Verantwortung für die Zukunft: Wie können Lieferketten nachhaltiger werden?
AnzeigeLieferketten sind oft komplex und undurchsichtig. Mit dem neuen EU-Lieferkettengesetz soll damit Schluss sein: Transparenz und Nachhaltigkeit werden zur Pflicht. Sechs Tipps, wie sich Unternehmen darauf einstellen können.
Das neue EU-Lieferkettengesetz nimmt Unternehmen ab 2023 in die Pflicht, Verantwortung für die Lieferketten zu übernehmen, damit der Weg eines Produkts vom herstellenden Betrieb über die Lieferant:innen bis hin zu den Konsument:innen nachhaltiger wird. Während Industrieverbände durch das Gesetz eine Überforderung kleinerer Unternehmen befürchten, sieht Nachhaltigkeitsexpertin Prof. Dr. Julia Hartmann darin eine Chance für alle Beteiligten. In sechs Tipps erklärt sie, was Unternehmen bei der Umstellung beachten müssen und warum Nachhaltigkeit nicht nur dem Planeten, sondern auch den Unternehmen nutzt.
Know-how über das eigene Produkt
„In den 1980er-Jahren haben Unternehmen weltweit angefangen, Produktionsschritte in andere Teile der Welt outzusourcen, um Kosten zu sparen und sich auf ihre Kernkompetenz zu konzentrieren. Dadurch ist viel Know-how über das Produkt und seine Komponenten in den Unternehmen verloren gegangen. Kaum jemand weiß heute, durch welche Hände ein einziges Teil eines Produkts gegangen, welche Wege es zurückgelegt und welche Produktionsbedingungen es erlebt hat. Schon die Coronapandemie hat gezeigt, dass viele Unternehmen plötzlich aufgeschmissen waren, weil Lieferketten unterbrochen waren und sie zu wenig über ihr eigenes Produkt wussten, um schnell nach alternativen Wegen zu suchen. Eine Lebenszyklusanalyse des Produkts, in der alle Komponenten genau untersucht und nachverfolgt werden, kann helfen, das Know-how wieder ins Unternehmen zu holen, um resilienter und nachhaltiger zu werden.“
Ein nachhaltiger Einkauf spart Kosten
„In einem aktuellen Forschungsprojekt mit einem meiner Doktoranden haben wir Hunderte von Unternehmen in Europa untersucht und festgestellt, dass Unternehmen, die im Einkauf Wert auf Nachhaltigkeit legen, signifikant weniger CO2-Emissionen in ihren Lieferketten verursachen – und zwar 17 Prozent im Jahr. In Zeiten, in denen CO2-Emissionen immer höher bepreist werden, ist das eine erhebliche Kostenreduktion und ein Schritt Richtung Compliance, sollte das Unternehmen sich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens bekennen. Unterm Strich steht also neben der ökologischen auch die wirtschaftliche Verbesserung.“
Zuckerbrot und Peitsche
„Bisher konnten Unternehmen bei Klimasünden oder Menschenrechtsverletzungen entlang ihrer Lieferkette die Verantwortung stets auf die Zwischenhändler:innen oder Lieferant:innen schieben. Das geht mit dem Lieferkettengesetz nicht mehr so einfach. Wer die Lieferant:innen für mehr Nachhaltigkeit sensibilisieren möchte, hat dafür erfahrungsgemäß zwei Möglichkeiten. Nennen wir sie Zuckerbrot und Peitsche. Die Peitsche meint, dass bei Verstößen zum Beispiel mit der Beendigung des Geschäftsverhältnisses gedroht wird oder Bußgelder verhängt werden. Das ist zwar nicht ungerechtfertigt, doch die Forschung zeigt, dass das Zuckerbrot deutlich besser funktioniert. Wenn Unternehmen ihre Lieferant:innen durch eine Incentivierung – etwa bessere Konditionen, die Aussicht auf eine langfristige Bindung oder Recognition-Programme wie Auszeichnungen oder Preise – von ihren Forderungen überzeugen können, ist der Erfolg langfristiger. Andersherum profitieren in Zeiten, in denen die Ware knapp ist, Unternehmen mit einer langfristigen Bindung zu den liefernden Unternehmen als bevorzugte Abnehmer:innen.“
Prof. Dr. Julia Hartmann lehrt Management und Nachhaltigkeit an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden. Als Expertin für Klimaschutz- und entsprechende Anpassungsstrategien und nachhaltiges Lieferkettenmanagement ist sie Mitglied der Jury des Microsoft Intelligent Manufacturing Awards (MIMA), der Vordenker:innen auszeichnet, die mit ihren Ideen und Lösungen die Zukunft der Industrie gestalten.
