CO2-neutrale Kraftstoffe für eine nachhaltige Mobilität: Forschung im Exzellenzcluster „The Fuel Science Center“
AnzeigeEine der wichtigsten globalen Herausforderungen für eine nachhaltige Zukunft ist die weltweite Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen, insbesondere von CO₂.
Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Aufbruch ins grüne Zeitalter“.
Motivation
Eine der wichtigsten globalen Herausforderungen für eine nachhaltige Zukunft ist die weltweite Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen, insbesondere von CO2. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Primärenergiequellen und der Rohstoffwechsel von fossilen zu alternativen Kohlenstoffquellen gelten als die wichtigsten Beiträge, um einen geschlossenen anthropogenen Kohlestoffkreislauf, die Defossilisierung, zu erreichen. Für diesen Wandel spielen synthetische flüssige Energieträger eine entscheidende Rolle, weil (i) sie eine effiziente Speicherung fluktuierender Energie aus erneuerbaren Quellen in großen Mengen ermöglichen, (ii) eine hohe Energiedichte mit einfacher Verteilung verbinden, (iii) sie ihre Anwendung und Handhabung in robusten Technologien und Infrastrukturen etabliert ist und (iv) sie eine Schnittstelle der energetischen und chemischen Wertschöpfungskette darstellen.
Um alle Dimensionen der Nachhaltigkeit zu adressieren, müssen Antriebssysteme, die auf der Verbrennung erneuerbarer Kraftstoffe basieren, die Grenzen heutiger Motorentechnologien überwinden und die reduzierte Kohlenstoffintensität der Produktion mit einer Verbesserung des Verbrennungswirkungsgrades sowie der lokalen Schadstoffemissionen verbinden [Si14].
Bei den Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu erneuerbaren Kraftstoffen wurden große Fortschritte bei Bio-Kraftstoffen erzielt, die hauptsächlich durch Fermentation und in chemischen Prozessen hergestellt werden [Le17]. Neuere Ansätze konzentrieren sich auf E-Fuels, die durch CO2-Umwandlung unter Verwendung von „grünem Wasserstoff“ aus der Wasserelektrolyse gewonnen werden [Ar18]. Für beide Konzepte gibt es Technologien mit hohem Reifegrad, die auch kurzfristig wesentliche Beiträge zur Senkung der CO2-Emission beitragen können. Während die „Bio-Kraftstoffe“ und „E-Fuels“ bisweilen als konkurrierende technologische Konzepte wahrgenommen werden, zeigen detaillierte Studien zu zukünftigen Energieszenarien, dass langfristig nur die integrierte Nutzung aller alternativen Kohlenstoff-Rohstoffe die chemische Umwandlung von erneuerbarer Energie in für den Mobilitätssektor relevanten Größenordnungen ermöglicht [Ac17]. Die Grundlagenforschung im Fuel Science Center (FSC) fokussiert daher auf Biohybrid-Kraftstoffe [Be19]. Die erhöhte Vielfalt an möglichen molekularen Strukturen solcher Komponenten bietet die Möglichkeit zum Kraftstoffdesign für innovative Motortechnologien, um so eine CO2-neutrale und emissionsfreie Mobilität unter weitgehender Nutzung bestehender Infrastrukturen zu ermöglichen [De18].
Chemische Energieträger bilden einen zentralen Nexus, um erneuerbare Energien mit materiellen Wertschöpfungsketten zu verbinden [Sch15]. Um die daraus resultierenden, sich dynamisch verändernden Grenzen über die Technosphäre hinaus zu berücksichtigen, ist eine integrierte Systemperspektive erforderlich. Methodische Ansätze zur Bewertung und vorausschauenden Analyse von Umweltauswirkungen, wirtschaftlicher Tragfähigkeit und gesellschaftlicher Relevanz müssen entwickelt werden, um eine unmittelbare Rückkopplung für technische Entwicklungen zu etablieren.
