ZEIT für X
Demo in Lützenrath

Aktivismus und Unternehmertum – in Lützerath vereint?

19. Januar 2023
Ein Artikel von Studio ZX

Die Wirtschaft ist so viel­fältig wie unsere Gesellschaft. Auch Unternehmens­vertreter:innen protestierten gegen den Kohle­abbau unter dem Dorf Lützerath. Einige gingen dafür sogar auf die Straße.

von Kristina Kara, Studio ZX

Wer Bilder von den Ausschreitungen in Lützerath sieht, könnte meinen, dass die Proteste in der nordrhein-westfälischen Ortschaft von radikalen Gruppen dominiert worden seien. Doch die Mehrheit der Protestierenden sei „bürgerlich und friedlich orientiert“ gewesen, wie es Dirk Weinspach, Präsident der mit der Räumung beauftragten Aachener Polizei, auf einer Presse­konferenz am 9. Januar 2023 formulierte. Die wenigsten sind Voll­zeit­aktivist:innen, auch Führungs­kräfte von Unternehmen beteiligten sich beispiels­weise an der Groß­kundgebung am 14. Januar. Dabei wird deutlich, dass sich die Trennlinie zwischen pro und kontra Wirtschaft längst nicht so scharf ziehen lässt, wie es auf den ersten Blick scheint. Daher haben wir von ZEIT für Klima nachgefragt: Was bewegt Unternehmens­vertreter:innen dazu, sich den Protesten anzuschließen? Was sind ihre Anliegen? Und wie sieht ihre Unterstützung genau aus?

Wir finden, dass Unternehmen eine soziale Verantwortung tragen, die über das rein wirtschaftliche Handeln hinaus­geht. Für uns bedeutet dies, sowohl in unserem Unternehmens­alltag konsequent nachhaltig zu handeln als auch bei den Klima­protesten aktiv zu sein.

Alma Spribille, Gründerin und Geschäftsführerin WEtell

Alma Spribille ist Gründerin und Geschäfts­führerin des Mobil­funk­anbieters WEtell. Gemeinsam mit weiteren Unternehmens­vertreter:innen, etwa von den Grün­strom­anbietern Natur­strom oder der Energie­genossenschaft Prokon, hat sie unter dem Motto #unternehmenklimaschutz an der Demonstration teil­genommen. „Die Demonstration am 14. Januar war ein wahnsinnig emotionaler Tag für den Klimaschutz. Zu sehen, dass so viele Unternehmen zu dieser Demo kommen, sich öffentlich positionieren und darüber sprechen und schreiben, ist für mich ein positives Zeichen“, sagt sie. „Wir finden, dass Unternehmen eine soziale Verantwortung tragen, die über das rein wirtschaftliche Handeln hinaus­geht. Für uns bedeutet dies, sowohl in unserem Unternehmens­alltag konsequent nach­haltig zu handeln als auch bei den Klima­protesten aktiv zu sein. Braunkohle hat immer noch eine starke Unternehmens­lobby im Rücken. Wir möchten ein Gegen­gewicht schaffen und zeigen, dass auch erneuer­bare Energien und Klima­schutz bereits von zahlreichen Unternehmen gefördert und gefordert werden.“

Das gelbe X ist zum Symbol für den Protest geworden: Bei der Demonstration trafen sich (von links nach rechts): Mareike Kühnle (WEtell), Katharina Weinberg (Prokon), Nico Tucher (WEtell) und Alma Spribille (WEtell); dahinter: Andreas Schmucker (WEtell), Ansgar Börste (GLS Bank), Nicolas Goebel (WEtell), Marcus Hiersemann (Naturstrom) und Martin Schinke (Naturstrom)
Das gelbe X ist zum Symbol für den Protest geworden: Bei der Demonstration trafen sich (von links nach rechts): Mareike Kühnle (WEtell), Katharina Weinberg (Prokon), Nico Tucher (WEtell) und Alma Spribille (WEtell); dahinter: Andreas Schmucker (WEtell), Ansgar Börste (GLS Bank), Nicolas Goebel (WEtell), Marcus Hiersemann (Naturstrom) und Martin Schinke (Naturstrom)

Gedankenexperiment erwünscht

Bei der Genossenschaftsbank GLS geht die Kritik an den Entscheidungen rund um Lützerath durch alle Etagen. Vorstands­mitglied Dirk Kannacher war zwar selbst nicht vor Ort, hat aber eine klare Meinung: „Das Problem im Fall Lützerath ist, dass sich alle im Recht sehen. Die Politik, die diese Entscheidung angesichts des Ukraine-Krieges gefällt hat. RWE mit Blick auf ihre Gewinne. Die Aktivist:innen, die sich gegen den Kohleabbau stellen. Das zeigt, dass das System versagt hat. Denn die Klimakrise ist da, dennoch funktionieren Wirtschaft und Politik noch immer weiter nach dem Prinzip: Erst zählen die Gewinne, dann kommen Mensch und Umwelt. Für eine zukunfts­fähige und enkel­taugliche Wirtschaft müssen wir umdenken und anders handeln. Hier hilft ein kleines Gedanken­experiment: Wie benehmen wir uns, wenn wir zu Besuch bei Freund:innen sind? Wir sind rück­sichts­voll, nehmen nur das an, was uns gereicht wird, und räumen hinter uns auf. Das können wir auch auf die Welt übertragen. Schließlich sind wir hier alle nur zu Gast“, so der Banker.

