Quiet Quitting – nur noch Dienst nach Vorschrift
Sich nicht mehr für die Arbeit verausgaben: Was bewegt Quiet Quitter? Und wie fängt man Konflikte auf, die dadurch mit Führungskräften entstehen könnten? Coach Oliver Blecken erklärt das Phänomen.
Quiet Quitting – damit ist nicht das lautlose Einreichen der Kündigung gemeint, sondern vielmehr „quitting the idea of going above and beyond for work“. So steht es in dem millionenfach geklickten TikTok-Video, das den Trend ins Rollen brachte und von internationalen Medien aufgegriffen wurde. Gemeint ist: sich von der Idee zu verabschieden, für die Arbeit alles zu geben. Sich nicht über die eigene Arbeit zu definieren – zumindest nicht ausschließlich. Quiet Quitter arbeiten also durchaus – aber eben innerhalb des vereinbarten Rahmens. Keine Sonderaufgaben, keine Überstunden. Und Letztere sind in Deutschland nicht ungewöhnlich: Im Jahr 2021 haben laut Statistischem Bundesamt immerhin 12 Prozent aller Arbeitnehmer:innen, also ungefähr 4,5 Millionen, Überstunden geleistet – Führungskräfte sind bei der Befragung ausgeklammert. In der Versicherungs- und Finanzbranche leistet sogar knapp ein Drittel aller Angestellten Mehrarbeit. Was bedeutet es also für Führungskräfte, wenn diese Überstunden wegfallen, wenn Angestellte „nur“ noch Dienst nach Vorschrift machen? Wie löst man Konflikte, die entstehen, wenn unterschiedliche Arbeitsmentalitäten innerhalb eines Teams, zwischen Mitarbeiter:in und Führungskraft aufeinandertreffen? Das weiß Oliver Blecken. Er ist ehemaliger Manager und Geschäftsführer und heute als Coach und Mediator tätig. Er berät Teams unter anderem in Konfliktsituationen und beobachtet das Phänomen Quiet Quitting bereits seit einer Weile.
Herr Blecken: Welcher Gedanke steht bei Quiet Quitting aus Ihrer Sicht im Vordergrund, und wie ist das Phänomen entstanden?
Ein Generationenvertrag, der zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern lange Zeit galt, wird nun von einer Seite infrage gestellt. Bis jetzt war es meist so, dass die Arbeitgebenden den Arbeitnehmenden in gewissen Branchen sehr viel abverlangt haben und die Arbeitnehmenden dazu bereit waren, Herzblut, Energie und Lebenszeit in die Arbeit zu investieren. Mittlerweile gibt es eine Generation, die sagt: Unser Leben kann nicht nur darin bestehen, uns rund zu machen für den Arbeitgeber. Unsere Werte sind andere, und unser eigentliches Leben findet nicht am Arbeitsplatz statt. Diese Haltung zeigt sich verstärkt aufgrund aktueller Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. Und ich glaube auch deswegen, weil eine neue Generation meist auch Dinge anders machen will als vorherige Generationen, um sich abzugrenzen und sich selbst zu definieren.
Welche Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt meinen Sie?
Wir haben in einigen Bereichen einen massiven Fachkräftemangel. Das führt dazu, dass sich in gewissen Branchen Berufseinsteiger Jobs aussuchen können. Dadurch verändert sich natürlich das Machtgefüge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern: Die Arbeitnehmenden können andere Ansprüche stellen. Ich erlebe, dass für Führungskräfte, die in der „alten Welt“ groß geworden sind, teilweise schwer zu ertragen ist, wenn junge Menschen vor ihnen sitzen und danach fragen, was sie ihnen im jeweiligen Unternehmen bieten können – statt andersherum. Gerade dann, wenn diese Führungskräfte über Jahre, teilweise Jahrzehnte, mit harter Arbeit und vielen Überstunden in ihre Positionen gekommen sind. Und statt dicker Gehälter und schneller Aufstiegschancen wird vor allem Wertschätzung immer wichtiger, genauso wie Ehrlichkeit und Authentizität von Unternehmen und Führungskräften.
