Wachstum macht (auch) Probleme – so geht ein Mittelständler damit um
Der Landtechnikhersteller Horsch stellte auf der Mittelstandskonferenz „Maschinenraum Momentum 2022“ seine Erfahrungen zum Thema Future of Work vor.
Draußen standen Mitarbeiter:innen der Tagung „Maschinenraum Momentum 2022“ mit Regenschirmen bereit, drinnen bekam man allerdings vom Berliner Herbstbeginn nicht allzu viel mit. Auf der ersten Maschinenraum-Konferenz im September nahmen Entscheider:innen und Unternehmer:innen aus den fast 60 Mitgliedsunternehmen des Mittelstandskollektivs teil und diskutierten über den Ist-, Soll- und Was-wäre-wenn-Zustand ihrer Unternehmen.
Im Rahmen eines sogenannten Deep Dive mit dem Titel „Future of Work – Perspektivwechsel für die ganze Organisation“ stellte Steffen Besserer, Unit-Leiter Corporate Culture von Horsch, vor, wie sein Unternehmen versucht, Arbeit im Kontext steigender Dynamik so zu gestalten, dass die Menschen mit Freude und Leichtigkeit, gleichzeitig aber auch verantwortungsbewusst, effizient und unternehmerisch arbeiten und ihr volles Potenzial ausschöpfen können.
Ausgangspunkt seines Impulses waren die Folgen des Erfolges bei Horsch. Wachstum sei zwar wichtig, habe aber auch seine Schattenseiten. Bei Horsch stellte man beispielsweise fest, dass die Dynamikrobustheit durch den Erfolg etwas verloren gegangen war. Dynamikrobustheit? Dieses Wort ist ein Neologismus, der besagt, dass man nicht schnell und angemessen auf überraschende Veränderungen reagieren kann. Aber auch im Hinblick auf die Belegschaft ergab die Standortbestimmung bei Horsch, dass die Atmosphäre durch das Wachstum gelitten hatte. Eine höhere Arbeitsbelastung führt zu mehr Sensibilität – und das potenziell zu mehr Unzufriedenheit, mehr Missverständnissen, mehr Spannungen und weniger Lösungsorientierung. Mit anderen Worten: Es gibt Handlungsbedarf. Die große Frage ist: Wie gestaltet man ein Arbeitsumfeld im Wandel, In dem Mitarbeitende zufrieden sind?
Netzwerk statt Hierarchie
Steffen Besserer stellte die Ansätze bei Horsch als Work in Progress vor. Man stehe noch relativ am Anfang des Prozesses: „Wir versuchen das zu leben, wovon wir überzeugt sind, und wir glauben, dass all diese Dinge den Mitarbeitenden das Arbeiten leichter machen. In einer so dynamischen Welt macht zum Beispiel die Zentralisierung der Entscheidungsfindung oder hierarchische Strukturen an vielen Stellen keinen Sinn mehr. Wir müssen die Entscheidungsmacht in die Peripherie verlagern, also dorthin, wo direkter Kontakt zum Markt besteht, und müssen damit auch allen mehr Entscheidungsfreiheit zugestehen.“
Als übergeordneter Denkansatz spielt dabei die Idee des Netzwerkes bei Horsch eine entscheidende Rolle: Wen muss man zusammenbringen, um die bestehenden Herausforderungen und Probleme an der richtigen Stelle zu lösen? Ganz konkret: Wie gestaltet man hierfür Strukturen anders? Besserer verdeutlichte an den Beispielen Meeting-Strukturen und Entscheidungsprozesse, wie sich bei Horsch die Veränderungen hin zum Netzwerk gestalten lassen. In Netzwerken, so Besserer, brauche es neue Werkzeuge, damit die richtigen Entscheidungen getroffen werden könnten. Vor allem wenn plötzlich nicht mehr automatisch die Hierarchie entscheidet. In Meetings etwa vermischten sich oftmals Ebenen, und dies nicht immer positiv: „Es gibt beispielsweise einen persönlichen Konflikt, ein Sachthema und vielleicht noch ein Strukturthema, und die Erfahrung zeigt, dass sich die Themen dann vermischen und man zu keinen Entscheidungen kommt.“ Bei Horsch werden also alternative Meeting-Strukturen ausprobiert. Zum einen sogenannte „Sync“-Meetings, wo es nur um die Synchronisation von Informationen geht. Zum anderen „Clear the Air“-Meetings, bei denen es eher um Beziehungen und Konflikte geht. Und schließlich „Governance“-Meetings, bei denen ausschließlich (neue) Rollen besprochen werden. Denn klar definierte Rollen sind aus Sicht von Besserer die Grundlage für effiziente Netzwerke.
