Häuser der Ewigkeit
ZEIT RedaktionWolfgang Schmidt hatte keine Kinder, als er starb. Aber er hatte einen unkonventionellen Plan, wie es mit seiner Firma weitergeht und wem sie zukünftig nützen soll.
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 4/2023. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“
Mitten im Sauerland ragen sieben Pyramiden in die Luft. Seit 2005 stehen sie hier, in Lennestadt, umgeben von Wald und Wiesen, eine Viertelstunde Fußweg entfernt plätschert die Lenne. Wer sich zufällig hierher verirrt, ist womöglich verwundert über die weißen Bauwerke, die an die Grabstätten ägyptischer Regenten erinnern. Vier der sieben Pyramiden beheimaten Ausstellungen, zum Beispiel zum Artensterben oder zu -Aliens im All. Ein „Ort des Staunens und Wunderns“ sollen die Pyramiden sein, sagte Wolfgang Schmidt, Inhaber des Parks, bei der Eröffnung. „Kein Platz für seichte Unterhaltung, sondern für ungewöhnliche Ideen und Projekte an den Grenzen des menschlichen Wissens.“
Wolfgang Schmidt war kein Forscher, auch kein Pädagoge oder Kurator. Er war Unternehmer. Schmidt leitete ab 1994 das Maschinenbau-Unternehmen Tracto-Technik, das sein Vater Paul im Jahr 1962 in einer Garage in Lennestadt gegründet hatte. Tracto hat zum Beispiel Maschinen auf den Markt gebracht, mit denen ohne aufwendige Grabenarbeiten Leitungen und Kabel verlegt werden können, sogenannte Erdraketen. Tracto ist in diesem Sektor Weltmarktführer. Auch dank Wolfgang Schmidt.
Es ist ein großes Erbe, das Schmidt hinterließ, als er im November 2020 mit nur 57 Jahren unerwartet starb. Tracto erwirtschaftet laut eigenen Angaben einen Jahresumsatz von rund 200 Millionen Euro, weltweit arbeiten rund 700 Mitarbeiter für den Mittelständler. Im Nachruf auf Wolfgang Schmidt erinnerte das Lokalblatt Saalhauser Bote, der verstorbene Tracto-Chef habe nicht nur für seine Firma Hervorragendes geleistet, sondern sei auch „mit Saalhausen sehr verbunden“ gewesen. Schmidt förderte Kultur, Sport und Wissenschaft in der Region. Deshalb der Pyramidenpark.
Nun läuft es in Familienunternehmen ja oft so: Wenn es in der Inhaberfamilie einen Nachkommen gibt, der den Betrieb weiterführen möchte, wird derjenige ein paar Jahre vor der Übergabe darauf vorbereitet. Drei bis zehn Jahre vorher, rät etwa die IHK München. Der bisherige Chef führt seine Tochter oder seinen Sohn langsam an die wichtigsten Aufgaben heran, überträgt ihr oder ihm Jahr für Jahr mehr Verantwortung. Auch die Mitarbeiter sollen merken: Das hier wird unsere neue Chefin, unser neuer Chef.
Aber oft kommt es anders. In einer Umfrage von ZEIT für Unternehmer antworteten 38 Prozent der Leserinnen und Leser, dass die Nachfolge in ihren Firmen noch nicht geregelt, es aber an der Zeit dafür sei. Weitere 23 Prozent gaben an, die Nachfolge sei geregelt, verlaufe indes anders als gewünscht.
Das Beispiel Tracto zeigt, dass dann manchmal unkonventionelle Lösungen helfen. Denn Wolfgang Schmidt hatte keine Kinder und auch sonst keine Nachfolger, die das Unternehmen hätten übernehmen können. Es war klar, dass Tracto nach seinem Tod kein Unternehmen der Schmidts bleiben wird. Gleichzeitig war Tracto das Lebenswerk von Paul und Wolfgang Schmidt, das Unternehmen, das Wissen, die Mitarbeiter sollten in guten Händen bleiben. Deshalb drängte sich Wolfgang Schmidt die Frage auf: Was passiert mit Tracto, wenn er nicht mehr da ist?
Schmidt suchte Rat bei einem seiner engsten Vertrauten: Timotheus Hofmeister, seit 2010 Geschäftsführer bei Tracto. „Ich war jahrelang seine rechte Hand, wir haben sehr eng zusammengearbeitet“, erinnert sich Hofmeister, der früher als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tätig war. „Irgendwann haben Wolfgang und ich dann über meine Zukunft bei Tracto gesprochen“, sagt er. In den Gesprächen ging es vor allem darum, wie die langfristige Perspektive für Tracto aussehen soll. Welche Pläne hat Schmidt für sein Unternehmen? Kann es passieren, dass er den Betrieb irgendwann verkauft? Und: Wer soll Tracto führen, wenn er nicht mehr kann oder will?
Im Jahr 2015 kam Schmidt der Gedanke an eine Stiftung. Seine Hoffnung: Mit ihr könnten die Werte des Familienunternehmens, die ihm so wichtig waren, erhalten werden. Sie würde soziale Projekte in der Region mitfinanzieren, außerdem gemeinnützige Vereine und hilfsbedürftige Menschen unterstützen. „Wir dachten: Durch eine Stiftung könnten wir das Wertegerüst von Tracto festschreiben“, sagt Hofmeister. Tracto könnte der „Local Hero“ bleiben, als der sich das Unternehmen auf der eigenen Website bezeichnet. Es gab auch Zweifel. Denn eine Stiftung, die hat etwas Ewiges, etwas Starres. Das sind Eigenschaften, die eigentlich nicht zu einem Unternehmen passen, das international erfolgreich sein und mit dem Zeitgeist gehen will.
