ZEIT für X
Nils Aldag von der Firma Sunfire

Verdammt flüchtig

31. Juli 2023
ZEIT Redaktion

Sunfire aus Dresden entwickelt und baut Elektrolyseure, die grünen Wasser­stoff herstellen können. Die junge Firma hat Kunden, Mitarbeiter und Kapital – ihr Gründer Nils Aldag bleibt dennoch vorsichtig

von Doreen Reinhard

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 2/2023“. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.

Es ist ein Ort mit einer fossilen Vergangenheit. Die Zentrale der Firma Sunfire steht in der Gasanstalt­straße im Dresdner Westen, nur ein paar Meter entfernt vom Panometer: einem Beton­koloss, der die Stadt früher mit Erdgas versorgt hat. Heute ist der Speicher ein Industrie­denkmal und Museum. Gleich daneben, in einem sanierten DDR-Bau mit angeschlossenen Werks­hallen, arbeitet Nils Aldag, der Gründer von Sunfire, am Übergang in eine klima­neutrale Zukunft.

Sunfire will hier das Geschäft mit Wasserstoff groß aufziehen. Die Firma entwickelt und verkauft Elektrolyseure – chemische Anlagen, die mithilfe von Strom Wasser­stoff produzieren. Wenn dieser Strom aus erneuerbaren Energie­quellen stammt, spricht man von grünem Wasser­stoff. Der gasförmige Energie­träger soll ein Baustein auf dem Weg zur Klima­neutralität werden. Über­schüssige Energie aus Solar-, Wind- und Wasser­kraftanlagen könnte in grünem Wasser­stoff gespeichert werden, Stahl­werke könnten damit grünen Stahl produzieren, sogar Container­schiffe damit klima­neutral fahren und Flugzeuge grüner fliegen.

Das jedenfalls ist die Hoffnung.

In diesen Zeiten spürt Aldag mehr Zuspruch denn je für sein Vorhaben. Deutschland will bis 2045 klima­neutral werden und wegkommen von fossilen Energie­trägern wie Kohle und Öl. Seit Russland die Ukraine überfallen hat, will man sich möglichst schnell vom Erdgas unabhängig machen, das lange günstig in Russland zu haben war.

Wasserstoff soll helfen: Die Ampel­parteien nennen ihn in ihrem Koalitions­vertrag einen „Energie­träger der Zukunft“ und haben sich vorgenommen, die Produktion in Deutschland zu fördern. Die Nationale Wasser­stoff­strategie bescheinigt ihm eine „zentrale Rolle bei der Weiter­entwicklung und Vollendung der Energie­wende“. Bis 2030 soll die Elektrolyse­kapazität nach dem Willen der Ampel auf etwa zehn Gigawatt wachsen – aktuell liegt sie erheblich darunter, und die Deutsche Akademie der Technik­wissenschaften erwartet, dass die geplanten Projekte bei Weitem nicht ausreichen.

Die Erfolge, die wir erleben, sorgen dafür, dass man die schwierigen Zeiten durchsteht

Nils Aldag über die Entwicklung seines Unternehmens Sunfire

Auf Unternehmen wie Sunfire kommt es also an. Sie sollen helfen, den Traum von der grünen Wasser­stoff­wirtschaft real werden zu lassen. Doch die Geschichte des Start-ups zeigt, dass dazu mehr gehört als passende Technologien, gute Mitarbeiter und investitions­willige Kunden. Es braucht eine Politik, die vieles schneller umsetzt als bisher.

Deswegen bleibt Nils Aldag vorsichtig. Obwohl Energiekonzerne wie RWE oder Stahl­produzenten wie die Salzgitter AG bereits Elektrolyseure von Sunfire nutzen. Auf dem Dresdner Gelände steht eine Werkhalle, hier ist der Kern der Technik zu besichtigen: kleine Platten, auf denen Zellen sind, um Wasser aufzuspalten. Diese werden zu einem sogenannten Stack gestapelt, viele davon ergeben ein Modul, mit viel Elektronik wird daraus eine Elektrolyse­anlage. Im April hat Sunfire den weltweit größten Hoch­temperatur-Elektrolyseur in einer Raffinerie in Rotterdam installiert. Gut 600 Mitarbeiter arbeiten mittlerweile für Aldag, an vier Standorten in Deutschland und der Schweiz.

Die Firma hat also einen Lauf. Aber von Durchbruch sprechen? Das will Aldag nicht. „Wir erleben gerade, dass sich eine völlig neue Branche herausbildet. Da ist nicht immer alles geradlinig“, sagt er. Sunfires bisherige Erfolge sorgten eher dafür, dass er auch „die schwierigen Zeiten“ durchsteht.

Aldag zu treffen kann etwas dauern. Er pendelt zwischen den Standorten umher, trifft sich mit Wasser­stoff­verbänden, redet mit Politikerinnen und Politikern in Berlin und Brüssel. Beim Besuch in der Dresdner Zentrale entschuldigt er sich, dass er müde aussehe, viel Arbeit. Viele Turbulenzen.

