ZEIT für X

Helfen Virtual-Reality Anwendungen dabei, Pflege-Skills zu lernen?

21. September 2023
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Ein Artikel der Hochschule Furtwangen

Virtuelle Lernumgebungen werden immer realistischer, auch für das Üben von Fertigkeiten in Gesundheits­berufen. Aber sind sie wirklich geeignet, um Pflege-Skills zu lernen? Eine aktuelle Studie der Hochschule Furtwangen geht dieser Frage nach.

Das Erlernen von praktischen Fertigkeiten (sog. Skills), zum Beispiel das Legen eines Blasen­katheters oder das Wechseln einer Tracheal­kanüle, spielt in der Ausbildung in der Pflege und anderen Gesundheits­fach­berufen eine bedeutende Rolle. Klassischer­weise werden diese Fertigkeiten unter Anleitung in der Praxis gelernt. Angesichts der angespannten Personal­lage wird die Praxis­anleitung von Studierenden und Auszubildenden aber zunehmend zu einer Belastung, so dass Fertigkeiten oft nur noch unzureichend angeleitet und geübt werden können – mit entsprechenden negativen Folgen für die Versorgungs­qualität. Daher haben sich sogenannte Skills-Labs als Lernräume etabliert, in denen Studierende in simulierten Szenarien gefahrlos lernen und üben können. Dabei wird mit anderen Lernenden, Schauspiel­patient:innen und vor allem mit Simulations­puppen gearbeitet.

VR Anwendung zum Trainieren des Absaugens.
© Hochschule Furtwangen VR Anwendung zum Trainieren des Absaugens.

Lernen im Skills-Lab ist effektiv, aber auch mit sehr großem Raum-, Zeit- und Personal­bedarf verbunden. Eine nahe­liegende Alternative ist daher das Lernen in der Virtuellen Realität (VR). Immersive VR-Brillen, mit denen Nutzende völlig in eine virtuelle Welt eintauchen können, werden immer besser und günstiger. Inzwischen sind vielfältige VR-Lern­anwendungen verfügbar, die ein effizientes orts- und zeit­unabhängiges Lernen versprechen. Durch die Corona-Pandemie rückte diese Lernform noch stärker ins Blick­feld, weil das Lernen in Präsenz nur eingeschränkt möglich war. Bisher weiß man jedoch wenig darüber, wie gut das Lernen in VR im Vergleich zu anderen Lernformen funktioniert und von welchen Gestaltungs­faktoren das abhängt. So setzen zum Beispiel die meisten kommerziellen Angebote auf eine aufwändige, möglichst realistische visuelle Darstellung. Aber ist das zum Lernen wirklich vorteilhaft? Oder wäre eine bewusste Reduktion von Komplexität didaktisch sinnvoller?

Beispielhafte Schritte beim Absaugvorgang in der VR Anwendung.
© Hochschule Furtwangen Beispielhafte Schritte beim Absaugvorgang in der VR Anwendung.

Ziel des Forschungsprojektes xR-Skills-Lab war es, hier etwas Licht ins (virtuelle) Dunkel zu bringen. Dazu führten die Wissen­schaftler:innen im Projekt zunächst eine systematische Literaturanalyse durch. Das Ergebnis war eher ernüchternd: Zwar wurden vor allem in den USA und in Asien einige Arbeiten zum Lernen mit VR publiziert. „Allerdings gibt es keine einheitliche Definition von VR, so dass hier sehr unterschiedliche Simulations­anwendungen in einen Topf geworfen werden, auch solche, die gar keine immersive Interaktion nutzen“ erläutert Christian Plotzky, Doktorand am Institut Mensch, Technik, Teilhabe der Hochschule Furtwangen. Von über 9000 gescreenten Artikeln konnten letztlich nur 22 Studien identifiziert werden, in denen das Lernen pflegerischer Fertigkeiten in VR untersucht wurde. Die Studien zeigen eine hohe Lern­zu­friedenheit beim Lernen mit VR und legen nahe, dass dieses dazu beiträgt, den Umgang mit Stress­situationen zu üben. Keine Aussagen ließen sich hingegen zu Lern­ergebnissen machen, also ob die Lernenden die geübten Fertigkeiten dann in der Praxis wirklich (besser) können. Ebenso lassen sich keine Aussagen zum Interaktions­design und zum didaktischen Design ableiten.