Doch Schmidt wusste von der Krupp-Stiftung in Essen und der Zeppelin-Stiftung in Friedrichshafen und war daher sicher: Es kann funktionieren. Zumal es 2020 in Deutschland knapp 24.000 Stiftungen und rund 1300 Familienstiftungen gab. Für viele Unternehmer ist die Gründung einer solchen Stiftung heute ein Modell, um die Nachfolge zu regeln – auch wenn sich Stiftungen in Einzelheiten voneinander unterscheiden können. So dienen sie oft dazu, das Vermögen der Familien abzusichern und auch Erträge für die Familien abzuwerfen.
Schmidt dagegen entschied sich für die gemeinnützige Stiftung, was für Familienstiftungen eher untypisch ist. Und er wollte sie eigentlich selbst gründen und aufbauen. Dann starb er. Doch sein Team machte weiter, allen voran Timotheus Hofmeister. Im Jahr 2022 wurde die Paul und Wolfgang Schmidt Stiftung vom Regierungspräsidenten in Arnsberg anerkannt. Als gemeinnützige Stiftung fördert sie Altenhilfe, Bildung, Kunst und Kultur, Sport sowie Wissenschaft und Forschung. Das Geld, mit dem die Stiftung diese Zwecke erfüllen kann, stammt von Tracto. Wie viel es in etwa ist, behält Hofmeister für sich. Nur so viel: An erster Stelle müsse die Wirtschaftskraft von Tracto sichergestellt sein, dann werde ein „relativer Betrag des Erfolgs“ weitergegeben.
Die Stiftung hält 60 Prozent der Anteile von Tracto, 24 Prozent gehören der Familie und 16 Prozent dem Geschäftsführer Hofmeister. Im Vorstand sitzen der gelernte Banker Peter Kaufmann, ein Rechtsanwalt – und Jennifer Schmidt, Kauffrau und Nichte von Wolfgang Schmidt. Gern hätte ZEIT für Unternehmer mit ihr besprochen, wie sie es findet, dass das unternehmerische Erbe ihres Onkels in eine Stiftung geflossen ist. Wie sie mit den Vorstandsmitgliedern zusammenarbeitet, die nicht Teil der Familie sind. Doch sie gibt keine Interviews.
Die Stiftung und die sozialen Projekte, die sie unterstützt, profitieren von Tractos Geschäft. Aber auch das Unternehmen hat etwas von dem Modell: „Die Stiftung beobachtet unseren Wirtschaftsbetrieb mit einem besonderen Blick und schaut darauf, dass wir die ethischen Grundsätze des Stifters einhalten“, sagt Hofmeister. Kontraproduktiv für das Geschäft sei das nicht, im Gegenteil, sagt Peter Kaufmann. Er kennt Tracto seit 1986, war jahrelang Vorstandssprecher der Hausbank und hat die Gründung der Stiftung begleitet. Heute ist er Vorsitzender der Tracto-Stiftung und sagt: „Sozial kann auf Dauer nur der sein, der auch wirtschaftlich erfolgreich ist.“
Laut Hofmeister geht es im operativen Geschäft von Tracto nicht darum, möglichst viel Geld zu verdienen, sondern um die Frage: Wie viel Geld müssen wir heute verdienen, damit die Unternehmensgruppe auch morgen noch erfolgreich ist? „Nur eine solide, auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Unternehmenspolitik sichert die Existenz und die Wirksamkeit der gemeinnützigen Stiftung.“ Kaufmanns Aufgabe ist es vor allem, die Stimmanteile an der Gesellschaft zu halten und zu verwalten, zudem führt er den Pyramidenpark. In das Tagesgeschäft von Tracto greife die Stiftung nie ein, die beiden Bereiche seien strikt getrennt, sagt er. Und: „Wir sind für das normative Management zuständig, nicht für das operative Geschäft.“
Kaufmann und Hofmeister arbeiten routiniert zusammen. Allerdings waren die beiden auch von Beginn an eingeweiht und haben an der Gründung der Stiftung mitgewirkt. Die allermeisten anderen Beschäftigten wussten am Tag nach Wolfgang Schmidts Tod nicht genau, wie es bei Tracto weitergeht. Man habe daher sofort mit der Geschäftsführung und der Familie in einem Schreiben die Pläne erklärt, sagt Kaufmann.
Eine klare Kommunikation sei in so einem Fall unheimlich wichtig, meint Kaufmann. Wie in einer Firma die Nachfolge läuft, spiele im Wettbewerb um Fachkräfte eine wichtige Rolle. Daher haben sich Kaufmann und Hofmeister viel mit der Unternehmenskommunikation und mit dem Betriebsrat ausgetauscht. Die Mitarbeiter können im Intranet oder im unternehmenseigenen Magazin nachlesen, was es mit der Stiftung auf sich hat. Kaufmann formuliert es so: „Selbst der Hund des Hausmeisters muss wissen, was bei uns los ist.“ Alle sollen sich involviert und informiert fühlen. So hätte es Wolfgang Schmidt gewollt.