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Schüler:innen arbeiten am Laptop

Bildungs­expert:innen fordern Pflichtfach Informatik

21. November 2022

Das Expert:innengremium der KMK empfiehlt im Gutachten zur Digitalisierung tiefgreifende Veränderungen im Bildungs­system.

von Florentine Anders, Studio ZX

Die Expertinnen und Experten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultus­minister­konferenz sind sich bewusst, dass sie mit dem neuen Gutachten zur Digitalisierung im Bildungs­system der Politik einiges zumuten. „Wir stehen vor epochalen Veränderungen“, sagte der Co-Vorsitzende des Wissenschafts­gremiums, Olaf Köller, bei der Vorstellung der Empfehlungen. Darin sind eine Reihe von Maßnahmen aufgelistet, die in den kommenden Monaten und Jahren im Bildungs­system unternommen werden müssen, um einer zunehmend digitalen Welt gerecht zu werden. Dabei haben die Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftler nicht nur die Schule, sondern alle Bildungs­etappen von der Kita bis zur Hochschule in den Blick genommen.

Verbindliche digitale Bildungs­pläne für die Kitas

Digitale Medienbildung sei in der frühkindlichen Bildung unter­entwickelt, einige Bildungs­pläne würden sogar eine aus­schließlich negative Sicht auf digitale Medien vermitteln, heißt es in dem Gutachten. Oft über­wiege auch bei den Eltern die Angst vor Gefahren des unkontrollierten Medien­konsums. Dabei gebe es Tools, die für die sprachliche oder auch mathematische Entwicklung gut genutzt werden können. Zudem sollten elementare Informatik­kenntnisse auf­gebaut werden, praktisch als Vor­läufer­fähigkeiten für das algorithmische Denken und Programmieren. Die SWK empfiehlt, die frühe digitale Medien­bildung in allen Bildungs- und Orientierungs­plänen der Länder als eine verpflichtende Aufgabe für die Kita­träger auf­zu­nehmen. Medien­pädagogische Inhalte und Elementar­informatik würden folglich auch verbindlich in die Aus- und Weiter­bildung der Erzieherinnen und Erzieher gehören. Zudem müsse die nötige Infra­struktur und eine digitale Plattform mit geeigneten Lehr- und Lern­materialen zur Verfügung gestellt werden.

Einführung des Pflicht­fachs Informatik an Schulen

Für den Bereich der allgemeinbildenden Schulen sei es laut Gutachten „dringend erforderlich“, digitale Tools für den Fach­unterricht theoretisch und empirisch fundiert zu entwickeln. Dies könne nicht den Lehrkräften oder dem freien Markt allein über­lassen werden. Die SWK empfiehlt dazu die dauer­hafte Einrichtung länder­über­greifender Zentren für digitale Bildung. In diesen Zentren sollen Expertinnen und Experten aus der Praxis, aus der Fortbildung, aus der Wissenschaft und von Unternehmen gemeinsam Materialien und didaktische Konzepte für den Einsatz im Unterricht entwickeln und dann für den Transfer in die Breite sorgen. Ein erster Schritt in diese Richtung könne das bisher befristet angelegte Programm des Bundes­bildungs­ministeriums für die Einrichtung von „Kompetenz­zentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiter­bildung im MINT-Bereich“ sein.

Bereits in der Primarstufe sollen Inhalte der Informatik verpflichtend unterrichtet werden, jedoch nicht als eigenes Fach, sondern im Rahmen des Sach­kunde­unterrichts. Bisher liege der Schwerpunkt in der Grund­schule vor allem auf Medien­kompetenzen und auf Grund­fertigkeiten im Umgang mit dem Computer, weniger auf informatischen Kenntnissen. Informatik müsse entsprechend auch zum Pflicht­modul in der Ausbildung der Grund­schul­lehr­kräfte im Fach Sach­unterricht werden.