xR-Lernen in den Gesundheits­studien­gängen der Hochschule Furtwangen

Ein grundlegendes Verständnis anatomischer und physiologischer Grundlagen sowie das Erlernen von psychomotorischen Fertig­keiten sind elementarere Bestand­teile der Ausbildung in den Gesundheits­fach­berufen. An der Hochschule Furtwangen wurden dafür ein inter­professionelles Skills-Labs eingerichtet, das in den grund­ständigen Studien­gängen Physiotherapie (B.Sc.) und Hebammenwissenschaft (B. Sc.) als Lernort genutzt wird. Aufbauend auf den Forschungs­ergebnissen werden ergänzend dazu auch hier xR-gestützte Lern­anwendungen eingesetzt und eigene Anwendungen für spezielle Lern­kontexte selbst entwickelt. So wird zum Beispiel im Projekt AR-Birth eine Anwendung entwickelt, mit der angehende Hebammen ein besseres Verständnis der Zusammen­hänge von Becken­formen, Lage und Haltung des ungeborenen Kindes für die Geburts­mechanik erlernen können. Durch die gezielte Nutzung verschiedener Lern­medien und didaktischer Ansätze wird so eine hoch­wertige Ausbildung sicher­gestellt.

Um hier zu mehr Erkenntnissen zu kommen, führten die Wissenschaftler:innen im Projekt erstmals eine randomisierte Studie mit 170 Pflegeauszubildenden durch. Dabei wurde das Lernen des endotrachealen Absaugens in einer VR-Anwendung mit einer Kontrollgruppe verglichen, welche die gleiche Prozedur über Videodemonstrationen lernte. Hinter wurde das Lernergebnis durch einen Wissenstest und eine standardisierte Prüfung der Fertigkeit an einer Simulationspuppe verglichen. Zudem wurden die Lernenden zu ihren Erfahrungen befragt. Das Ergebnis wirkt auf den ersten Blick überraschend: Während es im Wissenserwerb keinen Unterschied zwischen den Gruppen gibt, scheidet die VR-Gruppe beim Erwerb der Fertigkeiten etwas schlechter ab als die Kontrollgruppe. Ist das Lernen in VR also eher kontraproduktiv? „Das kann man so nicht sagen“, erläutert Christian Plotzky mit Blick auf die qualitativen Ergebnisse der Studie. Zum einen zeigten die Lernenden der VR-Gruppe eine höhere Motivation und Lernzufriedenheit als die Kontrollgruppe. Außerdem kann das Lernen in einer immersiven Umgebung gerade für Lernende ohne Vorerfahrungen mit VR-Brillen überwältigend wirken, was vom Lernen ablenkt. Auf der anderen Seite bereitet dies auf den „Ernstfall“ vor und könnte zu einem besseren Transfer in die Praxis beitragen. „Für ein ideales Lernergebnis sollte das Lernen mit VR-Anwendungen daher mit anderen Lernformen kombiniert werden“, so die Pflegepädagogin Barbara Lössl, die ebenfalls an der Studie mitgewirkt hat. VR-Lernanwendungen sind also eine sinnvolle Ergänzung, aber kein Ersatz traditioneller Lernformen.

Wir danken unseren Projektpartnern und allen teilnehmenden Praxiseinrichtungen und den Proband:innen für ihre Unterstützung. Die hier beschriebenen Forschungsarbeiten wurden durch das Land Baden-Württemberg gefördert (Projekte XR-Skills-Lab und EmpowVR).

Neugierig geworden?

Wenn Sie mehr zum Forschungsprojekt und zum VR-gestützten Training erfahren wollen, schauen Sie sich gerne die Videos an.

Video zum Projekt xR-Skills-Lab – Forum Gesundheitsstandort BW
Erklärvideo aus dem Projekt zum VR-gestützten Lernen