Politische Ziele allein machen noch keinen echten Markt

Bils Aldag lobbyiert in Berlin und Brüssel für mehr Unterstützung der Wasserstoffwirtschaft

Vor allem im vergangenen Jahr hat sich das Tempo erhöht, weil viele Unternehmen jetzt alternative Energie­träger ausprobieren, um vom Gas loszukommen und ihre Klima­ziele zu erfüllen. „Beim Wasserstoff fängt jetzt eine exponentielle Phase an. Diese Beschleunigung merkt man an allen Ecken und Enden“, sagt Aldag. Er bezeichnet die Lage als „eigenartig“: Die politischen Ziele seien enorm hoch, die Spiel­regeln für die Produktion von grünem Wasserstoff aber nicht ausreichend definiert. Anbieter wie Sunfire bauen ihre Produktion im Rekord­tempo aus, Industrie­unternehmen setzen auf Wasserstoff, es werden Projekte vorbereitet. Alles im Glauben daran, dass es bald losgehe, so Aldag. Doch damit alle die „angezogene Handbremse lösen“, bräuchten sie einen verlässlichen regulatorischen Rahmen, Nach­frage­anreize und Unter­stützung bei der Wachstums­finanzierung. Das müsse die Politik nun liefern. „Politische Ziele allein machen noch keinen echten Markt.“

Aber Aldag kennt sich auch mit Gegenwind aus. Sunfire operierte lange in einer Nische, der Unternehmer und seine Mitstreiter wurden oft belächelt. Sie brauchten Risiko­bereitschaft und sehr viel Geduld. Ihre Geschichte handelt von jungen Unternehmern aus West­deutschland, die früh an ihre Idee glaubten, Geld einsammelten und nach Ost­deutschland kamen, weil sie hier Partner fanden, um ihre Pläne umzusetzen.

Aldag wird 1986 geboren, er wächst in Hamburg auf, Vater und Großvater sind Unternehmer im Biotechnologie­bereich. Das fasziniert ihn, also studiert er Betriebs­wirtschafts­lehre. Ein Öko ist er nach eigenen Worten nicht, er besucht keine Demos, engagiert sich nicht für den Umwelt­schutz. Aber er ist neugierig und will wissen, wie sich der Klima­wandel mit Innovationen stoppen lässt: Seine Abschluss­arbeit schreibt er darüber, welche unternehmerischen Chancen erneuerbare Energien bieten.

Es ist das Jahr 2009, Aldag hat sein Studium gerade abgeschlossen, als er sich mit zwei Bekannten unterhält: Christian von Olshausen, den er aus Schul­zeiten in Hamburg kennt, und Carl Berninghausen. Zusammen beschließt das Trio, Sunfire zu gründen. Die drei ticken unter­schiedlich, hatten aber zur selben Zeit die Erkenntnis: Mit Strom aus Sonne und Wind allein wird die Energie­wende nicht gelingen, man muss auch Strom in Moleküle umwandeln. Olshausen ist der Techniker im Team, er ist studierter Ingenieur. Berninghausen bringt Geschäfts­erfahrung und Kapital mit, Aldag kann Business­pläne schreiben.

Zunächst nehmen sich die Gründer vor, Projekte zur Erzeugung von E-Fuels, synthetischen Kraftstoffen, zu entwickeln. Doch auf dem Markt fehlen einsatz­fähige Technologien, besonders Maschinen zur Herstellung von grünem Wasserstoff, den man für E-Fuels braucht. Also beginnen sie selbst, solche Maschinen zu entwickeln.

Im Jahr 2011 hören Aldag und seine Mitgründer von Staxera. Das Start-up aus Dresden beschäftigt zwei Dutzend Ingenieure, die an Brenn­stoff­zellen arbeiten. Das macht Aldag und Co. neugierig. Denn während in einer Brenn­stoff­zelle Wasserstoff und Sauerstoff reagieren, um Strom zu erzeugen, verwenden Elektrolyseure ähnliche Komponenten, um das Gegenteil zu erreichen: Sie nutzen Strom, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Sunfire übernimmt Staxera, die Ingenieure sind eine wichtige Verstärkung.

Und sie sind der Grund, warum Sunfire von Bremen nach Dresden zieht. „Vom Spirit passt Sachsen, weil es hier viel Begeisterung für technische Innovationen gibt“, sagt Aldag, außerdem gebe es hervorragende Forschungs­institute, Hochschulen, Ingenieure. Er hat inzwischen drei kleine Kinder, fühlt sich in Dresden „völlig zu Hause“.

Dieser Elektrolyseur ist Teil eines Forschungsprojekts
© Picture Alliance/Reuters Dieser Elektrolyseur ist Teil eines Forschungsprojekts

In den Jahren nach dem Umzug muss Sunfire viele Rückschläge meistern – etliche Male glauben die Gründer, dass sie scheitern könnten. Zum Beispiel als die Europäische Kommission 2018 mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie ein wichtiges Gesetz zur Nutzung von grünem Wasserstoff erlässt. Die Freude bei Sunfire ist zunächst groß. „Eine der wichtigsten Fragen, nämlich wie der Wasser­stoff seine grüne Eigenschaft nachweisen kann, wurde darin jedoch offen­gelassen“, sagt Aldag. Etliche Projekte hätten sich um Jahre verzögert, die Finanzierung der Firma habe auf der Kippe gestanden. Erst Ende 2022 klärt sich die Lage.

