ZEIT für X
Generationswechsel

Generationswechsel I

01. November 2023
ZEIT Redaktion

Eine halbe Million Unter­nehmer­innen und Unter­nehmer wollen bis 2026 ihre Nachfolge regeln. Von nun an stellen wir Ihnen in jeder Ausgabe Menschen vor, denen das gelungen ist. In Folge eins geht es um einen Unter­nehmer, der seinen Nachfolger adoptierte

von Leon Igel

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 3/2023“. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.

Vorgänger

„Wenn ich einmal im Himmel von meiner Wolke herabschaue, soll auf den Firmengebäuden noch immer in Großbuch­staben ›BINDER‹ stehen. Wir Binders sind Unternehmer. Vor dem Ersten Weltkrieg hatten wir eine Schuh­fabrik, danach eine Metall­waren­fabrik, und 1983 habe ich mein Unternehmen gegründet. Nun trägt mein Sohn Michael unseren Namen – und das ehrt mich sehr. Er hat sich dazu aus freien Stücken entschieden. Und damit wird auch unser Name fortbestehen.

Michael ist 2008 in mein Leben getreten. Meine jetzige Frau hatte für ihren Sohn ein Praktikum gesucht, ich hatte ihm eine Stelle in unserem Unternehmen in Malaysia ermöglicht. Michael hat sich bewährt – und ist geblieben. 2013 habe ich seine Mutter geheiratet, mein richtiges Leben begann. Vor zwei Jahren habe ich Michael dann adoptiert, nun sind wir offiziell eine Familie. Das bedeutet uns sehr viel.

Michael durfte sich also einen Vater aussuchen, ich mir einen Sohn. Das ist ein seltenes Privileg. Sonst ist es ja wie bei einer Wundertüte. Genauso wie es ein Glücksfall ist, ob Unter­nehmer­kinder die Firma ihrer Eltern weiterführen können und wollen.

Lange wusste ich nicht, wer meine Firma eines Tages übernehmen würde. Sollte ich sie irgendwann verkaufen? Schwierig. Damit wäre unsere Unter­nehmer­tradition zu Ende gegangen. Dass ich die Firma nun meinem Sohn vererben kann, macht es einfacher. Er kann sie fortführen, ohne durch allzu hohe Steuern in Risiken zu geraten.

Wichtig ist: Michael musste sich wie jeder andere in der Firma bewähren. Er hat in verschiedenen Abteilungen gearbeitet und hatte nie eine Sonder­stellung, nur weil er mein Sohn ist. Das war mein Test, er hat ihn bestanden. Das Streben nach Exzellenz ist ein steiniger Weg, den man jeden Tag aufs Neue gehen muss. Deshalb braucht ein guter Nachfolger mindestens zwei Dinge: Er muss fähig sein und jeden Tag den Erfolg mit aller Kraft wollen. Michael ist mir da erstaunlich ähnlich.“

Peter M. Binder
© Binder Die erste Generation: Peter M. Binder
Alter: 69
Funktion: Gründer und geschäftsführender Gesellschafter
Anteile: aktuell noch 100 Prozent
Michael Binder-Pfaff
© Binder Die zweite Generation: Michael Binder-Pfaff
Alter: 39
Funktion: Vice President Sales & International Organizations mit Prokura
Anteile: bisher 0 Prozent

Nachfolger

„Ich stehe vor einer Aufgabe mit Verantwortung: Ich darf das Lebenswerk von Peter Binder fortführen. Das war lange nicht klar.

Peter wurde mir zum Vater. Das hieß aber nicht automatisch, dass ich auch die Firma übernehme. Wir haben viel darüber gesprochen, ob ich mir das überhaupt zutraue. Ich hätte das Unternehmen nicht übernehmen müssen. Er hat mich nicht adoptiert, damit ich sein Nachfolger werde, sondern weil wir zu einer Familie geworden sind.

Mein Vater wollte, dass ich mich in der Firma beweise. Also habe ich in allen Unter­nehmens­bereichen gearbeitet und quasi eine ganze Reihe von Prüfungen absolviert. Als hätte ich eine Checkliste abgehakt: fachliche Qualifikation zeigen, hartnäckig sein, Leistungs- und Verant­wor­tungs­bewusstsein demonstrieren. Mein Vater weiß, was ein guter Unternehmer braucht. Von ihm habe ich viel gelernt.

Jetzt planen wir die Nachfolge. Das Unternehmen existiert in der ersten Generation. Wir haben also keine Erfahrung damit, wie das abläuft. Deshalb besprechen wir die Übergabe bei jeder Gelegenheit innerhalb der Familie und lassen uns auch beraten. Da gibt es Themen, die man so gar nicht auf dem Radar hat. Ich finde, ein paar einfachere Gesetze und Regeln würden nicht schaden.

Wann genau ich die Unternehmensleitung von Peter übernehme, ist noch nicht klar. Sein Credo ist: Erst kommt das Unternehmen, dann die Familie. Da geht man natürlich nicht von heute auf morgen. Ich verstehe das. Wenn ich darüber nachdenke, was die vergangenen Jahre passiert ist und was für eine Aufgabe vor mir liegt, wird mir manchmal schwindelig. Ich bin jetzt ein Binder.“

Die Firma

Name: Binder
Gründung: 1983
Produkte: Simulations­schränke für wissen­schaft­liche und industrielle Labore
Standort: Tuttlingen
Umsatz: 102 Millionen Euro (2022), davon 55 Prozent außerhalb der EU
Mitarbeiter: 490 (2022)

4 Fragen, 8 Antworten

I. Was kann der andere von Ihnen lernen?

Vater: Visionäres Denken.

Sohn: Klare Strukturen und Prozesse.

II. Ihr Vater/Sohn kommt zu Ihnen und sagt, er möchte für ein Jahr ins Sabbatical gehen. Was sagen Sie?

Vater: Michael, das lassen wir lieber bleiben!

Sohn: Okay!

III. Ein Bewerber stellt sich beim jeweils anderen von Ihnen beiden vor. Welche Tipps schreiben Sie dem Bewerber auf seinen Spickzettel?

Vater: Selbstverständlich gar keinen!

Sohn: Komm zum Punkt, nicht rumeiern.

IV. Eine namhafte Organisation möchte entweder Sie als Unternehmer des Jahres ehren – oder stattdessen Ihren Vater/Sohn. Mit welchen Argumenten überzeugen Sie die Organisation von sich?

Sohn: Das hat mein Vater verdient, nicht ich! Er hat das Unternehmen groß gemacht. Ich bleibe gerne im Hintergrund.

Vater: Wenn schon, dann als Unternehmen des Jahres. Um mich geht es überhaupt nicht.

Sie kennen ein interessantes Nachfolge-Doppel aus dem Mittelstand?