Schau mal, meine KI ...
ZEIT Redaktion… mischt Zutaten umweltfreundlicher
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 3/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.
Wer mit Kindern unterwegs ist, entwickelt einen Blick für Baustellengroßgeräte: Bagger, Kräne, Radlader! Ein besonderes Highlight sind Betonmischer. Wenn wir ein solches Gefährt sichten, dann frage ich mich seit Kurzem immer: Ob da wohl KI drinsteckt?
Möglich ist es. Das liegt an Robert Meyer und Leopold Spenner, den Gründern des Berliner Start-ups alcemy. Mit künstlicher Intelligenz (KI) machen die beiden die Herstellung von Zement und Beton effizienter und umweltfreundlicher. Bis zu 50 Prozent weniger CO2 soll durch ihre Technik bei der Herstellung freigesetzt werden.
Spenner ist Ingenieur und stammt aus einer Zement-Familie. Er kennt die Herausforderungen der Zementherstellung seit seiner Kindheit. Etwa dass man erst weiß, wie fest ein bestimmter Zement wirklich wird, wenn man ihn anrührt, in eine Probeform gießt und hart werden lässt. 28 Tage dauert das. Dieses Problem will er mit seinem Partner, dem Neuroinformatiker Meyer, lösen. 2018 haben die beiden alcemy gegründet. „Wir liefern bereits eine Prognose der Endfestigkeit nach etwa 40 Minuten“, sagt Meyer.
Um zu verstehen, warum das gut für die Umwelt ist, muss man etwas ausholen. Der wichtigste – und ressourcenaufwendigste – Bestandteil von Zement ist bei mehr als 1.400 Grad Celsius gebrannter Kalkstein, der Klinker. Um diese Hitze zu erzeugen, braucht es viel Energie. Nicht nur deshalb ist der Prozess schlecht fürs Klima: Aus dem Calciumcarbonat im Kalkstein wird Calciumoxid. Dabei wird CO2 freigesetzt.
Daher gilt: Je weniger Zementklinker in einem Zement steckt, desto umweltfreundlicher ist er. Allerdings sorgt der Klinker auch für die Festigkeit des Zements. Damit die den Vorgaben entspricht, muss alles genau stimmen. Und man muss eigentlich schon anhand der Eigenschaften des Zementpulvers vorhersagen, wie fest er wird, und das nicht erst 28 Tage später.
Da kommt die KI ins Spiel. Das Maschinelle Lernen wird mit alten Zementmischungen trainiert: Wie viel Klinker steckte drin, wie fein wurde dieser gemahlen, welche Zusatzstoffe kamen hinzu, wie hart wurde das Ganze am Ende? Daraus leitet sie Vorhersagen über die Festigkeit der aktuellen Mischung ab und schlägt vor, was geändert werden könnte, um mit möglichst wenig Klinker einen Zement herzustellen, der genau so fest ist, wie er sein soll.“
Das Modell dahinter sei an sich gar nicht so kompliziert, sagt Meyer. „Die Genauigkeit hängt vor allem von der Qualität der Daten unserer Kunden ab.“ Zementwerke haben schon Labore, in denen die Materialeigenschaften untersucht werden. Betonfahrmischer müssen erst mit Sensoren ausgerüstet werden, um Informationen zu liefern – etwa über das eingespeiste Wassermenge. Zu viel, und der Beton wird nicht fest genug. Zu wenig, und er lässt sich nicht mehr gießen.
Rund 150.000 Tonnen CO2 pro Jahr würden durch alcemys Kunden schon eingespart. In mehr als 60 Zement- und Betonwerken wird die Software eingesetzt, etwa 250 Betonfahrmischer sind mit Sensoren ausgerüstet. Und es gehe jetzt erst so richtig los, sagt Meyer. „Unsere Kunden fangen langsam an, wirklich deutlich CO2-optimierte Rezepturen auf den Markt zu bringen.“
Das Beispiel zeigt, dass es nicht reicht, dass KI etwas können könnte. Es muss auch in der realen Welt funktionieren. Und das dauert eben manchmal. Erfahrene Zementhersteller müssen die Ratschläge einer Software akzeptieren lernen. Rezepturen müssen genormt werden. Und Betonmischer müssen mit Messgeräten ausgestattet werden. Vielleicht sind wir also nur zu ungeduldig, wenn wir darüber spekulieren, ob die Erwartungen an KI überzogen sind. Meine Kinder können Baustellenfahrzeugen seeehr lange zusehen. Das ist die richtige Einstellung.