In der Sekundarstufe I sollte den Empfehlungen zufolge Informatik dann als eigen­ständiges Pflichtfach eingeführt werden, und zwar bereits ab dem Schuljahr 2024/25. Zunächst wird ein Umfang von vier Wochen­stunden in der Stunden­tafel empfohlen, lang­fristig dann sogar von sechs Stunden pro Woche. Die Zahl der Stunden bezieht sich jedoch auf alle Jahr­gangs­stufen der Mittel­schule. Sollte das Fach beispiels­weise über zwei Jahre, etwa in der achten und neunten Klasse, unterrichtet werden, würden sich die vier Stunden auf zwei Wochen­stunden in jeder Jahr­gangs­stufe verteilen. Empfehlungen dazu, in welchen Fächern dafür Stunden reduziert werden sollten, macht die SWK nicht.

Auch in der Sekundarstufe II soll das Informatik-Angebot ausgebaut und der MINT-Fächer­gruppe zugeordnet werden. Ziel sollte sein, damit mindestens ebenso viele Schülerinnen und Schüler zu erreichen wie etwa mit den Fächern Chemie oder Physik. Die SWK empfiehlt, die Vorgaben für die Abitur­prüfung so zu regeln, dass mindestens ein Prüfungs­fach aus der MINT-Fächer­gruppe stammen muss.

Alternative Ausbildungs­wege für Informatik-Lehrkräfte

Um die nötigen Lehrkräfte für das Fach Informatik zu gewinnen, schlägt die SWK kurzfristige Über­gangs­maßnahmen und auch lang­fristige Qualifizierungen vor. Als Sofort­maßnahme sollen die Landes­institute zeitlich verkürzte Fort­bildungs­kurse anbieten, die später in länger­fristige Qualifizierungen eingebunden werden und schließlich mit einem Zertifikat zur Lehr­befähigung enden. Diese berufs­begleitende Ausbildung für ein Drittfach Informatik sollte durch eine Reduzierung der Unterrichts­verpflichtung gefördert werden.

Ein weiterer vorgeschlagener Weg sind Seiten- und Quer­einstiegs­programme. Dabei soll für das Fach Informatik der „Ein-Fach-Seiten­einstieg“ bevorzugt werden. Die Qualifizierung erfolgt dann über zwei Jahre berufs­begleitend. Der Quer­einstieg für Menschen mit Abschlüssen aus IT-Berufen soll erleichtert werden.

Zudem müssten auch die Lehr­amts­studien­gänge für das Fach Informatik attraktiver werden. Die SWK schlägt deshalb vor, dass es für das Lehramt Informatik auch die Option eines „Ein-Fach-Studiums“ geben soll, das lauf­bahn­rechtlich den Zwei-Fächer-Studien­abschlüssen gleich­gestellt ist.

Modernisierung der Lehrpläne der beruflichen Bildung

Die Veränderungen, die die Digitalisierung in den meisten Berufen mit sich bringt, werden derzeit nicht ausreichend in den Lehrplänen abgebildet, konstatiert die SWK in ihrem Gutachten. Statt einer proaktiv ausgerichteten Berufs­ausbildung, die zur Mit­gestaltung des Wandels befähigt, sei eher eine Anpassungs­strategie zu beobachten.

Das Expertengremium empfiehlt, enge Berufs­zuschneidungen in den beruflichen Schulen aufzulösen, denn diese würden es schwerer machen, Veränderungen in der Arbeits­welt schnell aufzugreifen. Stattdessen sollen in einer beruflichen Grund­ausbildung neben berufs­feld­bezogenen Kern­kompetenzen auch sogenannte Future Work Skills aufgenommen werden, die dazu befähigen, die Anwendungen der digitalen Technologien kritisch zu reflektieren. Um den großen Aufwand bei der Erarbeitung der Lehrpläne zu minimieren, sollten Berufs­schulen mit den gleichen Lernfeldern verstärkt kooperieren.

