ZEIT für X
An der TH OWL werden Innovationen entwickelt, die auf eine Verbesserung der Qualität, auf die Sicherheit und Nachhaltigkeit von Lebensmitteln abzielen.

Mit Industrie 4.0 zu einer nachhaltigen Lebens­mittel­produktion

23. September 2021
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Ein Beitrag der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe.

Die Partnerschaft smartFood­­Tech­nologyOWL erforscht an der Technischen Hoch­schule Ostwest­falen-Lippe die Potenziale der digitalen Trans­­formation für die Lebens­­mittel­­industrie.

Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Spitzenforschung“.

Die Lebensmittelfabrik der Zukunft

Smarte Technologien können die nachhaltige Versorgung der Menschen mit qualitativ hochwertigen und sicheren Nahrungsmitteln fördern. Lebensmittel sind ein höchst sensibles Thema: Von ihrer Qualität und Sicherheit hängen unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden ab. Ihre Produktion erfordert genaueste Planung und maximale Effizienz. Es gilt, begrenzte Rohstoffe klug zu nutzen, Unterversorgung und Überproduktion zu vermeiden, die Umwelt möglichst wenig zu belasten und wirtschaftlich zu arbeiten. Komplexe Heraus­forderungen, die wie geschaffen sind für den Einsatz intelligenter Technologien. Daran arbeitet die Forschungs­partnerschaft smart­Food­Technology­OWL, ein Netzwerk von rund 40 Partnern aus Industrie, Handwerk, Handel und weiteren Forschungs­einrichtungen.

Wie sieht die Lebensmittel­produktion der Zukunft aus?

Viele Produktionsprozesse in der Lebensmittelindustrie laufen derzeit noch in Chargen ab. Eine Qualitätskontrolle erfolgt meist erst am Ende der Produktion durch aufwendige Laboranalytik. Ist das Produkt fehlerhaft oder untauglich, muss in der Regel die ganze Charge (die mehrere Tonnen Lebensmittel umfassen kann) verworfen werden – vermeidbarer Lebensmittel­abfall. Ziel der For­schen­den ist es deshalb, mithilfe digitaler Technologien Anlagen zu konstruieren, die ohne menschliches Eingreifen automatisch auf Veränderungen im Produktions­­prozess reagieren können – das Labor soll in die Produktions­­maschinen gebracht werden. Das innovative System soll die Qualitäts­parameter bereits im Prozess präzise, sicher und effizient bestimmen, indem es mithilfe von Maschinen­daten und hochsensiblen Sensoren ein virtuelles Abbild des Produktes generiert. „Über das virtuelle Abbild können wir Produktions- und Qualitäts­­eigenschaften in Echtzeit vorhersagen. Das macht den Prozess kontinuierlich kontrollierbar und die Qualität gezielt steuerbar“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Stefan Witte, Vizepräsident für Forschung und Transfer der TH OWL und Partner­­schafts­­sprecher von smartFood­­TechnologyOWL. „Im Ergebnis könnten Herstellende auf eine aufwendige Laboranalytik verzichten und das Produkt kann in Echtzeit freigegeben werden, da die Qualitäts­kontrolle bereits im Prozess stattgefunden hat.“ Neben der Effizienz­steigerung der vorhandenen Anlagen­kapazitäten ergibt sich so auch ein positiver Einfluss auf die Umweltbilanz: Ressourcen werden geschont und Prozesse mit weniger Energieaufwand betrieben.

52 % der Lebensmittelabfälle in Deutschland (ca. 6,14 Mio. t) entstanden im Jahr 2015 in Haushalten – das entspricht etwa 75,2 kg pro Einwohner*in. Hiervon war rund die Hälfte (32,9 kg) theoretisch vermeidbar¹). Intelligente Haltbarkeitsvorhersagen können dazu beitragen, dass weniger Lebensmittel verschwendet werden. Individuelle Aufkleber auf Lebensmittelverpackungen können am Ende des smarten Herstellungsprozesses zuverlässigere Haltbarkeitsdaten liefern, die den Verbraucher*innen mehr Sicherheit geben. Denkbar wäre es auch, intelligente Kühlschränke mit Sensoren auszustatten, die Verbraucher*innen darauf aufmerksam machen, welche Lebensmittel zeitnah verbraucht werden müssen, und entsprechende Rezepte vorschlagen. 1) Quelle: Schmidt T., Schneider F., Leverenz D., Hafner G. (2019) Lebensmittelabfälle in Deutschland – Baseline 2015. Thünen Rep 71, DOI: 10.3220/REP1563519883000

