ZEIT für X

Menschen mit Demenz als Co-Forschende für digitale Pflege­technologien

21. September 2023
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Ein Artikel der Hochschule Furtwangen

Partizipative Ansätze sind für die Entwicklung von neuen Versorgungsangeboten im Gesundheitswesen unabdingbar. Aber wie funktioniert das mit Menschen mit Demenz?

Heute ist für Frau Schremp und Frau Bühler ein ungewöhnlicher Tag. Ein Forschungs­team ist in ihrem Pflege­heim zu Besuch und hat einen „magischen“ Klangtisch mit­gebracht. Die beiden Bewohnerinnen sollen ihn testen und dabei helfen, ihn weiter­zu­entwickeln. Der Tisch reagiert auf Objekte und Fotos, die auf ihm abgelegt werden, und erzeugt eine dazu passende Klang­umgebung. Außerdem sind die Klänge fühlbar. Mit lebhaften Gesten zeigen die beiden, wie sie mit der digitalen Lösung inter­agieren würden. Frau Schremp lässt ihre Finger über die Oberfläche tanzen, als würde sie Klavier spielen, während Frau Bühler enthusiastisch auf ein unsicht­bares Schlagzeug einschlägt.

Was für Frau Schremp und Frau Bühler eine willkommene Abwechslung in ihrem Alltag ist, ist für die Wissenschaftlerinnen ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit. Partizipative Forschung, also die Zusammen­arbeit von Wissen­schaflter:innen mit Akteuren aus der Gesellschaft, um gemeinsam Probleme zu erforschen und Lösungen zu konzipieren, ist ein wichtiger und anerkannter Ansatz für relevantere und nach­haltige Forschung zu gesellschaftlichen Heraus­forderungen. Für sensible Anwendungs­kontexte wie die Pflege und die Gesundheits­versorgung gilt das in besonderem Maße. Dabei ist nicht gemeint, dass Betroffene einfach befragt oder angehört werden, sondern dass sie aktiv am Forschungs- oder Gestaltungs­prozess teilhaben.

Gemeinsame explorative Aktivitäten bilden den Kern partizipativer Forschung mit Menschen mit Demenz
© Hochschule Furtwangen Gemeinsame explorative Aktivitäten bilden den Kern partizipativer Forschung mit Menschen mit Demenz.

Die Einbindung von Betroffenen ist für die spätere Umsetzbar­keit und Akzeptanz von neuen Versorgungs­angeboten von hoher Bedeutung, auch im Kontext der Betreuung von Menschen mit Demenz. Gleich­zeitig bestehen für die partizipative Forschung mit Menschen mit Demenz aber auch besondere Heraus­forderungen: Häufig wird davon ausgegangen, dass eine partizipative Forschung auf Grund ihrer kognitiven oder kommunikativen Beeinträchtigungen nicht möglich sei. In der Regel werden ihre Bedarfe dann stell­vertretend über Angehörige oder Pflegende erhoben. „Dabei ist es mit entsprechenden Unter­stützungs­angeboten und angepassten Methoden durchaus möglich, Co-Design-Aktivitäten mit Menschen mit Demenz durchzuführen“, betont Patrizia Held, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Mensch, Technik, Teilhabe (IMTT) der Hochschule Furtwangen. Sie erforscht im Rahmen ihrer Doktorarbeit, wie eine gelingende Partizipation von und mit Menschen mit Demenz gestaltet werden kann.

Zukunft Gesundheit gestalten

Partizipative Forschung und Co-Design von innovativen Versorgungs­angeboten sind auch Gegen­stand in den gesundheits­bezogenen Studien­angeboten der Hochschule Furtwangen. In den Studien­gängen Angewandte Gesundheits­wissenschaft (B. Sc.) und Angewandte Gesundheits­förderung (M. Sc.) lernen die Studierenden in einem Design-Thinking-Ansatz Bedarfe zu analysieren, gemeinsam mit Betroffenen Ideen für neue Versorgungs­ansätze zu generieren, prototypisch umzusetzen und wissenschaftlich zu evaluieren. Neben eigenen Themen­stellungen können dabei auch Heraus­forderungen aus den Forschungs­projekten der Hochschule bearbeitet werden.

Im Vergleich zu anderen Forschungs­kontexten erfordert die Einbindung von Menschen mit Demenz wesentlich mehr Zeit und Aufwände für Beziehungs­arbeit, eine sorg­fältige Berücksichtigung der großen Diversität der Lebens­wirklichkeit sowie eine fortlaufende Reflektion der Aktivitäten im Partizipations­prozess. „Bei der Gestaltung der Partizipations­aktivitäten geht es dabei weniger um die zu erwartenden Ergebnisse. Viel mehr steht das Erleben der Menschen mit Demenz ‚im Moment‘ im Vordergrund. Auch spielerische Ansätze sind förderlich“, erläutert Patrizia Held.

Frau Schremp und Frau Bühler werden von den Ergebnissen der Forschung wohl nicht mehr profitieren können, aber für andere Betroffene könnten die Ergebnisse später zu einer höheren Lebens­qualität beitragen. Und ihnen selbst hat die Beteiligung am Forschungs­prozess einfach Spaß gemacht.

Wir danken unseren Projektpartnern und allen teilnehmenden Praxis­einrichtungen und Co-Forschenden für ihre Unter­stützung. Die hier beschriebenen Arbeiten werden durch die Carl-Zeiss-Stiftung (Projekt DIDEM) und durch das Bundes­ministerium für Bildung und Forschung (Projekt PiTiPS) gefördert.