ZEIT für X
Rege Diskussionen auf dem Maschinenraum Momentum.

Wachstum macht (auch) Probleme – so geht ein Mittel­ständler damit um

04. November 2022
Ein Artikel von Studio ZX.

Der Landtechnikhersteller Horsch stellte auf der Mittel­stands­konferenz „Maschinen­raum Momentum 2022“ seine Erfahrungen zum Thema Future of Work vor.

Draußen standen Mitarbeiter:innen der Tagung „Maschinenraum Momentum 2022“ mit Regen­schirmen bereit, drinnen bekam man aller­dings vom Berliner Herbst­beginn nicht allzu viel mit. Auf der ersten Maschinen­raum-Konferenz im September nahmen Entscheider:innen und Unternehmer:innen aus den fast 60 Mitglieds­unternehmen des Mittel­stands­kollektivs teil und diskutierten über den Ist-, Soll- und Was-wäre-wenn-Zustand ihrer Unternehmen.

Im Rahmen eines sogenannten Deep Dive mit dem Titel „Future of Work – Perspektiv­wechsel für die ganze Organisation“ stellte Steffen Besserer, Unit-Leiter Corporate Culture von Horsch, vor, wie sein Unternehmen versucht, Arbeit im Kontext steigender Dynamik so zu gestalten, dass die Menschen mit Freude und Leichtigkeit, gleich­zeitig aber auch verantwortungs­bewusst, effizient und unternehmerisch arbeiten und ihr volles Potenzial aus­schöpfen können.

Ausgangspunkt seines Impulses waren die Folgen des Erfolges bei Horsch. Wachstum sei zwar wichtig, habe aber auch seine Schatten­seiten. Bei Horsch stellte man beispiels­weise fest, dass die Dynamik­robustheit durch den Erfolg etwas verloren gegangen war. Dynamik­robustheit? Dieses Wort ist ein Neologismus, der besagt, dass man nicht schnell und angemessen auf überraschende Veränderungen reagieren kann. Aber auch im Hinblick auf die Belegschaft ergab die Standort­bestimmung bei Horsch, dass die Atmosphäre durch das Wachstum gelitten hatte. Eine höhere Arbeits­belastung führt zu mehr Sensibilität – und das potenziell zu mehr Unzufriedenheit, mehr Miss­verständnissen, mehr Spannungen und weniger Lösungs­orientierung. Mit anderen Worten: Es gibt Handlungs­bedarf. Die große Frage ist: Wie gestaltet man ein Arbeits­umfeld im Wandel, In dem Mitarbeitende zufrieden sind?

Publikum
© Dirk Walter/Maschinenraum Full House beim Momentum.

Netzwerk statt Hierarchie

Steffen Besserer stellte die Ansätze bei Horsch als Work in Progress vor. Man stehe noch relativ am Anfang des Prozesses: „Wir versuchen das zu leben, wovon wir über­zeugt sind, und wir glauben, dass all diese Dinge den Mitarbeitenden das Arbeiten leichter machen. In einer so dynamischen Welt macht zum Beispiel die Zentralisierung der Entscheidungs­findung oder hierarchische Strukturen an vielen Stellen keinen Sinn mehr. Wir müssen die Entscheidungs­macht in die Peripherie verlagern, also dorthin, wo direkter Kontakt zum Markt besteht, und müssen damit auch allen mehr Entscheidungs­freiheit zugestehen.“

Als übergeordneter Denkansatz spielt dabei die Idee des Netzwerkes bei Horsch eine entscheidende Rolle: Wen muss man zusammen­bringen, um die bestehenden Heraus­forderungen und Probleme an der richtigen Stelle zu lösen? Ganz konkret: Wie gestaltet man hierfür Strukturen anders? Besserer verdeutlichte an den Beispielen Meeting-Strukturen und Entscheidungs­prozesse, wie sich bei Horsch die Veränderungen hin zum Netzwerk gestalten lassen. In Netzwerken, so Besserer, brauche es neue Werkzeuge, damit die richtigen Entscheidungen getroffen werden könnten. Vor allem wenn plötzlich nicht mehr automatisch die Hierarchie entscheidet. In Meetings etwa vermischten sich oftmals Ebenen, und dies nicht immer positiv: „Es gibt beispiels­weise einen persönlichen Konflikt, ein Sachthema und vielleicht noch ein Struktur­thema, und die Erfahrung zeigt, dass sich die Themen dann vermischen und man zu keinen Entscheidungen kommt.“ Bei Horsch werden also alternative Meeting-Strukturen ausprobiert. Zum einen sogenannte „Sync“-Meetings, wo es nur um die Synchronisation von Informationen geht. Zum anderen „Clear the Air“-Meetings, bei denen es eher um Beziehungen und Konflikte geht. Und schließlich „Governance“-Meetings, bei denen ausschließlich (neue) Rollen besprochen werden. Denn klar definierte Rollen sind aus Sicht von Besserer die Grundlage für effiziente Netzwerke.

