„Zukunftsfähige Politik braucht Menschen, die sie umsetzen“
Die Initiative Brand New Bundestag fordert ein neues Politikverständnis: positiv, zukunftsorientiert, inklusiv. Wie kann das gelingen? Ein Interview mit Co-Initiator Max Oehl.
Die Geschichte von Brand New Bundestag beginnt mit einer Frage: Könnte eine Graswurzelbewegung auch in Deutschland den politischen Status quo verändern, vielleicht sogar die Demokratie stärken? Für den Juristen Max Oehl stand die Antwort schnell fest. Wenige Wochen später, im Jahr 2019, gründete der Volljurist gemeinsam mit Daniel Veldhoen und Eva-Maria Thurnhofer die Initiative Brand New Bundestag. Inzwischen ist Max Oehl Executive Director, das Team wächst, feiert erste Erfolge. Aber was genau steckt hinter der Idee? Wir haben ihn zum Interview getroffen.
Studio ZX: Herr Oehl, Brand New Bundestag findet ein Vorbild in den USA mit der Initiative Brand New Congress, die Politiker:innen wie Alexandria Ocasio-Cortez im Wahlkampf unterstützt hat. Was wollen Brand New Congress und demnach auch Brand New Bundestag verändern?
Max Oehl: Wir wünschen uns eine zukunftsfähige Gesellschaft, die mutig auf Veränderungen reagiert und Themen wie beispielsweise die sich abzeichnende Klimakatastrophe proaktiv angeht. Das ist unser übergeordnetes Ziel. Ganz entscheidend für diese Transformationsbewältigung sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen, dabei spielt die Politik eine zentrale Rolle. Wir versuchen dazu beizutragen, dass es ein Parlament gibt, das zukunftsfähig handelt. Und wenn wir diese zukunftsfähige, progressive Politik wollen, dann brauchen wir auch Menschen, die sie machen.
Wir versuchen dazu beizutragen, dass es ein Parlament gibt, das zukunftsfähig handelt. Und wenn wir diese zukunftsfähige, progressive Politik wollen, dann brauchen wir auch Menschen, die sie machen.
Da kommt Brand New Bundestag ins Spiel. Wie genau?
Unsere Idee fußt auf zwei Säulen. Wir unterstützen Kandidat:innen auf Bundes- und Länderebene dabei, in die Parlamente gewählt zu werden. Diese Menschen teilen unsere Vision, trauen sich aber auch zu, große und nötige Veränderungen anzustoßen. Und zwar nicht im Klein-Klein mit Kompromisslinien, die nur ein wenig verschoben werden, denn das ist bei unseren aktuellen Herausforderungen keine zielführende Strategie. Jetzt brauchen wir Personen, die Strukturen auch grundlegend verändern wollen und können.
Wie finden Sie die passenden Kandidat:innen?
Jede:r kann bei uns Kandidat:innen über die Webseite nominieren, zudem scouten wir auch proaktiv nach spannenden Leuten. Aus den Bewerber:innen hat eine Expert:innen-Jury die vielversprechendsten Kandidierenden ausgewählt. Dabei achten wir auf Vielfalt: Wenn wir wollen, dass die Politik progressiv ist, dann muss sie auch die gesamte im Land lebende Bevölkerung repräsentieren und miteinbeziehen. Deswegen haben wir schon zu Beginn unserer Überlegungen Menschen interviewt, die unterrepräsentiert sind, beispielsweise alleinerziehende Mütter und Menschen mit Migrationsgeschichte, und sie gefragt, was sie sich von der Politik eigentlich wünschen würden, wie Politik sich entwickeln sollte. Diese Antworten haben unsere Idee einer progressiven Politik geprägt.
Progressive Politik – was heißt das denn überhaupt?
Für uns ist das, ganz im eigentlichen Wortsinn, ein Synonym für zukunftsfähig. Wir definieren es inhaltlich, also nicht als Zuschreibung für ein politisches Lager, sondern für bestimmte Forderungen. Dazu gehören entschlossener Klimaschutz, die Transformation der Wirtschaft hin zu Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und ein geeintes und solidarisches Europa. Es geht aber auch darum, in Abgrenzung zum politischen Status quo ein positives Zukunftsbild zu schaffen. In meinen Augen hat eine progressive Politik ein Narrativ, das den Menschen Orientierung und Sicherheit vermitteln kann.
Max Oehl ist promovierter Jurist – jetzt will er mit Brand New Bundestag das politische Geschehen nachhaltig verändern.
Die eine Säule, das sind also die Personen, die Sie dabei unterstützen, in die Parlamente zu kommen. Was ist die zweite?
