„Wir brauchen nicht nur Verbote, wir brauchen überzeugende Argumente“
ZEIT RedaktionDer trockene Sommer war auch für den Star-Winzer Fritz Keller eine Herausforderung. Im Gespräch fordert der Familienunternehmer, die Menschen für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren – und erklärt, was er selbst dafür tut.
Herr Keller, in welchem Zusammenhang beschäftigt Sie das Thema Nachhaltigkeit in Ihrer täglichen Arbeit besonders?
Fritz Keller: Zum einen bin ich Familienunternehmer und Familienunternehmer denken in Generationen für die Nachkommen in der Familie sowie im Team. Zum anderen muss ich auch als Winzer langfristig denken. Denn wenn wir einen Hang neu bepflanzen, dann dauert es zehn oder zwanzig Jahre, bis die Qualität eine Spitzenernte abwirft. Wir müssen die Pflanzen und die Böden so behandeln, dass sie auch unseren Kindern und deren Kindern in der Zukunft noch eine gute Ernte auf gesunden Böden und gesunde Pflanzen einbringen. Die Ernte in diesem Jahr ist nur ein kleiner Teil in der Lebensdauer eines Rebstocks. Und wenn der gut gepflegt ist, kann er über 60 Jahre und älter werden.
Verspüren Sie trotzdem manchmal die Versuchung, vor allem die nächste Ernte zu optimieren?
Natürlich könnten wir in einem Jahr die Reben in einer Art anschneiden, um eine größere Menge Trauben hervorzubringen. Aber dann wissen wir: Die Pflanze zahlt uns das in den nächsten Jahren heim. Also lassen wir das. Außerdem leidet die Qualität. Wichtiger ist es, die Bedürfnisse der Rebe zu beobachten, ihr zuzuhören und zu verstehen, was sie wirklich braucht. Wir wollen ja qualitativ wertige, von der Herkunft geprägte Weine machen und nicht in erster Linie möglichst große Mengen produzieren, auch wenn sich das vielleicht kurzfristig lohnen könnte. Doch als Winzer braucht es in vielen Bereichen eben Ausdauer, Geduld und den Blick auch für die längerfristigen Dinge.
Fritz Keller, 65, ist einer der bekanntesten Winzer, Weinhändler und Gastronomen der Republik. Seiner Familie gehört das Weingut Franz Keller am Kaiserstuhl, das nach eigenen Worten Wert auf einen umweltgerechten Weinanbau legt. Von 2019 bis 2021 war Keller zudem Präsident des Deutschen Fußball-Bundes und zuvor Präsident des SC Freiburg.
Mussten Sie in diesem Sommer abwägen, ob Sie die Pflanzen wässern, auch wenn Sie damit dem Boden an anderer Stelle Grundwasser entziehen?
Natürlich macht uns die Trockenheit zu schaffen. Wir bewässern grundsätzlich nur junge Reben, um deren Überleben zu sichern. Wir erziehen unsere Reben so, dass sie tief wurzeln und damit beim Wein eine größere Komplexität und Tiefgang geben. Somit hat die Rebe eine größere Überlebenschance. Nur in Notfällen werden ältere Reben aus biologisch wertvollen Steillagen und Kleinterrassen „per Tröpfchen“ bewässert. Im Übrigen braucht man für eine Tröpfchenbewässerung, mit der wir arbeiten, nur 20 Prozent der Wassermenge, die bei einer großflächigen Beregnung nötig ist. Wenn sich die Niederschlagsituation noch verschärfen würde, müssen wir natürlich neue Überlegungen anstellen. Um so viel wie möglich Wasser zu sparen, arbeiten wir bereits in natürlicher Weise mit Beschattung über Begrünung und Strohabdeckung.
Wie beeinflusst die Klimaveränderung den Weinbau und die Weinqualität jetzt und in Zukunft?
Wir spüren natürlich, wie sich das Klima verändert und es auch bei uns wärmer wird. Meine Großmutter hat noch sechs Wochen später geerntet als wir es heute tun – meist im Oktober statt im August. Und damit wir in ein paar Jahren oder Jahrzehnten überhaupt noch ernten können, müssen wir uns mit dem Klimawandel ernsthaft auseinandersetzten und ihm entgegenwirken. Das setzt aber voraus, dass wir als Gesellschaft zu einem besseren Austausch finden, andere Meinungen akzeptieren lernen und andersdenkende Menschen zu überzeugen versuchen, statt sie in eine Schublade zu stecken. Gleichzeitig müssen wir aber abwägen, was sich die Gesellschaft im Moment leisten kann. Wir brauchen dafür nicht nur Verbote und immer mehr Einschränkungen der Kreativität, wir brauchen überzeugende Argumente. Und wir brauchen bessere politische Rahmenbedingungen, sowie Anreize für diejenigen, die schon jetzt vorbildhaft handeln und Veränderung in ihrer Arbeit nicht scheuen.
