Korruption und Krisen – Katarina Barley über den Vertrauensverlust in der EU
Europa lebt vom Vertrauen seiner Bürger:innen in politische Institutionen – doch genau dieses leidet in Krisenzeiten. Wie geht die Politik ein Jahr vor der nächsten Europawahl damit um, Frau Barley?
Immer mehr Menschen stehen der Politik misstrauisch gegenüber: In Deutschland vertrauen laut einer aktuellen RTL/ntv-Umfrage nur noch 33 Prozent der Bürger:innen dem Bundeskanzler und 34 Prozent der Bundesregierung – ein Minus von 22 bzw. 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mit dieser Entwicklung ist Deutschland nicht allein: Der EU-Schnitt liegt bei unter 50 Prozent. Selbst in Finnland – Spitzenreiter in einem Ranking der OECD – sind es nur knapp 60 Prozent der Bevölkerung, die ihrer Regierung trauen. „Das ist eine dramatische Entwicklung“, findet Katarina Barley. Sie ist Europaabgeordnete für die SPD und eine von 14 Vizepräsident:innen des EU-Parlamentes. Im Jahr 2024 steht die nächste Europawahl an – dass das Vertrauen in die Politik bis dahin wieder steigt, liegt also auch in ihrer Verantwortung. Wie lässt sich der Vertrauensverlust erklären, und wie gewinnt man Wähler:innen zurück?
Für das Gespräch mit ZEIT für Demokratie nimmt sich Katarina Barley Zeit zwischen Parlamentssitzung und Ausschussarbeit in Brüssel. Für die Arbeit als EU-Abgeordnete pendelt sie nicht täglich, aber regelmäßig zwischen Brüssel, Straßburg und ihrem Wohnort Schweich in der Nähe von Trier. „So nah an der Grenze zu Luxemburg, Frankreich und Belgien fühlt es sich natürlich noch mehr nach Europa an als in Berlin“, sagt Barley, die als erstes Mitglied der Bundesregierung in das EU-Parlament gewechselt ist. Barley war Bundesfamilien- und -justizministerin, bevor es für sie nach der Europawahl 2019 vom Bundestag ins EU-Parlament ging. „Die SPD war zu der Zeit in einer wirklich schlechten Verfassung, und mir liegt Europa am Herzen. Für ein soziales Europa braucht es die Sozialdemokratie. Mit diesem Auftrag bin ich ins Parlament gegangen.“
Die Pandemie als Zerreißprobe
Doch kaum ins Parlament gewählt, stellte die Coronapandemie auch für Katarina Barley Leben und Arbeit auf den Kopf: „Die ersten Monate der Legislaturperiode waren tatsächlich so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich war oft unterwegs in Europa, habe viele Leute kennengelernt, mich vernetzt.“ Doch mit dem Ausbruch der Pandemie kamen die Grenzschließungen und die Kontaktbeschränkungen – „das war für uns Parlamentarier:innen enorm schwierig, weil wir vom direkten Austausch mit anderen Menschen leben“, erinnert sich Barley. Gleichzeitig wuchs mit der Dauer der Coronamaßnahmen in Teilen der Bevölkerung auch die Unzufriedenheit mit der Regierung, was sich nicht nur in den Umfragewerten zeigte. Verschwörungserzählungen, Anfeindungen und Drohungen gegen Politiker:innen und Wissenschaftler:innen hatten Hochkonjunktur.
Der Korruptionsskandal um Eva Kaili macht mich ungemein wütend.
Sind Krisen wie die Pandemie also schuld am Vertrauensverlust der Bürger:innen? „Krisen führen zu Unsicherheit und Unsicherheit zu Skepsis – und in den letzten Jahren hatten wir ja nie nur eine Krise, sondern mit dem Klimawandel, der Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der Inflation gleich mehrere gleichzeitig“, sagt Katarina Barley. Zu den äußeren Einflussfaktoren komme aber auch ein eklatantes Eigenverschulden der Politik hinzu, gibt sie zu: „Die Affäre um die Maskendeals von Einzelnen Bundestagsabgeordneten oder der Korruptionsskandal um meine EU-Parlamentskollegin Eva Kaili führen verständlicherweise dazu, dass Menschen Vertrauen in die Politik verlieren. Das bereitet mir große Sorgen und macht mich wütend.“
Kriminelle Energie bricht alle Regeln
Die griechische EU-Abgeordnete Evdoxia „Eva“ Kaili, die bis zum Bekanntwerden des Skandals der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament angehörte, wurde im Dezember letzten Jahres wegen mutmaßlicher Korruption in ihrer Wohnung in Brüssel festgenommen. Der Verdacht: Sie habe sich vom Wüstenstaat Katar bestechen lassen. Ein Schock für die EU und ihre Abgeordneten, so beschreibt es Barley, die Kaili aus gemeinsamen Sitzungen gut kennt. „Inhaltlich sind wir oft aneinandergeraten, weil ihre Positionen und ihr Auftreten oft schon sehr schräg waren. Unvergessen ist zum Beispiel ihre Rede im EU-Parlament, in der sie Katar hinsichtlich der Menschenrechte als Vorzeigeland lobte. Im Nachhinein lässt sich so ein Verhalten mit der mutmaßlichen Korruption natürlich erklären.“ Dennoch ärgere es Barley, dass Kaili so lange unentdeckt blieb und sie ihre Kolleg:innen derart täuschen konnte.
Ganz verhindern ließen sich solche Vorfälle wohl nicht, glaubt Barley: „Kriminelle Energie macht auch vor strengeren Regeln nicht halt.“ Es brauche jetzt eine vollständige Aufklärung der Affäre und langfristig bessere Frühwarnsysteme und mehr Transparenz, findet die EU-Politikerin. Dazu gehört beispielsweise auch das Transparenzregister, das sie als Parlamentsvizin maßgeblich mitgestaltet hat und das Lobbyismus in der EU-Politik strenger kontrollieren soll. Barley: „Vertrauen in die politischen Institutionen ist nur möglich, wenn wir selbst transparent und offen in unserer Rolle als gewählte Vertreter:innen der EU-Bevölkerung auftreten.“ Sie selbst gibt deshalb – wie auch viele andere Abgeordnete – ihr Gehalt und ihre Einkünfte auf ihrer eigenen Website öffentlich einsehbar an.
Ein geeintes Europa war noch nie so wichtig
Gehaltsangaben allein reichten selbstverständlich nicht, um die Gunst der Wähler:innen nach solchen Skandalen zurückzugewinnen, ist sich Barley sicher: „Mir geht es ja genauso: Ich bin ein Mensch, der sehr gerne Vertrauen schenkt, und ich brauche das in meiner Arbeit. Doch in der Politik ist ein gesundes Misstrauen genauso wichtig, auch wenn diese professionelle Distanz persönlich nicht immer einfach ist.“ Der Glaube an die politischen Institutionen und an die Europäische Union habe bei Barley jedoch nie gelitten. „Als die Grenzen zu Pandemiebeginn geschlossen wurden, haben wir doch gemerkt, was eigentlich ein gemeinsames, geeintes Europa bedeutet. Eine funktionierende und stabile EU ist angesichts der Bedrohungen aus Russland oder durch rechtspopulistische und EU-feindliche Entwicklungen in Mitgliedstaaten wie Ungarn, Polen oder Italien wichtiger als je zuvor.“ Und für die Stabilität der EU wiederum ist das Vertrauen der Bevölkerung notwendig. Die Europawahl im kommenden Jahr wird Aufschluss darüber geben, ob es der Politik gelingt, die Menschen auch in Krisenzeiten mitzunehmen.