Was eine neue Osterweiterung für die EU bedeuten würde
Im Frühjahr 2022 haben Georgien, Moldau und die Ukraine sich um den EU-Beitritt beworben. Wie realistisch ist eine Osterweiterung – und wie würde sie die EU verändern?
Mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben drei osteuropäische Staaten ihre Kandidatur für den EU-Beitritt eingereicht: Georgien, Moldau und die Ukraine. Im Gegensatz zu Georgien haben Moldau und die Ukraine den Status als EU-Beitrittskandidaten erhalten. Das muss allerdings noch nichts heißen: Vor den Staaten liegt nun ein langer Weg – denn bis ein Staat der EU beitreten kann, muss eine Reihe von Bedingungen geprüft und erfüllt werden. Für Georgien ist die Reise EU auch noch nicht vorbei: Die südkaukasische Republik hat immer noch eine Perspektive auf den EU-Beitritt und kann sich erneut bewerben – solange die Regierung die von der Europäischen Kommission empfohlenen Reformen umsetzt.
Bisherige Beziehungen zur Europäischen Union
Georgien, Moldau und die Ukraine sind Mitglieder der Östlichen Partnerschaft der EU. Diese wurde am 7. Mai 2009 in Prag ins Leben gerufen. Die Partnerschaft ist Teil der European Neighbourhood Policy (ENP) und umfasst drei weitere Staaten: Belarus, Armenien und Aserbaidschan. Ziel der ENP ist es, Nachbarländer der EU bei politischen und wirtschaftlichen Reformen zu unterstützen. Neben der Östlichen Partnerschaft hat die EU Assoziierungsabkommen mit den einzelnen Staaten abgeschlossen, welche die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen forcieren sollen.
Vielfältiges wirtschaftliches Potenzial
Mit den Assoziierungsabkommen hat die EU ein gemeinsames Freihandelsabkommen (DCFTA) mit Georgien, Moldau und der Ukraine abgeschlossen. Die EU ist bereits in allen drei Ländern eine wichtige Handelspartnerin. So floss vor Kriegsbeginn ein Drittel der Exporte aus der Ukraine in die EU – darunter auch viele agrarwirtschaftliche Erzeugnisse. Neben der Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie sind auch die Metall-und Chemieindustrie wichtige Pfeiler der ukrainischen Wirtschaft. Georgien importiert derzeit mehr, als es exportiert. Dabei verfügt die südkaukasische Republik über mineralische Ressourcen wie Kupfer, Eisenerz und Mangan und einen vielversprechenden Agrarsektor: So ist Georgien der fünftgrößte Haselnussproduzent der Welt. Auch die Republik Moldau hat einen bedeutsamen Agrarsektor. Sie exportiert zudem besonders viele leichtindustrielle Produkte wie Schuhe, Textilien und Teppiche. Wegen der geringen Steuern zeichnet sich Moldau außerdem als attraktiver Produktionsstandort aus. Die drei Staaten haben also reichlich wirtschaftliches Potenzial. Durch einen EU-Beitritt erhoffen sie sich, dieses Potenzial noch weiter zu verwirklichen.
Die EU – Hoffnungsträgerin für eine sichere Zukunft
Seit den 90er-Jahren streben Teile der georgischen, moldauischen und ukrainischen Gesellschaft eine EU-Mitgliedschaft an. Georgien plante eine Bewerbung um den EU-Beitritt für das Jahr 2024 – doch dann marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. Der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurde für alle drei Länder zum Anlass, den Anschluss an die EU zu beschleunigen. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen einer Annäherung an den EU-Markt machen die erhöhte Sicherheitsgarantie und eine stärkere Abgrenzung von Russland den EU-Beitritt für die drei Staaten so attraktiv. Auch Georgien und Moldau sehen sich seit Jahren von Russland eingeschüchtert und ihre territoriale Souveränität bedroht: Beide Staaten haben seit dem Zerfall der Sowjetunion kriegerische Auseinandersetzungen mit Russland erlebt.