Podiumsdiskussion
© Dirk Walter/Maschinenraum Neue Impulse auf dem Podium.

Aber auch Entscheidungsprozesse sollen verändert werden. „Konsens­findung ist oft schwierig, und meistens entscheidet dann einfach derjenige, der am längeren Hebel sitzt“, bedauerte Besserer. Dem setzt man bei Horsch ein Konsent­verfahren entgegen. Bei einer Abstimmung gibt es drei Reaktions­möglichkeiten. Daumen hoch bedeutet vollstes Einverständnis, Daumen quer heißt, Vorschlag wird nicht favorisiert, aber unter­stützt. Und Daumen runter steht für Ablehnung. Doch der Clou ist, dass die Person, die ablehnt, zugleich einen neuen Vorschlag ins Netzwerk einbringen muss.

Das Team von Steffen Besserer versucht darüber hinaus, weitere Zusammen­arbeits­modelle und Organisations­layouts zu implementieren, die dynamik­robust sind und wirkungs­volle Beziehungen schaffen. Deshalb wird auch viel Wert auf Dialog gelegt.

Steffen Besserer
© Horsch

Steffen Besserer ist studierter Betriebs­wirtschaftler und hat in verschiedenen verantwortlichen Positionen im Bereich Personal- und Organisations­entwicklung gearbeitet, bevor er 2020 als Leiter der Unit Corporate Culture bei Horsch anfing. In dieser Rolle ist er unter anderem auch für das Thema Organisations­entwicklung zuständig.

Psychologische Sicherheit

Eine weitere wesentliche Erkenntnis bei Horsch ist, dass auch auf individueller Ebene ein Mehr an Sicherheit hergestellt werden muss, um die Resilienz der Mitarbeitenden zu erhöhen. Dabei spielen Themen wie Achtsamkeit und Gewalt­freie Kommunikation eine wichtige Rolle.

„Psychologische Sicherheit ist Voraussetzung dafür, dass Mitarbeitende sich offen austauschen, Feedback geben, Fehler ansprechen oder Sorgen teilen. Wenn man sich sicher fühlt, ist man eher bereit, Entscheidungen auch unter Risiken zu treffen und Verantwortung zu über­nehmen“, stellte Besserer fest. Das Unternehmen habe sich lange überlegt, welche Aspekte dabei besonders wichtig seien. „Wir haben fest­gestellt, dass das Thema ,gegen­seitig geklärte Erwartungen‘ eine ganz wichtige Rolle spielt. Das sieht man ja auch bei persönlichen Beziehungen. Beziehungen sind immer dann stabil, wenn die Erwartungen zusammen­passen.“ Deswegen wurde bei Horsch ein Erwartungs­dialog eingeführt: Statt standardisierter Mitarbeiter­gespräche gibt es Austausch über Erwartungs­haltungen. Es geht also um einen gegen­seitigen Abgleich: Was wird gegen­seitig erwartet? Was wird gebraucht, um die Erwartungen zu erfüllen?

Komplexität als Herausforderung

Neben den internen Herausforderungen einer Organisation spielen aber auch die Heraus­forderungen einer immer komplexeren und dynamischeren Welt eine Rolle. Je komplexer es werde, so Besserer, umso wichtiger werde es auch, Altbewährtes auf den Prüfstand zu stellen und nicht nach dem Motto „Damit sind wir aber immer gut gefahren“ zu agieren. Tayloristisches Gedankengut mit neuen Perspektiven zerstreuen? „Wir glauben nicht, dass es Sinn macht, jemandem die Welt zu erklären. Aber wir versuchen, Menschen einzuladen in die Organisation, die andere Perspektiven reinbringen. Wir versuchen, das einfach wirken zu lassen, in der Hoffnung, dass auch Führungs­kräfte anfangen, sich zu hinter­fragen und neue Perspektiven zuzulassen. Erst dann kann entdeckt werden, wo das System verändert werden muss, um vorhandene Probleme zu lösen. Und erst dann werden auch die Mitarbeitenden die Veränderung spüren.“

Steffen Besserer im Gespräch mit Teilnehmern.
© Dirk Walter/Maschinenraum Steffen Besserer im Gespräch mit Teilnehmern.

Maschinenraum – unabhängige Plattform für den Mittelstand

Entstanden aus der Transformations­geschichte der Viessmann Gruppe, versteht sich der Maschinen­raum als eine unabhängige Plattform des Mittel­standes für den Mittel­stand. Er möchte ein offenes Ökosystem für lang­fristige Kooperationen und Innovationen im deutschen Mittel­stand schaffen. Das Innovations­öko­system bietet Familien­unternehmen und Mittel­ständler:innen ein kollaboratives Umfeld, in dem Heraus­forderungen im Rahmen der digitalen Transformation angegangen werden. Die „Maschinen­raum Momentum 2022“ fand als erste Konferenz des Mittelstandes für den Mittel­stand Anfang September in Berlin statt. Bei der Veranstaltung diskutierten Unternehmer:innen und Entscheider:innen aus den fast 60 Mitglieds­unternehmen.