Inwiefern?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir bewirtschaften unsere Weinberge biologisch mit bio-dynamischen Ansätzen. Auch sehr kleine Terrassen, die für größere Maschinen ungeeignet sind, würden ohne die Handarbeit brach liegen. Dank unserer Bewirtschaftung der Reben bleiben Biotope erhalten, die voller Schlupfwespen, Wildbienen und anderer Insekten sind. Mit viel Handarbeit tragen Winzerinnen und Winzer einen sehr hohen Beitrag zur Biodiversität bei – sie sind Naturschützerinnen und Landschaftspfleger! Aber jetzt gibt es eine Gesetzesinitiative der EU, die uns im Weinbau und anderen Bereichen der Landwirtschaft den Einsatz von sogar biologischem Pflanzenschutz weitgehend untersagen soll. Das ist absoluter Unsinn – und nur zu erklären durch die Verstädterung der Hirne.
Was meinen Sie, wenn Sie von einer „Verstädterung der Hirne“ sprechen?
Ohne die Behandlung von Pflanzen durch entsprechende, auch biologischen, Schutzmittel gibt es schlicht und ergreifend nichts zu futtern. Ein gemäßer Einsatz nach dem Grundsatz „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“ ist schon in vielen Bereichen der Landwirtschaft das Credo, und das gilt auch für uns im Bio-Weinbau. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Stadtmenschen (Verbraucher und in der Politik), die sich vielleicht weniger mit der Arbeit in der Landwirtschaft und der Natur beschäftigen, das nicht nachvollziehen können. Deswegen kommen sie auf die Idee, sogar den biologischen Pflanzenschutz zu begrenzen. Leider führt dies jedoch zur Demotivation jener, die etwas verändern wollen. Ähnlich ist es, wenn es um die Regulierung der Arbeitsbedingungen geht.
Was meinen Sie genau?
Die Arbeitsbedingungen sind in der Landwirtschaft sehr vom Wetter und vom Klima bestimmt. Wenn es morgen regnen soll, dann muss ich halt heute bis spät in den Abend arbeiten, sonst ist die Ernte hinüber. Und mach dann morgen frei. Aber in der Arbeitsgesetzgebung wird das kaum berücksichtigt, weil die Menschen am Schreibtisch sich gar nicht mehr vorstellen können, wie die Winzerinnen oder Landwirte arbeiten. Sie verstehen auch nicht, dass unsere Saisonhilfen aus osteuropäischen Ländern, ohne die es im Übrigen auch keinen Gemüse- und Obstanbau in Deutschland geben würde, möglichst ohne viele Pausentage arbeiten wollen, wenn sie hier sind, um dann lange am Stück frei zu haben, wenn sie wieder zuhause bei ihren Familien sind. Dadurch sind auch ihre Abzüge, zu denen wir verpflichtet sind, für die Unterkunft und Verpflegung natürlich deutlich geringer.
Von welchem Bereich unserer Gesellschaft sollten dann nach Ihrer Auffassung die entscheidenden Impulse für die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit kommen: von der Politik, der Wirtschaft, dem Markt oder der Zivilgesellschaft?
Landwirtschaft braucht dringend eine höhere Wertschätzung und mehr Anerkennung. Die gesamte Zivilgesellschaft ist gefordert, und dafür müssen wir alle Mitmenschen für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren. Dafür müssten Kinder schon in der Schule lernen, wie Lebensmittel produziert werden und wie nachhaltiges Wirtschaften funktioniert. Und dazu gehört zum Beispiel, weniger Lebensmittel wegzuschmeißen. Wir müssen wieder lernen, was meine Oma wusste: dass man mit Speiseabfällen die Schweine füttern kann. Oder, ein Beispiel aus früheren Zeiten, dass man im Winter „zu Lichte geht“, wie es zu ihrer Zeit hieß: In einer Straße heizt nicht jeder sein Wohnzimmer ein, sondern nur einer, bei dem sich dann die Nachbarn treffen. Das wäre in der aktuellen Energiekrise besonders sinnvoll. Auf die heutige Zeit übertragen, wäre es mal sinnvoll, gemeinsam ein Fußballspiel anzuschauen, statt jeder bei sich.
