ZEIT für X
Klimaaktivist:Innen haben sitzen vor einem Flugzeug

Ziviler Ungehorsam: Wie weit darf Protest gehen?

17. Januar 2023
Ein Artikel von Studio ZX

Demonstrierende, die sich auf Straßen kleben, um für das Klima zu protestieren, spalten zurzeit die Gemüter. Ist ziviler Ungehorsam eine legitime Protestform? Wir haben nachgefragt.

von Michelle Maier, Studio ZX

Mit Tomatensuppe „verunstaltete“ Kunstwerke, Aktivist:innen, die sich an Flugzeug­lande­bahnen kleben, das besetzte Dorf Lützerath am Tagebau Garzweiler: Nachdem der jahrelange friedliche Protest durch die Freitags­demonstrationen von Fridays for Future nicht die erhoffte Wirkung auf die Politik hatte, sehen sich viele Klima­aktivist:innen gezwungen, zu drastischeren Mitteln zu greifen – zum Bedauern vieler Politiker:innen und Bürger:innen, die die Aktionen als störend empfinden. Sehr oft eröffnen die unkonventionellen Proteste keine Debatte um den Klima­wandel selbst, sondern lösen eine schon in der Antike geführte Diskussion aus: Ist ziviler Ungehorsam eine legitime Protest­form? Wir haben dazu auch unsere ZEIT für Demokratie-Community befragt. Die Ergebnisse präsentieren wir Ihnen hier.

Sitzblockaden, Steuerverweigerungen, Protest-Camps, außer­gewerkschaftliche Streiks oder auch Menschen, die sich bei öffentlichen Aktionen anketten – all das versteht man unter dem heutigen Kampf­begriff „ziviler Ungehorsam“. Man verstößt bewusst gegen rechtliche Normen oder Gesetze, um für eine politische Botschaft einzutreten. Von der Boston Tea Party im Jahr 1773 über die britischen Suffragetten Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich im Kampf für das Frauenwahlrecht im Londoner Viertel Westminster an Geländer und Statuen ketteten, bis hin zu Mahatma Gandhis Salzmarsch im Jahr 1930 – ziviler Ungehorsam war schon lange vor der Klima­bewegung ein Mittel, um politische Veränderungen einzufordern.

Ursprünge in der politischen Philosophie

Als einer der ersten theoretischen Verfechter des Konzeptes „ziviler Ungehorsam“ gilt der amerikanische Schrift­steller und Philosoph Henry David Thoreau. In seinem Essay „Civil Disobedience“ von 1849 schreibt er, dass er die Zahlung der Steuern verweigere, um gegen den damaligen Krieg zwischen den USA und Mexiko zu protestieren. Seiner Theorie folgten Denker wie John Rawls und Jürgen Habermas, die ausführten, dass ziviler Ungehorsam moralisch gerecht­fertigt und auf das öffentliche Wohl ausgerichtet sein müsse. Auch Gandhi entwickelte theoretische Ansätze zum zivilen Ungehorsam. Er plädierte dabei für ein geplantes Handeln, das darauf abzielt, zu „bekehren“ und nicht zu „bezwingen“.

In der Praxis steht es um den zivilen Ungehorsam jedoch kritischer, denn hier kann es zu juristischen Konsequenzen kommen. Ziviler Ungehorsam ist keine Straftat oder Ordnungs­widrigkeit per se. In diesem Zusammenhang kommt es allerdings oft zu Gesetzes­brüchen, die straf­rechtlich verfolgt werden können. Denn auch wenn ein im politischen Protest vollzogener Gesetzes­bruch moralisch begründet ist – so bleibt er ein Gesetzes­bruch, und Aktivist:innen müssen genauso wie bei einer normalen Straftat auch mit Sanktionen rechnen.

Wie steht die ZEIT für Demokratie-Community zu zivilem Ungehorsam?

Im letzten ZEIT für Demokratie-Newsletter wollten wir von Ihnen wissen, wie Sie zu zivilem Ungehorsam als Protest­form stehen. Die Antwort ist eindeutig ausgefallen. 75 Prozent der Teilnehmer:innen unserer Umfrage sind der Meinung, ziviler Ungehorsam sei als Protest­form legitim, 25 Prozent hingegen wider­sprechen dem.

Balkendiagramm (ja, 75 Prozent; nein 25%)

Die Teilnehmer:innen, die zivilen Ungehorsam ablehnen, erklären, Gesetze würden für alle gelten, und empfinden die angesprochenen Protest­aktionen als gefährlich. Einzelne plädieren für andere Protest­formen oder meinen, die Aktionen würden Anarchie und Chaos stiften. Jemand schreibt: „Protest ist möglich, soweit er im Rahmen des Grund­gesetzes statt­findet.“

Diejenigen, die zivilen Ungehorsam als legitime Protestform ansehen, begründen, dass dieser angemessen sei, wenn lebens­notwendige Themen nicht ausreichend Aufmerksamkeit erhielten. Sie ergänzen allerdings, dass dabei niemand zu Schaden kommen dürfe. Viele finden zivilen Ungehorsam sogar mutig und erklären ihn zu einem wichtigen Bestandteil einer Demokratie – er setze da an, wo Bürokratie und staatliche Mechanismen das Beantworten unbequemer Fragen verhinderten. Eine Person merkt an: „Ist es ziviler Ungehorsam oder staatlicher Ungehorsam, wenn die Politik es nicht schafft, sich an die vorgegebenen Ziele zu halten und damit ihre Verpflichtung, sich nach­haltig einzusetzen für die Gesellschaft, für die sie arbeitet, verfehlt?“