Nichts zum Verhökern
ZEIT RedaktionDie Mattkes fanden keine Nachfolger für ihre Großbäckerei. Bis sie auf eine ungewöhnliche Idee kamen
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.
Lange hat Hans-Paul Mattke vergeblich jemanden gesucht, dem Croissants mindestens genauso wichtig sind wie ihm, genauer: Vollkorn-Buttercroissants. Seine Großbäckerei Moin Bio-Backwaren aus Glückstadt in der Nähe von Hamburg produziert auf über 4.500 Quadratmetern jährlich rund neun Millionen Croissants, die Bäcker verarbeiten jeden Tag sieben Tonnen Teig. 80 Menschen arbeiten in dem Betrieb, der im vergangenen Jahr laut eigenen Angaben zwölf Millionen Euro Umsatz erzielt hat. „Und der Markt ist ja noch lange nicht ausgeschöpft“, sagt Mattke. Doch er ist mittlerweile 69 Jahre alt, seine Frau, Brigitta Sui Dschen Mattke, die vor zehn Jahren zur Mitinhaberin wurde, ist 61. Hans-Paul Mattke sagt: „Wir sind erschöpft, auch vom schnellen Wachstum.“
Nur: In der Familie fand sich niemand, der die Nachfolge der Mattkes antreten wollte. An einen Außenstehenden will das Paar ungern verkaufen – zu groß ist die Angst, dass sich jemand mit Moin bloß die Taschen vollmacht. Das passt zu Hans-Paul Mattke: Vor 25 Jahren hat er die Firma als „anarchistisches Bäckerkollektiv“ gegründet, gemeinsam mit Freunden, mit denen er sonst gegen Atomkraft demonstrierte. Die Mattkes produzieren ausschließlich bio, stellen eine Gemeinwohlbilanz auf und haben schon vor mehr als zehn Jahren vegane Croissants in ihr Sortiment aufgenommen. Nachhaltigkeit und soziales Engagement sind ihnen wichtig, und sie wollen diese Werte in ihrem Unternehmen bewahren, auch wenn sie es nicht mehr leiten.
Deshalb geht das Inhaberpaar nun einen neuen, ungewöhnlichen Weg: Den Mattkes wäre es am liebsten, wenn Moin sich selbst gehört – und zu sogenanntem Verantwortungseigentum wird. Das würde vor allem zwei Dinge bedeuten. Erstens: Moin bliebe selbstbestimmt. Die Kontrolle über die Geschäfte hätten Menschen, die dem Unternehmen verbunden sind, also zum Beispiel die Mitarbeiter, und kein externer Eigentümer. Zweitens: Das Vermögen des Unternehmens wäre an einen Zweck gebunden. Bei Moin wäre das die Produktion hochwertiger Bio-Backwaren. Der Gewinn würde nicht ausgeschüttet, sondern bliebe in der Firma.
Mehr als 200 deutsche Unternehmen haben laut der Stiftung Verantwortungseigentum inzwischen diese Form der Nachfolge gewählt, darunter große Industrieunternehmen wie Zeiss, Bosch und ZF Friedrichshafen. Bei ihnen gehört die Mehrheit der Anteile einer Unternehmens- oder Familienstiftung. Kleinere Unternehmen haben eine solche Stiftung jedoch in der Regel nicht.
Aber mal ehrlich: Ist das eine gute Idee, wenn es keine Gesellschafter mehr gibt, die in guten Zeiten Gewinne entnehmen und in schlechten investieren können? Die Frage geht an Tom Rüsen. Er leitet das Wittener Institut für Familienunternehmen und lehrt an der Uni Witten-Herdecke, außerdem berät er Firmen in Nachfolgefragen. Rüsen sagt: „Dass ein Unternehmen sich selbst gehört, halte ich für eine gute Idee.“ Allerdings: „Eine Stiftungslösung lässt sich für kleine Mittelständler schwer umsetzen, der Aufwand ist zu groß“, sagt er. „Das ist, als würde man mit Kanonen auf Spatzen schießen.“
Deshalb haben sich die Befürworter des Verantwortungseigentums etwas einfallen lassen, damit auch kleine und mittelständische Firmen sich selbst gehören können. Christoph Bietz arbeitet für die Stiftung Verantwortungseigentum, die für die Idee seit einigen Jahren energische Lobbyarbeit betreibt. Mit dem Ziel, „eine eigene Rechtsform für Verantwortungseigentum“ zu schaffen, wie Bietz sagt. Tatsächlich hat das die Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag versprochen: „Für Unternehmen mit gebundenem Vermögen wollen wir eine neue geeignete Rechtsgrundlage schaffen, die Steuersparkonstruktionen ausschließt“, heißt es darin.
