Der große gemeinsame Nenner
Was entstehen kann, wenn Zivilgesellschaft und Politiker:innen an einer gemeinsamen Vision arbeiten, zeigt die Brand New Agenda.
Eine „klare Vision und ein gemeinsames Ziel für ein zukunftsfähiges, nachhaltiges Deutschland mit gleichen Rechten für alle“: Das soll sie sein, die Brand New Agenda. Ein Dokument mit politischen Forderungen und Zielen über verschiedene Bereiche hinweg – von Klima bis Digitalisierung.
Passend zum Beginn der Bundeshaushaltsverhandlungen wurde sie jetzt von der Initiative „Brand New Bundestag“ formuliert und herausgegeben. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, besonders progressive Politiker:innen auf ihrem Weg ins Parlament und während ihrer Amtszeit zu unterstützen – unabhängig von ihren politischen Erfahrungen und der Parteizugehörigkeit. Damit verfolgt die Initiative ein klares Ziel: Sie will frischen Wind in Bundes- und Landesparlamente bringen.
Das Bindeglied zwischen Zivilgesellschaft und Politik
Brand New Bundestag versteht sich als Bindeglied zwischen Zivilgesellschaft und Politik. Genau diese Verbindung ist der Kern der Brand New Agenda. Denn: Bei ihrer Entwicklung sind die Positionen von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, beispielsweise aus NGOs oder Vereinen, und Politiker:innen aus dem Netzwerk von Brand New Bundestag eingeflossen.
In dem 15 Seiten langen Papier sind politische Ziele und Forderungen formuliert, für die die beteiligten Akteur:innen gleichermaßen einstehen. Behandelt werden in der Agenda Themen wie Klima, Migration und Asyl, Mobilität oder Bildung. 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035, eine grundlegende Reform des Rentensystems oder Geschlechterparität in allen Bereichen sind unter anderem als Forderungen darin festgeschrieben. „Ich glaube, dass sich viele Leute danach sehnen, dass es ein klares Zukunftsversprechen gibt und wir gemeinsam darauf hinarbeiten“, sagt Maximilian Oehl, Co-Initiator und Executive Director von Brand New Bundestag, zum Zweck der Agenda.
Es ist nicht nur das Ziel, das eint
Die Brand New Agenda soll zeigen, wie groß die gemeinsame Schnittmenge der Forderungen innerhalb der Gesellschaft ist. Sie solle verdeutlichen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen eine sehr ähnliche Vorstellung davon hätten, wie eine zukunftsfähige Gesellschaft aussieht, so Oehl. Sonst würden Organisationen oft nur für sich selbst kämpfen und dadurch die Verbindung zu anderen gesellschaftlichen Anliegen aus dem Blick verlieren. Die Agenda biete im Gegensatz dazu einen breiteren Referenzrahmen für alle Beteiligten.
Um herauszufinden, was dieser konkret beinhalten soll, hat ein Rechercheteam von Brand New Bundestag die Inhalte und Ziele großer und kleiner zivilgesellschaftlicher Organisationen, darunter „Fridays for Future“, „Sea-Watch“ oder „Mein Grundeinkommen“, angeschaut und Übereinstimmungen herausgearbeitet. Auf dem Weg zur finalen Agenda gab es anschließend gemeinsam mit Politiker:innen und einigen der Organisationen mehrere Abstimmungs- und Änderungsschleifen. „Dieser Entwicklungsprozess und das daraus resultierende Programm demonstrieren die Einigkeit und Bereitschaft der Zivilgesellschaft, sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gemeinsam zu stellen“, erklären die Initiator:innen im Dokument.
Die Brand New Agenda kann und soll auch als Entscheidungshilfe und Richtungsgeberin für die Arbeit von Politiker:innen dienen. Als Möglichkeit, eigene Ziele und Interessen mit jenen aus der Gesellschaft abzugleichen und, möglicherweise, Konsequenzen daraus abzuleiten – ein „Arbeitsprogramm“ für Politiker:innen. Mit Blick auf die derzeitigen Haushaltsverhandlungen sagt Oehl außerdem: „Im Idealfall dient die Agenda als Gradmesser dafür, ob wir uns haushaltspolitisch in die Zukunft bewegen oder wir eher den Status quo erhalten.“
Im Idealfall dient die Agenda als Gradmesser dafür, ob wir uns haushaltspolitisch in die Zukunft bewegen oder wir eher den Status quo erhalten.
Max Oehl
Aus den eigenen Kreisen herauskommen
Die Zusammenarbeit von Organisationen und Politiker:innen erlebte Oehl als gewinnbringend, „weil ein gegenseitiges Verständnis für die Zwänge der Abgeordneten und die Interessen der Aktivist:innen da ist“. Beide Seiten würden davon profitieren, aus den eigenen Kreisen herauszukommen, den Blick für die Belange der anderen zu weiten. Auch hier habe die Arbeit an der Agenda gezeigt, dass Politik und Gesellschaft näher zusammenstünden, als man vielleicht denken würde. „Über die Details der Umsetzung und die richtigen Maßnahmen kann man streiten“, so Oehl. Die politischen Zielsetzungen hingegen seien für viele Akteur:innen klar.
Konkrete Maßnahmen fordert die Agenda deswegen nur selten ein. Problematisch sei das laut den Initiator:innen aber nicht: Es mangele nicht an Expertise darüber, welche Maßnahmen gut funktionierten, sondern an der Entschlossenheit, diese Punkte überhaupt anzugehen. Die Agenda solle deswegen dazu mobilisieren, die jeweiligen Ziele anzupacken.
Brand New Bundestag ist eine Graswurzelorganisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, frischen Wind in Deutsche Parlamente zu bringen. Dafür können sich Politiker:innen auf einen Aufruf von Brand New Bundestag hin bewerben – zuletzt bei der Bundestagswahl 2021 und mehreren Landtagswahlen 2022. Nach ihrer Auswahl unterstützt die Organisation die Kandidat:innen auf ihrem Weg ins jeweilige Parlament und während ihrer Amtszeit, zum Beispiel mit Pressearbeit, Beratung und Workshops. Brand New Bundestag will so sicherstellen, dass besonders progressive politische Stimmen in Bundes- oder Länderparlamenten vertreten sind. Dabei werden Personen über alle Parteien hinweg, mit Ausnahme der AfD, unterstützt. Zurzeit arbeiten elf Personen in Voll- oder Teilzeit für Brand New Bundestag. Unterstützt werden sie außerdem von 160 Freiwilligen.
Eine Agenda, die lebt
In Stein gemeißelt ist nichts, was in der Brand New Agenda steht. Das Dokument ist als „lebendig“ zu verstehen und soll deswegen in regelmäßigen Abständen angepasst und verändert werden. Zum Beispiel alle sechs bis zwölf Monate, schlägt Oehl vor. Im besten Falle auch dann, wenn Forderungen im Sinne der Beteiligten erfolgreich aufgegriffen und politisch umgesetzt wurden. Es bleibt also abzuwarten, ob Brand New Bundestag nach der aktuellen Haushaltsdebatte einige Ziele aus der Brand New Agenda streichen und als erreicht verbuchen kann – oder ob diese in Zukunft um weitere Seiten wächst.