ZEIT für X
Türe von Schulschließfächern

Schulzeit vorbei – nach 18 Jahren

10. Oktober 2022
Ein Artikel von Studio ZX.

Schule ist nicht nur für Kinder entscheidend, sie macht auch viel mit den Eltern – und lässt sie so manche Vorstellung über den Haufen schmeißen. Ein Erfahrungs­bericht.

von Annette Kuhn, Studio ZX

Vor 18 Jahren ging es los, da wurde mein ältestes Kind eingeschult. Nun ist die Eltern­schul­zeit vorbei: drei Kinder, drei verschiedene Schul­lauf­bahnen, geschätzt mindestens 60 Eltern­abende und sicher mehr als 7.000 gefüllte Brot­boxen (von denen gefühlt die Hälfte wieder ungeöffnet zurückkam).

In den 18 Jahren habe ich viel gelernt, vor allem natürlich, was die Rolle von Eltern anbelangt. Die werden in der Schule oft als Stören­friede gesehen. Das wollte ich nicht sein und habe daher vieles kommentar­los hin­genommen, was in der Schule passierte. Heute denke ich: Eltern können auch wichtige Impulse geben, vielleicht sollte Schule da etwas offener sein. Klar ist aber auch: Es läuft auch nicht, wenn Eltern die Lehrer:innen als Feind:innen ihrer Kinder betrachten und ihnen mit Misstrauen begegnen. Eine entspanntere Haltung hilft wahrscheinlich allen. Und man muss sich auch nicht über alles einen Kopf machen. In der Schule darf, ja, muss gar nicht alles gerade laufen. Manchmal ist der Umweg der richtige Weg. Hauptsache, man versteht, wieso etwas läuft, wie es läuft.

Eltern neigen dazu, die Schulzeit der Kinder mit einem Business­plan zu verwechseln

Das Wichtigste ist, dass die Kinder es verstehen, denn um die geht es doch. Das habe ich schon bei der Einschulung meines ersten Kindes gelernt. Die Schul­leiterin hatte in ihrer Rede die Kinder angesprochen: „Schule ist euer Raum.“ Das klang wie: Die Eltern bleiben draußen. Bitte?, dachte ich zuerst mit leichter Empörung. Aber eigentlich war ich ganz froh, draußen bleiben zu dürfen, nicht selber basteln, Mathe­aufgaben lösen oder Ausarbeitungen über Stockenten verschönern zu müssen. Kinder, geht zur Schule, ich gehe arbeiten.

Aber dieses Draußenbleiben funktionierte in der Praxis nur mäßig. Weil Eltern dazu neigen, die Schulzeit der Kinder mit einem Business­plan zu verwechseln. Und auch, weil es viele Lehrer:innen als selbst­verständlich erachten, dass Eltern Haus­aufgaben betreuen oder sich zumindest als Cheerleader:innen für die Schule engagieren – nach den Vorgaben der Schule, versteht sich.

Ich habe versucht, mich nicht darauf einzulassen – weder auf den Business­plan noch auf die Rolle des verlängerten Armes der Schule. Wie soll das auch gehen? Klar, es gibt Eltern, die auch beste Pädagog:innen sind. Die Mehrheit ist es wohl nicht. Und dann gibt es Eltern, die so etwas gar nicht leisten können. Wo bleibt da die Bildungs­gerechtig­keit? Und es gibt Eltern, die weit übers Ziel hin­aus­schießen und mit ihren Kindern am liebsten schon alles vorarbeiten, was in der nächsten Unterrichts­stunde drankommen könnte. Wie sollen Kinder so selbst­ständig werden?

Zugegeben, so habe ich nicht von Anfang an gedacht. Ich hatte feste Vorstellungen davon, wie Schule zu sein hat. Wahrscheinlich ist das ein Grund­problem: Es wird zu viel Ballast in die Schule hinein­getragen – Wunsch­vor­stellungen vom eigenen Kind oder Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit. Als das erste Kind in die Schule kam, war für mich klar, dass es mal aufs Gymnasium gehen soll. Ich hielt auch Latein für eine notwendige Grundlage, um Sprachen zu lernen. Und ohne Noten konnte ich mir Schule nicht vorstellen.

Dieses Fronten­denken in der Schule ist nicht ziel­führend

Heute denke ich all das nicht mehr – aber auch nicht das Gegenteil. Dieses Fronten­denken in der Schule, dieses Nur-das-eine-oder-das-andere-Gilt halte ich nicht für ziel­führend und nicht für geeignet, der wachsenden Hetero­genität in der Schule gerecht zu werden.

Das Gymnasium war nicht für jedes meiner Kinder die richtige Schulart, und ich musste lernen, dass der Schul­wechsel nichts mit Versagen zu tun hat. Bei Latein habe ich mich mit anderen Eltern ausgetauscht, als die Wahl anstand. Eine Mutter war begeistert von Latein und fragte: „Darf ich auch etwas zu Alt­griechisch sagen?“ Alt­griechisch, jetzt wird es ganz exotisch, dachte ich. Sie sagte: „Ich finde es gut, wenn Kinder etwas lernen, was sie nicht eins zu eins später im Beruf anwenden können, sondern was ihnen den Kopf öffnet, was sie über sich hinaus­wachsen lässt.“ Für ihr Kind war das Alt­griechisch. Auch dieser Satz hat mich wie der von der Schul­leiterin bei der Einschulung meine Eltern­schul­zeit hindurch begleitet. Natürlich haben nicht alle drei Kinder Alt­griechisch gelernt, aber ich habe mitgenommen: Es braucht die Vielfalt, das Angebot, um alle Kinder zu erreichen, für Themen und für das Lernen zu begeistern. Jedes Kind vielleicht für etwas anderes.

Und wenn Schule diesen Raum bietet, wenn nicht alle das Gleiche zum gleichen Zeit­punkt gleich gut können müssen, ist es im Übrigen auch für Eltern leichter auszuhalten, wenn andere Kinder etwas besser können als die eigenen. Dann kommt es vielleicht auch nicht zu diesem unerträglichen Konkurrenzdenken unter Eltern.

Es braucht auch Mut von Eltern, sich darauf ein­zu­lassen, wenn Schulen neue Wege beschreiten

Und wie bemisst sich dieses Besser eigentlich? Nur mit Noten? Noten sind nicht so wichtig, könnte ich jetzt sagen, aber das sagt sich so leicht. Außerdem sind keine Noten oft auch nicht die Lösung, zumindest dann nicht, wenn Noten durch Bilder von schnellen oder langsamen Tieren ersetzt werden. Kinder sind nicht doof und brechen die Tiere auf Noten herunter.

Es braucht schon etwas mehr Mut, um Strukturen auf­zu­brechen und das System zu verändern. Mut auch von Eltern, sich darauf einzulassen, wenn Schulen neue Wege beschreiten – sei es bei Lern­angeboten, bei Lern­methoden oder eben bei der Bewertung. Klar, dass Schule bewahrt, was gut ist. Aber im Leben der Kinder verändert sich so viel, da muss doch auch Schule sich verändern und Antworten für neue Heraus­forderungen finden. Vor allem muss sie Kinder dabei unter­stützen, sich in der verändernden Welt zurecht­zu­finden, selbst aktiv zu werden und Lösungen zu entwickeln.

Für Eltern ist dieser Prozess eine Gedulds­probe, insbesondere auch zuzulassen, dass Kinder dabei Fehler machen. Das ist übrigens leichter auszuhalten, wenn man nicht Hilfs­lehr­kraft ist, wenn man einfach mal draußen bleiben kann.