ZEIT für X
Weinberg bei Sonnenuntergang

„Wir brauchen nicht nur Verbote, wir brauchen über­zeugende Argumente“

05. Oktober 2022
ZEIT Redaktion

Der trockene Sommer war auch für den Star-Winzer Fritz Keller eine Heraus­forderung. Im Gespräch fordert der Familien­unternehmer, die Menschen für Nach­haltigkeit zu sensibilisieren – und erklärt, was er selbst dafür tut.

Herr Keller, in welchem Zusammenhang beschäftigt Sie das Thema Nachhaltigkeit in Ihrer täglichen Arbeit besonders?

Fritz Keller: Zum einen bin ich Familien­unternehmer und Familien­unternehmer denken in Generationen für die Nachkommen in der Familie sowie im Team. Zum anderen muss ich auch als Winzer lang­fristig denken. Denn wenn wir einen Hang neu bepflanzen, dann dauert es zehn oder zwanzig Jahre, bis die Qualität eine Spitzen­ernte abwirft. Wir müssen die Pflanzen und die Böden so behandeln, dass sie auch unseren Kindern und deren Kindern in der Zukunft noch eine gute Ernte auf gesunden Böden und gesunde Pflanzen einbringen. Die Ernte in diesem Jahr ist nur ein kleiner Teil in der Lebens­dauer eines Rebstocks. Und wenn der gut gepflegt ist, kann er über 60 Jahre und älter werden.

Verspüren Sie trotzdem manchmal die Versuchung, vor allem die nächste Ernte zu optimieren?

Natürlich könnten wir in einem Jahr die Reben in einer Art anschneiden, um eine größere Menge Trauben hervor­zu­bringen. Aber dann wissen wir: Die Pflanze zahlt uns das in den nächsten Jahren heim. Also lassen wir das. Außerdem leidet die Qualität. Wichtiger ist es, die Bedürfnisse der Rebe zu beobachten, ihr zuzuhören und zu verstehen, was sie wirklich braucht. Wir wollen ja qualitativ wertige, von der Herkunft geprägte Weine machen und nicht in erster Linie möglichst große Mengen produzieren, auch wenn sich das vielleicht kurz­fristig lohnen könnte. Doch als Winzer braucht es in vielen Bereichen eben Ausdauer, Geduld und den Blick auch für die länger­fristigen Dinge.

Fritz Keller, 65, ist einer der bekanntesten Winzer, Weinhändler und Gastronomen der Republik. Seiner Familie gehört das Weingut Franz Keller am Kaiserstuhl, das nach eigenen Worten Wert auf einen umwelt­gerechten Weinanbau legt. Von 2019 bis 2021 war Keller zudem Präsident des Deutschen Fußball-Bundes und zuvor Präsident des SC Freiburg.

Mussten Sie in diesem Sommer abwägen, ob Sie die Pflanzen wässern, auch wenn Sie damit dem Boden an anderer Stelle Grund­wasser entziehen?

Natürlich macht uns die Trockenheit zu schaffen. Wir bewässern grundsätzlich nur junge Reben, um deren Über­leben zu sichern. Wir erziehen unsere Reben so, dass sie tief wurzeln und damit beim Wein eine größere Komplexität und Tiefgang geben. Somit hat die Rebe eine größere Über­lebens­chance. Nur in Notfällen werden ältere Reben aus biologisch wertvollen Steil­lagen und Klein­terrassen „per Tröpfchen“ bewässert. Im Übrigen braucht man für eine Tröpfchen­bewässerung, mit der wir arbeiten, nur 20 Prozent der Wasser­menge, die bei einer groß­flächigen Beregnung nötig ist. Wenn sich die Niederschlag­situation noch verschärfen würde, müssen wir natürlich neue Über­legungen anstellen. Um so viel wie möglich Wasser zu sparen, arbeiten wir bereits in natürlicher Weise mit Beschattung über Begrünung und Stroh­abdeckung.

Wie beeinflusst die Klima­veränderung den Weinbau und die Wein­qualität jetzt und in Zukunft?

Wir spüren natürlich, wie sich das Klima verändert und es auch bei uns wärmer wird. Meine Großmutter hat noch sechs Wochen später geerntet als wir es heute tun – meist im Oktober statt im August. Und damit wir in ein paar Jahren oder Jahr­zehnten überhaupt noch ernten können, müssen wir uns mit dem Klima­wandel ernsthaft aus­einander­setzten und ihm entgegen­wirken. Das setzt aber voraus, dass wir als Gesellschaft zu einem besseren Austausch finden, andere Meinungen akzeptieren lernen und anders­denkende Menschen zu überzeugen versuchen, statt sie in eine Schublade zu stecken. Gleich­zeitig müssen wir aber abwägen, was sich die Gesellschaft im Moment leisten kann. Wir brauchen dafür nicht nur Verbote und immer mehr Einschränkungen der Kreativität, wir brauchen über­zeugende Argumente. Und wir brauchen bessere politische Rahmen­bedingungen, sowie Anreize für diejenigen, die schon jetzt vorbild­haft handeln und Veränderung in ihrer Arbeit nicht scheuen.

