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„Personalisierte Medizin“ auch bei Volks­krankheiten?

21. September 2023
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Ein Beitrag der Universität Leipzig

Für Krebs gibt es individuelle Therapien – aber wie sieht es bei der Behandlung von Blut­hoch­druck, Diabetes oder Über­gewicht aus? Darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Michael Stumvoll, Professor für Endokrinologie an der Universität Leipzig und Direktor der Klinik und Poliklinik für Endokrinologie, Nephrologie, Rheumatologie des Universitäts­klinikums Leipzig.

Was ist eigentlich personalisierte Medizin?

„Personalisierte Medizin“ wird seit einigen Jahren als Schlagwort gehypt. Es fasst das Wunsch­denken zusammen, dass in der Zukunft jeder Patient seine ganz persönliche Medizin – gemeint ist die Therapie für eine bestimmte Krankheit – erhält. Der Begriff kommt aus der Onkologie, wo man den Tumor oder die Leukämie­zelle direkt unter­suchen, eine genaue molekulare Analyse der Krebs­zellen erstellen kann und sogar das krank­machende Gen bzw. die Mutationen kennt. Damit kann man dann in mittler­weile gut etablierte und hoch­verzweigte Therapie-Algorithmen gehen und je nach individueller Pathologie die optimale Therapie wie Antikörper, Zytostatika oder Zelltherapie für den Patienten auswählen.

Prof. Dr. Michael Stumvoll, Professor für Endokrinologie an der Universität Leipzig und Direktor der Klinik und Poliklinik für Endokrinologie, Nephrologie, Rheumatologie des Universitäts­klinikums Leipzig
Prof. Dr. Michael Stumvoll

Und kommt sie auch bei Volks­krankheiten wie Diabetes, Adipositas, Blut­hoc­hdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zum Einsatz?

Für die großen Volks­krankheiten gibt es solche Ansätze nicht. Das hat zum einen damit zu tun, dass einzelne, krankheits­ursächliche Gene nur selten zu finden sind. Zum anderen sehen Zulassungs­studien für neue Medikamente eine Voraussage des therapeutischen Ansprechens im Design nicht vor. Es werden alle Patienten eingeschlossen, die von Alter und Gewicht, der Krankheits­dauer und der wichtigsten Kontraindikation her passen, um auf die hohe, für die Zulassung (und spätere Erstattung) erforderliche Fallzahl zu kommen.

Wüssten wir vorab, dass ein Patient auf ein ‚im Mittel wirksames‘ Medi­kament nicht oder nur unter erheblichen Neben­­wirkungen anspricht, würde ein anderes gewählt.

Prof. Dr. Michael Stumvoll

Eine Therapie wirkt nicht bei jedem und schon gar nicht gleich. Wird das berücksichtigt?

Eine a-priori-Kenntnis von „Non-respondern“ würde Studien verkomplizieren und verteuern und nach Zulassung den Markt eventuell deutlich verkleinern – und ist daher gar nicht erwünscht. Wüssten wir vorab, dass ein Patient auf ein „im Mittel wirksames“ Medikament nicht oder nur unter erheblichen Neben­wirkungen anspricht, würde ein anderes gewählt werden. Subgruppen – und seien es nur Frauen versus Männer – werden nicht vorab definiert, sondern „post-hoc“ analysiert, mit allenfalls grober Aussage­kraft. Die resultierende therapeutische Trägheit – erst mal probieren, ob es hilft – erhöht die Krankheits­last (Schwere mal Dauer) und führt zu unumkehr­baren Organ­schäden. Andererseits, um alle denkbaren Subgruppen in Endpunkt­studien (Herzinfarkt, Tod) abzubilden, bräuchte man astronomische Fallzahlen.

Nur wenn Pharma und Academia diese Ansätze gemeinsam verfolgen, kann personalisierte Medizin auch bei der Bekämpfung von Volks­krankheiten gelingen.

Prof. Dr. Michael Stumvoll

Sind verfeinerte Studien bei Volks­krankheiten also „Science fiction“?

Die echte Science kann inzwischen schon sehr viel und auch zu angepassten Studien­designs verhelfen. Weltweit entstehen große Datensätze zu Krankheits­risiko und -verläufen. Die Pharmaindustrie unter­stützt bei neu zugelassenen Medikamenten Beobachtungs­studien, aus denen sich mit wenig zusätzlicher Mühe erste Informationen zu Ansprech­raten gewinnen ließen, das Gleiche gilt auch für Neben­wirkungen. Aus sogenannten Biomarkern, also individuellen Gen-, Serum-, Stuhl-, Bild­daten, ließen sich A-priori-Subgruppen modellieren, die zunächst hypothetisch besser von einem bestimmten Medikament profitieren als andere. Analog könnte man ein Monitoring für den klinischen Verlauf so aufbauen, dass man für Erkenntnis­zuwachs auf ganz harte Endpunkte verzichten kann. Machbare Pilot­studien in entsprechenden Subgruppen würden entstehen. Nur wenn Pharma und Academia diese Ansätze gemeinsam verfolgen und auf die Zulassungs­ebene bringen, kann personalisierte Medizin auch bei der Bekämpfung von Volks­krank­heiten gelingen.

Kontakt

Prof. Dr. Michael Stumvoll
Medizinische Klinik III
Bereich Endokrinologie
Liebigstraße 20 / 04103 Leipzig
Tel. 0341 – 97 13380
michael.stumvoll@medizin.uni-leipzig.de