Menschen mit Demenz als Co-Forschende für digitale Pflegetechnologien
AnzeigePartizipative Ansätze sind für die Entwicklung von neuen Versorgungsangeboten im Gesundheitswesen unabdingbar. Aber wie funktioniert das mit Menschen mit Demenz?
Heute ist für Frau Schremp und Frau Bühler ein ungewöhnlicher Tag. Ein Forschungsteam ist in ihrem Pflegeheim zu Besuch und hat einen „magischen“ Klangtisch mitgebracht. Die beiden Bewohnerinnen sollen ihn testen und dabei helfen, ihn weiterzuentwickeln. Der Tisch reagiert auf Objekte und Fotos, die auf ihm abgelegt werden, und erzeugt eine dazu passende Klangumgebung. Außerdem sind die Klänge fühlbar. Mit lebhaften Gesten zeigen die beiden, wie sie mit der digitalen Lösung interagieren würden. Frau Schremp lässt ihre Finger über die Oberfläche tanzen, als würde sie Klavier spielen, während Frau Bühler enthusiastisch auf ein unsichtbares Schlagzeug einschlägt.
Was für Frau Schremp und Frau Bühler eine willkommene Abwechslung in ihrem Alltag ist, ist für die Wissenschaftlerinnen ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit. Partizipative Forschung, also die Zusammenarbeit von Wissenschaflter:innen mit Akteuren aus der Gesellschaft, um gemeinsam Probleme zu erforschen und Lösungen zu konzipieren, ist ein wichtiger und anerkannter Ansatz für relevantere und nachhaltige Forschung zu gesellschaftlichen Herausforderungen. Für sensible Anwendungskontexte wie die Pflege und die Gesundheitsversorgung gilt das in besonderem Maße. Dabei ist nicht gemeint, dass Betroffene einfach befragt oder angehört werden, sondern dass sie aktiv am Forschungs- oder Gestaltungsprozess teilhaben.
Die Einbindung von Betroffenen ist für die spätere Umsetzbarkeit und Akzeptanz von neuen Versorgungsangeboten von hoher Bedeutung, auch im Kontext der Betreuung von Menschen mit Demenz. Gleichzeitig bestehen für die partizipative Forschung mit Menschen mit Demenz aber auch besondere Herausforderungen: Häufig wird davon ausgegangen, dass eine partizipative Forschung auf Grund ihrer kognitiven oder kommunikativen Beeinträchtigungen nicht möglich sei. In der Regel werden ihre Bedarfe dann stellvertretend über Angehörige oder Pflegende erhoben. „Dabei ist es mit entsprechenden Unterstützungsangeboten und angepassten Methoden durchaus möglich, Co-Design-Aktivitäten mit Menschen mit Demenz durchzuführen“, betont Patrizia Held, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Mensch, Technik, Teilhabe (IMTT) der Hochschule Furtwangen. Sie erforscht im Rahmen ihrer Doktorarbeit, wie eine gelingende Partizipation von und mit Menschen mit Demenz gestaltet werden kann.
Zukunft Gesundheit gestalten
Partizipative Forschung und Co-Design von innovativen Versorgungsangeboten sind auch Gegenstand in den gesundheitsbezogenen Studienangeboten der Hochschule Furtwangen. In den Studiengängen Angewandte Gesundheitswissenschaft (B. Sc.) und Angewandte Gesundheitsförderung (M. Sc.) lernen die Studierenden in einem Design-Thinking-Ansatz Bedarfe zu analysieren, gemeinsam mit Betroffenen Ideen für neue Versorgungsansätze zu generieren, prototypisch umzusetzen und wissenschaftlich zu evaluieren. Neben eigenen Themenstellungen können dabei auch Herausforderungen aus den Forschungsprojekten der Hochschule bearbeitet werden.
Im Vergleich zu anderen Forschungskontexten erfordert die Einbindung von Menschen mit Demenz wesentlich mehr Zeit und Aufwände für Beziehungsarbeit, eine sorgfältige Berücksichtigung der großen Diversität der Lebenswirklichkeit sowie eine fortlaufende Reflektion der Aktivitäten im Partizipationsprozess. „Bei der Gestaltung der Partizipationsaktivitäten geht es dabei weniger um die zu erwartenden Ergebnisse. Viel mehr steht das Erleben der Menschen mit Demenz ‚im Moment‘ im Vordergrund. Auch spielerische Ansätze sind förderlich“, erläutert Patrizia Held.
Frau Schremp und Frau Bühler werden von den Ergebnissen der Forschung wohl nicht mehr profitieren können, aber für andere Betroffene könnten die Ergebnisse später zu einer höheren Lebensqualität beitragen. Und ihnen selbst hat die Beteiligung am Forschungsprozess einfach Spaß gemacht.
Wir danken unseren Projektpartnern und allen teilnehmenden Praxiseinrichtungen und Co-Forschenden für ihre Unterstützung. Die hier beschriebenen Arbeiten werden durch die Carl-Zeiss-Stiftung (Projekt DIDEM) und durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (Projekt PiTiPS) gefördert.