Grün, günstig, lebenswert – drei Ideen für die Stadt der Zukunft
Wohnraum, Klimawandel, Verkehr: Wir sprachen mit drei Expert:innen über die Probleme in deutschen Städten – und wie sie sich lösen lassen.
Das Leben in der Stadt wird immer teurer. Die statistisch durchschnittlichen Berliner:innen haben am Ende des Monats nur 250 Euro zur freien Verfügung, Hamburger:innen immerhin noch 341 Euro – so eine Studie des Karriereportals StepStone. Steigende Mieten sind ein Grund dafür. Gleichzeitig warnt das Umweltbundesamt vor immer heißeren Sommertagen mit über 30 Grad und tropischen Nächten von nicht unter 20 Grad. Auch wird es auf Deutschlands Straßen voller: Laut einer Studie des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr wächst der innerstädtische motorisierte Verkehr immer weiter und belastet den ohnehin engen Raum auf vielfältige Art und Weise. Die Zahlen von heute sind beängstigend – und die von morgen? Zeit, aufs Land zu ziehen? Nicht unbedingt, wie diese innovativen Ansätze aus Forschung und Unternehmen zeigen.
Die Stadt der Zukunft: grüner und klimaresilienter
Weil die Zahl von Extremwetterereignissen zunimmt, wird das Leben in den Städten immer belastender. Wie diese Auswirkungen auf die Quartiere reduziert werden können, darüber forscht Antje Stokman, die an der HafenCity Universität Hamburg (HCU) Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung lehrt. Zahlen des Deutschen Wetterdienstes zeigen, dass die Hansestadt von 1961 bis 1990 durchschnittlich 2,5 Tage mit Temperaturen über 30 Grad pro Jahr zählte. Von 1990 bis 2019 waren es schon 5,6 heiße Tage. 2020 gab es im August die längste Hitzewelle seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1891 – mit über 30 Grad an zwölf aufeinanderfolgenden Tagen.
Zu den großen Fragen gehört daher: Wie lässt sich die Stadt in heißen Sommern kühlen und das Wasser bei Starkregenereignissen sicher ableiten? „Wir müssen vor allem Raum für Regenwasser schaffen“, sagt Antje Stokman. „Wir müssen dafür sorgen, dass es dort versickern oder verdunsten kann, wo es fällt.“ Dabei sollen begrünte Dächer und Fassaden helfen, die die natürliche Verdunstung fördern. Auch schattenspendende Bäume dämpfen den Hitzeinseleffekt bebauter Flächen.
Dicht bebaute urbane Quartiere ohne Grün heizen sich bis zu zehn Grad Celsius mehr auf als die Umgebung.
Antje Stokman, Professorin für Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung an der HafenCity Universität Hamburg (HCU)
Die Stadt Hamburg profitiert bereits von der engen Zusammenarbeit mit den Forscher:innen der HCU. Erste Quartiere, Parks, Straßen, Sport- und Spielplätze wurden im Rahmen des Projekts „RegenInfrastrukturAnpassung (RISA)“ umgebaut. Auch gibt es immer mehr smarte Gründächer und Baumrigolen, die Wasser nicht in die Kanalisation ableiten, sondern speichern und für die Vegetation verfügbar machen. Das zahlt sich für das Stadtklima aus: „Denn dicht bebaute urbane Quartiere ohne Grün heizen sich bis zu zehn Grad Celsius mehr auf als die Umgebung“, resümiert Antje Stokman.
Die Stadt der Zukunft: günstiger bauen, günstiger wohnen
In jeder dritten deutschen Kommune mangelt es an Wohnraum. Das ist das Fazit einer im Mai 2017 veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung Prognos. Dabei gehe es vor allem um den für die meisten Menschen bezahlbaren Wohnraum, wie der Immobilienexperte Martin Kock anmerkt. Mit seiner Beratungsfirma „Mitdenker“ berät er Bau- und Immobilienunternehmen. „Dafür müssen in Zukunft die Häuser ähnlich wie Autos hergestellt werden“, sagt er. „Für die Planung bedeutet das, dass das Gebäude zunächst als Prototyp entworfen wird, um es dann später in Serie zu bauen.“ Das beschleunigt nicht nur den Bauvorgang, sondern verlagert auch den Ort der Herstellung: Komplette Gebäudewände oder auch fertige Raummodule lassen sich in einem Werk vorfertigen und auf der Baustelle rasch zusammenfügen.
