Wie können Schulen besser digitale Kompetenzen vermitteln?
Jacob Chammon vom Forum Bildung Digitalisierung erklärt im Interview, wie Schulen digitaler werden können und wieso sie dafür mehr Freiheiten brauchen.
Studio ZX: Seit Beginn der Coronapandemie arbeiten Schulen viel mehr mit digitalen Medien als vorher. Haben sich dadurch auch die digitalen Kompetenzen von Schüler:innen verbessert?
Jacob Chammon: Über Nacht waren Lehrkräfte und Schüler:innen gezwungen, Neues auszuprobieren und mit digitalen Anwendungen zu arbeiten. Dadurch haben sie zwangsläufig Kompetenzen entwickelt. Die Frage ist aber, ob man dabei wirklich von Digitalkompetenzen in allen Facetten sprechen kann. Meine Antwort ist: nein. Um kritisch und konstruktiv mit digitalen Medien umgehen zu können, braucht es mehr als die reine Anwendung. Da müssen wir jetzt weitere Schritte gehen.
Digitale Möglichkeiten können die Fachdidaktiken bereichern
Was sind die nächsten Schritte?
Mit Blick auf die Schule ist es jetzt wichtig, in die Fachdidaktiken und Lehrpläne hineinzugehen und zu schauen, wo die digitalen Möglichkeiten ein Fach bereichern können. Wir müssen die digitalen Möglichkeiten nutzen, um eine Erneuerung der Fächer zu erreichen. Und noch besser: um stärker fächerübergreifend und projektorientiert zu arbeiten. Und es muss uns dabei gelingen, dass Schüler:innen nicht nur passive Konsument:innen, sondern vor allem aktive Produzent:innen von digitalen Produkten werden.
Es muss uns gelingen, dass Schüler:innen nicht nur passive Konsument:innen, sondern vor allem aktive Produzent:innen von digitalen Produkten werden.
Jacob Chammon
Welche digitalen Kompetenzen müssen Schüler:innen lernen?
Neben der reinen Anwendung der vielen digitalen Möglichkeiten müssen sie kritisch mit Daten umgehen können. Sie müssen wissen, was Daten überhaupt sind, wie digitale Medien funktionieren und wie gläsern sie sich in der digitalen Welt machen wollen. Sie müssen auch kritisch mit Quellen umgehen können. Ein weiteres großes Thema ist Wellbeing. Schüler:innen müssen eine Haltung entwickeln, wann sie erreichbar sein wollen und wann sie digitale Geräte ausschalten. Das ist eine wichtige Kompetenz in der Kultur der Digitalität. Und es ist eine Kompetenz, die wir alle lernen müssen – nicht nur Kinder und Jugendliche.
Vermittlung digitaler Kompetenzen kann nicht früh genug beginnen
Ab welchem Alter sollten Kinder digitale Kompetenzen erlernen?
Das kann nicht früh genug losgehen. Schon in der Kita oder zumindest vom ersten Tag in der Schule an müssen sie mit digitalen Anwendungen konfrontiert werden. Aber ich plädiere nicht dafür, dass alle Erstklässler:innen sofort ein iPad bekommen und jeden Tag acht Stunden dort hineinstarren. Das digitale darf nicht das analoge, haptische und künstlerische Arbeiten ablösen, sondern muss mit Bezug zum Rahmenlehrplan altersgerecht damit verknüpft sein.
Wie stehen Sie zu einem Pflichtfach Informatik oder Medienkunde?
Ich bin kein Gegner des Faches Informatik. Aber es ist falsch, anzunehmen, dass es reicht, Informatik in der siebten oder achten Klasse zum Pflichtfach zu machen und das Thema damit abzuhaken. Wir brauchen ein Sowohl-als-auch. Wir brauchen ein Neudenken der Fachdidaktiken, bei dem die digitalen Möglichkeiten mitgedacht werden, und es braucht auch den Blick hinter die Kulissen der digitalen Medien. Wir müssen Fachleute haben, die mit Schüler:innen über Algorithmen sprechen können, mit ihnen Apps entwickeln, Handys auseinanderschrauben.
