ZEIT für X
Künstliche Intelligenz

Schau mal, meine KI ...

08. Juli 2024
ZEIT Redaktion

… entscheidet, welche Daten echt interessant sind

von Jakob von Lindern

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 2/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.

Na, können Sie es noch hören? Künstliche Intelligenz wird enorme Effizienzsteigerungen in nahezu allen Wirtschaftsbereichen … und so weiter. Seit eineinhalb Jahren erleben wir nun den KI-Hype, der von ChatGPT ausgelöst wurde. Aber ich muss diesen Text immer noch selbst schreiben. Und Sie haben immer noch E-Mails im Postfach, die Sie selbst beantworten müssen. Dabei sollte das doch alles längst die KI machen, wenn man den Versprechen der Techkonzerne glaubt.

Wenn es um KI geht, komme ich mir manchmal vor wie in einem Meeting, in dem der selbstbewusste, aber schlecht informierte Kollege die ganze Zeit redet. Wir beschäftigen uns zu viel mit den beeindruckenden, aber oft nicht wirklich nützlichen Ergebnissen von Chatbots. Und übersehen dabei die künstlichen Intelligenzen, die einen echten Beitrag leisten. So wie wir die Kollegen im Meeting überhören, die weniger plappern, aber viel wissen und können.

Da ist zum Beispiel die KI von Thomas Fricke, Manager beim Schweizer Unternehmen Endress+Hauser. Sie beherrscht keine Angeberkunststücke, wie Kochrezepte im Stil von Shakespeare zu schreiben. Aber sie liest fleißig jede Nacht Tausende Berichte von Servicetechnikern, wertet sie aus und hilft so dem Unternehmen, die eigenen Produkte besser zu verstehen. Man könnte sagen, es ist eine Hidden-Champion-KI.

Das passt gut zu Endress+Hauser. Wenn in einem Chemiewerk gemessen wird, wie viel Flüssigkeit durch ein Rohr fließt, oder in einer Brauerei, wie viel Druck auf dem Kessel ist, dann stehen die Chancen gut, dass die Messgeräte des Unternehmens daran beteiligt sind. Mehr als 60 Millionen Stück sind weltweit in Industrieanlagen im Einsatz.

Und immer, wenn es mit einem davon ein Problem gibt, ob in Singapur oder im Schwarzwald, kommt ein Servicetechniker vorbei. Anschließend schreibt er einen Bericht. Viele Berichte zusammen sind Daten, und dass in Datenbergen Erkenntnisse schlummern, das erzählt man sich auf Unternehmenskonferenzen schon länger. Nur ist es leider immer noch so: Viele Firmen heben diese Schätze nicht.

Schon 2017 stellte Fricke bei Endress+Hauser eine Idee vor, um diese Erkenntnisse zu entschlüsseln. Man könnte aus den Berichten zum Beispiel ablesen, wenn die Messgeräte einer bestimmten Charge besonders häufig repariert werden müssen. Oder dass ein bestimmtes Produkt vor allem in Ländern mit feuchtem Klima Probleme macht. Das Unternehmen kann dann reagieren, bevor Geräte kaputtgehen.

Das Konzept wurde für gut befunden und weiterverfolgt, aber es gab ein Problem. Denn wie das so ist mit den Daten, man muss schon die richtigen analysieren, um etwas aus ihnen zu lernen. Servicetechniker schreiben nicht nur Berichte über Reparaturen, sondern auch über routinemäßige Wartungen. Oder sie stellen fest, dass ein Gerät gar nicht defekt ist, sondern nur falsch angeschlossen.

Nicht alles, wo KI draufgeschrieben oder reingesteckt wird, bringt Sie weiter. Manches aber sehr. Und das schaut sich unser Kolumnist Jakob von Lindern aus dem Digitalressort von ZEIT ONLINE in jeder Ausgabe an. Wenn Sie ihm erzählen wollen, was Ihre KI so kann, schreiben Sie ihm an jakob.vonlindern@zeit.de

„Wir standen vor einem großen Nebel“, erzählt Fricke. Nur die Berichte über tatsächlich defekte Geräte wollten sie analysieren, aber die waren im selben Topf wie die anderen, uninteressanten. Also wurden einige Tausend Berichte von Menschen ausgewertet, und eine KI wurde mit den Ergebnissen trainiert. Seither klassifiziert das System alle Servicereports von Endress+Hauser, und zwar mit einer Genauigkeit von 97 Prozent.

Im Hype geraten alte Einsichten in Vergessenheit. Etwa die, dass man besser die richtige Technik für ein Problem sucht statt das passende Problem für eine Technik. Thomas Fricke wollte nicht auf Teufel komm raus ein KI-Projekt umsetzen. Er hatte ein bestimmtes Problem – und KI war das Werkzeug, mit dem er es lösen konnte.