Wie das geht, zeigt bereits das serielle Modulkonzept OPTIMUS von Züblin. Das Stuttgarter Bauunternehmen kombiniert Elemente aus Industrie- und Holzbau und setzt systematisch auf vorgefertigte Module. Mithilfe dieses Baukastenprinzips lässt sich dringend benötigter Wohnraum schnell herstellen. Sodass – je nach Variante – vom Spatenstich bis zum Einzug nur sechs bis acht Monate vergehen. Eine besonders nachhaltige Bauweise, denn auch nach jahrelanger Nutzung lassen sich andere Wohnformen oder Ansprüche durch einen Umbau rasch und problemlos realisieren.
Folgerichtig, dass auch die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz, für die Zukunft auf modulares Bauen setzt. „Aus gutem Grund, denn so können wir rund 40 Prozent der Bauzeit einsparen“, sagt Martin Kock. „Und wer weiß, wie teuer Bauzeit ist, ahnt, dass wir so in hohem Umfang Kosten reduzieren.“ Natürlich wirkt sich das dann auch auf die Mietpreise und Nebenkosten aus.
Die Stadt der Zukunft: individuelle Mobilität, aber klimaneutral
„Die Mobilität der Zukunft verlangt mehr als nur neue Radwege“, sagt Meike Jipp. Dafür plädiert die Direktorin des DLR-Instituts für Verkehrsforschung in Berlin für einfache, komfortable, schnelle und nachhaltige Umsteigemöglichen von einem zum anderen Verkehrsmittel. Von Bus und Bahn über E-Carsharing bis hin zum Leihlastenfahrrad reicht der Verkehrsmix. „Damit jeder Mensch selbst entscheiden kann, auf welche Art und Weise er mobil sein will“, so Meike Jipp. „Buchbar am besten über eine App auf dem Smartphone – quasi mit einem Personal-on-demand-ÖPNV.“
Die Mobilität der Zukunft muss den Menschen gefallen. Sonst gibt es sie nicht.
Meike Jipp, Direktorin des DLR-Instituts für Verkehrsforschung in Berlin
Dass der Weg dorthin noch weit ist, weiß sie. Der vielleicht wichtigste Schritt ist für sie, die Menschen von einem besseren Verkehr zu überzeugen. „Wir können zum Beispiel mit Hologrammen zeigen, wie sich der Platz vor der Haustür verändert, wenn dort keine Parkplätze, sondern Begegnungsstätten wären.“ Wie sich Geräusche ändern, wenn etwa Drohnen statt Lieferwagen die Pakete ausliefern. Denn erst wenn Menschen die Zukunft in einer simulierten Welt selbst erleben, können sie sagen, ob sie ihnen gefällt: „Die Mobilität der Zukunft muss den Menschen gefallen. Sonst gibt es sie nicht.“
So soll der Verkehr der Zukunft klimaneutral werden, ohne den Menschen ihren Wunsch nach individueller Mobilität abschlagen zu müssen. Dass die Bürger:innen irgendwann einmal ohne oder mit weniger Autos auskommen, davon ist sie überzeugt. „Das zeigt der Erfolg der Pop-up-Radwege, die seit dem ersten Corona-Frühjahr in den Städten aus dem Boden geschossen sind.“
Wie wird sie nun, die Stadt der Zukunft? Stefan Siedentop, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) und Professor an der TU Dortmund, meint: „Urbaner Klimaschutz wird sich nicht auf die Dämmung von Gebäuden beschränken können. Auch der öffentliche Raum muss umfassend umgestaltet werden.“ Mit mehr attraktiven öffentlichen Flächen für soziale Begegnungen und aktiver Mobilität. Mit autofreien Straßen und mit deutlich weniger Parkplätzen. „Das wird zu Konflikten führen. Aber wir alle profitieren, wenn dafür Bäume gepflanzt werden.“ Die Stadt von morgen – ein Szenario, das keine Angst macht, sondern zuversichtlich stimmt.