Austausch auf Augenhöhe
AnzeigeDas Szenario einer urbanen Energiewende in Darmstadt klingt theoretisch einleuchtend: „Eigentlich muss man nur für jedes städtische Quartier erfassen, wie viel Energie welcher Art in welchen Gebäuden und Betrieben benötigt wird, um zu konzipieren, wie sich die Netze effektiver, flexibler und klimafreundlicher umgestalten lassen“, erläutert Martin Beck, Koordinator des Forschungsprojektes DELTA.
Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Über den Transfer in die Gesellschaft“.
Der Umsetzung stünden aber noch viele offene Fragen im Weg: Welche Infrastrukturen wären nötig – und welche Verkehrskonzepte? Und: Wie könnten Mieterinnen und Mieter sowie Vermieterinnen und Vermieter in die Transformation eingebunden werden? „Darauf gibt es nicht die eine Antwort“, räumt Beck ein. Aber das Projekt DELTA sei nicht nur komplex, sondern auch sehr vielversprechend: So rechne das DELTA-Team damit, in Darmstadt etwa 14.500 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen zu können.
Die Umsetzung der Klimaziele beginnt idealerweise in den Städten
DELTA ist einer von 20 Gewinnern des Wettbewerbes „Reallabore der Energiewende“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und soll anwendungsnaher Forschung eine breite Umsetzung in der Praxis ermöglichen – ein Austausch und Wissenstransfer, der in Darmstadt unter dem Begriff xchange gefasst wird. Die Koordination des „Darmstädter Energie-Labors für Technologien in der Anwendung“ (DELTA), das in den Bau- und Umweltingenieurwissenschaften sowie im Maschinenbau angesiedelt ist, übernimmt die TU Darmstadt. Die überwiegend regionalen Partner sind Start-ups, Mittelständler und die Industrie sowie Unternehmen der Stadtwirtschaft, die sich als Innovatoren auf diesem Gebiet bewährt haben. Die enge Vernetzung mit Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sowie der Austausch über die Fächergrenzen hinweg sind charakteristisch für die TU Darmstadt: An dieser Universität, die auch im Hinblick auf Patentanmeldungen und Ausgründungen zu den führenden deutschen Hochschulen zählt, arbeiten die Ingenieurwissenschaften, deren Anteil im Fächerkanon bei 50 Prozent liegt, eng mit den Natur-, Sozial- und Geschichtswissenschaften zusammen. Interdisziplinarität spielt auch am Hessischen Zentrum für Künstliche Intelligenz (hessian.AI), das seinen Hauptstandort an der TU Darmstadt hat, eine zentrale Rolle.
Das DELTA-Projekt beruht auf der Analyse, dass die Umsetzung der Klimaziele durch Energieeffizienzmaßnahmen idealerweise bei den Städten beginnt, wo Energiedichte und komplexe Energieströme große Einsparungen ermöglichen. Die Strategie: Die Quartiere energetisch vernetzen, Sektorenkopplung umsetzen und Wasserstoff als Energieträger etablieren. Als Referenzmodell für DELTA gilt das Projekt ETA-Fabrik der TU Darmstadt, aus dem die ETA-Solutions GmbH als Spin-off hervorgegangen ist. Einer der Geschäftsführer ist Martin Beck. In dieser Doppelfunktion könne er seine Expertise als Energieberater der Industrie einbringen, um bewährte Methoden für Kommunen zu skalieren, erklärt der 38-jährige Wirtschaftsingenieur. Denn ob es um Maschinen- und Anlagenbau, Gebäudeplanung oder um städtische Energiesysteme geht – die Vorgehensweise sei ähnlich: „Am Anfang steht die Frage, wo sich nicht genutzte Effizienzpotenziale wie zum Beispiel Abwärme als Energiequelle finden. Diese lässt sich dann mittels Effizienztechnologie verwenden, um Bedarfe an anderer Stelle zu decken, etwa um Wohnhäuser zu heizen. Dort wiederum spart man sich so den Einsatz fossiler Brennstoffe.“
