ZEIT für X
Reinigungsspray

Grüner sprühen

09. April 2024
ZEIT Redaktion

Schülke produziert Desinfektionsmittel und gehört laut einem Rating zu den grünen Vorreitern im Gesundheitswesen. Wie machen die das?

von Kristina Läsker

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.

Das Unternehmen:

Schülke & Mayr GmbH, Norderstedt bei Hamburg
Direkter Ausstoß von Klimagasen, der sogenannte Scope 1: 4.607 Tonnen (1,3 Prozent)
Indirekter CO2-Ausstoß aus eingekaufter Energie, bezeichnet als Scope 2: 434 Tonnen (0,1 Prozent)
Indirekter CO2-Ausstoß von Zulieferern, Dienstleistern und Kunden, Scope 3: 342.988 (98,6 Prozent)

CO2-Ausstoß insgesamt:

348.028 Tonnen

Quellen:

Nachhaltigkeitsbericht 2022, Angaben in CO2-Äquivalenten

Klimaziele:

Schülke möchte den direkten und indirekten Ausstoß von Treibhausgasen (Scope 1 und 2) bis 2030 um 42 Prozent reduzieren. Basisjahr ist 2021. Viel gewichtiger für das Unternehmen sind jedoch die Emissionen der eingekauften Waren und Dienstleistungen (Scope 3), sie sollen bis 2030 um 25 Prozent sinken. Laut dem jüngsten Nachhaltigkeitsrating der Beratung Ecovadis nimmt Schülke schon jetzt „eine Vorreiterrolle“ in seiner Branche ein.

Jahresumsatz 2023:

etwa 400 Millionen Euro

Operativer Gewinn (Ebitda) 2023:

etwa 100 Millionen Euro

Börsenwert:

3,01 Milliarden Euro

Mitarbeitende:

1.183 Menschen, davon 573 in der Zentrale in Norderstedt

Produkte:

Schülke produziert Desinfektionsmittel wie Desderman und Antiseptika wie Octenisept zur Wundversorgung. Der Mittelständler wurde 1889 gegründet und hat Sagrotan erfunden, seit 1997 gehört die Marke nicht mehr dazu.

Eigentümer:

Vor der Corona-Pandemie gehörte die Firma zum französischen Gashersteller Air Liquide. Dieser reichte sie 2020 an den schwedischen Finanzinvestor EQT weiter. Ende 2023 übernahm ein Investoren-Konsortium, geführt von Athos, dem Family-Office der Milliardärsbrüder Strüngmann. Seitdem leitet Jan-Dirk Auris, zuvor Chef der Klebstoffsparte von Henkel, das Unternehmen.

Der Auslöser: Was hat Schülke motiviert?

„Von unseren Kunden, etwa den Klinikketten, kommt noch relativ wenig Druck“, sagt Firmenchef Auris. Trotzdem wollte man bei Schülke nicht abwarten. Die 58-jährige Ärztin Nicole Steinhorst betreut den medizinisch-wissenschaftlichen Bereich und ist seit drei Jahren zusätzlich „Chief Sustainable Officer“. „Ich habe nicht geahnt, wie viel Netzwerken und Klein-Klein beim Datenerfassen das bedeuten würde“, sagt sie. Der Einstieg von EQT sei ein „Kickstart für die Nachhaltigkeit“ gewesen. Die Schweden wollten Schülke klimafreundlicher machen und damit den Firmenwert steigern.

Was schadet dem Klima am meisten?

Viele Monate suchte Steinhorst die CO2-Quellen an den 19 Standorten weltweit. Was tanken die Firmenwagen? Wie grün ist der Strom im brasilianischen Werk? Womit wird die Zentrale beheizt? „Nach einem Jahr wussten wir, wo wir ranmüssen“, erzählt sie. In der Produktion wurden lange Wärme und Strom aus fossilen Brennstoffen genutzt. Zudem kauft der Hersteller bis heute klimaschädliche Chemikalien ein. Im Juli 2022 trat Schülke der Science-Based-Targets-Initiative bei und verpflichtet sich damit, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Reduzieren oder kompensieren?

Schülke reduziert Treibhausgas-Ausstöße, statt zu kompensieren. Kopierer und Drucker verwenden nun Recycling-Papier. Eine Software meldet, wenn in der Produktion das Licht brennt, obwohl keine Maschine läuft. Die Werke in Norderstedt und Frankreich wurden auf Ökostrom umgestellt. Vor allem aber hat Schülke in energieeffiziente Kühlanlagen und neue Lüftungen investiert.

Wie wirken die Maßnahmen?

Erstaunlich: Trotz der Schritte stieg der CO2-Ausstoß seit 2021 um 80.000 Tonnen, weil die externen Klimasünden, also Scope 3, in der Bilanz zunahmen. Schülke begründet das mit der Berechnungsmethode, „bei der die Emissionen anhand der Einkaufsangaben bestimmt werden“. Dazu gehören die Preise für Rohstoffe. Weil die gestiegen seien, habe sich auch die CO2-Bilanz verschlechtert. Eine Schwäche der sogenannten ausgabenbasierten Methode, die sich anbietet, wenn es wenige Daten zur Klimawirkung der Vorprodukte gibt.

Bis 2030 will Schülke den Scope 3 verkleinern. Den Großteil verursachen künstlich hergestellte Alkohole, die die Firma für die Desinfektionsmittel braucht. Sie will nun mehr grüne Vorprodukte einkaufen, etwa Bio-Alkohole, bei deren Herstellung weniger CO2 entsteht.

So wird gemessen

Schülke erfasst die Emissionen auf der Basis des Greenhouse Gas Protocol, eines weltweiten Standards. Die Beratung Schneider Electric erstellt die Klimabilanz.

Was kostet es?

Manpower: Steinhorst steckt etwa die Hälfte der Arbeitszeit in Klimathemen, eine Mitarbeiterin unterstützt sie.
Geld: In die neuen Anlagen hat Schülke 9,2 Millionen Euro investiert, EQT beteiligte sich. Auch Athos will nach eigener Aussage den grünen Kurs der Firma fördern.
Überzeugungsarbeit: Um Bio-Alkohole einzukaufen, verhandelt Schülke seit eineinhalb Jahren mit Lieferanten – die Gespräche seien zäh.

Was bringt es?

Investoren: „Schülke produziert bereits grüne Produkte wie etwa plastikfreie Desinfektionstücher. Außerdem ist die Firma dabei, auf nachhaltige Herstellung und Bestandteile umzustellen“, sagt Wolfgang Essler, Geschäftsführer von Athos. „Das hat uns beim Einstieg überzeugt.“ Der Voreigentümer EQT hat auch profitiert: 2020 soll er 900 Millionen Euro für Schülke bezahlt haben und verkaufte laut Bloomberg für 500 Millionen Euro mehr.
Vorteile beim Recruiting: „Wenn man sein Bemühen nicht glaubhaft vermittelt, bekommt man keine guten Leute“, sagt Auris. 25- bis 40-Jährige würden meist nach dem Klima-Engagement fragen.
Gute Gefühle: Nachhaltigkeit sei laut Steinhorst für viele Kollegen sinnstiftend – obwohl sie Mehrarbeit beschert.