Dirk Kannacher ist seit 2017 Vorstand der GLS Bank. Seit dem 1. Januar 2023 ist er zuständig für den Bereich Anlage, Zahlungsverkehr und IT.
© Patrick Tiedtke Dirk Kannacher ist seit 2017 Vorstand der GLS Bank. Seit dem 1. Januar 2023 ist er zuständig für den Bereich Anlage, Zahlungsverkehr und IT.

Konflikte und Kompromisse

Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoor-Ausstatters VAUDE, unterstützt die Forderungen nach einem sofortigen Räumungs­stopp: „In Lützerath kämpfen junge Klima­aktivist:innen um ihre Zukunft. Das Dorf ist zum Symbol für eine schizophrene Klima­politik geworden. Wie eine eiternde Wunde werden sich die Bilder der vergangenen Tage in das Bewusstsein junger Menschen einbrennen und ihr Verhältnis zur Politik nach­haltig prägen. Auch wenn es bei der Klima­strategie politische Ziel­konflikte gibt, Kompromisse geschlossen und verlässlich eingehalten werden müssen, gilt es, solche historischen Wende­punkte in ihrer Bedeutung wahr­zunehmen. Es wäre wichtig, dass die verantwortlichen Politiker:innen Präsenz zeigen und den jungen Menschen ihre Strategie mit all den damit verbundenen Heraus­forderungen vermitteln. Ein Moratorium könnte ein guter Weg sein, um in den Dialog mit den Klima­aktivist:innen zu kommen“, so ihr Fazit.

Antje von Dewitz hat 2009 die Geschäftsführung des Unternehmens VAUDE von ihrem Vater übernommen. Seitdem hat sie das Geschäft konsequent nachhaltig ausgerichtet.
© Nicole Maskus-Trippel/bodensee-fotografen.de Antje von Dewitz hat 2009 die Geschäftsführung des Unternehmens VAUDE von ihrem Vater übernommen. Seitdem hat sie das Geschäft konsequent nachhaltig ausgerichtet.

In Lützerath kämpfen junge Klimaaktivist:innen um ihre Zukunft. Das Dorf ist zum Symbol für eine schizophrene Klimapolitik geworden.

Antje von Dewitz, Geschäftsführerin Vaude

Erneuerbare vor

Vertreter:innen der Ökostromanbieter Elektrizitäts­werke Schönau (EWS), Green Planet Energy, Naturstrom, Bürgerwerke und Polarstern sowie Angehörige der Energie­genossenschaft Prokon, der App „climony“ und der grünen Suchmaschine Ecosia waren ebenfalls vor Ort.

Katharina Weinberg ist für Prokon tätig. „Nach Lützerath zu fahren, war für die Klima­bewegung, aber auch für mich persönlich wichtig. Das Treffen mit den anderen Unternehmen hat mir gezeigt, dass wir bei Prokon nicht allein sind mit unserem Wunsch, Wirtschaft und Klimaschutz zu vereinen“, erklärt die Digital- und Innovations­expertin.

Am Abend vor der Demo machte es sich Alma Spribille gemeinsam mit Andreas Schmucker und Nicolas Goebel von WEtell sowie Simone Herpich von den EWS gemütlich
Am Abend vor der Demo machte es sich Alma Spribille gemeinsam mit Andreas Schmucker und Nicolas Goebel von WEtell sowie Simone Herpich von den EWS gemütlich

Fenja Jacobs ist für Protect the Planet tätig, eine gemein­nützige Organisation, die unter anderem von der Unternehmerin Dorothea Sick-Thies gegründet wurde, um den Klima­wandel mithilfe erneuer­barer Energien zu bekämpfen. Sie erklärt ihre Teilnahme an der Demonstration so: „Es ist wichtig, dass auch Unternehmer:innen sich mit den Klima­protesten der Zivil­gesellschaft solidarisieren.“

Tim Loppe leitet den Bereich Medien und Politik beim Öko­strom­anbieter Naturstrom. Er berichtet: „Wir hatten in Lützerath bis zuletzt noch Kund:innen in zwei Häusern, die wir ganz offiziell mit Strom beliefert haben. Im Dezember wurde ihnen ohne Vorwarnung der Strom abgebaggert. Das ganze Vorgehen und die ausbleibende Kommunikation seitens des Netz­betreibers und RWE waren schon sehr befremdlich. Wir haben unseren Kund:innen in Lützerath dann kurzfristig einen Wechsel­richter, Autobatterien und Powerbanks vorbei­gebracht. Bei der Demonstration waren Kolleg:innen vor Ort, um für eine schnellere Energie­wende und einen wirkungs­vollen Klimaschutz einzutreten.“