Digitalisierung verbindlich in der Lehrer­ausbildung verankern

Bisher sind digitalbezogene Inhalte kaum durchgängig und verbindlich in der Lehrer­ausbildung verankert. Auch die Erprobung digitaler Medien in den Praxis­phasen findet kaum statt, heißt es in dem Gutachten. Die SWK empfiehlt, dass die Länder einen gemeinsamen Referenz­rahmen für digitalisierungs­bezogene Kompetenzen vereinbaren.

Lern- und Erfahrungsräume (z. B. in Lehr-Lern-Laboren an Hochschulen) sollten die Erprobung digitaler Medien und die gemeinsame Reflexion ihres Einsatzes ermöglichen, wie es auch die Hoch­schul­rektoren­konferenz fordert. Lehr­amts­studierende sollten dabei in Seminaren vorbereitet und begleitet werden.

Angesichts des zunehmenden Bedarfs an Spezialistinnen und Spezialisten im digitalen Bereich sollten die Hoch­schulen auch Qualifizierungs­angebote entwickeln, beispiels­weise für pädagogisch-technische Assistentinnen und Assistenten, die die Lehrkräfte im Umgang mit den digitalen Systemen an der Schule unterstützen.

Auch für die Fortbildung der Lehrkräfte empfiehlt die SWK, dass die Länder stärker zusammen­arbeiten und gemeinsame Eckpunkte in Bezug auf die Digitalisierung entwickeln.

Digitale Kompetenzen in der Hoch­schul­bildung stärken

Digitale Kompetenzen sind laut Gutachten bisher nicht ausreichend in den Curricula der Hoch­schul­bildung verankert. Die Dozierenden schätzen ihre eigenen Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Technologien als niedrig ein. Um Studierende auf künftige wissenschaftliche und gesellschaftliche Anforderungen vor­zu­bereiten, müssten allgemeine und fach­spezifischen digitale Kompetenzen in die Lehrpläne aufgenommen werden. Dozierende sollten in Fortbildungen für die Lehre mit digitalen Medien qualifiziert werden.

Die SWK empfiehlt als Minimalstandard, dass jede Hochschule den Studierenden Lern­material auch digital zur Verfügung stellt und dass alle Dozierenden digital erreichbar sind. Jede Hochschule sollte zudem eine Infrastruktur für digitale Prüfungen aufbauen.

Reaktionen der Kultus­ministerien auf die Empfehlungen der SWK

Wie die Kommission sind wir auch der Überzeugung, dass die Digitalisierung ein sehr zentraler, zugleich aber auch langer Prozess der Weiter­entwicklung des Bildungs­systems in allen Bildungs­etappen sein wird , sagte Karin Prien, Präsidentin der Kultus­minister­konferenz und Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein.

Ties Rabe (SPD), Hamburgs Senator für Schule und Berufs­bildung sagte zu den Vorschlägen: „Die Ständige Wissenschaftliche Kommission gibt mit diesem Gutachten wichtige und konkrete Handlungs­empfehlungen. Dazu zählt insbesondere der Vorschlag, in allen Bundes­ländern in der Mittelstufe das Schulfach Informatik einzuführen. Ich finde diesen Vorschlag sinnvoll. Es ist allerdings ein umfang­reiches Unter­fangen, bedeutet es doch, dass in anderen Schul­fächern Stunden gestrichen werden müssen, um Informatik zu ermöglichen. Zudem müssen wir zusätzliche Lehrkräfte gewinnen, neue Bildungspläne und Unterrichts­material entwickeln.”

Ähnlich äußerte sich der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU): „Die Notwendigkeit, in unseren Anstrengungen für die Weiter­entwicklung der digitalen Unterrichts­angebote nicht nach­zu­lassen, ist uns in den Ländern sehr bewusst. Bei neuen Unterrichts­inhalten und -angeboten stellt sich aber stets die Frage, auf welche anderen wir statt­dessen verzichten können. Hier erhoffen wir uns ebenso Hinweise und Empfehlungen der Wissenschaft, da man nicht alles, was Schule künftig leisten soll, immer noch obendrauf packen kann.“

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