ZEIT für X
Zwei Menschen halten sich an den Händen

Wenn das Geld fremdgeht

05. Dezember 2023
ZEIT Redaktion

Manche Unternehmer stecken ihre Gewinne lieber in andere Familienfirmen als in die eigene. Warum denn das?

von Anna Friedrich

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 4/2023“. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.

Bewunderung hier, Empörung dort: Als der 34-jährige Max Viessmann das Kerngeschäft seines Familienunternehmens im Frühjahr 2023 an den US-Konkurrenten Carrier Global verkauft, kochen in der Wirtschaftswelt ganz unterschiedliche Emotionen hoch. Viessmann erklärt den Megadeal nämlich nicht etwa mit einer wirtschaftlichen Schieflage. Dem Heizungsbauer geht es blendend. Trotzdem veräußert er seine Klimasparte an den Wettbewerber aus den USA, damit Viessmann und Carrier zum „globalen Champion für Klima- und Energielösungen“ werden, wie die Familie es ausdrückt. Kaufpreis: rund zwölf Milliarden Euro.

Wenn eine Firma Geld braucht, ist so ein Verkauf nur eine von vielen Lösungen. Banken geben Kredite oft nur zögerlich. Ein Börsengang ist eine Option, alternativ kann man sich einen Private-Equity-Investor an Bord holen. Oder man beteiligt andere Familienunternehmer an der eigenen Familienfirma. Solche Kapitalgeber können sich, so die Vermutung, besonders gut in die Lage anderer Mittelständler hineinversetzen. Man bleibt unter seinesgleichen, das Verständnis füreinander schweißt zusammen.

„Kapital von anderen Familien genießt bei familiengeführten Unternehmen oft einen besseren Ruf als Kapital von Finanzinvestoren oder vom Kapitalmarkt“, sagt Stephan Gerwert, Family-Office-Experte bei der Beratungsgesellschaft PwC Deutschland. Dabei sind die Beteiligungen zumeist kein Dienst aus Nettigkeit, sondern ein strategisches Investment. Auch wenn einander gewogene Familien miteinander dealen, wollen sie Gewinne machen. Die emotionale Verbundenheit mit der eigenen Spezies ist eher eine Anekdote als ein Anlagekriterium.

Firmenbeteiligungen boomen daher auch aus einem recht profanen Grund: Weil Immobilieninvestments an Attraktivität verloren haben, kaufen wohlhabende Unternehmer-Clans sich jetzt öfter Anteile an den Firmen anderer Clans. Noch ein Grund: Wer seine Gewinne nicht in der eigenen Firma belässt, sondern in andere Firmen investiert, kann so sein Risiko streuen.

Viele Unternehmerfamilien nutzen sogenannte Family-Offices, um ihr Vermögen zu sichern und zu mehren. Neben Anbietern, die für mehrere Familien arbeiten, sind hierzulande laut Schätzungen der privaten Wirtschaftshochschule WHU rund 300 Single-Family-Offices aktiv, die exklusiv das Geld einer einzigen Familie verwalten.

Nadine Kammerlander forscht seit 15 Jahren zu Familienunternehmen, an der WHU hat sie sich auf Family-Offices spezialisiert. „Familienunternehmer denken in Generationen“, sagt sie. Was wie eine Floskel klingt, hat laut Kammerlander aber tatsächlich ganz konkrete Auswirkungen: „Wenn Family-Offices in Familienunternehmen investieren, haben sie eine Haltedauer von durchschnittlich 19 Jahren.“ Zum Vergleich: Ein typisches Private-Equity-Investment ist darauf ausgelegt, nach fünf bis höchstens sieben Jahren Rendite einzufahren. Und das geht in der Regel nur, wenn man seine Anteile wieder mit Gewinn versilbert.

Die WHU hat gemeinsam mit der Finanzplattform CARL Unternehmer befragt, die über einen Verkauf der eigenen Firma nachdenken. Die Hälfte von ihnen will die Anteile nicht meistbietend veräußern, sondern an jemanden, der die Firmen-DNA aufrechterhält. Bleibt der Name bestehen? Die Struktur? Die Unabhängigkeit? „All das ist bei Private-Equity-Häusern kaum zu antizipieren. Zumal nach fünf Jahren der nächste Käufer kommt und dann vielleicht wieder der nächste“, hat Kammerlander beobachtet. Die Professorin warnt: „In welchen Händen das eigene Unternehmen da am Ende landet, ist kaum vorauszusagen.“ Ein Family-Office mit längerem Atem erscheint da vielen als die überzeugendere Wahl.

Claudius Graf von Plettenberg kennt beide Welten. Er hat vor zwei Jahren seinen Geschäftsführerposten beim Private-Equity-Investor Aurelius aufgegeben. Gemeinsam mit anderen Familien investiert er nun Teile des Familienkapitals in Mittelständler. Dabei will er mindestens 60 bis 70 Prozent der Anteile und übernimmt nach einer Übergangsphase manchmal die ganze Firma.