Die kontinuierliche Maischanlage Smart Mashing Plant - Lösungsorientierter Ansatz: Die Forschenden nähern sich dem Themenkomplex in rund 15 praxisnahen Projekten, die bislang getrennte Einzelsysteme der Lebensmittelwirtschaft vernetzen sollen. Dabei werden Lösungen für wesentliche Herausforderungen der Lebensmittelwirtschaft entwickelt, in denen der Einsatz von Industrie-4.0-Technologien und die Betrachtung vernetzter Gesamtsysteme großes Potenzial für Wirtschaft und Gesellschaft erwarten lässt: Qualitätssicherung beschleunigen und verbessern, Lebensmittelverschwendung reduzieren, Energie und Ressourcen sparen, Produktvielfalt vereinfachen, Herkunft und Verarbeitung sichtbar machen; verbunden mit der Möglichkeit, ganz neue Lebensmittelinformationssysteme und Geschäftsmodelle zu generieren.
© TH OWL Die kontinuierliche Maischanlage Smart Mashing Plant - Lösungsorientierter Ansatz: Die Forschenden nähern sich dem Themenkomplex in rund 15 praxisnahen Projekten, die bislang getrennte Einzelsysteme der Lebensmittelwirtschaft vernetzen sollen. Dabei werden Lösungen für wesentliche Herausforderungen der Lebensmittelwirtschaft entwickelt, in denen der Einsatz von Industrie-4.0-Technologien und die Betrachtung vernetzter Gesamtsysteme großes Potenzial für Wirtschaft und Gesellschaft erwarten lässt: Qualitätssicherung beschleunigen und verbessern, Lebensmittelverschwendung reduzieren, Energie und Ressourcen sparen, Produktvielfalt vereinfachen, Herkunft und Verarbeitung sichtbar machen; verbunden mit der Möglichkeit, ganz neue Lebensmittelinformationssysteme und Geschäftsmodelle zu generieren.

Die Zukunft des Bierbrauens

Ein Beispiel hierfür: Die Smart Mashing Plant, die das Maischen als klassischen Prozess des Bierbrauens revolutioniert. Hierbei handelt es sich um eine Demonstratoranlage zur Herstellung von Maische, die über Sensoren und maschinelles Lernen die Qualität regeln kann. Der Prozess des Maischens als erster Schritt der Bierherstellung ist ein komplexes Verfahren: Geschrotetes Malz und Wasser werden vermischt und durchlaufen mehrfache Temperatur­änderungen. Hierdurch werden unterschiedliche physikalische, chemische und enzymatische Stoffumwandlungs­prozesse absolviert. Ziel ist die Umwandlung der wasserunlöslichen Stärke des Getreides in löslichen Zucker, der für die spätere Vergärung durch Hefen zur Produktion von Alkohol benötigt wird. Die Smart Mashing Plant verändert den Produktions­prozess entscheidend: Der eigentlich chargenweise ablaufende Prozess des Maischens wird in der Anlage in einem kontinuierlichen Verfahren abgebildet, sodass es keine sich unterscheidenden Chargen mehr gibt. Da Rohstoffe natürlichen Ursprungs verwendet werden, unterliegen diese auch Variationen in ihrer Qualität. Der Schlüssel zum effizienten Betrieb einer kontinuierlichen Anlage liegt darin, diese Qualitäts­schwankungen festzustellen und im Prozess darauf reagieren zu können. Die Qualität des Produktes in der Anlage wird durch eine Kombination aus hochdaten­intensiver photonischer, instrumenteller Analytik und im Prozess anfallenden Maschinendaten mit maschinellem Lernen bestimmt. Bei der Bestimmung der Produkt­qualität im Prozess handelt es sich um eine Echtzeit­qualitäts­sicherung, die Prozessinformationen im laufenden Betrieb registrieren kann. Die Entwicklung der Anlage ist bereits so weit vorangeschritten, dass die Echtzeit­qualitäts­sicherung zur Prozess­überwachung zuverlässig eingesetzt werden kann. Außerdem ist die Anlage dazu in der Lage, auf Anomalien im Prozess automatisch zu reagieren und die Produktion nach selbstständiger Behebung der Anomalien fortzusetzen. Derzeit konzentriert sich die Arbeit dar- auf, die durch die Echtzeit­qualitäts­sicherung generierten Qualitäts­parameter für eine ganzheitliche, in sich abgeschlossene Regelung zu implementieren. Ist dies abgeschlossen, soll die Anlage automatisch auf variierende Rohstoffqualitäten reagieren können, um eine Produktion mit einer gleichbleibend hohen Qualität und Produktionsrate zu gewährleisten.

