründen?

Engelhorn: Ich finde das spannend. Aber nur weil es diese Möglichkeit gibt und ich reich bin, heißt das nicht, dass ich ein Unternehmen gründen muss.

Sie haben auch eine Karriere in der Politik ausgeschlossen, weil „schon genug privilegierte Rich Kids“ repräsentiert sind, wie Sie sagen. Ändert sich daran etwas, jetzt, wo Sie fast Ihr gesamtes Erbe los sind?

Engelhorn: Dank meiner Familie habe ich ja weiterhin Privilegien, die kann ich nicht rück­verteilen. Es braucht nicht noch jemanden wie mich in der Politik. Ich schaue lieber, welche Menschen gerade nicht repräsentiert sind und wie ich sie unter­stützen kann.

Soll der Gute Rat ein Vorbildmodell für andere Vermögende sein?

Wang: Es war nie das explizite Ziel, dass andere das nachahmen. Dann sind wir wieder davon abhängig, dass irgendwelche Überreichen etwas Gutes tun. Das löst das System­problem nicht.

Frau Engelhorn, Sie haben in einem „Forbes“-Interview vor drei Jahren angekündigt, sich zurückzuziehen, wenn die Öffentlichkeit Sie nicht mehr braucht. Jetzt, wo Ihr Geld verteilt ist: Braucht die Öffentlichkeit Sie aktuell noch?

Engelhorn: Das kann ich nicht einschätzen, aber mein Übergang in die Erwerbswelt wird meine Zeitressourcen verändern. Ich möchte mich mit anderen dafür einsetzen, dass die Welt gerechter wird. Und wenn ich das richtig gut gemacht habe, dann wird man mich vergessen.

Wang: Du gehst manchmal zu demütig mit deiner Rolle um. Du bist für viele Leute eine Vorreiterin, du hast für viele Aha-Erlebnisse gesorgt. Das darf man auch ruhig einmal würdigen, ohne dir Honig ums Maul zu schmieren.

Engelhorn: Jetzt bin ich peinlich berührt.