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Quiet Quitting – nur noch Dienst nach Vorschrift

14. Dezember 2022
Ein Artikel von Studio ZX.

Sich nicht mehr für die Arbeit verausgaben: Was bewegt Quiet Quitter? Und wie fängt man Konflikte auf, die dadurch mit Führungs­kräften entstehen könnten? Coach Oliver Blecken erklärt das Phänomen.

von Anna-Lena Limpert, Studio ZX

Quiet Quitting – damit ist nicht das lautlose Einreichen der Kündigung gemeint, sondern vielmehr „quitting the idea of going above and beyond for work“. So steht es in dem millionen­fach geklickten TikTok-Video, das den Trend ins Rollen brachte und von inter­nationalen Medien auf­gegriffen wurde. Gemeint ist: sich von der Idee zu verabschieden, für die Arbeit alles zu geben. Sich nicht über die eigene Arbeit zu definieren – zumindest nicht ausschließlich. Quiet Quitter arbeiten also durchaus – aber eben innerhalb des vereinbarten Rahmens. Keine Sonder­aufgaben, keine Über­stunden. Und Letztere sind in Deutschland nicht ungewöhnlich: Im Jahr 2021 haben laut Statistischem Bundesamt immerhin 12 Prozent aller Arbeit­nehmer:innen, also ungefähr 4,5 Millionen, Über­stunden geleistet – Führungs­kräfte sind bei der Befragung ausgeklammert. In der Versicherungs- und Finanz­branche leistet sogar knapp ein Drittel aller Angestellten Mehrarbeit. Was bedeutet es also für Führungs­kräfte, wenn diese Über­stunden weg­fallen, wenn Angestellte „nur“ noch Dienst nach Vorschrift machen? Wie löst man Konflikte, die entstehen, wenn unter­schiedliche Arbeits­mentalitäten innerhalb eines Teams, zwischen Mitarbeiter:in und Führungs­kraft auf­einander­treffen? Das weiß Oliver Blecken. Er ist ehemaliger Manager und Geschäfts­führer und heute als Coach und Mediator tätig. Er berät Teams unter anderem in Konflikt­situationen und beobachtet das Phänomen Quiet Quitting bereits seit einer Weile.

Herr Blecken: Welcher Gedanke steht bei Quiet Quitting aus Ihrer Sicht im Vordergrund, und wie ist das Phänomen entstanden?

Ein Generationenvertrag, der zwischen Arbeit­gebern und Arbeit­nehmern lange Zeit galt, wird nun von einer Seite infrage gestellt. Bis jetzt war es meist so, dass die Arbeit­gebenden den Arbeit­nehmenden in gewissen Branchen sehr viel abverlangt haben und die Arbeit­nehmenden dazu bereit waren, Herzblut, Energie und Lebenszeit in die Arbeit zu investieren. Mittler­weile gibt es eine Generation, die sagt: Unser Leben kann nicht nur darin bestehen, uns rund zu machen für den Arbeit­geber. Unsere Werte sind andere, und unser eigentliches Leben findet nicht am Arbeits­platz statt. Diese Haltung zeigt sich verstärkt aufgrund aktueller Entwicklungen auf dem Arbeits­markt. Und ich glaube auch deswegen, weil eine neue Generation meist auch Dinge anders machen will als vorherige Generationen, um sich abzugrenzen und sich selbst zu definieren.

Welche Entwicklungen auf dem Arbeits­markt meinen Sie?

Wir haben in einigen Bereichen einen massiven Fachkräfte­mangel. Das führt dazu, dass sich in gewissen Branchen Berufs­einsteiger Jobs aussuchen können. Dadurch verändert sich natürlich das Macht­gefüge zwischen Arbeit­gebern und Arbeit­nehmern: Die Arbeit­nehmenden können andere Ansprüche stellen. Ich erlebe, dass für Führungs­kräfte, die in der „alten Welt“ groß geworden sind, teil­weise schwer zu ertragen ist, wenn junge Menschen vor ihnen sitzen und danach fragen, was sie ihnen im jeweiligen Unternehmen bieten können – statt anders­herum. Gerade dann, wenn diese Führungs­kräfte über Jahre, teilweise Jahr­zehnte, mit harter Arbeit und vielen Über­stunden in ihre Positionen gekommen sind. Und statt dicker Gehälter und schneller Auf­stiegs­chancen wird vor allem Wert­schätzung immer wichtiger, genauso wie Ehrlichkeit und Authentizität von Unternehmen und Führungs­kräften.