Derart komplexe Ingenieurdienstleistungen künftig auch Kommunen wie Darmstadt anbieten zu können, ist die Vision von DELTA. Weil sich viele Städte zur Umsetzung der Klimaneutralität bis 2035 verpflichtet hätten, seien gerade Städte auf maßgeschneiderte Konzepte angewiesen, erläutert Beck. Zugleich erfordere eine Neustrukturierung städtischer Energienetze die Einbindung aller Stakeholder. Um diese erfolgreich zusammenzubringen, sollte der Initiator frei von ökonomischem Kalkül sein, ist Beck überzeugt: „Nur öffentliche Forschungseinrichtungen wie die TU Darmstadt verfügen über genug Glaubwürdigkeit und Expertise, um Transformationsprozesse dieser Größenordnung in Gang zu setzen.“
Technologie-Beschleuniger: Die Kooperation von Forschungslabors, Unis und Start-ups
Der Anspruch der TU Darmstadt, das Innovationsökosystem der Hochschule kooperativ und nachhaltig auszubauen, spiegelt sich auch im „IP for Shares“-Modell wider, einem innovativen Beteiligungsmodell, das vom Gründungszentrum HIGHEST der TU Darmstadt mitentwickelt wurde. Überträgt die Uni Rechte an ihrem geistigen Eigentum, erhält sie im Gegenzug virtuelle oder reale Anteile am Unternehmen. „Dank der TU als Teilhaberin können wir die Ergebnisse meiner 18-jährigen Forschungsarbeit unentgeltlich für unser Start-up nutzen“, sagt Markus Roth, Chefwissenschaftler von Focused Energy. Das Team erforscht, wie Kernfusion in Verbindung mit Hightech-Lasern den nachhaltigen Energiemix ergänzen kann, und plant für Ende 2028 den Prototyp einer Fusionsanlage. „Diese kann nahezu unbegrenzt, sicher und sauber Strom im Gigawattbereich liefern sowie Industriewärme ohne die Risiken von Kernkraftwerken“, betont Roth. Um diesen „Durchbruch der Wissenschaft“ weiterzuentwickeln, sei die nächste Finanzierungsrunde auf 150 Millionen Euro angesetzt. „Sollten wir irgendwann mal so erfolgreich werden wie Google oder BioNTech, würde sich das auch für die TU Darmstadt auszahlen“, erklärt Roth. Dass dieses Szenario so unwahrscheinlich nicht ist, spiegelt das weltweite Interesse am Unternehmen mit Sitz in Darmstadt und den USA wider. Kürzlich sei das Team zu Gesprächen ins Weiße Haus und ins Kapitol eingeladen worden – zu Treffen mit einflussreichen Senatorinnen und Senatoren, erzählt Roth. „Sobald es gelingt, die Unterstützung großer Forschungslabore und Unis mit der Geschwindigkeit und Flexibilität eines Start-ups zu verknüpfen, kommen wir erheblich schneller ans Ziel. Der Klimawandel wartet schließlich nicht auf uns!“
Interview mit Tanja Brühl, Präsidentin der Technischen Universität Darmstadt
In welchen Bereichen ist die TU Darmstadt besonders forschungsstark, wenn es um große Herausforderungen wie zum Beispiel Digitalisierung, Klimawandel und Energiewende geht?
Unsere Spitzenforschung bündeln wir in den Feldern Information + Intelligence, Matter + Materials und Energy + Environment. In Verbundprojekten adressieren wir Themen wie KI, Synthetische Biologie oder Energiespeicherung. Mit interdisziplinärer Forschung stellen wir die Fragen von heute und generieren Ideen für morgen.
Inwiefern erfordern große Transformationen, wie wir sie gegenwärtig erleben, auch einen Wandel der Art und Weise, wie an TUs gelehrt und geforscht wird?
Neues entsteht durch lösungsorientierte und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Wir stärken Austausch und Vernetzung – mit Partnern vor Ort, in unserer europäischen Universitätsallianz Unite! und weltweit. Innovative Lehr-Lern-Settings verbinden digitale Elemente und persönliche Interaktion neu. Als bestens vernetzte Universität wollen wir zukunftsweisend kommunizieren.
Was wünschen Sie sich vonseiten der Politik, um als TU institutionell für die Herausforderungen der Zukunft besser aufgestellt zu sein?
Forschungsstarke Technische Universitäten treiben Innovationsökosysteme voran. Ihre Förderung durch Land und Bund auszubauen, schafft Mehrwert für alle. Kooperationen zwischen Universitäten brauchen gute rechtliche Rahmenbedingungen – in Deutschland und vor allem für die Vernetzung in Europa. Neue (Förder-)Konzepte sollten mit den Universitäten gemeinsam entwickelt werden.
Kontakt
Technische Universität Darmstadt
Jörg Feuck
Leitung Abt. Kommunikation Science Communication Center i.G.
Karolinenplatz 5
64289 Darmstadt