ZEIT für X
Achterbahn

Rein ins Vergrünen

05. Dezember 2023
ZEIT Redaktion

Freizeitparks brauchen jede Menge Energie und Wasser, manche so viel wie eine Kleinstadt. Und sie versiegeln riesige Flächen. Daran gibt es Kritik. Lassen sich Spaß und Nachhaltigkeit vereinen? Der Europapark Rust versucht es.

von Jens Többen

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 4/2023“. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.

Axel Moser stoppt seinen Wagen mitten auf einem Acker in Diebolsheim, einem französischen Dorf an der Grenze zu Deutschland. In der Ferne sind Schreie zu hören; sie dringen über den Rhein herüber, der hier beide Länder trennt. Sie kommen von den Fahrgästen, die in fünf Kilometer Entfernung Achterbahn fahren, auf der anderen Rheinseite, im Europapark Rust. Der ist Deutschlands größter Freizeitpark und will noch größer werden. Moser zeigt über die Felder. Er befürchtet, dass hier das „Europa Valley“ entstehen wird, eine große Ferienanlage. Seine Sorge: Die Besucher könnten dort übernachten und tagsüber zum Freizeitpark fahren – mit einer Seilbahn, direkt über das Naturschutzgebiet Taubergießen.

Moser, der aus Herbolzheim auf der deutschen Seite kommt, will das verhindern. In seinem Kofferraum hat er einen Karton mit Flyern der Bürgerinitiative „Jetzt langt’s“, die er 2018 mitgegründet hat. Mittlerweile zählt sie mehr als 300 Mitglieder. Der 69-Jährige kennt Rust noch als verschlafenes Dorf, damals, bevor der Park öffnete. Mit den Attraktionen kamen die Besucher, der Verkehr, der Lärm. „Der Europapark breitet sich hier aus“, sagt Moser und schüttelt mit dem Kopf. Er und seine Mitstreiter haben nichts gegen Spaß, und sie wissen, wie sehr die Region wirtschaftlich vom Park profitiert. Aber sie wollen nicht, dass er noch mehr Raum einnimmt. Weil das der Natur schade und der Wasserverbrauch des Parks schon jetzt nicht mehr zu vertreten sei.

Das Anliegen von Axel Moser deutet auf einen grundlegenden Konflikt: Welches Gut wiegt mehr: Spaß – oder Umweltschutz? Und was kann ein Freizeitpark tun, um den Konflikt aufzulösen und Menschen ein nachhaltigeres Vergnügen zu bieten?

Seit seiner Gründung hat sich das Areal des Parks um das Sechsfache ausgedehnt. Auf 95 Hektar – so viel wie 133 Fußballfelder – gibt es Hotels, Restaurants, Karussells und Achterbahnen. Sie brauchen Platz, Ressourcen, Energie. Dazu kommt der Wasserpark Rulantica, der 2019 eröffnet wurde. Er ist nicht nur der größte Freizeitpark Deutschlands, sondern auch die Nummer zwei in Europa, gleich nach dem Disneyland in Paris.

Der Chef des Europa-Parks sieht sich als Pionier, nicht als Mitläufer

Der Europapark gehört allerdings keinem Konzern, sondern ist ein Familienunternehmen. Franz Mack eröffnete ihn 1975, sein Sohn Roland Mack führt ihn in zweiter Generation, auch dessen drei Kinder arbeiten mit. Spricht man mit Roland Mack, dann merkt man, dass ihn der Streit mit den Naturschützern ärgert. Der Unternehmer möchte als Pionier verstanden werden, nicht als ein Mitläufer, der nur auf Proteste reagiert. „Wir haben Kriege und Revolutionen überlebt“, sagt der 74-Jährige. „Das kann man nur schaffen, wenn man sozial und nachhaltig agiert.“

Macks Ökobilanz kann sich sehen lassen. Die ersten Wärmepumpen und Fotovoltaikanlagen hat der Europapark vor 20 Jahren installiert. Als erster Park erhielt er 2013 das Label „Green Amusement Park“ vom TÜV Süd. 120 Gärtner pflegen die ausgedehnten Grünanlagen, über 5500 Bäume wachsen hier, im Wasserpark 80.000 geschützte Pflanzen. Beim Bau von Rulantica ließ Mack eine Ausgleichsfläche für Amphibien, Insekten und Reptilien frei, die jetzt um die Steinhügel und hohen Gräser herumwuseln. Der Unternehmer hat Millionen in die Ökologie seines Parks investiert.

