ZEIT für X
Brand New Bundestag-Team

Der große gemeinsame Nenner

20. September 2022
Ein Artikel von Studio ZX.

Was entstehen kann, wenn Zivil­gesellschaft und Politiker:innen an einer gemeinsamen Vision arbeiten, zeigt die Brand New Agenda.

von Anna-Lena Limpert, Studio ZX

Eine „klare Vision und ein gemeinsames Ziel für ein zukunfts­fähiges, nach­haltiges Deutschland mit gleichen Rechten für alle“: Das soll sie sein, die Brand New Agenda. Ein Dokument mit politischen Forderungen und Zielen über verschiedene Bereiche hinweg – von Klima bis Digitalisierung.

Passend zum Beginn der Bundes­haus­halts­verhandlungen wurde sie jetzt von der Initiative „Brand New Bundestag“ formuliert und heraus­gegeben. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, besonders progressive Politiker:innen auf ihrem Weg ins Parlament und während ihrer Amtszeit zu unter­stützen – unabhängig von ihren politischen Erfahrungen und der Partei­zugehörigkeit. Damit verfolgt die Initiative ein klares Ziel: Sie will frischen Wind in Bundes- und Landes­parlamente bringen.

Das Bindeglied zwischen Zivil­gesellschaft und Politik

Brand New Bundestag versteht sich als Bindeglied zwischen Zivil­gesellschaft und Politik. Genau diese Verbindung ist der Kern der Brand New Agenda. Denn: Bei ihrer Entwicklung sind die Positionen von zivil­gesellschaftlichen Akteur:innen, beispielsweise aus NGOs oder Vereinen, und Politiker:innen aus dem Netzwerk von Brand New Bundes­tag eingeflossen.

In dem 15 Seiten langen Papier sind politische Ziele und Forderungen formuliert, für die die beteiligten Akteur:innen gleicher­maßen einstehen. Behandelt werden in der Agenda Themen wie Klima, Migration und Asyl, Mobilität oder Bildung. 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035, eine grund­legende Reform des Renten­systems oder Geschlechter­parität in allen Bereichen sind unter anderem als Forderungen darin fest­geschrieben. „Ich glaube, dass sich viele Leute danach sehnen, dass es ein klares Zukunfts­versprechen gibt und wir gemeinsam darauf hinarbeiten“, sagt Maximilian Oehl, Co-Initiator und Executive Director von Brand New Bundestag, zum Zweck der Agenda.

Max Oehl
© Maximilian Gödecke Max Oehl ist promovierter Jurist, Co-Initiator und Executive Director der Initiative Brand New Bundestag.

Es ist nicht nur das Ziel, das eint

Die Brand New Agenda soll zeigen, wie groß die gemeinsame Schnitt­menge der Forderungen innerhalb der Gesellschaft ist. Sie solle verdeutlichen, dass zivil­gesellschaftliche Organisationen eine sehr ähnliche Vorstellung davon hätten, wie eine zukunfts­fähige Gesellschaft aussieht, so Oehl. Sonst würden Organisationen oft nur für sich selbst kämpfen und dadurch die Verbindung zu anderen gesell­schaftlichen Anliegen aus dem Blick verlieren. Die Agenda biete im Gegen­satz dazu einen breiteren Referenz­rahmen für alle Beteiligten.

Um herauszufinden, was dieser konkret beinhalten soll, hat ein Recherche­team von Brand New Bundestag die Inhalte und Ziele großer und kleiner zivil­gesellschaftlicher Organisationen, darunter „Fridays for Future“, „Sea-Watch“ oder „Mein Grund­einkommen“, angeschaut und Über­einstimmungen heraus­gearbeitet. Auf dem Weg zur finalen Agenda gab es anschließend gemeinsam mit Politiker:innen und einigen der Organisationen mehrere Abstimmungs- und Änderungs­schleifen. „Dieser Entwicklungs­prozess und das daraus resultierende Programm demonstrieren die Einigkeit und Bereitschaft der Zivil­gesellschaft, sich den Heraus­forderungen des 21. Jahrhunderts gemeinsam zu stellen“, erklären die Initiator:innen im Dokument.