„Viele Unternehmer sind Alphatiere und beratungsresistent“

Plettenberg will das Familienkapital vornehmlich in „krisenfeste, bewährte Geschäftsmodelle“ investieren. Handwerksbetriebe, Firmen aus dem Gesundheitssektor, Getränkeproduzenten. „Wir denken sehr langfristig und haben entsprechend keine feste Renditeerwartung oder Haltedauer im Kopf“, verspricht Plettenberg. Deswegen verspüre er auch „keinen Druck, wieder zu verkaufen“ – anders als Private-Equity-Investoren, die unter dem Druck stehen, ihren Geldgebern Rendite zu bringen.

Gemeinsam mit seinem Vater Nikolaus Graf von Plettenberg fährt Plettenberg zu Unternehmern, die Teile ihrer Firma verkaufen wollen, weil ihnen ein Nachfolger fehlt. In der Kennenlernphase tauschen beide Parteien Ideen aus, wie die Nachfolge aussehen könnte, wie sich das Geschäft weiterentwickeln lässt. „Noch wichtiger ist allerdings, dass die Chemie zwischen uns stimmt“, sagt Plettenberg. Er wirbt damit, dass seine Familie die Welt der Familienunternehmer kennt. Sein Vater ist seit 40 Jahren Unternehmer, kommt aus der „Old Economy“, wie Plettenberg sagt. Sein Bruder hat in den vergangenen Jahren ein internationales Unternehmen im Konsumgüterbereich aufgebaut. Er selbst kennt sich mit Finanzen aus und bringt Investitionserfahrung mit.

Aber ticken alle Familieninvestoren so anders als jene Geldgeber, die der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering mal als Heuschrecken beschimpfte? Karsten Wulf ist einer, der sein Geld gern in andere Familienfirmen investiert und selbst als Unternehmer begonnen hat. 1993 hat Wulf den Callcenter-Dienstleister buw gegründet und ihn 2016 an einen US-Konzern verkauft. Damals standen rund 160 Millionen Euro Jahresumsatz zu Buche. Wulf und sein Mitinhaber machten Kasse, schieden aus der Firma aus; und er begann ein neues Leben als Finanzinvestor. Es ist eine typische Biografie: Viele Familienunternehmer, die heute in andere Unternehmen investieren, haben ihr ursprüngliches Unternehmen mit Gewinn verkauft und kümmern sich nun um das Kapital aus dem Verkauf.

Wulf investiert mit seiner Beteiligungsgesellschaft zwei.7 sowohl eigenes Kapital als auch Geld anderer Familienunternehmer. Und zwar vor allem in Familienfirmen aus seiner Region: Bielefeld, Osnabrück, Dortmund und Bremen. „Wir können höhere Renditen erzielen als mit anderen Asset-Klassen“, sagt Wulf. „Auf der anderen Seite ist das Geschäft auch risikoreicher, Unternehmen können auch mal pleitegehen.“

Wulf beschreibt damit das typische Spekulationskalkül eines Investors: In der Regel beteiligen sie sich an mehreren Firmen parallel, von denen sich mindestens eine als Volltreffer erweist. Aus dem Gewinn ziehen dann nicht nur die Geldgeber ihre Rendite, es lassen sich auch verlustreiche andere Beteiligungen ausgleichen. Wulf baut beim Einstieg in ein Unternehmen darauf, dass sich dessen Wert nach sieben Jahren vervierfacht hat – das entspricht einem jährlichen Wertanstieg von 22 Prozent. Danach könne man die Anteile auch zu einem geringeren Wert verkaufen, müsse das aber nicht.
Seine Schablone für die Wahl passender Unternehmen hat eine klare Kontur: Er sucht nach Unternehmen mit 10 bis 150 Millionen Euro Umsatz, die profitabel sind und Wachstumspotenzial mitbringen. Ihr Geschäftsmodell muss verständlich sein – und das Management bereit für einen Investor: „Viele Unternehmer sind Alphatiere und beratungsresistent“, sagt Wulf, „die scheiden in der Zusammenarbeit für uns aus, auch wenn die Rendite attraktiv ist.“

Wulf wird oft dann angesprochen, wenn Unternehmer ein Nachfolgeproblem haben. So wie Ossenberg aus Rheine, ein Spezialist für orthopädische Hilfsmittel und Reha-Produkte. Einer der beiden Gesellschafter wollte sich zur Ruhe setzen und seine Hälfte der Firma verkaufen. Wulf sah Potenzial – und schlug zu. Unter einer Bedingung: „Mir ist es wichtig, die Mehrheit zu besitzen. Dann gibt es keine Pattsituation, Entscheidungen werden nicht herausgezögert.“ Weil der verbleibende Gesellschafter skeptisch war, schlug Wulf eine „Ehe auf Anwartschaft“ vor, wie er sagt. Er kaufte 50 Prozent der Anteile und vereinbarte eine Probezeit von fünf Monaten. Danach musste sich der alteingesessene Unternehmer entscheiden: Er konnte Wulf die Anteile wieder abkaufen oder ihm das gewünschte zusätzliche Prozent übereignen. Wulf bekam die Mehrheit.

Max Viessman hat nach dem Verkauf seines Kerngeschäfts übrigens angekündigt, den Erlös größtenteils zu reinvestieren. Und wer weiß, vielleicht landet das Geld ja so am Ende auch in anderen Familienfirmen.