Abwägen, ob die Gewinne in Spaß oder Naturschutz fließen

Sein neustes Projekt befindet sich auf einem riesigen Parkplatz einige Kilometer nordöstlich von Rust in Kippenheim. Dort prallt die Sonne im Sommer bis zu elf Stunden täglich auf Zehntausende Autodächer. Der Logistiker Mosolf lagert hier Neu- und Gebrauchtwagen. Ab 2024 soll hier Europas größte Fotovoltaik-Überdachung Sonnenenergie in Strom verwandeln, die heute bloß Lack und Glas aufheizt. Mit der Anlage will Mack bis zu 12,5 Gigawattstunden Strom pro Jahr für den Park erzeugen – genug für mehr als 3700 Haushalte.

Aber noch nicht genug für den Park. Wie viel Strom der aktuell verbraucht, lässt sich nur schätzen. In seinem Nachhaltigkeitsbericht von 2015 hatte er noch einen Verbrauch von etwa sieben Kilowattstunden pro Kopf angegeben; bei aktuell rund sechs Millionen Gästen pro Jahr läge der Verbrauch also bei etwa 40 Gigawattstunden – so viel wie von 12.000 Haushalten. Kommentieren möchte der Park diese Rechnung nicht, auch zum CO₂-Ausstoß sagt er nichts.

Die An- und Abreise der Besucher verursacht den größten Teil der Emissionen

Mack hat einen Abnahmevertrag für zehn Jahre unterschrieben. „Mit dem Projekt ist uns etwas gelungen, auf das die ganze Branche schaut“, erklärt er, und es blitzt so etwas wie Stolz hinter dem nüchternen Pokerface auf, das der Badener sonst trägt, als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen.

Mack investiert auch aus wirtschaftlichen Gründen. Der Park dürfte mit grünem Strom langfristig unabhängiger und günstiger dran sein als mit fossilen Energieträgern. Bisher produziert er rund 3,5 Prozent seines Strombedarfs mit eigenen Solar- und Wasserkraftanlagen. Insgesamt stammt weniger als ein Viertel des Stroms aus Eigenproduktion, hauptsächlich aus gasbetriebenen Blockheizkraftwerken. Den Rest kauft der Park ein. Die Bäder und Hotels brauchen dazu Gas für Heizung und Warmwasser.

Auch den Besuchern wird Nachhaltigkeit wichtiger, da muss man nur mal Bernd Stecker fragen. „Wenn sich der Trend verstärkt, werden Parks, die überhaupt keine ökologischen Anstrengungen unternehmen, Zielgruppen verlieren“, prognostiziert der Professor für nachhaltige Freizeit an der Hochschule Bremen. Der Großteil der CO2-Emissionen eines Parks entstehe bei der An- und Abreise der Besucher. Darauf hätten die Betreiber keinen direkten Einfluss, auf die Strom- und Wärmeversorgung schon. Da zählt Stecker den Europapark zu den Vorbildern. Nur: Es gehe noch mehr. Ein 100-prozentig grüner Freizeitpark sei ihm zwar nicht bekannt, aber möglich.

Roland Mack plant, mit der Mosolf-Anlage den Park im Sommer vollständig mit grünem Strom zu versorgen, zumindest tagsüber. Noch verfügen seine Hotels, Restaurants und Fahrgeschäfte nicht über Speicher, die auch in den sonnenärmeren Wintertagen Strom liefern. Daher hält Roland Mack es für „Dampfplauderei“, ein konkretes Datum für einen klimaneutralen Europapark zu nennen. „Wir machen das, was technisch machbar ist“, sagt er. Und das lässt er sich etwas kosten. Allein die neuen Fotovoltaikdächer über dem Parkplatz schlagen mit 30 Millionen Euro zu Buche, die sich Mack und Mosolf teilen. Zum Vergleich: In das 2022 eröffnete Erlebnisrestaurant Eatrenalin des Europaparks sind Berichten zufolge rund 20 Millionen Euro geflossen. Solche neuen Attraktionen braucht ein Park, um neue und wiederkehrende Besucher anzulocken. Ein Betreiber muss also abwägen, ob er die Gewinne lieber in Spaß oder Naturschutz steckt. Und für manche ist die Umwelt da zweitrangig.

