ZEIT für X
Katarina Barley

Korruption und Krisen – Katarina Barley über den Vertrauens­verlust in der EU

17. Januar 2023
Ein Artikel von Studio ZX

Europa lebt vom Vertrauen seiner Bürger:innen in politische Institutionen – doch genau dieses leidet in Krisen­zeiten. Wie geht die Politik ein Jahr vor der nächsten Europa­wahl damit um, Frau Barley?

von Luca Pot d'Or, Studio ZX

Immer mehr Menschen stehen der Politik misstrauisch gegenüber: In Deutschland vertrauen laut einer aktuellen RTL/ntv-Umfrage nur noch 33 Prozent der Bürger:innen dem Bundes­kanzler und 34 Prozent der Bundes­regierung – ein Minus von 22 bzw. 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mit dieser Entwicklung ist Deutschland nicht allein: Der EU-Schnitt liegt bei unter 50 Prozent. Selbst in Finnland – Spitzen­reiter in einem Ranking der OECD – sind es nur knapp 60 Prozent der Bevölkerung, die ihrer Regierung trauen. „Das ist eine dramatische Entwicklung“, findet Katarina Barley. Sie ist Europa­abgeordnete für die SPD und eine von 14 Vize­präsident:innen des EU-Parlamentes. Im Jahr 2024 steht die nächste Europa­wahl an – dass das Vertrauen in die Politik bis dahin wieder steigt, liegt also auch in ihrer Verantwortung. Wie lässt sich der Vertrauens­verlust erklären, und wie gewinnt man Wähler:innen zurück?

Für das Gespräch mit ZEIT für Demokratie nimmt sich Katarina Barley Zeit zwischen Parlaments­sitzung und Ausschuss­arbeit in Brüssel. Für die Arbeit als EU-Abgeordnete pendelt sie nicht täglich, aber regel­mäßig zwischen Brüssel, Straßburg und ihrem Wohnort Schweich in der Nähe von Trier. „So nah an der Grenze zu Luxemburg, Frankreich und Belgien fühlt es sich natürlich noch mehr nach Europa an als in Berlin“, sagt Barley, die als erstes Mitglied der Bundes­regierung in das EU-Parlament gewechselt ist. Barley war Bundes­familien- und -justiz­ministerin, bevor es für sie nach der Europa­wahl 2019 vom Bundestag ins EU-Parlament ging. „Die SPD war zu der Zeit in einer wirklich schlechten Verfassung, und mir liegt Europa am Herzen. Für ein soziales Europa braucht es die Sozial­demokratie. Mit diesem Auftrag bin ich ins Parlament gegangen.“

Die Pandemie als Zerreiß­probe

Doch kaum ins Parlament gewählt, stellte die Coronapandemie auch für Katarina Barley Leben und Arbeit auf den Kopf: „Die ersten Monate der Legislatur­periode waren tatsächlich so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich war oft unterwegs in Europa, habe viele Leute kennen­gelernt, mich vernetzt.“ Doch mit dem Ausbruch der Pandemie kamen die Grenzschließungen und die Kontakt­beschränkungen – „das war für uns Parlamentarier:innen enorm schwierig, weil wir vom direkten Austausch mit anderen Menschen leben“, erinnert sich Barley. Gleich­zeitig wuchs mit der Dauer der Corona­maßnahmen in Teilen der Bevölkerung auch die Unzufriedenheit mit der Regierung, was sich nicht nur in den Umfrage­werten zeigte. Verschwörungs­erzählungen, Anfeindungen und Drohungen gegen Politiker:innen und Wissenschaftler:innen hatten Hoch­konjunktur.

Der Korruptionsskandal um Eva Kaili macht mich ungemein wütend.

