Klimaschutz und Energiesicherheit – geht das?
AnzeigeSeit der Energiekrise hat die Energiesicherheit höchste Priorität. Bedeutet dies Abstriche in Sachen Klimaschutz? Stefan Dohler, CEO von EWE, erklärt, wie das Energieunternehmen dieses Dilemma löst.
Die Herausforderungen, die der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mit sich bringt, zwingen Energieunternehmen wie EWE zu unliebsamen Entscheidungen: Um von russischen Rohstoffen, insbesondere Gas, unabhängig zu werden, lässt das Unternehmen das eigene Kohlekraftwerk in Bremen länger am Netz als geplant. Zugleich bleibt die Klimaneutralität bis 2035 das angestrebte Ziel. Wie passt das zusammen? Stefan Dohler, Geschäftsführer von EWE, erklärt im Interview, wie sich das Unternehmen nun aufstellt und welche Maßnahmen zur Sicherung der Energiesicherheit und Einhaltung der Klimaziele wichtig sind.
Herr Dohler, nachdem Deutschland sich aus der Energieabhängigkeit von Russland löst, muss die Versorgungs- und Energiesicherheit gewährleistet werden. Was kann EWE dafür tun?
Grundsätzlich können alle etwas dafür tun. Denn Energie einsparen ist immer noch das Gebot der Stunde. Die beste Kilowattstunde ist die, die nicht verbraucht wurde. Aber selbstverständlich geht es nicht ohne Energie. Daher investiert EWE in neue Energien und baut diese massiv aus. Jedes neue Windrad, das unsere Tochterfirma Alterric aufbaut, macht uns unabhängiger von russischen Gaslieferungen. Kurzfristig hilft unsere LNG-Leitung, die wir im Nordwesten bauen, bei der Versorgung von bis zu vier Millionen Haushalten mit Gaslieferungen aus anderen Ländern. Diese neue Flüssiggasleitung wurde wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine nötig, trägt aber auch der Nachhaltigkeit Rechnung. Denn alle Transportwege eignen sich auch für die klimafreundliche Beförderung von grünem Wasserstoff.
Nun soll das Kohlekraftwerk in Bremen länger am Netz bleiben als geplant. Wie passt das zu Ihren geplanten Klimazielen?
Auch das ist eine direkte Reaktion auf den russischen Angriffskrieg. Unser ambitioniertes Ziel war es, schon im kommenden Jahr aus der Kohleenergie auszusteigen. Ohne Krieg wäre es auch dazu gekommen. Doch nun gibt es neue Grundlagen für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit in Deutschland. Daher haben wir uns entschieden, das verbliebene Kohlekraftwerk noch etwas länger laufen zu lassen und die Versorgungssicherheit in Bremen auch ohne russische Gaslieferungen zu gewährleisten.
EWE will Klimaneutralität bis 2035 erreichen. Können Sie dieses Versprechen in Anbetracht der aktuellen Lage noch halten?
Ja, an diesem Ziel halten wir weiter fest. Klimaschutz ist für uns kein Trend, sondern eine Verpflichtung. Die aktuelle Lage des Klimawandels zeigt, dass unser Weg der richtige ist und wir diesen schneller gehen müssen. Kurzfristig – also in den nächsten zwei bis drei Jahren – werden wir zusätzlich verstärkt auch auf fossile Energieträger setzen müssen, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen. Diese Übergangszeit von fossiler Energie wie Erdgas zu ausschließlich grüner Energie ist durch die Kriegssituation deutlich verkürzt worden. Wir werden bis 2035 klimaneutral, weil wir aus der Kohleverstromung schon sehr bald aussteigen, die Windenergie massiv ausbauen und unsere eigenen Verbräuche reduzieren. Dafür werden wir Milliarden investieren.
Herausfordernd bleiben leider die politischen Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen. Es scheint, als sei alles in Deutschland leichter zu errichten als eine Windkraftanlage, die wir aber für unsere Zukunft dringend benötigen.
Stefan Dohler, CEO von EWE
Welche Maßnahmen planen Sie konkret, und welche Herausforderungen sehen Sie dabei?
Im Nordwesten Deutschlands haben wir die besten Bedingungen, um die grüne Energiewelt von morgen zu gestalten. Der weitere Ausbau von Windenergieanlagen ist wesentlich für eine klimaneutrale Zukunft. In windreichen Zeiten, in denen wir mehr Energie produzieren als wir benötigen, können wir mit dem Windstrom grünen Wasserstoff produzieren und in unseren unterirdischen Kavernen speichern. So steht uns auch bei Flaute genug grüne Windenergie in Form von Wasserstoff zur Verfügung, den wir dazu noch hier im Norden in großen Mengen speichern können.
Herausfordernd bleiben leider die politischen Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen. Es dauert viel zu lange, bis die Anlagen stehen, und die Vorgaben sind sehr streng. Es scheint, als sei alles in Deutschland leichter zu errichten als eine Windkraftanlage, die wir aber für unsere Zukunft dringend benötigen. Zusätzlich investieren wir in den Ausbau unserer Stromnetze, nachhaltige Wärme- und Beleuchtungslösungen, Photovoltaik für Privathaushalte und in Elektromobilität.
Die derzeitige wirtschaftliche Situation, besonders die stark gestiegenen Gaspreise, belasten Privathaushalte und Unternehmen finanziell deutlich. Was lässt sich hier tun?
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung kurzfristig Energiekunden und -kundinnen entlasten möchte. Die Entlastung von privaten Haushalten für die Monate Januar und Februar halten wir in der derzeit vorliegenden Form beispielsweise für umsetzbar, weil sie mit ausreichend Vorlauf im März erfolgt und ausdrücklich ohne nachträgliche Korrektur an bereits abgerechneten Verträgen auskommt. Dieser sehr praxisorientierte Ansatz zeigt uns, dass unsere Hinweise durchaus gehört werden. Schwieriger wird es aus unserer Sicht, die Erdgaspreisbremse für Großkunden bereits zum 1. Januar 2023 umzusetzen. Das halten wir im Einklang mit der gesamten Branche für nicht realistisch und drängen weiterhin auf einen Start im März.
Welche politischen Erwartungen und Forderungen gibt es derzeit an Energieunternehmen, speziell an EWE, und können Sie diesen gerecht werden?
EWE trägt die Verantwortung für die bedrohte Versorgungssicherheit und die schnellere Loslösung von konventionellen Energieträgern mit. Zusätzlich haben wir einen enormen organisatorischen, personellen und finanziellen Zusatzaufwand, um die häufig sehr kurzfristigen Entscheidungen der Regierung im Sinne der Kundinnen und Kunden umzusetzen. Zum Beispiel das Abschöpfen von Unternehmenserlösen zur Refinanzierung der staatlichen Entlastungsmaßnahmen. Das würde unser Tochterunternehmen Alterric, den größten Grünstromerzeuger Deutschlands, in seiner Investitionskraft bremsen. Wir versperren uns der Idee einer Abschöpfung nicht grundsätzlich, dürfen aber nicht an den Punkt kommen, an dem wir nicht mehr ausreichend in Versorgungssicherheit, Klimaschutz und digitale Teilhabe investieren können. Man muss den Weg in die Energiezukunft eher verkürzen, als ihn mit der rückwirkenden oder zu drastischen Abschöpfung länger und steiniger zu machen.
Stefan Dohler ist Vorstandsvorsitzender der EWE AG, Energieenthusiast, Ingenieur, Vater und Seemann. Sein Motto: „Wenn einer Klimaschutz kann, dann wir alle.“ Der EWE-Konzern will bis 2035 klimaneutral werden.