
Neue Plattform für Pioniere
AnzeigeFrühmorgens im nordafrikanischen Merzouga: Ein Wüstensturm drohte den dreirädrigen Katamaran unter zentimeterdickem Sand zu begraben.
Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Über den Transfer in die Gesellschaft“.
Um die optimale Energieeinspeisung am Tag vor dem Finale nicht zu gefährden, halfen alle im „Team Sonnenwagen Aachen“, die vier Quadratmeter Silizium-Solarzellen zu schützen. Später waren kreative Lösungen bei der Verstärkung der Hinterradaufhängung gefragt. Dann: ein kurzer malerischer Moment, als über den Dünen die Sonne aufging und eine Kamelkarawane vorbeitrabte. Die Höhen und Tiefen im Web-Tagebuch der Solar Challenge Morocco 2021 stehen für die unzähligen Herausforderungen, die dem fünftägigem Langstreckenrennen durch die Sahara und das Atlas-Gebirge vorausgingen: Zwei Jahre Entwicklung, über sechs Jahre Erfahrung, die Unterstützung großer Sponsoren und hohe Ingenieurskunst gepaart mit intelligenter Software und Teamgeist stecken im Covestro Photon, entworfen und gebaut von einem studentischen Verein der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) und der FH Aachen. Mit der dritten Generation des emissionsfreien Rennwagens gelang ihnen ein Vorzeigeprojekt für nachhaltige Mobilität – und sie belegten Platz 5 in einem Wettbewerb, bei dem die Herausforderung schon darin besteht, das Ziel zu erreichen.
Was das Beispiel „Sonnenwagen Aachen“ zudem illustriert: Zukunftsweisende studentische Initiativen müssen nicht zwingend Start-ups sein, um Modellcharakter zu haben – ein Ansatz, der auch mit dem „Collective Incubator“ verfolgt wird, einem neuen formatübergreifenden Förderangebot der RWTH Aachen, inklusive Co-Working- und Maker-Space, das die mehr als 47.000 Studierenden der größten deutschen Universität für technische Studiengänge adressiert. Mit 23,3 Millionen Euro bis 2024 durch die Initiative „Exzellenz Start-up Center.NRW“ des Wirtschaftsministeriums finanziert, wurde diese Plattform aufgebaut, um zur Entwicklung neuer Technologien und Ideen zu inspirieren, unabhängig davon, ob es sich um soziale Innovationen oder kommerzielle Start-ups handelt.
„Collective Incubator: Plattform für soziale Innovationen – und kommerzielle Startups“
Die Strategie ist, Studierende so früh wie möglich mit Forschenden unterschiedlicher Fachrichtungen und mit Unternehmen zusammenzubringen, um damit den Grundstein zu legen für den größten Tech-Inkubator Europas. Zu diesem Zweck wurde in einer ehemaligen Aachener Elektrotechnikfabrik der Campus „Jahrhunderthalle“ errichtet. Hier stehen den Teams auf 4.000 Quadratmetern rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche Räume, Werkstätten sowie ein Film- und Tonstudio kostenlos zur Verfügung. „Bei uns sind nicht nur Leute mit fertigen Businessplänen willkommen, sondern auch diejenigen, die selbst keine Idee haben, aber ihr Know-how in ein Projekt einbringen wollen“, sagt David Beumers, Leiter und Co-Gründer des „Collective Incubator“. Wie erfolgreich das Gesamtpaket ist, zeigt sich daran, dass die Community nach kurzer Zeit bereits über 150 Start-ups und studentische Initiativen zählt und damit zu den größten dieser Art in Deutschland gehört.
Die kollektive Plattform, deren Führung zur Hälfte den Studierenden selbst obliege, sei auf deren Interessen und Karrierevorstellungen fokussiert, ergänzt der Wirtschaftsingenieur. Die vielen Talente, die den Collective Incubator ausmachen, sind dabei auch für die Wirtschaft spannend. „Aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels kommen immer mehr Unternehmen auf uns zu, um junge Talente und künftige Absolventinnen und Absolventen frühzeitig kennenzulernen.“ Ein Umstand, der auch auf das Renommee der Hochschule zurückgeht: Mit einem Abschluss an der RWTH gehört man bei Arbeitgebern laut aktuellen Rankings zu den attraktivsten Absolventinnen und Absolventen Deutschlands.