Die stetige Bedrohung durch Russland
Georgien wurde 2008 von Russland angegriffen. Der sogenannte 5-Tage-Krieg war eine Eskalation des Konfliktes um die Regionen Abchasien und Südossetien: Die beiden Regionen versuchten sich von Georgien abzuspalten und wurden dabei von Russland unterstützt. Auch heute noch sind russische Gruppen in Südossetien und Abchasien stationiert. Die beiden Regionen sind mittlerweile de facto unabhängig, gehören allerdings völkerrechtlich immer noch zu Georgien. Ein ähnlicher Konflikt herrscht in Moldau. 1992 kam es in Transnistrien zu kriegerischen Auseinandersetzungen, als von Russland unterstützte Separatisten im schmalen Gebiet im Osten Moldaus eine Abspaltung erreichen wollten. Heute sind im de facto unabhängigen Transnistrien ebenfalls russische Truppen stationiert, nach dem Völkerrecht gehört die Region allerdings immer noch zu Moldau. Georgien und Moldau sind genauso wie die Ukraine mit Aggressionen seitens Russlands vertraut – auch auf ihrem Staatsgebiet sind russische Truppen stationiert. Durch einen Anschluss an die EU erhoffen sich die Staaten Frieden, Stabilität und einen Schutz vor dem Aggressor Russland.
Der EU-Beitritt: ein zäher Prozess
Aktuell befinden sich außerdem noch Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und die Türkei im EU-Beitrittsprozess. Sie zeigen: Der Weg zur EU-Mitgliedschaft kann sich ziehen. Ob Georgien, Moldau und die Ukraine in den kommenden Jahren EU-Mitglieder werden, hängt vom Erfolg der Beitrittsverhandlungen ab – die jeweils kapitelweise abgeschlossen werden. Moldau und die Ukraine warten als Beitrittskandidaten aktuell auf den Beginn der Beitrittsverhandlungen. Bevor diese starten können, muss die Europäische Kommission beurteilen, ob die kandidierenden Staaten die Kopenhagener Kriterien erfüllen, und dies dem Europäischen Rat mitteilen. Erst dann können die Beitrittsverhandlungen in die Wege geleitet werden. Und selbst dann steht beiden Parteien noch viel Arbeit bevor: Die Verhandlungen sind in 35 thematische Kapitel unterteilt, die erst geschlossen werden, wenn die kandidierenden Staaten die Bedingungen der EU erfüllen. Sehr oft müssen Staaten dafür erst Reformen in die Wege leiten – was den Aufnahmeprozess in die Länge zieht.
Die EU-Beitrittschancen von Georgien, Moldau und der Ukraine
Bis Georgien, Moldau und die Ukraine EU-Mitglieder werden können, dauert es noch. Ihre EU-Mitgliedschaft hängt von der erfolgreichen Umsetzung politischer und wirtschaftlicher Reformen ab. Gerade in der Justiz und der Korruptionsbekämpfung müssten die drei Staaten weitreichende Reformen in die Wege leiten, um die Bedingungen der EU zu erfüllen. Eine weitere Hürde für den EU-Beitritt von Moldau sind prorussische Stimmen im Land. Auch wenn die moldauische Präsidentin Maia Sandu entschlossen für den EU-Beitritt wirbt, beäugt die prorussische Minderheit im Land eine Annäherung an den Westen kritisch. Letztendlich hängt ein erfolgreicher Beitritt auch von der EU selbst ab: Dem Beitritt eines neuen Staates müssen alle 27 Mitgliedsstaaten gemeinsam zustimmen – ein Veto reicht, um den Beitritt zu verhindern.
Wie eine neue Osterweiterung die EU verändern würde
Allein schon der Beitritt der Ukraine wäre ein großer Schritt: Mit ihr würde die EU-Bevölkerung um 39,7 Millionen Bürger:innen wachsen und sich das Machtverhältnis in den EU-Institutionen verändern. Auch das EU-Parlament müsste sich reformieren und die Anzahl an Parlamentssitzen pro Land verändert werden. Insgesamt würde die EU mit einem Beitritt von Georgien, Moldau und der Ukraine noch heterogener werden – sowohl auf politischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene. Denn die Lebensbedingungen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den drei postkommunistischen Ländern unterscheiden sich stark von denen im Westen Europas. Mit einer Osterweiterung würden sich vor allem die Machtverhältnisse in Europa verändern – was die Regierung in Moskau wiederum als Bedrohung wahrnehmen wird. Es wäre aber auch vor allem eine Chance, die territoriale Integrität von Georgien, Moldau und der Ukraine zu schützen und sich einer neuen Region Europas anzunähern.