Gedankenaustausch in München
Die Auftragsbücher sind voll, die Lager leer. Und Personalabteilungen jammern, weil keine Fachkräfte zu finden sind. Vor allem kleinere und mittelständische Firmen in Deutschland kämpfen gerade mit massiven Problemen.
Wer heute mit Firmengründern, Geschäftsführerinnen oder Unternehmen spricht, hört oft ähnlich klingende Klagen. Erst kam Corona, jetzt verschärft der Ukraine-Krieg die Lieferengpässe. Bei der Veranstaltung „ZEIT für Unternehmer Bayern“ im Hotel Sofitel Bayerpost in München war es nach langer Pause Anfang Juli endlich wieder möglich, sich persönlich zu treffen. Rund 300 Unternehmenschefs und Firmenlenkerinnen hatten sich angemeldet, um miteinander zu reden und Antworten auf die Frage zu finden: „Wie werden wir in Zukunft arbeiten?“
Jens Tönnesmann, Wirtschaftsredakteur der ZEIT, umriss die Lage so: „Viele Unternehmen haben so viele Aufträge wie noch nie, aber sie können sie nicht abarbeiten. Sogar die Entwicklungsabteilung ist nicht mehr innovativ, sondern tüftelt nur noch daran, Engpässe zu umgehen.“ Hinzu kommen altbekannte Probleme wie etwa die Nachfolgeregelung. So wollen sich in den nächsten Jahren etliche Firmenchefs und Firmenchefinnen aus ihrem Unternehmen zurückziehen, finden aber niemanden, der den Betrieb übernimmt. Tönnesmann stellte in diesem Zusammenhang Ergebnisse der großen Mittelstandsstudie vor, die die Redaktion von ZEIT für Unternehmer gemeinsam mit der Stiftung „In guter Gesellschaft – Stiftung für zeitgemäßes Unternehmertum“ angestoßen hat. Für die Studie hat das Beratungsunternehmen aserto 400 Unternehmerinnen und Unternehmer aus ganz Deutschland befragt – mit überraschenden Ergebnissen: So gaben etwa 21 Prozent der Unternehmerinnen an, dass sie sich „oft hin- und hergerissen zwischen Familie und Unternehmen“ fühlten. Unter den männlichen Chefs waren es sogar noch mehr: Laut der Studie leiden 32 Prozent unter dem Spagat zwischen Familie und Firma. Anke Rippert, die die Stiftung gegründet hat und leitet, kennt die Anforderungen: „Man trägt eine enorme Verantwortung und muss immer Vorbild sein“, sagte Rippert. Als Tönnesmann ausführte, dass laut Studie 82 Prozent der Befragten „hohe bürokratische Hürden in Deutschland“ beklagten, ging ein zustimmendes Raunen durch den Saal: So unterschiedlich die Produkte auch sein mögen, die Probleme der Firmen sind oft ähnlich, mitunter sogar gleich.
Fachkräftemangel, Bürokratie – Die Probleme der Unternehmen decken sich
Zuversicht verbreitete dann Peter Thomas Sany, leitender Berater bei Zoom, dem Software-Anbieter für Onlinekonferenzen. Der passionierte Bergsteiger sprach über das „hybride Arbeiten der Zukunft“ zwischen Homeoffice und traditionellem Büro – und erntete gleich einige Lacher, als er erzählte, dass er sich bei jedem beruflichen Termin heute frage: „Lohnt es sich wirklich, dafür in den Zug zu steigen?“ Anstatt einer „Misstrauenskultur, bei der Vorgesetzte durch die Gänge laufen und die Anwesenheit der Mitarbeiter kontrollieren“, forderte Sany „mehr Vertrauen“. Positiv sei, dass sich künftig die Kosten für Büroräume wohl um bis zu 70 Prozent reduzierten. Das eingesparte Geld solle man dann aber am besten sofort wieder in Zukunftstechnik investieren, so Sany.
Um neue Tools und modernes Arbeiten drehten sich dann auch die Masterclasses: Die Teilnehmenden konnten vormittags und nachmittags aus mehreren Seminaren wählen. Da bei vielen Unternehmerinnen und Unternehmern der berufliche und familiäre Bereich eng verzahnt ist, waren unter anderem Dr. Christian Reiter und Verena Wiedmann von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO zu Gast. Sie erklärten, welche Steuergesetze beachtet werden müssen, wenn die übergabe der Firma ansteht oder Vermögen vererbt wird.
Den Fachkräftemangel, der mitunter dazu führt, dass die IT-Abteilung nicht besetzt werden kann, hatte Monika Schütz im Blick, die den Mittelstand beim Software-Anbieter Adobe betreut: Unter dem Stichwort „Marketing und Vertriebstechnologie als Wachstumsturbo“ erklärte sie, wie sich einzelne Tools nutzen lassen, um in Echtzeit Kundenaktivitäten nachzuvollziehen, Daten zu sammeln und zu nutzen. Das Büro als „Keimzelle der Veränderung“ stand bei Ulrich Maier, dem Deutschlandchef von Vitra im Vordergrund. Corona habe eine neue Dynamik und einen Wertewandel gebracht. Das hybride Arbeiten werde künftig noch wichtiger, also die zeit- und ortsunabhängige Form der Arbeit, bei der Arbeitnehmende nicht mehr jeden Tag im Büro verbringen, sondern teilweise außerhalb arbeiten. Fazit der Veranstaltung: Das Büro kann jetzt überall sein – aber sich zu treffen, ist auch sehr schön.