ZEIT für X
Häuser in pyramidenform

Häuser der Ewigkeit

10. Januar 2024
ZEIT Redaktion

Wolfgang Schmidt hatte keine Kinder, als er starb. Aber er hatte einen unkonventionellen Plan, wie es mit seiner Firma weitergeht und wem sie zukünftig nützen soll.

von Celine Schäfer

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 4/2023. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“

Mitten im Sauerland ragen sieben Pyramiden in die Luft. Seit 2005 stehen sie hier, in Lennestadt, umgeben von Wald und Wiesen, eine Viertel­stunde Fußweg entfernt plätschert die Lenne. Wer sich zufällig hierher verirrt, ist womöglich verwundert über die weißen Bauwerke, die an die Grabstätten ägyptischer Regenten erinnern. Vier der sieben Pyramiden beheimaten Ausstellungen, zum Beispiel zum Arten­sterben oder zu -Aliens im All. Ein „Ort des Staunens und Wunderns“ sollen die Pyramiden sein, sagte Wolfgang Schmidt, Inhaber des Parks, bei der Eröffnung. „Kein Platz für seichte Unterhaltung, sondern für ungewöhnliche Ideen und Projekte an den Grenzen des menschlichen Wissens.“

Wolfgang Schmidt war kein Forscher, auch kein Pädagoge oder Kurator. Er war Unternehmer. Schmidt leitete ab 1994 das Maschinenbau-Unternehmen Tracto-Technik, das sein Vater Paul im Jahr 1962 in einer Garage in Lennestadt gegründet hatte. Tracto hat zum Beispiel Maschinen auf den Markt gebracht, mit denen ohne aufwendige Graben­arbeiten Leitungen und Kabel verlegt werden können, sogenannte Erdraketen. Tracto ist in diesem Sektor Welt­markt­führer. Auch dank Wolfgang Schmidt.

Es ist ein großes Erbe, das Schmidt hinterließ, als er im November 2020 mit nur 57 Jahren unerwartet starb. Tracto erwirtschaftet laut eigenen Angaben einen Jahres­umsatz von rund 200 Millionen Euro, weltweit arbeiten rund 700 Mitarbeiter für den Mittel­ständler. Im Nachruf auf Wolfgang Schmidt erinnerte das Lokalblatt Saalhauser Bote, der verstorbene Tracto-Chef habe nicht nur für seine Firma Hervor­ragendes geleistet, sondern sei auch „mit Saalhausen sehr verbunden“ gewesen. Schmidt förderte Kultur, Sport und Wissenschaft in der Region. Deshalb der Pyramiden­park.

Nun läuft es in Familienunternehmen ja oft so: Wenn es in der Inhaber­familie einen Nachkommen gibt, der den Betrieb weiter­führen möchte, wird derjenige ein paar Jahre vor der Übergabe darauf vorbereitet. Drei bis zehn Jahre vorher, rät etwa die IHK München. Der bisherige Chef führt seine Tochter oder seinen Sohn langsam an die wichtigsten Aufgaben heran, überträgt ihr oder ihm Jahr für Jahr mehr Verantwortung. Auch die Mitarbeiter sollen merken: Das hier wird unsere neue Chefin, unser neuer Chef.

Das Werk soll hier, inmitten der grünen Hügel des Sauerlands, noch lange bestehen.
© Hans Blossey/Imago Das Werk soll hier, inmitten der grünen Hügel des Sauerlands, noch lange bestehen.

Aber oft kommt es anders. In einer Umfrage von ZEIT für Unternehmer antworteten 38 Prozent der Leserinnen und Leser, dass die Nachfolge in ihren Firmen noch nicht geregelt, es aber an der Zeit dafür sei. Weitere 23 Prozent gaben an, die Nachfolge sei geregelt, verlaufe indes anders als gewünscht.

Das Beispiel Tracto zeigt, dass dann manchmal unkonventionelle Lösungen helfen. Denn Wolfgang Schmidt hatte keine Kinder und auch sonst keine Nachfolger, die das Unternehmen hätten über­nehmen können. Es war klar, dass Tracto nach seinem Tod kein Unternehmen der Schmidts bleiben wird. Gleichzeitig war Tracto das Lebenswerk von Paul und Wolfgang Schmidt, das Unternehmen, das Wissen, die Mitarbeiter sollten in guten Händen bleiben. Deshalb drängte sich Wolfgang Schmidt die Frage auf: Was passiert mit Tracto, wenn er nicht mehr da ist?

Schmidt suchte Rat bei einem seiner engsten Vertrauten: Timotheus Hofmeister, seit 2010 Geschäfts­führer bei Tracto. „Ich war jahrelang seine rechte Hand, wir haben sehr eng zusammen­gearbeitet“, erinnert sich Hofmeister, der früher als Steuer­berater und Wirtschafts­prüfer tätig war. „Irgendwann haben Wolfgang und ich dann über meine Zukunft bei Tracto gesprochen“, sagt er. In den Gesprächen ging es vor allem darum, wie die lang­fristige Perspektive für Tracto aussehen soll. Welche Pläne hat Schmidt für sein Unternehmen? Kann es passieren, dass er den Betrieb irgendwann verkauft? Und: Wer soll Tracto führen, wenn er nicht mehr kann oder will?

Im Jahr 2015 kam Schmidt der Gedanke an eine Stiftung. Seine Hoffnung: Mit ihr könnten die Werte des Familien­unternehmens, die ihm so wichtig waren, erhalten werden. Sie würde soziale Projekte in der Region mit­finanzieren, außerdem gemein­nützige Vereine und hilfs­bedürftige Menschen unter­stützen. „Wir dachten: Durch eine Stiftung könnten wir das Wertegerüst von Tracto fest­schreiben“, sagt Hofmeister. Tracto könnte der „Local Hero“ bleiben, als der sich das Unternehmen auf der eigenen Website bezeichnet. Es gab auch Zweifel. Denn eine Stiftung, die hat etwas Ewiges, etwas Starres. Das sind Eigenschaften, die eigentlich nicht zu einem Unternehmen passen, das international erfolgreich sein und mit dem Zeitgeist gehen will.