„Die Nase vor Disney“

Mit einem Viertel der Fläche des Europaparks bringt es die Belantis-Abenteuerwelt bei Leipzig auf rund 600.000 Besucher pro Jahr. Belantis galt Anfang der 2010er-Jahre als Vorreiter der ökologischen Freizeitparks. Als erster Anbieter in Deutschland bezog und bezieht er zu 100 Prozent Ökostrom für den Betrieb. Doch seitdem ist wenig passiert: Es sind keine Investitionen in Solar- und Wasserkraft oder Wärmepumpen bekannt. Belantis-Chef Bazil el Atassi hält Nachhaltigkeit bei Freizeitparks laut Pressemitteilung zwar für ein wichtiges Thema und will gegen Einwegbecher und das Rauchen im Park vorgehen. Aber selbst der Einbau von energiesparenden LEDs scheint nur schleppend voranzugehen. Warum? Fragen dazu lässt Belantis unbeantwortet.

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Freizeitparks gibt es laut dem Datenportal Statista in Deutschland. Sie setzten 2021 rund 1,3 Milliarden Euro um und lockten 38 Millionen Gäste an.

Der Europapark stellt mit neuen Attraktionen stetig neue Besucherrekorde auf. Sechs Millionen Menschen kamen 2022 nach Rust, so viele waren es nicht einmal vor der Pandemie. Allein die Wasserwelt Rulantica lockte 900.000 Menschen in den Park. Das hat den Wasserverbrauch des Parks noch mal ansteigen lassen; genaue aktuelle Zahlen dazu gibt es allerdings nicht.

Roland Mack sagt, ein Großprojekt wie Rulantica sei die Ausnahme. „Expansion bedeutet nicht immer nur reine Fläche“, stellt Mack klar. „Es können auch Qualitätsverbesserungen sein, neue Geräte, neue Angebote.“ Aus der 40 Jahre alten Achterbahn „Alpenexpress“ machte der Park eine neue Attraktion. Fahrgäste tragen jetzt VR-Brillen und durchleben virtuelle Abenteuer, die auf die Bewegungen der Achterbahn abgestimmt sind. In diesem Sommer hat ein Brand sie beschädigt, sie soll aber wieder aufgebaut werden. Doch trotz solcher Innovationen, Gärten und Insektenhotels werden auch immer mehr Flächen versiegelt.

Die Proteste der Bürgerinitiative brachten ein Moratorium gegen das geplante Feriendorf im Elsass, doch das läuft dieses Jahr ab. Bei Roland Mack schwingt ein gewisser Frust mit, als er klarstellt, dass aktuell niemand am „Europa Valley“ arbeitet. Die Seilbahn sei ohnehin vom Tisch, sagt er.

Kritiker wie Axel Moser sind aber skeptisch. Die Initiative befürchtet, dass die Seilbahn über das Naturschutzgebiet wieder ins Gespräch kommt, sollte die Anlage „Europa Valley“ in Diebolsheim einmal stehen. Auf die Frage, ob das Projekt ausgeschlossen sei, antwortet der Park schriftlich, „dass die ursprüngliche Idee ›Europa Valley‹ inzwischen weit über ein Engagement des Europaparks hinausgeht und von den Kommunen sowie den regionalen Gebietskörperschaften im Elsass geprüft und verfolgt wird“. Dabei dürfte es auch darum gehen, weiter in der Liga von Disney mitzuspielen.

Selbst in der Versorgung mit grüner Energie vergleicht sich Mack gern mit dem Konkurrenten aus Paris. Tatsächlich investiert der US-Konzern an seinem Standort nahe der französischen Hauptstadt ebenfalls in Fotovoltaik-Überdachungen. Die Anlage für Disneyland soll 34 Gigawattstunden Strom produzieren, was zwar mehr ist, als die Anlage von Mosolf schafft. Der Solarpark von Disney deckt aber nur 17 Prozent des Strombedarfs. Für Roland Mack ist klar: Mit seiner Mosolf-Anlage habe der Europapark „die Nase vor Disney“. Und das ist dem Unternehmer schon wichtig.