Nur: Bisher gibt es keine neue Rechtsform, und die Legislaturperiode ist schon zur Hälfte rum. Otto Fricke sitzt für die FDP im Bundestag und ist in seiner Fraktion für das Thema zuständig. Er schreibt auf Anfrage von ZEIT für Unternehmer, im Bundesjustizministerium werde „mit Hochdruck an einem Entwurf gearbeitet, um zeitnah erste Eckpunkte präsentieren zu können“. Das Ziel sei es, das parlamentarische Verfahren noch in diesem Jahr einzuleiten und idealerweise auch abzuschließen. „Damit könnte ein zu erwartendes Gesetz zur Gesellschaft mit gebundenem Vermögen schon im kommenden Jahr in Kraft treten“, schreibt Fricke. Vertreter von SPD und Grünen geben ähnliche Antworten, auch sie hoffen auf ein schnelles Vorankommen.
Die Mattkes beschließen schon im Jahr 2019 ihren Ausstieg. Als sie schon lange vergeblich einen Nachfolger suchen, melden sich drei Mitarbeiterinnen mit einer Idee: „Warum machen wir das nicht einfach?“, fragt Jule Usadel. Vicky Leskien, Julianna Müller und sie sind damals schon die Stellvertreterinnen der Mattkes. „Wir hatten einfach nicht daran gedacht, dass die drei überhaupt wollen könnten“, erzählt Brigitta Sui Dschen Mattke. Aber die Mattkes sind schnell überzeugt: Ihr Lebenswerk bleibt in bewährten Händen.
Damit das auch in Zukunft so bleibt, wollen sie Moin nun in Verantwortungseigentum verwandeln. 73 Prozent der GmbH soll die GTreu-Stiftung erhalten. GTreu steht für Gesellschaft treuhändischer Unternehmen, sie bietet kleineren Betrieben eine Alternative zur eigenen Unternehmens- oder Familienstiftung. Mit ihren Stimmrechten garantiert die GTreu, dass Moin nicht in die falschen Hände gerät oder Gewinne entnommen werden. Einfluss auf das operative Geschäft hat die GTreu nicht. Die restlichen 27 Prozent sollen an die drei Mitarbeiterinnen gehen, damit sie bei manchen Entscheidungen ein Vetorecht haben.
„Als wir zum ersten Mal über die Idee gesprochen haben, dass wir übernehmen könnten, waren wir total aufgeregt“, erinnert sich Usadel, Betriebswirtin und bei Moin verantwortlich für Ein- und Verkauf, Kommunikation und Produktentwicklung. „Wir alle“, ergänzt Brigitta Sui Dschen Mattke.
Seit dem vergangenen Sommer sind Usadel, Leskien und Müller die neuen Geschäftsführerinnen von Moin. Und die Mattkes haben sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Sie haben ihre Büros geräumt und die drei Frauen dort einziehen lassen. Brigitta Sui Dschen Mattke und ihr Mann sind jetzt Mentoren für die neuen Chefinnen. „Wir versuchen den dreien zu zeigen, wie man Unternehmertum leben kann“, sagt Hans-Paul Mattke. Es gehe es um Fragen wie: Wie trifft man gute Entscheidungen? Was ist eigentlich Intuition? Woraus lassen sich neue Ideen schöpfen?
Jetzt müssen nur noch die Anteile wie geplant übertragen werden. Die Mattkes und die neuen Geschäftsführerinnen „kneten“ noch an der besten rechtlichen Lösung. Es geht zum Beispiel um die Frage, wie Usadel, Müller und Leskien an ihre Anteile kommen, ohne sich einfach einzukaufen. „Wenn das so gelingt, wie wir uns das vorstellen, wäre das aus meiner Sicht ideal und sehr zukunftsfähig“, sagt Hans-Paul Mattke. Denn: „Das Unternehmen kann dann nicht mehr verhökert werden.