Das Fuel Science Center schafft Grundlagenwissen und neuartige wissenschaftliche Methoden für die Entwicklung nachhaltiger technischer Lösungen zur Nutzung von erneuerbarer Energie und alternativen Kohlenstoffquellen in flüssigen Energieträgern für CO2-neutrale und nahezu schadstofffreie Antriebssysteme
Das Fuel Science Center verfolgt dazu einen fundamental neuen Forschungsansatz und bietet den idealen strukturellen Rahmen, um die notwendige experimentelle und theoretische Basis zu schaffen. Es baut auf den wissenschaftlichen und methodischen Errungenschaften des Exzellenzclusters „Tailor-Made Fuels from Biomass“ (TMFB) auf und erweitert dessen interdisziplinären Ansatz, indem es unterschiedlichste Forschungsbereiche der Natur-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften in einer kohärenten Forschungsstruktur zusammenführt. Durch die Partnerschaft der RWTH Aachen University mit komplementären Kompetenzen und Infrastrukturen der Max-Planck-Institute für Kohlenforschung und für Chemische Energiekonversion sowie dem Forschungszentrum Jülich ergibt sich ein einzigartiges Forschungsumfeld: The Fuel Science Center
Vision & Mission
Die Grundlagenforschung des Exzellenzclusters schafft die Basis für die integrierte Umwandlung von erneuerbarer Elektrizität mit biomassebasierten Rohstoffen und CO2 zu flüssigen Energieträgern mit hoher Energiedichte (Biohybrid-Kraftstoffe), die eine hocheffiziente und saubere Verbrennung ermöglichen. Die angestrebten Prozesse und Aggregate werden hochflexibel sein, um die Effizienz unter zeitlichen Schwankungen und regionalen Unterschieden in der Rohstoff- und Energieversorgung zu maximieren. Die Entwicklungen zielen auf Komplementarität und Synergie mit anderen Komponenten des Energiesystems und der stofflichen Wertschöpfungskette. Die angestrebten Konzepte werden an den gesellschaftlichen Bedürfnissen ausgerichtet und auf ihre Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit hin analysiert, wobei insbesondere die scheinbar widersprüchlichen Grenzen der Größenordnung des Kraftstoffsektors und der dezentralen Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien und Rohstoffen berücksichtigt werden. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse stellen die Grundlage für anpassungsfähige Produktions- und Antriebstechnologien unter dynamischen Systemgrenzen dar.
Biohybrid-Kraftstoffe
Im FSC werden die molekularen und ingenieurtechnischen Grundlagen geschaffen, um flüssige Energieträger, die als Biohybrid-Kraftstoffe definiert werden, über integrierte (elektro-) katalytische Transformationen von Biomasse und CO2 herzustellen. Verarbeitungsrouten, die beide Kohlenstoffquellen gemeinsam ausnutzen, eröffnen die Möglichkeit, die Kohlenstoff-Effizienz für die Gewinnung von erneuerbarem Strom durch Speicherung in den chemischen Bindungen flüssiger Energieträger zu maximieren. Bestimmte etablierte Zielstrukturen können prinzipiell sowohl aus Biomasse als auch aus CO2 gewonnen werden (z. B. kurzkettige Alkohole) und bieten das Potenzial, bei optimaler regionaler oder zeitlicher Rohstoffbalance zu den gleichen Produkten zu gelangen.
Die synthetische Kombination von aus Biomasse gewonnenen Zwischenprodukten mit CO2 eröffnet den Zugang zu neuen Klassen von Molekülstrukturen, die zusätzliche Optimierungsparameter bieten. Die erforderliche selektive Umsetzung von CO2 unter gleichzeitiger Reduktion und Bindungsbildung ist eine der großen wissenschaftlichen Herausforderungen in der Katalyse und Biokatalyse. Insbesondere die Kombination solcher Transformationen mit den De- und Refunktionalisierungsprozessen biobasierter Substrate ist bis heute kaum erforscht. Das Design von maßgeschneiderten Bio-, Chemo- und Elektrokatalysatoren mit multiplen Funktionalitäten und deren Implementierung in integrierte Produktionsprozesse ist daher ein besonderer Schwerpunkt des FSC. Die Nutzung erneuerbarer Energien als treibende Kraft für chemische Reaktionen mittels Wasserstoff oder Elektrochemie erfordert sprunghafte Innovationen in der Reaktions- und Verfahrenstechnik, bei denen Grenzflächenprozesse zwischen strukturierten Feststoffen, funktionalen Flüssigphasen und reaktiven Gasen entschlüsselt und kontrolliert werden müssen.
Molekular kontrollierte Brennverfahren
Das im FSC angestrebte integrierte Molekular- und Maschinendesign nutzt die molekulare Vielfalt von Biohybrid-Kraftstoffen, um die inhärenten Grenzen fossil betriebener Motortechnologien zu überwinden und fortschrittliche Verbrennungsmotoren als wesentliche Komponenten in einem diversifizierten Mobilitätssektor zu etablieren. Das Erkennen der Zusammensetzung und molekularen Struktur des Energieträgers als entscheidender Designparameter eröffnet attraktive Möglichkeiten für fortschrittliche Motorkonzepte. Die Verbrennung von Kraftstoffen ist jedoch eines der kompliziertesten Phänomene, bei dem komplexe Grenzflächen-, hydrodynamische und chemische Mechanismen gleichzeitig auf einer Vielzahl von Zeit- und Längenskalen zusammenwirken.