Wir glauben, dass sich nicht nur die Zusammensetzung der Parlamente auf Bundes- und Landesebene verändern muss, sondern auch die Art, wie Politik betrieben wird: die Kultur, die Atmosphäre, die Prozesse. Wir nehmen dabei Bezug auf den Begriff Movement Politics und fordern eine sehr viel vernetztere, co-kreative und kooperative Arbeitsweise, die auch über einzelne Sektoren hinausgeht. Wir sehen eine große Herausforderung darin, dass parlamentarische und parteipolitische Arbeit dazu neigt, sich zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen. Außerdem gibt es zu wenige Berührungspunkte mit der Zivilgesellschaft: Es fehlt an Interaktion. Dabei gibt es diese progressiven und zukunftsgerichteten Kräfte in allen Bereichen, in der Wirtschaft, in der Zivilgesellschaft, in der Wissenschaft und in der Politik. Alle zusammenzubringen und die Prozesse und die Atmosphäre der Zusammenarbeit zu verändern, das ist unsere zweite Säule.
Eine Initiative wie Brand New Bundestag muss sich dem politischen Geschehen annähern, um es zu verändern. Das geht ja nur gemeinsam. Ist der Politikbetrieb dafür bereit?
Das haben wir uns anfangs auch gefragt und mit verschiedenen Politiker:innen gesprochen. Wir haben sie gefragt, ob sie glauben, dass ein Ansatz wie Brand New Bundestag erfolgreich sein könnte. Die positiven Rückmeldungen haben uns überrascht, insbesondere von Personen, die bereits in Machtpositionen sind. Sie haben uns bestätigt, dass es noch viel Luft nach oben gibt, Parteiarbeit anders zu gestalten. Und auch, dass die Verbindung der Politik zur Zivilgesellschaft ausbaufähig ist.
Es braucht nicht nur gute Verbindungen, sondern auch Geld. Wie finanziert sich Brand New Bundestag?
Zu Beginn durch ehrenamtliche Arbeit und aus kleineren Stiftungsfinanzierungen. Jetzt, nach der Bundestagswahl 2021, sind wir dabei, uns zu konsolidieren und einen hauptamtlichen Kern zu schaffen. Wir wollen mit Freiwilligen arbeiten, um unsere Identität zu bewahren und um kein reiner Verwaltungsapparat zu werden. Menschen sollen sich niedrigschwellig, weitestgehend auch digital beteiligen können. Man kann uns durch Fördermitgliedschaften und Spenden unterstützen, das geht ganz einfach über unsere Webseite. Zudem werden wir wieder eine größere Crowdfunding-Kampagne durchführen. Kurz- und mittelfristig wollen wir uns vor allem aus kleinen und mittleren Spenden finanzieren und gegebenenfalls weiterhin Partnerschaften mit Stiftungen eingehen. Wichtig ist uns, als unabhängige Akteurin im politischen Game zu agieren.
Drei Ihrer Kandidat:innen haben 2021 den Einzug in den Bundestag geschafft. Wie geht es jetzt weiter?
Die Bundestagswahl liegt hinter uns, deswegen sind wir nicht mehr ausschließlich auf das Scouting und die Unterstützung der Kandidierenden fokussiert. Jetzt geht es in die parlamentarische Zusammenarbeit im Bundestag und darum, gemeinsam mit unseren Abgeordneten progressive Impulse zu setzen. Unsere Initiative kann hier als Plattform zwischen Parteipolitik und Zivilgesellschaft verstanden werden: Wir greifen die Impulse der Zivilgesellschaft auf und verstärken sie quasi als Katalysator gemeinsam mit den Abgeordneten. Das ist ein neues Element unserer Arbeit, hier entwickeln wir unter dem Stichwort Movement Politics aktuell Prozesse und befassen uns mit Fragen wie: Welche Abstimmungsprozesse braucht es? Was gibt es für Formate, um sich überparteilich mit anderen Abgeordneten zu begegnen? Wie kann die Zivilgesellschaft effektiv eingebunden werden? Nur so kann sich eine gemeinsame und zukunftsgerichtete Identität über Parteigrenzen hinweg überhaupt entwickeln. Denn in Ergänzung zum Parteiensystem kann Brand New Bundestag vor allem eines leisten: unsere parlamentarische Demokratie stärken.
50 progressive Politiker:innen
Pünktlich zur Bundestagswahl 2021 hat das Team rund um Brand New Bundestag 50 progressive Politiker:innen gekürt, um Interessierten eine Orientierung zu geben. In den Kategorien Klima, Soziale Gerechtigkeit, Migration & Internationales, Kultur & Bildung, Antidiskriminierung, Wirtschaft & Digitalisierung und Special Interest finden sich Politiker:innen wie Hakan Demir (SPD), Anke Domscheit-Berg (Die Linke) und Nyke Slawik (Bündnis 90/Die Grünen).