Die Brand New Agenda kann und soll auch als Entscheidungs­hilfe und Richtungs­geberin für die Arbeit von Politiker:innen dienen. Als Möglichkeit, eigene Ziele und Interessen mit jenen aus der Gesellschaft abzugleichen und, möglicherweise, Konsequenzen daraus abzuleiten – ein „Arbeits­programm“ für Politiker:innen. Mit Blick auf die derzeitigen Haushalts­verhandlungen sagt Oehl außerdem: „Im Ideal­fall dient die Agenda als Gradmesser dafür, ob wir uns haushaltspolitisch in die Zukunft bewegen oder wir eher den Status quo erhalten.“

Im Idealfall dient die Agenda als Gradmesser dafür, ob wir uns haus­halts­politisch in die Zukunft bewegen oder wir eher den Status quo erhalten.

Max Oehl

Aus den eigenen Kreisen heraus­kommen

Die Zusammenarbeit von Organisationen und Politiker:innen erlebte Oehl als gewinn­bringend, „weil ein gegen­seitiges Verständnis für die Zwänge der Abgeordneten und die Interessen der Aktivist:innen da ist“. Beide Seiten würden davon profitieren, aus den eigenen Kreisen heraus­zu­kommen, den Blick für die Belange der anderen zu weiten. Auch hier habe die Arbeit an der Agenda gezeigt, dass Politik und Gesellschaft näher zusammen­stünden, als man vielleicht denken würde. „Über die Details der Umsetzung und die richtigen Maßnahmen kann man streiten“, so Oehl. Die politischen Ziel­setzungen hingegen seien für viele Akteur:innen klar.

Konkrete Maßnahmen fordert die Agenda deswegen nur selten ein. Problematisch sei das laut den Initiator:innen aber nicht: Es mangele nicht an Expertise darüber, welche Maßnahmen gut funktionierten, sondern an der Entschlossenheit, diese Punkte überhaupt anzugehen. Die Agenda solle deswegen dazu mobilisieren, die jeweiligen Ziele anzupacken.

Brand New Bundestag ist eine Graswurzelorganisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, frischen Wind in Deutsche Parlamente zu bringen. Dafür können sich Politiker:innen auf einen Aufruf von Brand New Bundestag hin bewerben – zuletzt bei der Bundestagswahl 2021 und mehreren Land­tags­wahlen 2022. Nach ihrer Auswahl unter­stützt die Organisation die Kandidat:innen auf ihrem Weg ins jeweilige Parlament und während ihrer Amtszeit, zum Beispiel mit Presse­arbeit, Beratung und Workshops. Brand New Bundestag will so sicher­stellen, dass besonders progressive politische Stimmen in Bundes- oder Länder­parlamenten vertreten sind. Dabei werden Personen über alle Parteien hinweg, mit Ausnahme der AfD, unter­stützt. Zurzeit arbeiten elf Personen in Voll- oder Teilzeit für Brand New Bundestag. Unterstützt werden sie außerdem von 160 Freiwilligen.

Eine Agenda, die lebt

In Stein gemeißelt ist nichts, was in der Brand New Agenda steht. Das Dokument ist als „lebendig“ zu verstehen und soll deswegen in regel­mäßigen Abständen angepasst und verändert werden. Zum Beispiel alle sechs bis zwölf Monate, schlägt Oehl vor. Im besten Falle auch dann, wenn Forderungen im Sinne der Beteiligten erfolgreich aufgegriffen und politisch umgesetzt wurden. Es bleibt also abzuwarten, ob Brand New Bundestag nach der aktuellen Haus­halts­debatte einige Ziele aus der Brand New Agenda streichen und als erreicht verbuchen kann – oder ob diese in Zukunft um weitere Seiten wächst.