Die Entwicklung anspruchsvoller experimenteller Methoden muss mit fortschrittlichen Modellierungs- und Simulationstechniken gekoppelt werden, um die komplexen Prozesse zu entschlüsseln. Auf dieser Basis ermöglichen die molekularen Eigenschaften von Biohybrid-Kraftstoffen letztlich die angestrebten molekular kontrollierten Verbrennungssysteme. Ziel des FSC ist es, den thermo-dynamischen Wirkungsgrad um 20 % gegenüber heutigen Motoren zu steigern, wodurch der Kraftstoffverbrauch im Straßenverkehr bei hybridisierten Antriebssträngen um 50 % gesenkt werden soll. Gleichzeitig werden die gesamten Schadstoffemissionen um mehr als 80 % gegenüber den aktuellen europäischen Grenzwerten im realen Fahrbetrieb gesenkt. Über die On-Road-Anwendungen hinaus werden sich die gewonnenen grundlegenden Erkenntnisse auf eine breite Palette von Technologien für Off-Road-Anwendungen, die Mobilität auf dem Wasser und in der Luftfahrt auswirken.
Nachhaltige Mobilität
Das FSC integriert den technologischen Fortschritt in eine erweiterte Systemperspektive, die eine vorausschauende Bewertung der Umweltauswirkungen, der wirtschaftlichen Tragfähigkeit und der gesellschaftlichen Relevanz neuartiger Kraftstoff-Wertschöpfungsketten ermöglicht. Der Übergang zu neuartigen flüssigen Energieträgern für fortschrittliche Antriebssysteme ist nicht nur eine technologische Herausforderung, sondern betrifft direkt die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit und wird letztlich durch die gesellschaftliche Akzeptanz entschieden. Während die Technologieentwicklung üblicherweise zuerst und unabhängig durchgeführt wird, integriert das FSC die Bewertung der Nachhaltigkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz aller relevanten Stakeholder-Gruppen sowie die politischen Implikationen.
Emissionen und (Öko-)Toxikologie der Kraftstoffkandidaten werden frühzeitig bewertet, um die Zusammenhänge zwischen der Molekülstruktur und den Eigenschaften ex ante zu entschlüsseln. Die Wertschöpfungsketten werden dann gemeinsam auf Kosten und Nachhaltigkeit über den gesamten Lebenszyklus von der Produktion bis zum Antrieb optimiert und spiegeln die Wechselwirkungen zwischen dem Strom- und dem Mobilitätssektor wider, wobei die verfügbaren Ressourcen zu jedem Zeitpunkt bestmöglich genutzt werden. Die daraus resultierenden Leistungsindikatoren zur Nachhaltigkeit und öffentlichen Wahrnehmung von Kraftstoffen und deren Wertschöpfungsketten werden iterativ in die Technosphärenforschung zurückgeführt.
Von Molekül bis zum Gesamtsystem
Inspiriert von den gewaltigen wissenschaftlichen Herausforderungen, die sich aus der gemeinsamen Vision und den oben skizzierten Zielen ergeben, definiert das FSC seine wissenschaftlichen Ziele, um grundlegende Aspekte der Produktion und des Antriebs von der molekularen Skala bis hin zur Systemebene integriert zu behandeln. Diese fortschrittliche Perspektive der Zusammenarbeit nach Maßstäben und nicht nach Disziplinen oder einzelnen Technologien führt zu Synergien und gegenseitiger Bereicherung von wissenschaftlichen Konzepten und Methoden.
Strukturschaffend
NachwuchswissenschaftlerInnen sind das Rückgrat der Forschungskultur und -leistungen im FSC und an der RWTH. Investitionen in die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und deren Forschungskompetenzen sind der Schlüssel für eine schnelle und nachhaltige Entwicklung neuer Forschungsfelder. Das FSC unterstützt daher sowohl die akademische als auch die wissenschaftliche Entwicklung junger WissenschaftlerInnen. Die akademische Entwicklung erfolgt unter dem Dach des RWTH Center for Young Academics, das eine universitätsweit einheitliche Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses gewährleistet. Die wissenschaftliche Entwicklung erfolgt in einer eigenen FSC Research School.
Die im Cluster aktiven NachwuchswissenschaftlerInnen sind über ihre disziplinären Forschungsarbeiten hinaus in interdisziplinäre Teams eingebunden. Die Translation der Grundlagenforschung in Richtung Umsetzung wird in weiterführenden Projekten und Spin- off-Aktivitäten verfolgt. Das Fuel Science Center lebt damit in besonderer Weise das Motto der RWTH Aachen zu ihrem 150-jährigen Bestehen: Lernen. Forschen. Machen.
Wer forscht am Fuel Science Center?
Weitere Interviews mit den über 100 Forscherinnen und Forschern sowie Informationen zu den über 70 Projekten des Exzellenzclusters „The Fuel Science Center“ sind in dem quartalsweise erscheinenden Newsletter sowie auf dem YouTube-Kanal des FSC zu finden.
The Fuel Science Center
Schinkelstraße 8
52062 Aachen
Tel. (0241) 80-953 52
info@fsc.rwth-aachen.de