Sind Krisen wie die Pandemie also schuld am Vertrauensverlust der Bürger:innen? „Krisen führen zu Unsicherheit und Unsicherheit zu Skepsis – und in den letzten Jahren hatten wir ja nie nur eine Krise, sondern mit dem Klimawandel, der Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der Inflation gleich mehrere gleichzeitig“, sagt Katarina Barley. Zu den äußeren Einfluss­faktoren komme aber auch ein eklatantes Eigen­verschulden der Politik hinzu, gibt sie zu: „Die Affäre um die Maskendeals von Einzelnen Bundes­tags­abgeordneten oder der Korruptions­skandal um meine EU-Parlaments­kollegin Eva Kaili führen verständlicher­weise dazu, dass Menschen Vertrauen in die Politik verlieren. Das bereitet mir große Sorgen und macht mich wütend.“

Kriminelle Energie bricht alle Regeln

Die griechische EU-Abgeordnete Evdoxia „Eva“ Kaili, die bis zum Bekannt­werden des Skandals der sozial­demokratischen Fraktion im EU-Parlament angehörte, wurde im Dezember letzten Jahres wegen mutmaßlicher Korruption in ihrer Wohnung in Brüssel festgenommen. Der Verdacht: Sie habe sich vom Wüsten­staat Katar bestechen lassen. Ein Schock für die EU und ihre Abgeordneten, so beschreibt es Barley, die Kaili aus gemeinsamen Sitzungen gut kennt. „Inhaltlich sind wir oft aneinander­geraten, weil ihre Positionen und ihr Auftreten oft schon sehr schräg waren. Unvergessen ist zum Beispiel ihre Rede im EU-Parlament, in der sie Katar hinsichtlich der Menschen­rechte als Vorzeige­land lobte. Im Nachhinein lässt sich so ein Verhalten mit der mutmaßlichen Korruption natürlich erklären.“ Dennoch ärgere es Barley, dass Kaili so lange unentdeckt blieb und sie ihre Kolleg:innen derart täuschen konnte.

Ganz verhindern ließen sich solche Vorfälle wohl nicht, glaubt Barley: „Kriminelle Energie macht auch vor strengeren Regeln nicht halt.“ Es brauche jetzt eine vollständige Aufklärung der Affäre und lang­fristig bessere Frühwarn­systeme und mehr Transparenz, findet die EU-Politikerin. Dazu gehört beispiels­weise auch das Transparenz­register, das sie als Parlaments­vizin maßgeblich mitgestaltet hat und das Lobbyismus in der EU-Politik strenger kontrollieren soll. Barley: „Vertrauen in die politischen Institutionen ist nur möglich, wenn wir selbst transparent und offen in unserer Rolle als gewählte Vertreter:innen der EU-Bevölkerung auftreten.“ Sie selbst gibt deshalb – wie auch viele andere Abgeordnete – ihr Gehalt und ihre Einkünfte auf ihrer eigenen Website öffentlich einsehbar an.

Ein geeintes Europa war noch nie so wichtig

Gehaltsangaben allein reichten selbstverständlich nicht, um die Gunst der Wähler:innen nach solchen Skandalen zurück­zu­gewinnen, ist sich Barley sicher: „Mir geht es ja genauso: Ich bin ein Mensch, der sehr gerne Vertrauen schenkt, und ich brauche das in meiner Arbeit. Doch in der Politik ist ein gesundes Misstrauen genauso wichtig, auch wenn diese professionelle Distanz persönlich nicht immer einfach ist.“ Der Glaube an die politischen Institutionen und an die Europäische Union habe bei Barley jedoch nie gelitten. „Als die Grenzen zu Pandemie­beginn geschlossen wurden, haben wir doch gemerkt, was eigentlich ein gemeinsames, geeintes Europa bedeutet. Eine funktionierende und stabile EU ist angesichts der Bedrohungen aus Russland oder durch rechts­populistische und EU-feindliche Entwicklungen in Mitglied­staaten wie Ungarn, Polen oder Italien wichtiger als je zuvor.“ Und für die Stabilität der EU wiederum ist das Vertrauen der Bevölkerung notwendig. Die Europawahl im kommenden Jahr wird Aufschluss darüber geben, ob es der Politik gelingt, die Menschen auch in Krisen­zeiten mitzunehmen.