ZEIT für X
Hanno Burmester

„Demokratie ist keine Gut-Wetter-Veranstaltung“

17. August 2022
Ein Artikel von Studio ZX.

Transformationsdesigner Hanno Burmester erklärt im Interview, mit welchen Problemen Politik und Wirtschaft zu kämpfen haben und was sie bei deren Lösung voneinander lernen können.

von Anna-Lena Limpert, Studio ZX

Politik und Wirtschaft stehen seit Jahren vor massiven Heraus­forderungen: Klimakrise, Krieg in der Ukraine oder die wachsende globale Ungleichheit sind nur wenige Beispiele. Hanno Burmester ist ehemaliger Bundes­tags­mitarbeiter und Buch­autor und berät Unternehmen zu Trans­formations­prozessen. Im Interview erklärt er, was es braucht, um diesen Krisen zu begegnen, was sich die Politik dabei von der Wirtschaft abschauen kann – und andersherum.

Studio ZX: Herr Burmester, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Trans­formations­prozessen in Politik­betrieb und Unternehmen und haben wahrscheinlich ein konkretes Bild davon, wie es derzeit um Wirtschaft und Politik und ihre Beziehung bestellt ist. Wie würden Sie den Status quo beschreiben?

Hanno Burmester: Ich glaube, dass Deutschland ein struktur­konservatives Land ist, das häufig hinter­her­hinkt, wenn es um Transformation und Innovation geht. Zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung, Arbeitskultur oder beim nach­haltigen Wirtschaften. Da bewegen sich sowohl Politik als auch Wirtschaft tendenziell erst dann, wenn sie müssen. Leider haben Politik und Groß­konzerne jahre­lang nach einer Taktik gearbeitet, die lautete: verzögern. Das hat dazu geführt, dass die längst überfällige ökologische Transformation sehenden Auges immer weiter aufgeschoben wurde, zum Beispiel bei der Verschärfung von Co2-Grenzwerten. Alles wurde dem kurz­fristigen Ziel unter­geordnet, auf Kosten von Umwelt und Mensch weiter maximalen Profit zu machen. Insbesondere der Mittel­stand tickt aber mittler­weile an vielen Stellen anders.

Hanno Burmester
© Julian Baumann

Hanno Burmester berät mit seinem Unternehmen „Unlearn“ Unternehmen bei der Transformation von Führung und Zusammenarbeit. Er ist Redner auf nationalen und internationalen Bühnen und Autor mehrerer Bücher, zuletzt „Unlearn. A Compass for Radical Transformation“. Burmester ist zudem Advisor der Apolitical Academy Global und Fellow bei JoinPolitics.

Sie sagen, dass Deutschland oft hinter­her­hinkt. Hinter wem oder wobei?

Das hat zwei Dimensionen. Die eine ist natürlich der internationale Vergleich. Aber genauso hinkt Deutschland hinter den Handlungs­erfordernissen her, die sich aus den heutigen Rahmen­bedingungen ergeben. Es gibt eine Klimakrise, es gibt ein ökologisches Massen­sterben, es gibt massive soziale Ungleichheit. Nicht nur global, sondern auch national und innerhalb der EU. Und all diese Themen sind eigentlich der moralische und geschäftliche Imperativ, entschlossen zu handeln. Und trotzdem wird es nicht getan.

Häufig scheitert das auch an internen Heraus­forderungen. Welche muss ein Unternehmen auf dem Weg zur Lösung dieser Probleme bewältigen?

Ich sehe drei zentrale Herausforderungen für Unternehmen in den kommenden Jahren. Erstens bauen die meisten Geschäfts­modelle noch immer auf dem Prinzip auf, unbegrenzt Ressourcen zu verbrauchen, während Gesellschaft und Natur die negativen Folge­kosten tragen müssen. Ab dem Moment, an dem die nationalen oder inter­nationalen Regulierungen verschärft werden, haben solche Unternehmen ein grund­legendes Problem. Zweitens steht ein Wandel der Zusammenarbeit an, weg von zentralistischen und hierarchischen Führungs­modellen hin zu mehr Selbst­organisation und Dezentralität. Das braucht eine Wissens­gesellschaft, um Innovation und Kreativität zu entfesseln. Drittens besteht kulturell eine große Angst vor Veränderung. Alle befürchten, dass es ihnen schlecht geht, wenn sich etwas verändert. Der einzige Weg aus dieser Angst ist, Erfahrungs­räume zu schaffen, in denen Menschen merken: Es ist wirklich möglich, anders zu arbeiten, anders zu wirtschaften – und es fühlt sich sogar gut an.