Oliver Blecken
© privat

Oliver Blecken hat lange in Topmanagement­positionen für Agenturen in Deutschland und inter­national gearbeitet. Heute hilft er als Coach und Mediator Führungs­kräften und Teams dabei, Heraus­forderungen und Krisen zu meistern.

Sind Führungskräfte nicht allzu leicht dazu verleitet, Personen zu befördern, die mehr arbeiten und mehr Einsatz zeigen?

Dann bewerten Sie als Führungskraft Ihre Mitarbeitenden anhand der Zeit, die sie arbeiten. Das kann man machen. Ich glaube aber, dass Zeit allein kein Qualitäts­faktor ist. Das bedeutet für Führungs­kräfte, dass sie mit allen Mitarbeitenden Ziele vereinbaren müssen, die erreichbar und quantifizierbar sind. Danach können Sie auch in Teams Transparenz über diese Ziele schaffen. Ich denke aber generell, dass „Arbeits­zeit“ ein Auslaufmodell ist. Besonders heute, da Führungskräfte wenig bis keine Transparenz mehr über die Zeit haben, die Menschen in ihre Arbeit investieren. In Zeiten, in denen Menschen nicht mehr immer in Präsenz beieinander sind, ist das nämlich nur noch schwer nach­voll­ziehbar.

Angenommen, Arbeit hat für Mitarbeitende innerhalb eines Teams einen individuell unterschiedlichen Stellenwert. Quiet Quitter arbeiten dann zusammen mit jenen, die weiterhin Überstunden machen und Extra­projekte auf sich nehmen. Wie bringt man diese unterschiedlichen Mentalitäten in Einklang?

Da sind Konflikte vorprogrammiert. Um die zu lösen, muss im ersten Schritt die Führungs­kraft akzeptieren, dass im Team Menschen mit unter­schiedlichen Bedürfnissen und Wert­vorstellungen sind. Und diese sich womöglich auch von den eigenen Wert­vorstellungen unterscheiden. Im zweiten Schritt sollte die Führungs­kraft Transparenz darüber herstellen, dass das so ist – und auch in Ordnung ist. Die Führungs­kraft darf also ein Stück weit als Mediator auftreten, als Vermittler zwischen diesen unterschiedlichen Welten. Sie muss dafür sorgen, dass dieses Anderssein, also das Abweichen von der Unternehmens­kultur, nicht abgewertet und kritisiert wird. Sonst kommt es zu Konfrontationen und einer Lagerbildung.

Quiet Quitting gab es vereinzelt auch schon in der Vergangen­heit. Neu ist, dass dieses Phänomen jetzt über eine ganze Generation hinweg auftritt. Insofern halte ich das nicht für einen vorüber­gehenden Trend, sondern für einen nach­haltigen Mentalitäts­wandel.

Oliver Blecken, Coach und Mediator

Ein Blick in die Zukunft: Ist Quiet Quitting ein vorüber­gehender Trend, oder sehen wir den Anfang eines echten Wandels unserer Arbeits­mentalität?

Quiet Quitting gab es vereinzelt auch schon in der Vergangenheit. Neu ist, dass dieses Phänomen jetzt über eine ganze Generation hinweg auftritt. Insofern halte ich das nicht für einen vorüber­gehenden Trend, sondern glaube an einen nach­haltigen Mentalitäts- und Werte­wandel. Vielen bereitet das Kopf­zerbrechen und Angst. Denn ein „Weiter so“ gibt es nicht: Es muss in Sachen Arbeit ein neuer Generationen­vertrag verhandelt werden. Ich sehe diese Verhandlung aber als große Chance. Denn dieser Vertrag kann nur mit gegen­seitiger Wert­schätzung und in Rück­sicht­nahme auf die Wünsche und Bedürfnisse aller Vertrags­partner abgeschlossen werden. Und für die Arbeit­nehmenden werden ihre körperliche und mentale Gesundheit zentrale Bausteine dieses Vertrages sein – grund­legende Themen, die unmittelbar mit der Idee des Quiet Quitting verbunden sind.