Diesen guten Ruf verdankt die RWTH auch zahlreichen erfolgreichen Ausgründungen. „Die Basis bildet ein bewährtes Ökosystem am RWTH Aachen Campus, das der Translation von Wissen in die Gesellschaft dient und durch den ,Collective Incubator‘ auf sehr spannende Art bereichert wird“, erläutert Professor Malte Brettel, Prorektor für Wirtschaft und Industrie der RWTH. Unterstützung bei der Ausgründung bieten zum Beispiel das RWTH Incubation- beziehungsweise Innovation-Sprint-Programm, welche von der RWTH Innovation aufgebaut wurden. Darin erwerben Studierende unternehmerische Expertise, vernetzen sich mit potenziellen Investoren und erhalten finanzielle Unterstützung beim Bau von Prototypen.
Beitrag zur Kreislaufwirtschaft: Nachnutzung von Elektroautobatterien dank Voltfang
Davon profitieren konnte zum Beispiel das Start-up Voltfang, das mit einer Technologie für Furore sorgte, die auf der Nachnutzung von Elektroautobatterien beruht. Das dreiköpfige Gründerteam der RWTH entwickelte spezielle Speichermodule. Durch diese Zweitverwendung – auch Second-Life-Batterien genannt – lassen sich Ressourcen wie Lithium und Kobalt, die bei der Neuproduktion von Batterien anfallen, einsparen. Zur Kreislaufwirtschaft beizutragen, ist Ziel des Unternehmens. Anna Maria Jonas, Head of Sustainability von Voltfang: „Die weltweit steigende Nachfrage nach E-Autos und stationären Stromspeichern beansprucht in höchstem Maße Rohstoffe, die das Leben der Menschen in den Abbaugebieten und die Umwelt beeinträchtigen. Unser kostengünstiger und effektiver Stromspeicher liefert saubere Energie und Unabhängigkeit.“
Es gibt eine ganze Reihe solcher Ansätze, mit denen an der RWTH, insbesondere aus dem Collective Incubator heraus, Zukunftsszenarien begegnet wird. Angesichts überlasteter Städte und steigender E-Commerce-Umsätze stellte sich das Start-up Urban Ray der Herausforderung, die Paketlieferung in die dritte Dimension – also in die Luft – zu bringen. Nachdem der Prototypenbau dank der RWTH Innovation Sprints vorangetrieben wurde, gewann das Team beim deutschen Wettbewerbsteil der NASA/DLR Design Challenge 2020. Weitere vielversprechende Gründerteams aus dem RWTH-Ökosystem stehen bereits in den Startlöchern.
Interview mit Ulrich Rüdiger – Rektor der RWTH Aachen

In welchen Bereichen ist die RWTH besonders forschungsstark, wenn es um die großen Herausforderungen wie zum Beispiel Digitalisierung, Klimawandel und Energiewende geht?
Die RWTH hat ein ganzheitliches Bild zum Thema Nachhaltigkeit entwickelt. Unsere Profilbereiche tragen zu den technologischen, ökologischen, ökonomischen und ethisch-soziologischen Systemherausforderungen bei. Unsere Forschungsnetzwerke haben immer den Anspruch, nachhaltige Wirkung für die Gesellschaft zu generieren.
Wie setzt sich die RWTH gegenüber der Konkurrenz ab?
Der RWTH Aachen Campus ist ein einzigartiger Ort, an dem Forschung, Lehre und Transfer integriert kooperieren. Hier werden unternehmerische Grundeinstellung und Zusammenarbeit mit Industriepartnern gleichermaßen gefördert. So entsteht ein einmaliges Eco-System, um große Ideen und nachhaltige Visionen zu verfolgen. Mit dem Collective Incubator geben wir bereits Studierenden größtmögliche Entfaltungsmöglichkeiten.
Partizipative Wissenschaft, die der Gesellschaft Erkenntnisse der Grundlagenforschung vertraut machen soll, spielt eine wachsende Rolle. Welche Erfahrungen machen Sie damit?
Technologischer, sozialer wie kultureller Wandel sind eng verwoben. An der RWTH haben wir das Human Technology Center HumTec gegründet, um mit Natur-, Technik- und Lebenswissenschaften sowie Geistes-, Gesellschafts- und Raumwissenschaften ein neues Kapitel konvergenter Forschung aufzuschlagen. Reallabore/Living Labs sind sichtbare Elemente dieses Ansatzes.
Kontakt

RWTH Aachen University
Thorsten Karbach
Leitung Dezernat Presse und Kommunikation
Templergraben 55
52056 Aachen