Verdammt flüchtig
ZEIT RedaktionSunfire aus Dresden entwickelt und baut Elektrolyseure, die grünen Wasserstoff herstellen können. Die junge Firma hat Kunden, Mitarbeiter und Kapital – ihr Gründer Nils Aldag bleibt dennoch vorsichtig
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 2/2023“. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.
Es ist ein Ort mit einer fossilen Vergangenheit. Die Zentrale der Firma Sunfire steht in der Gasanstaltstraße im Dresdner Westen, nur ein paar Meter entfernt vom Panometer: einem Betonkoloss, der die Stadt früher mit Erdgas versorgt hat. Heute ist der Speicher ein Industriedenkmal und Museum. Gleich daneben, in einem sanierten DDR-Bau mit angeschlossenen Werkshallen, arbeitet Nils Aldag, der Gründer von Sunfire, am Übergang in eine klimaneutrale Zukunft.
Sunfire will hier das Geschäft mit Wasserstoff groß aufziehen. Die Firma entwickelt und verkauft Elektrolyseure – chemische Anlagen, die mithilfe von Strom Wasserstoff produzieren. Wenn dieser Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt, spricht man von grünem Wasserstoff. Der gasförmige Energieträger soll ein Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität werden. Überschüssige Energie aus Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen könnte in grünem Wasserstoff gespeichert werden, Stahlwerke könnten damit grünen Stahl produzieren, sogar Containerschiffe damit klimaneutral fahren und Flugzeuge grüner fliegen.
Das jedenfalls ist die Hoffnung.
In diesen Zeiten spürt Aldag mehr Zuspruch denn je für sein Vorhaben. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden und wegkommen von fossilen Energieträgern wie Kohle und Öl. Seit Russland die Ukraine überfallen hat, will man sich möglichst schnell vom Erdgas unabhängig machen, das lange günstig in Russland zu haben war.
Wasserstoff soll helfen: Die Ampelparteien nennen ihn in ihrem Koalitionsvertrag einen „Energieträger der Zukunft“ und haben sich vorgenommen, die Produktion in Deutschland zu fördern. Die Nationale Wasserstoffstrategie bescheinigt ihm eine „zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung und Vollendung der Energiewende“. Bis 2030 soll die Elektrolysekapazität nach dem Willen der Ampel auf etwa zehn Gigawatt wachsen – aktuell liegt sie erheblich darunter, und die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften erwartet, dass die geplanten Projekte bei Weitem nicht ausreichen.
Die Erfolge, die wir erleben, sorgen dafür, dass man die schwierigen Zeiten durchsteht
Nils Aldag über die Entwicklung seines Unternehmens Sunfire
Auf Unternehmen wie Sunfire kommt es also an. Sie sollen helfen, den Traum von der grünen Wasserstoffwirtschaft real werden zu lassen. Doch die Geschichte des Start-ups zeigt, dass dazu mehr gehört als passende Technologien, gute Mitarbeiter und investitionswillige Kunden. Es braucht eine Politik, die vieles schneller umsetzt als bisher.
Deswegen bleibt Nils Aldag vorsichtig. Obwohl Energiekonzerne wie RWE oder Stahlproduzenten wie die Salzgitter AG bereits Elektrolyseure von Sunfire nutzen. Auf dem Dresdner Gelände steht eine Werkhalle, hier ist der Kern der Technik zu besichtigen: kleine Platten, auf denen Zellen sind, um Wasser aufzuspalten. Diese werden zu einem sogenannten Stack gestapelt, viele davon ergeben ein Modul, mit viel Elektronik wird daraus eine Elektrolyseanlage. Im April hat Sunfire den weltweit größten Hochtemperatur-Elektrolyseur in einer Raffinerie in Rotterdam installiert. Gut 600 Mitarbeiter arbeiten mittlerweile für Aldag, an vier Standorten in Deutschland und der Schweiz.
Die Firma hat also einen Lauf. Aber von Durchbruch sprechen? Das will Aldag nicht. „Wir erleben gerade, dass sich eine völlig neue Branche herausbildet. Da ist nicht immer alles geradlinig“, sagt er. Sunfires bisherige Erfolge sorgten eher dafür, dass er auch „die schwierigen Zeiten“ durchsteht.
Aldag zu treffen kann etwas dauern. Er pendelt zwischen den Standorten umher, trifft sich mit Wasserstoffverbänden, redet mit Politikerinnen und Politikern in Berlin und Brüssel. Beim Besuch in der Dresdner Zentrale entschuldigt er sich, dass er müde aussehe, viel Arbeit. Viele Turbulenzen.