Inwiefern?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir bewirtschaften unsere Weinberge biologisch mit bio-dynamischen Ansätzen. Auch sehr kleine Terrassen, die für größere Maschinen ungeeignet sind, würden ohne die Handarbeit brach liegen. Dank unserer Bewirtschaftung der Reben bleiben Biotope erhalten, die voller Schlupf­wespen, Wild­bienen und anderer Insekten sind. Mit viel Handarbeit tragen Winzerinnen und Winzer einen sehr hohen Beitrag zur Biodiversität bei – sie sind Natur­schützerinnen und Land­schafts­pfleger! Aber jetzt gibt es eine Gesetzes­initiative der EU, die uns im Weinbau und anderen Bereichen der Land­wirtschaft den Einsatz von sogar biologischem Pflanzen­schutz weit­gehend unter­sagen soll. Das ist absoluter Unsinn – und nur zu erklären durch die Verstädterung der Hirne.

Was meinen Sie, wenn Sie von einer „Verstädterung der Hirne“ sprechen?

Ohne die Behandlung von Pflanzen durch entsprechende, auch biologischen, Schutz­mittel gibt es schlicht und ergreifend nichts zu futtern. Ein gemäßer Einsatz nach dem Grundsatz „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“ ist schon in vielen Bereichen der Land­wirtschaft das Credo, und das gilt auch für uns im Bio-Weinbau. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Stadt­menschen (Verbraucher und in der Politik), die sich vielleicht weniger mit der Arbeit in der Land­wirtschaft und der Natur beschäftigen, das nicht nach­voll­ziehen können. Deswegen kommen sie auf die Idee, sogar den biologischen Pflanzen­schutz zu begrenzen. Leider führt dies jedoch zur Demotivation jener, die etwas verändern wollen. Ähnlich ist es, wenn es um die Regulierung der Arbeits­bedingungen geht.

Was meinen Sie genau?

Die Arbeitsbedingungen sind in der Landwirtschaft sehr vom Wetter und vom Klima bestimmt. Wenn es morgen regnen soll, dann muss ich halt heute bis spät in den Abend arbeiten, sonst ist die Ernte hinüber. Und mach dann morgen frei. Aber in der Arbeits­gesetz­gebung wird das kaum berück­sichtigt, weil die Menschen am Schreibtisch sich gar nicht mehr vorstellen können, wie die Winzerinnen oder Landwirte arbeiten. Sie verstehen auch nicht, dass unsere Saison­hilfen aus ost­europäischen Ländern, ohne die es im Übrigen auch keinen Gemüse- und Obst­anbau in Deutschland geben würde, möglichst ohne viele Pausen­tage arbeiten wollen, wenn sie hier sind, um dann lange am Stück frei zu haben, wenn sie wieder zuhause bei ihren Familien sind. Dadurch sind auch ihre Abzüge, zu denen wir verpflichtet sind, für die Unterkunft und Verpflegung natürlich deutlich geringer.

Von welchem Bereich unserer Gesellschaft sollten dann nach Ihrer Auffassung die entscheidenden Impulse für die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit kommen: von der Politik, der Wirtschaft, dem Markt oder der Zivil­gesellschaft?

Landwirtschaft braucht dringend eine höhere Wert­schätzung und mehr Anerkennung. Die gesamte Zivil­gesellschaft ist gefordert, und dafür müssen wir alle Mitmenschen für das Thema Nach­haltigkeit sensibilisieren. Dafür müssten Kinder schon in der Schule lernen, wie Lebens­mittel produziert werden und wie nach­haltiges Wirtschaften funktioniert. Und dazu gehört zum Beispiel, weniger Lebens­mittel weg­zu­schmeißen. Wir müssen wieder lernen, was meine Oma wusste: dass man mit Speise­abfällen die Schweine füttern kann. Oder, ein Beispiel aus früheren Zeiten, dass man im Winter „zu Lichte geht“, wie es zu ihrer Zeit hieß: In einer Straße heizt nicht jeder sein Wohnzimmer ein, sondern nur einer, bei dem sich dann die Nachbarn treffen. Das wäre in der aktuellen Energie­krise besonders sinn­voll. Auf die heutige Zeit übertragen, wäre es mal sinnvoll, gemeinsam ein Fußball­spiel anzuschauen, statt jeder bei sich.