Immer wieder brauchen die Gründer zudem Geld, um Sunfire aufzubauen. Sie sammeln 80 Millionen Euro Förder­mittel bei der EU, beim Bund und beim Land Sachsen ein. Das meiste Geld besorgen sie sich aber bei privaten Geldgebern, in Summe bereits „knapp eine Milliarde Euro“, erzählt Aldag. Über die Jahre beteiligen sich um die 25 Fonds und Einzel­investoren, auch der US-Konzern Amazon steigt ein. „Wir müssen uns heute mit mehr Gesellschaftern abstimmen als in den Anfangsjahren, das ist aufwendiger“, sagt er. „Andererseits konnten wir durch das Kapital ein sehr wertvolles Unternehmen schaffen.“ Und auch wenn er selbst nur noch einen einstelligen Anteil an seiner Firma halte, könne er als ihr Chef „noch viel Einfluss“ nehmen.

Vor allem die ersten Finanzierungsrunden sind Wackelpartien. Das Interesse der Politik liegt in den 2010er-Jahren auf Solar- und Windstrom sowie Batterie­autos, das ändert sich erst mit der Europäischen Wasser­stoff­strategie 2020. Ans Aufgeben hätten die Gründer trotzdem nie gedacht, erzählt Aldag. „Uns zeichnet aus, dass wir alle hart im Nehmen und resilient sind.“

Außerdem ist da der Glauben an die Technologie. Sunfire bietet zwei verschiedene Verfahren an, die Alkali- und die Hoch­temperatur-Elektrolyse. Schaltet man einzelne Anlagen zusammen, erreicht die Leistung um die 100 Megawatt – so viel wie mehrere große Windräder. 15 bis 20 der 80 Tonnen schweren Anlagen will Sunfire in den kommenden zwei Jahren ausliefern. Der Preis: etwa eine Million Euro pro Megawatt installierter Leistung. Aldag geht davon aus, dass die Preise künftig sinken werden.

Die Gründer haben erst überlegt, in Dresden eine Fabrik zu bauen, entschieden sich aber für einen anderen Weg. Seit Neuestem kooperiert Sunfire mit Vitesco, einem Autozulieferer in Westsachsen. Weil weniger Teile für Diesel­motoren gebraucht werden, will Vitesco einen Teil der Produktion umstellen und künftig Stacks, die Herzstücke von Elektrolyseuren, für Sunfire bauen. Außerdem hat Sunfire in Solingen einen Galvanik-Spezialisten übernommen. Er beschichtet Zellen metallisch, sie sind Kern­bestand­teile von alkalischen Elektrolyseuren.

Aldags größte Sorge ist also nicht die Nachfrage, das Kapital oder die Personal­akquise. Der größte Unsicherheits­faktor ist die Politik. Mitte 2022 hat das Bundes­wirtschafts­ministerium Sunfire ermöglicht, mit der Serien­fertigung ihrer Elektrolyseure zu beginnen. Das sei „ein starkes Zeichen“, lobte der grüne Wirtschafts­minister Robert Habeck damals, „auch für den Standort Deutschland und den Standort Sachsen“.

Nun aber erschweren viele offene Fragen den Weg. Die Definition von grünem Wasserstoff sei zwar auf europäischer Ebene geklärt worden, die Umsetzung in deutsches Recht stehe aber aus, sagt Aldag. „Außerdem ist grüner Wasserstoff heute teurer als fossile Alternativen.“ Am wichtigsten ist es ihm nun, dass seine Branche einen Anschub bekommt. „Kunden brauchen Anreize, um auf die saubere Variante umzusteigen.“

Aldag und die anderen Gründer lobbyieren deswegen oft in Berlin und Brüssel für mehr Unterstützung. Sie wünschen sich einen Beschleuniger, der ihrer Branche so zum Durchbruch verhilft wie einst das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz der Solar- und Windbranche. Unternehmer wie er schauen neidisch in die USA, wo die Politik die Wasser­stoff­wirtschaft mit Subventionen und Steuerrabatten für Wasser­stoff­produzenten boostert. Der Unternehmer hofft: „Wenn Politik und Industrie gemeinsam mutig voran­schreiten, dann stehen die Chancen gut, dass die nächste Erfolgsstory wie die der Automobil­konzerne von einem Elektrolyse-Unternehmen wie unserem geschrieben wird.“

Ob Sunfire noch scheitern könnte? Aldag sagt, die Aussicht auf Erfolg sei nie besser gewesen; er sei überzeugt vom grünen Wasserstoff als Zukunfts­technologie. Aber ganz ausschließen will er das Scheitern nicht.