Politische Ziele allein machen noch keinen echten Markt
Bils Aldag lobbyiert in Berlin und Brüssel für mehr Unterstützung der Wasserstoffwirtschaft
Vor allem im vergangenen Jahr hat sich das Tempo erhöht, weil viele Unternehmen jetzt alternative Energieträger ausprobieren, um vom Gas loszukommen und ihre Klimaziele zu erfüllen. „Beim Wasserstoff fängt jetzt eine exponentielle Phase an. Diese Beschleunigung merkt man an allen Ecken und Enden“, sagt Aldag. Er bezeichnet die Lage als „eigenartig“: Die politischen Ziele seien enorm hoch, die Spielregeln für die Produktion von grünem Wasserstoff aber nicht ausreichend definiert. Anbieter wie Sunfire bauen ihre Produktion im Rekordtempo aus, Industrieunternehmen setzen auf Wasserstoff, es werden Projekte vorbereitet. Alles im Glauben daran, dass es bald losgehe, so Aldag. Doch damit alle die „angezogene Handbremse lösen“, bräuchten sie einen verlässlichen regulatorischen Rahmen, Nachfrageanreize und Unterstützung bei der Wachstumsfinanzierung. Das müsse die Politik nun liefern. „Politische Ziele allein machen noch keinen echten Markt.“
Aber Aldag kennt sich auch mit Gegenwind aus. Sunfire operierte lange in einer Nische, der Unternehmer und seine Mitstreiter wurden oft belächelt. Sie brauchten Risikobereitschaft und sehr viel Geduld. Ihre Geschichte handelt von jungen Unternehmern aus Westdeutschland, die früh an ihre Idee glaubten, Geld einsammelten und nach Ostdeutschland kamen, weil sie hier Partner fanden, um ihre Pläne umzusetzen.
Aldag wird 1986 geboren, er wächst in Hamburg auf, Vater und Großvater sind Unternehmer im Biotechnologiebereich. Das fasziniert ihn, also studiert er Betriebswirtschaftslehre. Ein Öko ist er nach eigenen Worten nicht, er besucht keine Demos, engagiert sich nicht für den Umweltschutz. Aber er ist neugierig und will wissen, wie sich der Klimawandel mit Innovationen stoppen lässt: Seine Abschlussarbeit schreibt er darüber, welche unternehmerischen Chancen erneuerbare Energien bieten.
Es ist das Jahr 2009, Aldag hat sein Studium gerade abgeschlossen, als er sich mit zwei Bekannten unterhält: Christian von Olshausen, den er aus Schulzeiten in Hamburg kennt, und Carl Berninghausen. Zusammen beschließt das Trio, Sunfire zu gründen. Die drei ticken unterschiedlich, hatten aber zur selben Zeit die Erkenntnis: Mit Strom aus Sonne und Wind allein wird die Energiewende nicht gelingen, man muss auch Strom in Moleküle umwandeln. Olshausen ist der Techniker im Team, er ist studierter Ingenieur. Berninghausen bringt Geschäftserfahrung und Kapital mit, Aldag kann Businesspläne schreiben.
Zunächst nehmen sich die Gründer vor, Projekte zur Erzeugung von E-Fuels, synthetischen Kraftstoffen, zu entwickeln. Doch auf dem Markt fehlen einsatzfähige Technologien, besonders Maschinen zur Herstellung von grünem Wasserstoff, den man für E-Fuels braucht. Also beginnen sie selbst, solche Maschinen zu entwickeln.
Im Jahr 2011 hören Aldag und seine Mitgründer von Staxera. Das Start-up aus Dresden beschäftigt zwei Dutzend Ingenieure, die an Brennstoffzellen arbeiten. Das macht Aldag und Co. neugierig. Denn während in einer Brennstoffzelle Wasserstoff und Sauerstoff reagieren, um Strom zu erzeugen, verwenden Elektrolyseure ähnliche Komponenten, um das Gegenteil zu erreichen: Sie nutzen Strom, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Sunfire übernimmt Staxera, die Ingenieure sind eine wichtige Verstärkung.
Und sie sind der Grund, warum Sunfire von Bremen nach Dresden zieht. „Vom Spirit passt Sachsen, weil es hier viel Begeisterung für technische Innovationen gibt“, sagt Aldag, außerdem gebe es hervorragende Forschungsinstitute, Hochschulen, Ingenieure. Er hat inzwischen drei kleine Kinder, fühlt sich in Dresden „völlig zu Hause“.
In den Jahren nach dem Umzug muss Sunfire viele Rückschläge meistern – etliche Male glauben die Gründer, dass sie scheitern könnten. Zum Beispiel als die Europäische Kommission 2018 mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie ein wichtiges Gesetz zur Nutzung von grünem Wasserstoff erlässt. Die Freude bei Sunfire ist zunächst groß. „Eine der wichtigsten Fragen, nämlich wie der Wasserstoff seine grüne Eigenschaft nachweisen kann, wurde darin jedoch offengelassen“, sagt Aldag. Etliche Projekte hätten sich um Jahre verzögert, die Finanzierung der Firma habe auf der Kippe gestanden. Erst Ende 2022 klärt sich die Lage.
