KI: Super-Booster für neue Medikamente
Die Entwicklung eines Medikamentes ist ein langwieriges Verfahren. Allein der Versuch, den richtigen Wirkstoff zu finden, gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Künstliche Intelligenz könnte den Prozess deutlich beschleunigen.
Bevor ein fertiges Medikament im Apothekenregal steht, muss es eine Reihe von Schritten durchlaufen – angefangen bei der Identifikation eines Enzyms oder Rezeptors im Körper, an dem das Medikament ansetzen soll, über die Entdeckung des passenden Wirkstoffes und die Optimierung der chemischen Struktur bis hin zur präklinischen und klinischen Studie.
Herzlichen Glückwunsch!
Ein kleines Quiz: Was meinen Sie – wie lange dauert es im Durchschnitt, bis diese Schritte durchlaufen sind und das Medikament seine Zulassung erhält?
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Die Nadel im Heuhaufen finden
Schon der erste Schritt ist eine Herausforderung: die Suche nach dem richtigen Angriffsziel für ein Medikament, in der Pharmaforschung auch „Target“ genannt. Dabei handelt es sich zumeist um ein Enzym oder einen Rezeptor. Infrage kommen nur diejenigen, die eine wesentliche Rolle im Krankheitsverlauf spielen und über eine Bindungsstelle verfügen, an der sich ein potenzieller Wirkstoff anheften kann. Es geht kompliziert weiter. Ist ein Target entdeckt, braucht es eine Substanz, die auf es einwirkt. Bei Massentestungen in Laboren zeigt nur etwa jeder zweihundertste bis tausendste Stoff tatsächlich einen Effekt. Und der Treffer ist meist nur Ausgangspunkt für weitere chemische Optimierungen.
Technologien auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) sollen die Entwicklung von Medikamenten vereinfachen. Pharmaunternehmen hoffen, so den Zeitraum vom Forschungsbeginn bis zur Zulassung reduzieren zu können. Aktuell dauert es im Durchschnitt 13 Jahre, bis ein neues Arzneimittel verschrieben werden kann.
KI soll jeden Schritt verkürzen können
Immer mehr Unternehmen und Forschungsinstitute erkennen das Potenzial von KI. Laut einer Befragung von GlobalData nutzten allein im Jahr 2021 bereits 23 Prozent der Pharmaunternehmen KI für die Wirkstoffforschung. Ihnen stellen zum Beispiel die Forschenden am Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in Sankt Augustin ihr KI-Know-how zur Verfügung. Eine große Hilfe wäre es, berichtet Dario Antweiler, Datenanalyst und Geschäftsfeldleiter Healthcare Analytics am Fraunhofer IAIS, wenn man KI-Modelle zum Aufspüren von relevanten Daten aus einer Masse von bereits veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen nutzen würde. „Über unstrukturierte Daten wie Texte, Laborbefunde oder Bilder kann man nicht einfach so einen Algorithmus laufen lassen. Heutzutage gibt es aber bereits Künstliche Intelligenzen, die diese Daten in ein strukturiertes Tabellenformat oder eine Datenbank übertragen können“, so der KI-Experte. „Und sie helfen darüber hinaus auch bei der Analyse dieser Daten.“
Um etwa im Körper ein Target für eine bestimmte Erkrankung zu identifizieren, sichtet die KI massenweise historische Daten. Ist sie erfolgreich, sucht sie auf Basis von Informationen aus Forschungsartikeln, Dokumentationen von Laborwerten und bereits ausgeführten Experimenten nach Mustern: Welche Wirkstoffmoleküle haben die höchste Wahrscheinlichkeit, auf das Target einzuwirken? Identifiziert werden meist chemisch-synthetische Substanzen. Die Verbindungen kann die KI nochmals genauer auf Eigenschaften wie ihre Toxizität untersuchen. KI-Modelle können sogar Prognosen über die Wirkung der Wirkstoffkandidaten treffen. Darüber hinaus kann KI dafür genutzt werden, um zu prüfen, ob bereits zugelassene Medikamente auch für andere Erkrankungen einsetzbar sind.
Ergebnisse sind nur so gut wie die Daten, auf denen sie basieren
„Eine große Herausforderung ist es, die Verlässlichkeit einzuschätzen“, erklärt Antweiler. „Modelle können auch halluzinieren und Informationen zusammenstellen, die vielleicht gar nicht existieren. Daher ist es wichtig, die Vorschläge des Programms genau zu überprüfen und nicht alles mit einem Klick zu übernehmen. Anders ausgedrückt: Die KI sollte nur ein unterstützender Co-Pilot für den Menschen sein, der die letzte Entscheidung trifft.“ Überhaupt müssen Forschende beim Einsatz von KI noch viele Punkte beachten und sollten nicht jedes Ergebnis der KI unkritisch weiterverwenden. Denn KI arbeitet auf Basis von Daten. Und um aussagekräftige Ergebnisse hervorzubringen, benötigt sie Daten von hoher Qualität. Da Gesundheitsdaten jedoch personenbezogen sind und dementsprechend strengen Datenschutzvorgaben unterliegen, ist es schwierig, auf sie zuzugreifen – auch für die KI.
Ein Risiko, das bei der Arbeit mit Gesundheitsdaten besteht, ist die Reproduzierung von Bias – also eine Verzerrung der Daten. Gerade bei klinischen Studien ist es häufig der Fall, dass Medikamente nicht an einer vielfältigen Gruppe von Menschen getestet und Bevölkerungsgruppen ausgelassen werden. So gibt es zu weißen Menschen und Männern viel mehr Gesundheitsdaten als zu anderen Teilen der Bevölkerung. Eine KI, die mit Gesundheitsdaten arbeitet, die nur Männer repräsentieren, könnte demnach Ergebnisse generieren, die auf Frauen möglicherweise nicht zutreffen.
Damit KI zuverlässigere Ergebnisse in der Pharmaforschung liefert, müssen Forschende dabei aktiv gegen Diskriminierung durch Daten vorgehen. Das bedeutet, man sucht aktiv nach Daten aus verschiedenen Ländern und Altersgruppen. Zudem kann man KI so programmieren, dass sie prüft, ob alle Personengruppen in den Daten repräsentiert werden. Technische Lösungen allein reichen jedoch nicht aus. Um Gesundheitsdaten von Bias zu befreien, müssen verschiedene Bevölkerungsgruppen in der Pharmaforschung repräsentiert werden. Ein möglicher Schritt wäre der Aufbau von diverseren Teams, die sich aktiv für Vielfalt in der Forschung einsetzen.