Sollten Führungskräfte mutiger sein, Dr. Bibi Hahn?
AnzeigeDr. Bibi Hahn ist Co-CEO der Beratungsfirma Kienbaum. Das „E“ in ihrem Titel steht dabei für „Empowerment“. Täglich arbeitet sie mit Organisationen daran, ihre Führungsetagen fit für die Zukunft zu machen. Welche Fähigkeiten eine gute Chefin oder ein guter Vorgesetzter mitbringen sollte, erklärt sie im Interview.
Frau Dr. Hahn, Kienbaum ist sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Sektor tätig. Was sagen Sie: Hat sich die Lage in Sachen Fachkräftemangel mittlerweile verbessert?
Viele Unternehmen haben mittlerweile einen professionelleren Blick auf die Geschäftsmodelle der Zukunft und welche Arbeitsprofile diese verlangen. Auch ist vielen klar geworden, dass sie mehr in die Aus- und Fortbildung ihrer Mitarbeiter:innen investieren müssen. Das ist schon einmal positiv. Gleichzeitig besorgt der politische Rechtsruck unsere Klient:innen, denn er lockt natürlich keine Mitarbeiter:innen aus dem Ausland an. Um internationale Fachkräfte zu gewinnen, brauchen wir neue Rahmenbedingungen, die Deutschland als Standort attraktiver machen.
Mangelt es auch in deutschen Führungsetagen an Fachkräften?
Tatsächlich gibt es auch dort Engpässe. Immer wenn es wirtschaftlich etwas ruppiger zugeht, werden zwei Positionen besonders kritisch beäugt: die Geschäftsführung beziehungsweise Vorständ:innen und die CFOs. Für diese Positionen braucht es Führungskräfte, die nicht nur fachliche Expertise mitbringen, sondern vor allem Führungspersönlichkeit besitzen, mit der sie durch den Wandel navigieren können. Und die haben nun mal nicht alle.
Was muss eine gute Führungskraft heute leisten?
Im Wesentlichen sind es vier Kompetenzen, die wir identifiziert haben. Die erste Kompetenz ist „Brave Leadership“, also mutige Führung, auch in Zeiten von Unsicherheit. Die zweite besteht darin, Komplexität zu reduzieren. Mitarbeiter:innen brauchen Orientierung, und es ist die Aufgabe von Führungskräften, die nächsten Schritte aufzuzeigen. Wir nennen das immer: den Elefanten zerlegen und verdaubar machen. Drittens müssen Führungskräfte auch verstehen, wie sie Digitalisierung und KI für ihr Business am besten nutzen können. Und die vierte Kompetenz ist mein Lieblingspunkt: Resilienz und Zuversicht. Führungskräfte brauchen ein hohes Durchhaltevermögen und müssen den Mitarbeiter:innen Zuversicht vermitteln. Ohne toxisch positiv zu sein!
Führungskräfte brauchen ein hohes Durchhaltevermögen und müssen den Mitarbeiter:innen Zuversicht vermitteln. Ohne toxisch positiv zu sein!
Dr. Bibi Hahn, Co-CEO der Beratungsfirma Kienbaum
Kann eine Person all das leisten?
Eine Vorständin oder ein Geschäftsführer beherrscht meistens von allem etwas. Da kommen wir dann zur Königsdisziplin, zu der Board-Komposition: Führungskräfte sollten gemeinsam so funktionieren, dass alle vier Bereiche abgedeckt sind. Gelingt ihnen die Führung in transformativen Zeiten, schafft das eine Kultur des Vertrauens und der Zusammenarbeit, in der sie eine starke emotionale Bindung zu ihren Teams aufbauen.
Ist Führungskompetenz ein Talent oder ist sie erlernbar?
Unsere Persönlichkeiten sind nicht veränderbar. Die Persönlichkeit führt dazu, dass uns gewisse Dinge leichter fallen als andere. Führung ist zwar erlernbar. Aber mit der Zeit erkennt man, wenn Leute dafür ein Talent haben. Und man merkt auch, wenn Führungskompetenzen über einen sehr anstrengenden Weg erworben wurden.
Sie halten regelmäßig Vorträge über gute Führung, in denen Sie den Begriff „Fair Leadership“ verwenden. Was verstehen Sie darunter?
Beim Fair Leadership geht es darum, Mitarbeiter:innen so gerecht wie möglich auf ihrer beruflichen Laufbahn zu begleiten. Das fängt an beim Thema Rekrutierung, geht weiter zur Entwicklung bis hin zur Performance. Was brauchen Mitarbeiter:innen an Orientierung, an operativer Führung? Wann sind Mitarbeiter:innen gerecht bezahlt? Wann fördere ich manche schneller als andere? Und wann muss man sich von Mitarbeitenden verabschieden, wenn der Leistungsanspruch nicht mehr passt? Zu Fair Leadership gehört auch, Verantwortung zu übertragen und Wertschätzung zu vermitteln.
Wie unterscheidet sich Fair Leadership vom Brave Leadership?
Unter Brave Leadership verstehen wir eine Kombination aus strategischer und ethischer Führung. Beim Brave Leadership geht es um die Kombination klassischer und moderner Managementansätze, um Veränderungen bestmöglich zu gestalten. Führung durch Mut und Entschlossenheit spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn viele Organisationen haben bisher Entscheidungsangst und eine mangelnde Fehlerkultur. Besonders in diesen unsicheren und schnelllebigen Zeiten kann aber nicht alles zu 120 Prozent durchgedacht werden. Im Namen der Veränderung muss deshalb das kontrollierte Risiko eingegangen werden.
Das klingt nach einer echten Herausforderung.
In der Tat. Vor allem in Deutschland sind diese Ansätze nicht so verbreitet wie in anderen Ländern, wie zum Beispiel den USA. Doch wir glauben, dass neue Führungsprinzipien Organisationen zu Fortschritt verhelfen. Letztlich wird das auch unser Land weiterbringen.