Immer wieder brauchen die Gründer zudem Geld, um Sunfire aufzubauen. Sie sammeln 80 Millionen Euro Fördermittel bei der EU, beim Bund und beim Land Sachsen ein. Das meiste Geld besorgen sie sich aber bei privaten Geldgebern, in Summe bereits „knapp eine Milliarde Euro“, erzählt Aldag. Über die Jahre beteiligen sich um die 25 Fonds und Einzelinvestoren, auch der US-Konzern Amazon steigt ein. „Wir müssen uns heute mit mehr Gesellschaftern abstimmen als in den Anfangsjahren, das ist aufwendiger“, sagt er. „Andererseits konnten wir durch das Kapital ein sehr wertvolles Unternehmen schaffen.“ Und auch wenn er selbst nur noch einen einstelligen Anteil an seiner Firma halte, könne er als ihr Chef „noch viel Einfluss“ nehmen.
Vor allem die ersten Finanzierungsrunden sind Wackelpartien. Das Interesse der Politik liegt in den 2010er-Jahren auf Solar- und Windstrom sowie Batterieautos, das ändert sich erst mit der Europäischen Wasserstoffstrategie 2020. Ans Aufgeben hätten die Gründer trotzdem nie gedacht, erzählt Aldag. „Uns zeichnet aus, dass wir alle hart im Nehmen und resilient sind.“
Außerdem ist da der Glauben an die Technologie. Sunfire bietet zwei verschiedene Verfahren an, die Alkali- und die Hochtemperatur-Elektrolyse. Schaltet man einzelne Anlagen zusammen, erreicht die Leistung um die 100 Megawatt – so viel wie mehrere große Windräder. 15 bis 20 der 80 Tonnen schweren Anlagen will Sunfire in den kommenden zwei Jahren ausliefern. Der Preis: etwa eine Million Euro pro Megawatt installierter Leistung. Aldag geht davon aus, dass die Preise künftig sinken werden.
Die Gründer haben erst überlegt, in Dresden eine Fabrik zu bauen, entschieden sich aber für einen anderen Weg. Seit Neuestem kooperiert Sunfire mit Vitesco, einem Autozulieferer in Westsachsen. Weil weniger Teile für Dieselmotoren gebraucht werden, will Vitesco einen Teil der Produktion umstellen und künftig Stacks, die Herzstücke von Elektrolyseuren, für Sunfire bauen. Außerdem hat Sunfire in Solingen einen Galvanik-Spezialisten übernommen. Er beschichtet Zellen metallisch, sie sind Kernbestandteile von alkalischen Elektrolyseuren.
Aldags größte Sorge ist also nicht die Nachfrage, das Kapital oder die Personalakquise. Der größte Unsicherheitsfaktor ist die Politik. Mitte 2022 hat das Bundeswirtschaftsministerium Sunfire ermöglicht, mit der Serienfertigung ihrer Elektrolyseure zu beginnen. Das sei „ein starkes Zeichen“, lobte der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck damals, „auch für den Standort Deutschland und den Standort Sachsen“.
Nun aber erschweren viele offene Fragen den Weg. Die Definition von grünem Wasserstoff sei zwar auf europäischer Ebene geklärt worden, die Umsetzung in deutsches Recht stehe aber aus, sagt Aldag. „Außerdem ist grüner Wasserstoff heute teurer als fossile Alternativen.“ Am wichtigsten ist es ihm nun, dass seine Branche einen Anschub bekommt. „Kunden brauchen Anreize, um auf die saubere Variante umzusteigen.“
Aldag und die anderen Gründer lobbyieren deswegen oft in Berlin und Brüssel für mehr Unterstützung. Sie wünschen sich einen Beschleuniger, der ihrer Branche so zum Durchbruch verhilft wie einst das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz der Solar- und Windbranche. Unternehmer wie er schauen neidisch in die USA, wo die Politik die Wasserstoffwirtschaft mit Subventionen und Steuerrabatten für Wasserstoffproduzenten boostert. Der Unternehmer hofft: „Wenn Politik und Industrie gemeinsam mutig voranschreiten, dann stehen die Chancen gut, dass die nächste Erfolgsstory wie die der Automobilkonzerne von einem Elektrolyse-Unternehmen wie unserem geschrieben wird.“
Ob Sunfire noch scheitern könnte? Aldag sagt, die Aussicht auf Erfolg sei nie besser gewesen; er sei überzeugt vom grünen Wasserstoff als Zukunftstechnologie. Aber ganz ausschließen will er das Scheitern nicht.