Tracto-Chef Timotheus Hofmeister demonstriert eine fahrbare Bohrmaschine.
© Funke Foto Services Tracto-Chef Timotheus Hofmeister demonstriert eine fahrbare Bohrmaschine.

Doch Schmidt wusste von der Krupp-Stiftung in Essen und der Zeppelin-Stiftung in Friedrichshafen und war daher sicher: Es kann funktionieren. Zumal es 2020 in Deutschland knapp 24.000 Stiftungen und rund 1300 Familien­stiftungen gab. Für viele Unternehmer ist die Gründung einer solchen Stiftung heute ein Modell, um die Nachfolge zu regeln – auch wenn sich Stiftungen in Einzelheiten voneinander unterscheiden können. So dienen sie oft dazu, das Vermögen der Familien abzusichern und auch Erträge für die Familien abzuwerfen.

Schmidt dagegen entschied sich für die gemeinnützige Stiftung, was für Familien­stiftungen eher untypisch ist. Und er wollte sie eigentlich selbst gründen und aufbauen. Dann starb er. Doch sein Team machte weiter, allen voran Timotheus Hofmeister. Im Jahr 2022 wurde die Paul und Wolfgang Schmidt Stiftung vom Regierungs­präsidenten in Arnsberg anerkannt. Als gemein­nützige Stiftung fördert sie Altenhilfe, Bildung, Kunst und Kultur, Sport sowie Wissenschaft und Forschung. Das Geld, mit dem die Stiftung diese Zwecke erfüllen kann, stammt von Tracto. Wie viel es in etwa ist, behält Hofmeister für sich. Nur so viel: An erster Stelle müsse die Wirtschafts­kraft von Tracto sichergestellt sein, dann werde ein „relativer Betrag des Erfolgs“ weiter­gegeben.

Die Stiftung hält 60 Prozent der Anteile von Tracto, 24 Prozent gehören der Familie und 16 Prozent dem Geschäfts­führer Hofmeister. Im Vorstand sitzen der gelernte Banker Peter Kaufmann, ein Rechts­anwalt – und Jennifer Schmidt, Kauffrau und Nichte von Wolfgang Schmidt. Gern hätte ZEIT für Unternehmer mit ihr besprochen, wie sie es findet, dass das unternehmerische Erbe ihres Onkels in eine Stiftung geflossen ist. Wie sie mit den Vorstands­mitgliedern zusammen­arbeitet, die nicht Teil der Familie sind. Doch sie gibt keine Interviews.

Die Stiftung und die sozialen Projekte, die sie unterstützt, profitieren von Tractos Geschäft. Aber auch das Unternehmen hat etwas von dem Modell: „Die Stiftung beobachtet unseren Wirtschafts­betrieb mit einem besonderen Blick und schaut darauf, dass wir die ethischen Grundsätze des Stifters einhalten“, sagt Hofmeister. Kontra­produktiv für das Geschäft sei das nicht, im Gegen­teil, sagt Peter Kaufmann. Er kennt Tracto seit 1986, war jahrelang Vorstands­sprecher der Hausbank und hat die Gründung der Stiftung begleitet. Heute ist er Vorsitzender der Tracto-Stiftung und sagt: „Sozial kann auf Dauer nur der sein, der auch wirtschaftlich erfolgreich ist.“

Laut Hofmeister geht es im operativen Geschäft von Tracto nicht darum, möglichst viel Geld zu verdienen, sondern um die Frage: Wie viel Geld müssen wir heute verdienen, damit die Unternehmens­gruppe auch morgen noch erfolg­reich ist? „Nur eine solide, auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Unternehmens­politik sichert die Existenz und die Wirksamkeit der gemein­nützigen Stiftung.“ Kaufmanns Aufgabe ist es vor allem, die Stimmanteile an der Gesellschaft zu halten und zu verwalten, zudem führt er den Pyramiden­park. In das Tages­geschäft von Tracto greife die Stiftung nie ein, die beiden Bereiche seien strikt getrennt, sagt er. Und: „Wir sind für das normative Management zuständig, nicht für das operative Geschäft.“

Kaufmann und Hofmeister arbeiten routiniert zusammen. Allerdings waren die beiden auch von Beginn an eingeweiht und haben an der Gründung der Stiftung mitgewirkt. Die aller­meisten anderen Beschäftigten wussten am Tag nach Wolfgang Schmidts Tod nicht genau, wie es bei Tracto weitergeht. Man habe daher sofort mit der Geschäfts­führung und der Familie in einem Schreiben die Pläne erklärt, sagt Kaufmann.

Eine klare Kommunikation sei in so einem Fall unheimlich wichtig, meint Kaufmann. Wie in einer Firma die Nachfolge läuft, spiele im Wettbewerb um Fachkräfte eine wichtige Rolle. Daher haben sich Kaufmann und Hofmeister viel mit der Unternehmens­kommunikation und mit dem Betriebs­rat ausgetauscht. Die Mitarbeiter können im Intranet oder im unternehmens­eigenen Magazin nachlesen, was es mit der Stiftung auf sich hat. Kaufmann formuliert es so: „Selbst der Hund des Hausmeisters muss wissen, was bei uns los ist.“ Alle sollen sich involviert und informiert fühlen. So hätte es Wolfgang Schmidt gewollt.