Von der Landwirtschaft und damit auch der Wein­wirtschaft wird, durchaus zurecht, mehr Nach­haltigkeit verlangt. Das kostet die Betriebe mehr. Was halten Sie von dem Vorschlag, diese Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu bezahlen um die Preise für die Lebens­mittel zu entlasten?

Grundsätzlich birgt die Einmischung des Staates in die Markt­wirtschaft auch viele Gefahren und verhindert sehr oft die selbst regulierende Kraft des Marktes. Jedoch ist es bei Lebens­mitteln und der Land­wirtschaft wichtig, auch hier eine gewisse Autarkie eines Landes zu erhalten, wie wir jetzt schmerz­haft bei der Energie­wirtschaft fest­stellen können. Sinnvolle Subventionen für nach­haltige Modernisierung und Neu­gründungen sind punktuell in dem Bereich nützlich und notwendig, solange sie nicht die Kreativität, die Eigen­dynamik und den schnellen Fortschritt verhindern – denn all das ist immer wieder auch in der Land­wirtschaft notwendig, um die Menschen zu ernähren. Um den Arbeits­alltag der Bäuerinnen und Landwirte zu erleichtern, wäre mit Büro­kratie­ab­bau schon viel geholfen. Auch Steuer­vergünstigungen und schnellere Abschreibungen für nach­haltig arbeitende Betreibe, aber auch für die Umrüstung und den Erhalt von biologisch bewirtschaftenden Flächen, würden dazu beitragen. Der büro­kratische Aufwand bindet unnötig Arbeits­kräfte, von denen wir ohnehin zu wenige haben. Es würde auch helfen, wenn der Staat einfacher Menschen ins Land lassen würde, die gerne in der Land­wirtschaft, im Handwerk, in der Pflege und in der Gastronomie arbeiten. Diejenigen, die da sind, müssen auch eine Arbeits­genehmigung erhalten. Es müssen eben­falls Anreize geschaffen werden, die einem selbst und der Wirtschaft guttun. Es braucht mehr Menschen im Land, die ihren Beitrag zum Brutto­inlands­produkt leisten, auch in Anbetracht der schwierigen demografischen Situation, in der wir uns befinden.

In einer Marktwirtschaft braucht es sowohl auf Seite des Angebotes wie auch auf Seite der Nachfrage immer eine Über­einkunft über die Ziele. Nehmen Sie veränderte Erwartungen auf der Konsumenten­seite an Ihre Produkte und Dienst­leistungen wahr?

Früher standen kräftige und alkoholreiche Weine hoch im Kurs. Wir haben schon vor Jahren auf Reben gesetzt, die weniger Zucker und somit weniger Alkohol bilden, dafür aber eine viel­schichtige und tief­gründige Qualität bringen. Damit das klappt, muss jede Beere, die man erntet, sauber sein, sonst schmeckt man das hinterher. Heute sind die einfachen süßen und schweren Weine out und unsere Weine – leichter im Alkohol, jedoch mit authentischem Geschmack ¬– weltweit gefragt. Von unseren Spät­burgunder­weinen und weißen Burgunder­weinen hätten wir in diesem Jahr ein Mehrfaches verkaufen können. Natürlich wird bei vielen Menschen das Geld jetzt knapper, aber unsere Kundinnen und Kunden sind uns treu – vielleicht auch, weil sie lieber einmal weniger nach Mallorca fliegen als auf einen guten Wein zu verzichten. Wir sind uns deutlich bewusst, dass wir hier einen Wein mit Anspruch und Herkunft erzeugen, der deutlich über dem Durch­schnitts­preis liegt. Daher sind neue Wege gefordert. Wir merken verstärkt, dass sich gerade die jüngeren Konsumenten für die nachhaltig bewirtschafteten Weine interessieren.

Erhöhen Sie denn die Preise, wenn die Nachfrage nach Ihren Weinen so ungebrochen ist und zugleich auch Ihre Energie­kosten steigen?

Uns bleibt gar nichts anderes übrig, sonst gibt es uns irgendwann nicht mehr. Alternativ könnten wir auf den Bio-Anbau verzichten, aber das ginge auf Kosten des Geschmacks und unserer Über­zeugung – und das kommt für uns nicht infrage. Mein Sohn Friedrich arbeitet inzwischen als Co-Geschäfts­führer und ist für das Weingut verantwortlich. Ich bin wirklich happy, dass er von der Ökologie und der Nach­haltigkeit über­zeugt ist und beides so mutig umsetzt – genau wie es unsere Kolleginnen und Kollegen im Verband Deutscher Prädikats­wein­güter (VDP) tun, die einheitlich beschlossen haben, bis 2025 voll­ständig zertifiziert nachhaltig in sozialer, ökologischer und ökonomischer Art und Weise zu arbeiten und heute schon ein Fünftel von den ökologisch bewirtschafteten Weinbergen verantworten.