Aktivismus und Unternehmertum – in Lützerath vereint?
Die Wirtschaft ist so vielfältig wie unsere Gesellschaft. Auch Unternehmensvertreter:innen protestierten gegen den Kohleabbau unter dem Dorf Lützerath. Einige gingen dafür sogar auf die Straße.
Wer Bilder von den Ausschreitungen in Lützerath sieht, könnte meinen, dass die Proteste in der nordrhein-westfälischen Ortschaft von radikalen Gruppen dominiert worden seien. Doch die Mehrheit der Protestierenden sei „bürgerlich und friedlich orientiert“ gewesen, wie es Dirk Weinspach, Präsident der mit der Räumung beauftragten Aachener Polizei, auf einer Pressekonferenz am 9. Januar 2023 formulierte. Die wenigsten sind Vollzeitaktivist:innen, auch Führungskräfte von Unternehmen beteiligten sich beispielsweise an der Großkundgebung am 14. Januar. Dabei wird deutlich, dass sich die Trennlinie zwischen pro und kontra Wirtschaft längst nicht so scharf ziehen lässt, wie es auf den ersten Blick scheint. Daher haben wir von ZEIT für Klima nachgefragt: Was bewegt Unternehmensvertreter:innen dazu, sich den Protesten anzuschließen? Was sind ihre Anliegen? Und wie sieht ihre Unterstützung genau aus?
Wir finden, dass Unternehmen eine soziale Verantwortung tragen, die über das rein wirtschaftliche Handeln hinausgeht. Für uns bedeutet dies, sowohl in unserem Unternehmensalltag konsequent nachhaltig zu handeln als auch bei den Klimaprotesten aktiv zu sein.
Alma Spribille, Gründerin und Geschäftsführerin WEtell
Alma Spribille ist Gründerin und Geschäftsführerin des Mobilfunkanbieters WEtell. Gemeinsam mit weiteren Unternehmensvertreter:innen, etwa von den Grünstromanbietern Naturstrom oder der Energiegenossenschaft Prokon, hat sie unter dem Motto #unternehmenklimaschutz an der Demonstration teilgenommen. „Die Demonstration am 14. Januar war ein wahnsinnig emotionaler Tag für den Klimaschutz. Zu sehen, dass so viele Unternehmen zu dieser Demo kommen, sich öffentlich positionieren und darüber sprechen und schreiben, ist für mich ein positives Zeichen“, sagt sie. „Wir finden, dass Unternehmen eine soziale Verantwortung tragen, die über das rein wirtschaftliche Handeln hinausgeht. Für uns bedeutet dies, sowohl in unserem Unternehmensalltag konsequent nachhaltig zu handeln als auch bei den Klimaprotesten aktiv zu sein. Braunkohle hat immer noch eine starke Unternehmenslobby im Rücken. Wir möchten ein Gegengewicht schaffen und zeigen, dass auch erneuerbare Energien und Klimaschutz bereits von zahlreichen Unternehmen gefördert und gefordert werden.“
Gedankenexperiment erwünscht
Bei der Genossenschaftsbank GLS geht die Kritik an den Entscheidungen rund um Lützerath durch alle Etagen. Vorstandsmitglied Dirk Kannacher war zwar selbst nicht vor Ort, hat aber eine klare Meinung: „Das Problem im Fall Lützerath ist, dass sich alle im Recht sehen. Die Politik, die diese Entscheidung angesichts des Ukraine-Krieges gefällt hat. RWE mit Blick auf ihre Gewinne. Die Aktivist:innen, die sich gegen den Kohleabbau stellen. Das zeigt, dass das System versagt hat. Denn die Klimakrise ist da, dennoch funktionieren Wirtschaft und Politik noch immer weiter nach dem Prinzip: Erst zählen die Gewinne, dann kommen Mensch und Umwelt. Für eine zukunftsfähige und enkeltaugliche Wirtschaft müssen wir umdenken und anders handeln. Hier hilft ein kleines Gedankenexperiment: Wie benehmen wir uns, wenn wir zu Besuch bei Freund:innen sind? Wir sind rücksichtsvoll, nehmen nur das an, was uns gereicht wird, und räumen hinter uns auf. Das können wir auch auf die Welt übertragen. Schließlich sind wir hier alle nur zu Gast“, so der Banker.
Konflikte und Kompromisse
Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoor-Ausstatters VAUDE, unterstützt die Forderungen nach einem sofortigen Räumungsstopp: „In Lützerath kämpfen junge Klimaaktivist:innen um ihre Zukunft. Das Dorf ist zum Symbol für eine schizophrene Klimapolitik geworden. Wie eine eiternde Wunde werden sich die Bilder der vergangenen Tage in das Bewusstsein junger Menschen einbrennen und ihr Verhältnis zur Politik nachhaltig prägen. Auch wenn es bei der Klimastrategie politische Zielkonflikte gibt, Kompromisse geschlossen und verlässlich eingehalten werden müssen, gilt es, solche historischen Wendepunkte in ihrer Bedeutung wahrzunehmen. Es wäre wichtig, dass die verantwortlichen Politiker:innen Präsenz zeigen und den jungen Menschen ihre Strategie mit all den damit verbundenen Herausforderungen vermitteln. Ein Moratorium könnte ein guter Weg sein, um in den Dialog mit den Klimaaktivist:innen zu kommen“, so ihr Fazit.
In Lützerath kämpfen junge Klimaaktivist:innen um ihre Zukunft. Das Dorf ist zum Symbol für eine schizophrene Klimapolitik geworden.
Antje von Dewitz, Geschäftsführerin Vaude
Erneuerbare vor
Vertreter:innen der Ökostromanbieter Elektrizitätswerke Schönau (EWS), Green Planet Energy, Naturstrom, Bürgerwerke und Polarstern sowie Angehörige der Energiegenossenschaft Prokon, der App „climony“ und der grünen Suchmaschine Ecosia waren ebenfalls vor Ort.
Katharina Weinberg ist für Prokon tätig. „Nach Lützerath zu fahren, war für die Klimabewegung, aber auch für mich persönlich wichtig. Das Treffen mit den anderen Unternehmen hat mir gezeigt, dass wir bei Prokon nicht allein sind mit unserem Wunsch, Wirtschaft und Klimaschutz zu vereinen“, erklärt die Digital- und Innovationsexpertin.
Fenja Jacobs ist für Protect the Planet tätig, eine gemeinnützige Organisation, die unter anderem von der Unternehmerin Dorothea Sick-Thies gegründet wurde, um den Klimawandel mithilfe erneuerbarer Energien zu bekämpfen. Sie erklärt ihre Teilnahme an der Demonstration so: „Es ist wichtig, dass auch Unternehmer:innen sich mit den Klimaprotesten der Zivilgesellschaft solidarisieren.“
Tim Loppe leitet den Bereich Medien und Politik beim Ökostromanbieter Naturstrom. Er berichtet: „Wir hatten in Lützerath bis zuletzt noch Kund:innen in zwei Häusern, die wir ganz offiziell mit Strom beliefert haben. Im Dezember wurde ihnen ohne Vorwarnung der Strom abgebaggert. Das ganze Vorgehen und die ausbleibende Kommunikation seitens des Netzbetreibers und RWE waren schon sehr befremdlich. Wir haben unseren Kund:innen in Lützerath dann kurzfristig einen Wechselrichter, Autobatterien und Powerbanks vorbeigebracht. Bei der Demonstration waren Kolleg:innen vor Ort, um für eine schnellere Energiewende und einen wirkungsvollen Klimaschutz einzutreten.“