Der Schatz im Randstück
ZEIT RedaktionZwei Studienfreunde beschließen mit über 50, eine Firma zu gründen. Ihre Idee: Wertvolle Metalle sauber trennen und zurückgewinnen. Der Start aber ist alles andere als einfach
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 3/2023“. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.
Die Irritation
Schon in der ersten Hälfte seines Lebens hat Wolfram Palitzsch viele Ideen. Er ist als Chemiker bei einem Mittelständler angestellt, als er Mitte der Nullerjahre im Radio von der Pleite des thüringischen Fotovoltaik-Pioniers Antec hört. 600 Tonnen alte Solarmodule und Produktionsabfall sollen als Sondermüll entsorgt werden. Für eine halbe Million Euro. „Das kann ja nicht wahr sein“, sagt sich Palitzsch, das seien doch „Werte“!
Die Idee
Er besorgt sich Muster aus der Insolvenzmasse und merkt: Es braucht Technologien, mit denen sich die kostbaren Materialien trennen und wieder verwerten lassen. Palitzsch entwickelt Verfahren, die auf seinen Namen und den seines damaligen Arbeitgebers patentiert werden. Doch im Betrieb kann er seine Vision – einen Recyclingdienst für Metalle – nicht umsetzen. Es wird noch über zehn Jahre dauern, bis er sich mit Ingo Röver zusammentut, einem Studienfreund, der inzwischen sein Kollege geworden war. 2019, sie sind schon Anfang 50, sagt Röver zu Palitzsch: „Wenn wir noch selbst was Großes auf die Beine stellen wollen, dann jetzt.“
Die Marktlücke
Sie kaufen ihrem damaligen Arbeitgeber die Firmensparte ab, die sich auf die Be- und Verarbeitung von Silizium spezialisiert hat, übernehmen die Maschinen und 15 Mitarbeiter und gründen in Freiberg ihr eigenes Unternehmen: die LuxChemtech GmbH. Das Ziel: wertvolle Metalle wie Silizium, Gallium, Indium oder Lithium recyceln, statt die endlichen Ressourcen immer weiter abzubauen. Beispiel Fotovoltaik-Industrie: Beim Zuschneiden von Siliziumkristallen für Solarzellen fallen Randstücke an – eigentlich Abfall. Gäbe es nicht die Freiberger, die ihn so aufbereiten, dass der Hersteller das Silizium erneut für die Produktion nutzen kann.
Zweifler und Förderer
Am Anfang ihrer Unternehmerkarriere haben sie zwar Ideen, Maschinen und Mitarbeiter, die sie bezahlen müssen – aber kaum Geld. Also nehmen Palitzsch und Röver einen Kredit auf. Das Geschäft läuft nur schleppend an, die Pandemie lähmt die Wirtschaft. Und für Staatshilfen kommen die nicht mehr ganz jungen Jungunternehmer zumindest anfangs nicht infrage. Die Rettung: Bekannte leihen ihnen kurzerhand einen sechsstelligen Betrag.
Der Erfolg
Inzwischen haben die Unternehmer diesen Kredit zurückgezahlt, sagt Palitzsch – inklusive Zinsen. Dank Kurzarbeitergeld und anderen Staatshilfen können sie in der Pandemie alle Mitarbeiter halten und weitere einstellen, 17 sind es heute. Im Sommer 2022 geht es aufwärts, bis der Ukraine-Krieg steigende Energiepreise bringt. Da recycelt das Team nach eigenen Angaben bis zu 80 Tonnen Silizium im Monat mit seinem Verfahren – ihr bisheriger Rekord. Für dieses Jahr hoffen Röver und Palitzsch auf schwarze Zahlen. LuxChemtech hat inzwischen eine ganze Reihe renommierter Preise gewonnen, unter anderem den IQ Innovationspreis Mitteldeutschland und den bundesweiten KfW Award Gründen. Palitzsch sagt, er schlafe trotzdem etwas schlechter als zu Zeiten, in denen er noch angestellt war. Aber der 57-Jährige sagt auch: „Ich würde alles wieder genauso machen – jedenfalls, wenn ich vorab nichts von Corona und den Folgen wüsste.“ Ideen hat er schließlich genug – auch in der zweiten Hälfte seines Lebens.