Die Forschungs­plattform smartFood­TechnologyOWL wurde vom Institut für Lebensmittel­technologie.NRW (ILT.NRW) gemeinsam mit dem Institut für industrielle Informations­technik (inIT) der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe gegründet.

Unter dem Motto „where food meets IT“ entsteht durch ihre Zusammen­arbeit ein einzigartiges Forschungs- und Entwicklungs­umfeld. Zu den über 40 Partnern von smartFoodT­echnologyOWL gehören namhafte Unternehmen aus der Industrie, KMUs und Handwerkspartner sowie Forschungs­partner und Netzwerke. Sie vertreten die Lebensmittel­hersteller, die Zulieferer- und Maschinen­bauindustrie sowie den Handel. smartFood­TechnologyOWL versteht sich als lernende Partner­schaft, die sich ständig weiterentwickelt, und ist offen für weitere Partner. Die Smart FOODFACTORY wird von EFRE, dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, gefördert und hat ein Gesamtvolumen von rund 10 Mio. Euro. Das diesem Bericht zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förder­kennzeichen 03FH3M1IA gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autor.

Intelligente Haltbarkeitsvorhersage

Eine weitere Anwendungs­möglichkeit von Industrie-4.0-Methoden in der Lebens­mittel­technologie ist die Individua­lisierung des Haltbarkeits­datums. Mithilfe von analytischen Instrumenten wie einer elektronischen Nase oder einer enzymatischen Analyse werden Rohstoffe und fertige Produkte untersucht. Über einen längeren Zeitraum sammeln die Forschenden so Indikatoren, die den Verderb von Lebens­mitteln andeuten. Mithilfe der daraus gewonnenen Datensätze sollen im nächsten Schritt Sensoren gefunden werden, die die analy­tischen Instrumente ersetzen und an die Produktions­linie angedockt werden können. Das Ziel: Die Sensoren generieren während der Produktion Daten, liefern sie an eine Datenbank und diese gibt eine individuelle Halt­barkeits­prognose ab, die am Ende der Produktions­linie auf die Produkt­verpackung gebracht wird. Die Vorteile liegen auf der Hand: Das Haltbarkeits­datum wird zuverlässiger und die Wegwerf­quote auf Verbraucher­seite kann reduziert werden. Auch für Lebensmittel­unternehmen ist ein präziseres Haltbar­keits­datum relevant: Rund zehn Prozent der Produkte erreichen aktuell im Handel das Mindest­haltbarkeits­datum, bevor sie verkauft werden. Verluste, die der Handel bei den Verhandlungen mit den Herstellenden geltend macht.

