Ziviler Ungehorsam: Wie weit darf Protest gehen?
Demonstrierende, die sich auf Straßen kleben, um für das Klima zu protestieren, spalten zurzeit die Gemüter. Ist ziviler Ungehorsam eine legitime Protestform? Wir haben nachgefragt.
Mit Tomatensuppe „verunstaltete“ Kunstwerke, Aktivist:innen, die sich an Flugzeuglandebahnen kleben, das besetzte Dorf Lützerath am Tagebau Garzweiler: Nachdem der jahrelange friedliche Protest durch die Freitagsdemonstrationen von Fridays for Future nicht die erhoffte Wirkung auf die Politik hatte, sehen sich viele Klimaaktivist:innen gezwungen, zu drastischeren Mitteln zu greifen – zum Bedauern vieler Politiker:innen und Bürger:innen, die die Aktionen als störend empfinden. Sehr oft eröffnen die unkonventionellen Proteste keine Debatte um den Klimawandel selbst, sondern lösen eine schon in der Antike geführte Diskussion aus: Ist ziviler Ungehorsam eine legitime Protestform? Wir haben dazu auch unsere ZEIT für Demokratie-Community befragt. Die Ergebnisse präsentieren wir Ihnen hier.
Sitzblockaden, Steuerverweigerungen, Protest-Camps, außergewerkschaftliche Streiks oder auch Menschen, die sich bei öffentlichen Aktionen anketten – all das versteht man unter dem heutigen Kampfbegriff „ziviler Ungehorsam“. Man verstößt bewusst gegen rechtliche Normen oder Gesetze, um für eine politische Botschaft einzutreten. Von der Boston Tea Party im Jahr 1773 über die britischen Suffragetten Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich im Kampf für das Frauenwahlrecht im Londoner Viertel Westminster an Geländer und Statuen ketteten, bis hin zu Mahatma Gandhis Salzmarsch im Jahr 1930 – ziviler Ungehorsam war schon lange vor der Klimabewegung ein Mittel, um politische Veränderungen einzufordern.
Ursprünge in der politischen Philosophie
Als einer der ersten theoretischen Verfechter des Konzeptes „ziviler Ungehorsam“ gilt der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau. In seinem Essay „Civil Disobedience“ von 1849 schreibt er, dass er die Zahlung der Steuern verweigere, um gegen den damaligen Krieg zwischen den USA und Mexiko zu protestieren. Seiner Theorie folgten Denker wie John Rawls und Jürgen Habermas, die ausführten, dass ziviler Ungehorsam moralisch gerechtfertigt und auf das öffentliche Wohl ausgerichtet sein müsse. Auch Gandhi entwickelte theoretische Ansätze zum zivilen Ungehorsam. Er plädierte dabei für ein geplantes Handeln, das darauf abzielt, zu „bekehren“ und nicht zu „bezwingen“.
In der Praxis steht es um den zivilen Ungehorsam jedoch kritischer, denn hier kann es zu juristischen Konsequenzen kommen. Ziviler Ungehorsam ist keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit per se. In diesem Zusammenhang kommt es allerdings oft zu Gesetzesbrüchen, die strafrechtlich verfolgt werden können. Denn auch wenn ein im politischen Protest vollzogener Gesetzesbruch moralisch begründet ist – so bleibt er ein Gesetzesbruch, und Aktivist:innen müssen genauso wie bei einer normalen Straftat auch mit Sanktionen rechnen.
Wie steht die ZEIT für Demokratie-Community zu zivilem Ungehorsam?
Im letzten ZEIT für Demokratie-Newsletter wollten wir von Ihnen wissen, wie Sie zu zivilem Ungehorsam als Protestform stehen. Die Antwort ist eindeutig ausgefallen. 75 Prozent der Teilnehmer:innen unserer Umfrage sind der Meinung, ziviler Ungehorsam sei als Protestform legitim, 25 Prozent hingegen widersprechen dem.
Die Teilnehmer:innen, die zivilen Ungehorsam ablehnen, erklären, Gesetze würden für alle gelten, und empfinden die angesprochenen Protestaktionen als gefährlich. Einzelne plädieren für andere Protestformen oder meinen, die Aktionen würden Anarchie und Chaos stiften. Jemand schreibt: „Protest ist möglich, soweit er im Rahmen des Grundgesetzes stattfindet.“
Diejenigen, die zivilen Ungehorsam als legitime Protestform ansehen, begründen, dass dieser angemessen sei, wenn lebensnotwendige Themen nicht ausreichend Aufmerksamkeit erhielten. Sie ergänzen allerdings, dass dabei niemand zu Schaden kommen dürfe. Viele finden zivilen Ungehorsam sogar mutig und erklären ihn zu einem wichtigen Bestandteil einer Demokratie – er setze da an, wo Bürokratie und staatliche Mechanismen das Beantworten unbequemer Fragen verhinderten. Eine Person merkt an: „Ist es ziviler Ungehorsam oder staatlicher Ungehorsam, wenn die Politik es nicht schafft, sich an die vorgegebenen Ziele zu halten und damit ihre Verpflichtung, sich nachhaltig einzusetzen für die Gesellschaft, für die sie arbeitet, verfehlt?“