Aber auch Entscheidungsprozesse sollen verändert werden. „Konsensfindung ist oft schwierig, und meistens entscheidet dann einfach derjenige, der am längeren Hebel sitzt“, bedauerte Besserer. Dem setzt man bei Horsch ein Konsentverfahren entgegen. Bei einer Abstimmung gibt es drei Reaktionsmöglichkeiten. Daumen hoch bedeutet vollstes Einverständnis, Daumen quer heißt, Vorschlag wird nicht favorisiert, aber unterstützt. Und Daumen runter steht für Ablehnung. Doch der Clou ist, dass die Person, die ablehnt, zugleich einen neuen Vorschlag ins Netzwerk einbringen muss.
Das Team von Steffen Besserer versucht darüber hinaus, weitere Zusammenarbeitsmodelle und Organisationslayouts zu implementieren, die dynamikrobust sind und wirkungsvolle Beziehungen schaffen. Deshalb wird auch viel Wert auf Dialog gelegt.
Steffen Besserer ist studierter Betriebswirtschaftler und hat in verschiedenen verantwortlichen Positionen im Bereich Personal- und Organisationsentwicklung gearbeitet, bevor er 2020 als Leiter der Unit Corporate Culture bei Horsch anfing. In dieser Rolle ist er unter anderem auch für das Thema Organisationsentwicklung zuständig.
Psychologische Sicherheit
Eine weitere wesentliche Erkenntnis bei Horsch ist, dass auch auf individueller Ebene ein Mehr an Sicherheit hergestellt werden muss, um die Resilienz der Mitarbeitenden zu erhöhen. Dabei spielen Themen wie Achtsamkeit und Gewaltfreie Kommunikation eine wichtige Rolle.
„Psychologische Sicherheit ist Voraussetzung dafür, dass Mitarbeitende sich offen austauschen, Feedback geben, Fehler ansprechen oder Sorgen teilen. Wenn man sich sicher fühlt, ist man eher bereit, Entscheidungen auch unter Risiken zu treffen und Verantwortung zu übernehmen“, stellte Besserer fest. Das Unternehmen habe sich lange überlegt, welche Aspekte dabei besonders wichtig seien. „Wir haben festgestellt, dass das Thema ,gegenseitig geklärte Erwartungen‘ eine ganz wichtige Rolle spielt. Das sieht man ja auch bei persönlichen Beziehungen. Beziehungen sind immer dann stabil, wenn die Erwartungen zusammenpassen.“ Deswegen wurde bei Horsch ein Erwartungsdialog eingeführt: Statt standardisierter Mitarbeitergespräche gibt es Austausch über Erwartungshaltungen. Es geht also um einen gegenseitigen Abgleich: Was wird gegenseitig erwartet? Was wird gebraucht, um die Erwartungen zu erfüllen?
Komplexität als Herausforderung
Neben den internen Herausforderungen einer Organisation spielen aber auch die Herausforderungen einer immer komplexeren und dynamischeren Welt eine Rolle. Je komplexer es werde, so Besserer, umso wichtiger werde es auch, Altbewährtes auf den Prüfstand zu stellen und nicht nach dem Motto „Damit sind wir aber immer gut gefahren“ zu agieren. Tayloristisches Gedankengut mit neuen Perspektiven zerstreuen? „Wir glauben nicht, dass es Sinn macht, jemandem die Welt zu erklären. Aber wir versuchen, Menschen einzuladen in die Organisation, die andere Perspektiven reinbringen. Wir versuchen, das einfach wirken zu lassen, in der Hoffnung, dass auch Führungskräfte anfangen, sich zu hinterfragen und neue Perspektiven zuzulassen. Erst dann kann entdeckt werden, wo das System verändert werden muss, um vorhandene Probleme zu lösen. Und erst dann werden auch die Mitarbeitenden die Veränderung spüren.“
Maschinenraum – unabhängige Plattform für den Mittelstand
Entstanden aus der Transformationsgeschichte der Viessmann Gruppe, versteht sich der Maschinenraum als eine unabhängige Plattform des Mittelstandes für den Mittelstand. Er möchte ein offenes Ökosystem für langfristige Kooperationen und Innovationen im deutschen Mittelstand schaffen. Das Innovationsökosystem bietet Familienunternehmen und Mittelständler:innen ein kollaboratives Umfeld, in dem Herausforderungen im Rahmen der digitalen Transformation angegangen werden. Die „Maschinenraum Momentum 2022“ fand als erste Konferenz des Mittelstandes für den Mittelstand Anfang September in Berlin statt. Bei der Veranstaltung diskutierten Unternehmer:innen und Entscheider:innen aus den fast 60 Mitgliedsunternehmen.