Verhaltenskodex weitergeben
„Der Trickle-down-Effekt meint, dass Unternehmen, die von dem Lieferkettengesetz betroffen sind, ihre Sorgfalt und ihre Verantwortung in der Lieferkette Glied für Glied nach unten weitergeben. In der Realität ist dieser Effekt jedoch nur selten zu beobachten. Das hängt einerseits mit der Komplexität mancher Lieferketten zusammen. Andererseits liegt es auch daran, dass die Einkaufsabteilung des Unternehmens in der Regel mit dem Vertrieb des liefernden Unternehmens kommuniziert. Dort bleibt der Code of Conduct – also der Verhaltenskodex, der auf die beteiligten Unternehmen angewandt werden soll – oft schon hängen, weil der Vertrieb ihn nicht nach unten weitergibt. Aus meiner Erfahrung sollte die Einkaufsabteilung des Unternehmens also nicht nur mit dem Vertrieb der Lieferant:innen, sondern auch mit deren Einkaufsabteilung kommunizieren, damit die Verantwortlichkeiten direkt nach unten adressiert werden können.“
Im Verbund für mehr Nachhaltigkeit
„Ich habe nun schon öfter gehört, dass viele kleine Unternehmen sich schwertun mit der Überprüfung ihrer Lieferketten. Auch sagen einige, dass sie als kleine Unternehmen kaum Einfluss auf die Entscheidungen und Praktiken ihrer Lieferant:innen hätten. Hier kann ich nur empfehlen, sich an die Verbände zu wenden. Diese können die Forderungen und Erwartungen der Unternehmen bündeln und sie gesammelt an die Lieferant:innen weitergeben. Ideal wäre es, wenn die Kommunikation zum Beispiel über eine Datenbank geführt wird, auf die die Abnehmer:innen und die Lieferant:innen zugreifen können. Das schafft Transparenz und reduziert den Aufwand für alle Seiten.“
Mehr Anreize für Unternehmen
„Was ich bereits mit ‚Zuckerbrot und Peitsche‘ beschrieben habe, gilt natürlich auch für den Staat, die Industrieverbände und die Privatwirtschaft: Anreize für Unternehmen, ihre Lieferketten nachhaltig zu gestalten, sind eine gute Ergänzung zu dem, was das Gesetz fordert. Wer sich über die Forderungen hinaus für gute soziale und ökologische Bedingungen entlang der Lieferkette engagiert, sollte dafür belohnt werden. Diese guten Beispiele ziehen wiederum andere Unternehmen mit, sodass ein Schneeballeffekt entsteht, der mehr bewirkt als das Lieferkettengesetz allein. Ein Beispiel: Als Jurymitglied des Microsoft Intelligent Manufacturing Awards (MIMA) habe ich gesehen, wie viele Unternehmen sich für digitale Lösungen und auch für das Thema Nachhaltigkeit engagieren und interessieren. Solche Ideen müssen unbedingt gefördert werden, denn sie haben das Potenzial, die Industrie nachhaltiger und besser zu machen!“
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Kund:innenanforderungen wandeln sich, Nachhaltigkeit ist weit mehr als ein Trend, Lieferketten digitalisieren sich. Das E-Book „Die neue intelligente Lieferkette: Strategien für Agilität, Nachhaltigkeit und Operational Excellence“ von Microsoft erklärt, wie Unternehmen sich in einem sich schnell weiterentwickelnden Markt anpassen können. Hier geht es zum Download.