Von der Landwirtschaft und damit auch der Weinwirtschaft wird, durchaus zurecht, mehr Nachhaltigkeit verlangt. Das kostet die Betriebe mehr. Was halten Sie von dem Vorschlag, diese Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu bezahlen um die Preise für die Lebensmittel zu entlasten?
Grundsätzlich birgt die Einmischung des Staates in die Marktwirtschaft auch viele Gefahren und verhindert sehr oft die selbst regulierende Kraft des Marktes. Jedoch ist es bei Lebensmitteln und der Landwirtschaft wichtig, auch hier eine gewisse Autarkie eines Landes zu erhalten, wie wir jetzt schmerzhaft bei der Energiewirtschaft feststellen können. Sinnvolle Subventionen für nachhaltige Modernisierung und Neugründungen sind punktuell in dem Bereich nützlich und notwendig, solange sie nicht die Kreativität, die Eigendynamik und den schnellen Fortschritt verhindern – denn all das ist immer wieder auch in der Landwirtschaft notwendig, um die Menschen zu ernähren. Um den Arbeitsalltag der Bäuerinnen und Landwirte zu erleichtern, wäre mit Bürokratieabbau schon viel geholfen. Auch Steuervergünstigungen und schnellere Abschreibungen für nachhaltig arbeitende Betreibe, aber auch für die Umrüstung und den Erhalt von biologisch bewirtschaftenden Flächen, würden dazu beitragen. Der bürokratische Aufwand bindet unnötig Arbeitskräfte, von denen wir ohnehin zu wenige haben. Es würde auch helfen, wenn der Staat einfacher Menschen ins Land lassen würde, die gerne in der Landwirtschaft, im Handwerk, in der Pflege und in der Gastronomie arbeiten. Diejenigen, die da sind, müssen auch eine Arbeitsgenehmigung erhalten. Es müssen ebenfalls Anreize geschaffen werden, die einem selbst und der Wirtschaft guttun. Es braucht mehr Menschen im Land, die ihren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt leisten, auch in Anbetracht der schwierigen demografischen Situation, in der wir uns befinden.
In einer Marktwirtschaft braucht es sowohl auf Seite des Angebotes wie auch auf Seite der Nachfrage immer eine Übereinkunft über die Ziele. Nehmen Sie veränderte Erwartungen auf der Konsumentenseite an Ihre Produkte und Dienstleistungen wahr?
Früher standen kräftige und alkoholreiche Weine hoch im Kurs. Wir haben schon vor Jahren auf Reben gesetzt, die weniger Zucker und somit weniger Alkohol bilden, dafür aber eine vielschichtige und tiefgründige Qualität bringen. Damit das klappt, muss jede Beere, die man erntet, sauber sein, sonst schmeckt man das hinterher. Heute sind die einfachen süßen und schweren Weine out und unsere Weine – leichter im Alkohol, jedoch mit authentischem Geschmack ¬– weltweit gefragt. Von unseren Spätburgunderweinen und weißen Burgunderweinen hätten wir in diesem Jahr ein Mehrfaches verkaufen können. Natürlich wird bei vielen Menschen das Geld jetzt knapper, aber unsere Kundinnen und Kunden sind uns treu – vielleicht auch, weil sie lieber einmal weniger nach Mallorca fliegen als auf einen guten Wein zu verzichten. Wir sind uns deutlich bewusst, dass wir hier einen Wein mit Anspruch und Herkunft erzeugen, der deutlich über dem Durchschnittspreis liegt. Daher sind neue Wege gefordert. Wir merken verstärkt, dass sich gerade die jüngeren Konsumenten für die nachhaltig bewirtschafteten Weine interessieren.
Erhöhen Sie denn die Preise, wenn die Nachfrage nach Ihren Weinen so ungebrochen ist und zugleich auch Ihre Energiekosten steigen?
Uns bleibt gar nichts anderes übrig, sonst gibt es uns irgendwann nicht mehr. Alternativ könnten wir auf den Bio-Anbau verzichten, aber das ginge auf Kosten des Geschmacks und unserer Überzeugung – und das kommt für uns nicht infrage. Mein Sohn Friedrich arbeitet inzwischen als Co-Geschäftsführer und ist für das Weingut verantwortlich. Ich bin wirklich happy, dass er von der Ökologie und der Nachhaltigkeit überzeugt ist und beides so mutig umsetzt – genau wie es unsere Kolleginnen und Kollegen im Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) tun, die einheitlich beschlossen haben, bis 2025 vollständig zertifiziert nachhaltig in sozialer, ökologischer und ökonomischer Art und Weise zu arbeiten und heute schon ein Fünftel von den ökologisch bewirtschafteten Weinbergen verantworten.