Wie sollte Führung in Politik und Wirtschaft denn aussehen, damit sie nachhaltig funktioniert und unserer Zeit gerecht wird?

Wie immer im Leben gibt es viele Optionen. Ich mache sehr gute Erfahrungen mit kollegialen Führungs­modellen. Sie beruhen auf dem Prinzip, dass Führung und Verantwortung Sache der Vielen ist, nicht der Wenigen. Heute haben meist wenige Führungs­personen alle Entscheidungs­macht. Wo kollegial geführt wird, ist das anders. Dort dürfen „einfache“ Mitarbeitende nicht nur umsetzen, sondern auch entscheiden. Das erfordert eine ganz andere Art der Zusammen­arbeit. Mitarbeitende müssen lernen, in Verantwortung zu gehen und effizient zu entscheiden. Dafür brauchen wir eine Kultur, die Fehler und gemeinsames Lernen zulässt. Im Kern geht es dabei darum, Menschen in die Lage zu versetzen, miteinander ins Gespräch zu kommen, um die beste Entscheidung treffen und im Zweifel auch Konflikte austragen zu können. Das sind Themen, die bisher an Führungskräfte delegiert worden sind, weil Mitarbeitende ja nur dafür bezahlt werden, Dinge umzusetzen.

Die Politik kann von den Vorreitern der deutschen Wirtschaft lernen, nicht immer zu warten, bis es zu spät ist.

Hanno Burmester, Transformationsdesigner und Autor

Besonders zur altmodischen Arbeitskultur und zum fehlenden Nach­haltig­keits­gedanken findet vereinzelt bereits ein Umdenken statt. Was kann die Politik dabei von der Wirtschaft lernen?

Das politische System ist weitaus komplexer als Wirtschafts­unternehmen, deshalb ist der Übertrag nur begrenzt möglich. Aber es gibt ein wichtiges Lernfeld: die Gestaltung von Trans­formations­prozessen. In Unternehmen kann man erfahren, dass Transformation nicht in erster Linie eine technokratische Herausforderung ist, sondern eine menschliche. Wenn wir die Rahmen­bedingungen verändern, fordert uns das als Menschen heraus. Wir müssen uns in der eigenen Haltung hinter­fragen, bisherige Muster verlernen und neue entwickeln. Ich glaube, dass wir diesen Faktor politisch zu wenig diskutieren, gerade wenn wir über die Themen Nachhaltigkeit und Klima­krise sprechen. Da geht es nämlich um viel mehr als nur die Verabschiedung von Gesetzen. Es geht auch um eine kollektive Haltungs­änderung und Reflexion unserer Grund­bildung. Hier kann die Politik nicht verordnen, sondern nur Anreize setzen. Die Politik kann von den Vorreitern der deutschen Wirtschaft außerdem lernen, nicht immer zu warten, bis es zu spät ist, sondern voraus­schauend unterwegs zu sein: Was kommt absehbar in den nächsten Jahren auf uns zu? Wie können wir uns vorbereiten? Wie können wir jetzt schon die richtigen Investitionen tätigen, die passenden Weichen stellen und neuen Heraus­forderungen ins Auge blicken, statt ihnen auszuweichen?

Und andersherum gefragt: Gibt es auch etwas, das Unternehmen sich von der Politik abschauen können?

Unternehmen müssen lernen, dass Demokratie keine Gut-Wetter-Veranstaltung ist. Wenn man die Vielen einbinden und mit ihnen streiten möchte, dann nicht nur, wenn es gerade passt. Es sollte eine Grundhaltung sein. Man muss lernen, mit vielen widersprüchlichen Interessen zu Entscheidungen zu kommen. Der zweite Punkt ist aus meiner Sicht, dass Politik nach wie vor von Menschen getragen wird, die etwas erreichen wollen. Sie wollen die Gesellschaft verändern, haben eine Haltung und sehen auch einen Sinn in dem, was sie tun. Und ich glaube, das ist eine Kraft, die in vielen Unternehmen viel zu wenig ausgeschöpft wird.