Wer kann das leisten – die Lehrkräfte?
Auch hier: sowohl als auch. Wer das Lehramtsstudium verlässt, muss sich tiefgründig mit dem Thema Digitalisierung im eigenen Fach auseinandergesetzt haben. Es braucht aber neben den Fachlehrer:innen auch Menschen, die Kindern und Jugendlichen tiefgründiges Datenwissen vermitteln. Das müssen nicht die Lehrkräfte machen, das können auch Expert:innen von außen sein.
Verwaltung muss sich verändern, damit Schulen flexibler agieren können
Wie bekommt man die an die Schulen?
Ich war selbst Schulleiter und weiß, wie schwierig es ist, eine Genehmigung zu bekommen, überhaupt jemanden in der Schule einzusetzen. Hier muss sich auch etwas in der Verwaltung ändern, damit Schulen mehr Freiheiten bekommen. Es muss möglich sein, zum Beispiel Kooperationen mit Unternehmen zu schließen. IT-Leute werden wir bei dem großen Fachkräftemangel nicht an die Schulen bekommen. Aber Schüler:innen könnten ja auch Praktika bei Firmen vor Ort machen und dabei digitale Kompetenzen erlangen. Aber nicht in Form eines einwöchigen Betriebspraktikums in einem Schuljahr, sondern eingebunden in den Schulalltag, zum Beispiel an einem Nachmittag jede Woche.
Sie kennen beide Systeme: Sie waren Lehrer in Dänemark und Schulleiter in Deutschland. Schüler:innen in Dänemark schneiden bei digitalen Kompetenzen deutlich besser ab als in Deutschland. Was läuft besser in Dänemark?
Dänemark hat viel früher mit der Digitalisierung von Schulen angefangen. Man hat früh sehr viel Geld investiert in Endgeräte und auch früh herausgefunden, dass das Thema mit Endgeräten allein nicht gelöst ist, sondern dass man auch das Lehramtsstudium und die Lehrerfortbildung verändern muss. Lehrkräfte in Dänemark haben daher schon vor der Pandemie viel digitaler gearbeitet, und auch das Angebot von digitalen Lehrmaterialien ist viel größer. Das hat etwas mit Bürokratie zu tun. Die Steuerungsmechanismen sind in Dänemark einfacher. In Dänemark gibt es nur den Staat und die Kommunen. In Deutschland sind dazwischen noch die Länder, und damit ist der Weg von A nach B viel weiter und langsamer.
Ich würde mir wünschen, dass eine Diskussion über einen zweiten Digitalpakt nicht in einem Grabenkrieg zwischen Bund und Ländern endet.
Jacob Chammon
Der DigitalPakt Schule soll fortgesetzt werden. Wie kann seine Umsetzung schneller und effektiver werden als bislang?
Ich bin kein Verwaltungsexperte und kann daher nicht genau sagen, wo es hakt. Aber mein Eindruck ist, dass es zu viele Diskussionen und bürokratische Hürden gibt, die eine Entscheidung ausbremsen. Ich würde mir mehr Mut wünschen, auch mal Fehler zu machen. Und ich würde mir wünschen, dass eine Diskussion über einen weiteren Digitalpakt nicht in einem Grabenkrieg zwischen Bund und Ländern endet. Bund, Länder und Kommunen sollten sich endlich an einen Tisch setzen, sich auf ein gemeinsames Ziel verständigen und überlegen, wie sie es schaffen können, dass das Geld unbürokratisch fließen kann.
Zur Person
Jacob Chammon ist Vorstand des Forums Bildung Digitalisierung. Er war Schulleiter der Deutsch Skandinavischen Gemeinschaftsschule in Berlin und hat zuvor in Dänemark als Lehrer und Berater von Schulleitungen und Schulverwaltungen gearbeitet.