Oliver Blecken hat lange in Topmanagementpositionen für Agenturen in Deutschland und international gearbeitet. Heute hilft er als Coach und Mediator Führungskräften und Teams dabei, Herausforderungen und Krisen zu meistern.
Sind Führungskräfte nicht allzu leicht dazu verleitet, Personen zu befördern, die mehr arbeiten und mehr Einsatz zeigen?
Dann bewerten Sie als Führungskraft Ihre Mitarbeitenden anhand der Zeit, die sie arbeiten. Das kann man machen. Ich glaube aber, dass Zeit allein kein Qualitätsfaktor ist. Das bedeutet für Führungskräfte, dass sie mit allen Mitarbeitenden Ziele vereinbaren müssen, die erreichbar und quantifizierbar sind. Danach können Sie auch in Teams Transparenz über diese Ziele schaffen. Ich denke aber generell, dass „Arbeitszeit“ ein Auslaufmodell ist. Besonders heute, da Führungskräfte wenig bis keine Transparenz mehr über die Zeit haben, die Menschen in ihre Arbeit investieren. In Zeiten, in denen Menschen nicht mehr immer in Präsenz beieinander sind, ist das nämlich nur noch schwer nachvollziehbar.
Angenommen, Arbeit hat für Mitarbeitende innerhalb eines Teams einen individuell unterschiedlichen Stellenwert. Quiet Quitter arbeiten dann zusammen mit jenen, die weiterhin Überstunden machen und Extraprojekte auf sich nehmen. Wie bringt man diese unterschiedlichen Mentalitäten in Einklang?
Da sind Konflikte vorprogrammiert. Um die zu lösen, muss im ersten Schritt die Führungskraft akzeptieren, dass im Team Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Wertvorstellungen sind. Und diese sich womöglich auch von den eigenen Wertvorstellungen unterscheiden. Im zweiten Schritt sollte die Führungskraft Transparenz darüber herstellen, dass das so ist – und auch in Ordnung ist. Die Führungskraft darf also ein Stück weit als Mediator auftreten, als Vermittler zwischen diesen unterschiedlichen Welten. Sie muss dafür sorgen, dass dieses Anderssein, also das Abweichen von der Unternehmenskultur, nicht abgewertet und kritisiert wird. Sonst kommt es zu Konfrontationen und einer Lagerbildung.
Quiet Quitting gab es vereinzelt auch schon in der Vergangenheit. Neu ist, dass dieses Phänomen jetzt über eine ganze Generation hinweg auftritt. Insofern halte ich das nicht für einen vorübergehenden Trend, sondern für einen nachhaltigen Mentalitätswandel.
Oliver Blecken, Coach und Mediator
Ein Blick in die Zukunft: Ist Quiet Quitting ein vorübergehender Trend, oder sehen wir den Anfang eines echten Wandels unserer Arbeitsmentalität?
Quiet Quitting gab es vereinzelt auch schon in der Vergangenheit. Neu ist, dass dieses Phänomen jetzt über eine ganze Generation hinweg auftritt. Insofern halte ich das nicht für einen vorübergehenden Trend, sondern glaube an einen nachhaltigen Mentalitäts- und Wertewandel. Vielen bereitet das Kopfzerbrechen und Angst. Denn ein „Weiter so“ gibt es nicht: Es muss in Sachen Arbeit ein neuer Generationenvertrag verhandelt werden. Ich sehe diese Verhandlung aber als große Chance. Denn dieser Vertrag kann nur mit gegenseitiger Wertschätzung und in Rücksichtnahme auf die Wünsche und Bedürfnisse aller Vertragspartner abgeschlossen werden. Und für die Arbeitnehmenden werden ihre körperliche und mentale Gesundheit zentrale Bausteine dieses Vertrages sein – grundlegende Themen, die unmittelbar mit der Idee des Quiet Quitting verbunden sind.