Die Smart FOODFACTORY

Die einzigartige Forschungskompetenz der Partnerschaft smartFood­TechnologyOWL bekommt nun ein Zuhause in der Smart FOODFACTORY, deren Bau im kommenden Jahr abgeschlossen sein wird. Auf etwa 1.500 Quadratmetern entsteht eine Forschungs- und Demonstra­tions­plattform für die digitale Trans­formation in der Lebens­mittel­technologie, in der neue Technologien, Produkte und Produktions­prozesse der Lebensmittel­branche gemeinsam entwickelt und evaluiert werden. In der Smart FOODFACTORY sollen Innovationen entstehen, die auf die grundlegende Verbesserung der Qualität und Sicherheit von Lebens­mitteln, auf Nachhaltig­keit, Wirtschaft­lichkeit von Produktions­prozessen und auf den Verbraucher­komfort abzielen. Kurze Wege zwischen Werkhalle, Labor und Besprechungs­bereich ermöglichen eine ganzheitliche Bearbeitung auch interdiszi­plinärer Forschungs­themen. Als intelligente Lebensmittel­fabrik auf höchstem technischem Niveau wird die Smart FOODFACTORY ein überregionaler Impulsgeber für Innovationen sein.

Stefan Witte
© TH OWL

„Gemeinsam mit unseren Partnern schaffen wir in der Smart FOODFACTORY ein neuartiges Forschungsumfeld, das in dieser Weise und mit dieser Zielsetzung herausragend in Deutschland ist.“

Prof. Dr.-Ing. Stefan Witte

Die Digitalisierung der Lebensmitteltechnologie ist eine wichtige Zukunftsaufgabe.

Industrie 4.0

Hinter dem abstrakten Begriff „Industrie 4.0“ verbirgt sich die Idee, die industrielle Produktion mithilfe moderner Informations- und Kommuni­kations­technik zu optimieren. Intelligente, digital vernetzte Systeme ermöglichen eine weitgehend selbstständige Steuerung von Produktions­prozessen, in die auch Kund*innen und Lieferant*innen eingebunden werden können. Dadurch lassen sich nicht nur einzelne Herstellungs­schritte, sondern die gesamte Wert­schöpfungs­kette effizienter gestalten. Die FH-Impuls­partner­schaft smartFood­TechnologyOWL überträgt diesen Ansatz nun auf die komplette Wert­schöpfungs­kette der Lebensmittelproduktion.

Die Smart FOODFACTORY ist eine innovative Forschungsplattform für die Lebensmitteltechnologie und wird im Herbst 2022 eröffnet.
© RSE Planungsgesellschaft mbH Die Smart FOODFACTORY ist eine innovative Forschungsplattform für die Lebensmitteltechnologie und wird im Herbst 2022 eröffnet.

Die TH OWL

Die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe ist eine forschungsstarke Hochschule für angewandte Wissenschaften, die an drei Standorten rund 50 Bachelor- und Masterstudiengänge sowie Promotionsprogramme anbietet. Sie ist fest verankert in Ostwestfalen-Lippe, einer wirtschaftsstarken Region im Nordosten von Nordrhein-Westfalen. Die TH OWL ist kreativ, innovativ und nachhaltig. Sie lebt durch die Vielfalt ihrer Fachbereiche, die technisch, wirtschaftswissenschaftlich, gestalterisch und künstlerisch ausgerichtet sind.

Zielsetzung

Die Partnerschaft smartFood­TechnologyOWL ist eine Allianz für Innova­tionen in den Bereichen Lebens­mittel­produktion, -qualität, -sicherheit, -verteilung und -nachhaltig­keit. Gemeinsam mit über 40 Partnern aus Industrie, Handwerk, Handel und weiteren Forschungs­einrich­tungen entsteht an der TH OWL ein Kompe­tenz­zentrum zum Thema „where food meets IT“. smartFood­TechnologyOWL ist offen für weitere Partner.

Forschungsprojekte

In rund 15 Forschungsprojekten entwickeln Forschende praxisnahe und smarte Lösungen, die die Lebensmittelindustrie fit für die Zukunft machen. Im Fokus der Projekte stehen die Lebens­mittel­schwerpunkte Getränke­technologie, Back- und Süßwaren­technologie sowie Fleisch­technologie. In diesen Bereichen werden die Möglich­keiten der Industrie 4.0 mit den Heraus­forderungen der Lebens­mittel­industrie verbunden.

Kontakt

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